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KOMMENTAR/266: Das Anti-Doping-Regime - verkommen zum Mittel der Politik (SB)



Man stelle sich vor, Arbeitnehmervertretungen würden fordern, daß ein Teil ihres Lohnes in eine verbesserte Arbeitsplatzüberwachung investiert wird. Mit dem Geld könnten dann die ArbeitnehmerInnen zum Beispiel rund um die Uhr videoüberwacht und 365 Tage im Jahr, zu jeder Tag- und Nachtzeit, kontrolliert werden. Alles diente, so die Propaganda dahinter, dem "Schutz des sauberen Arbeiters" bzw. der "Sicherung fairer Wettbewerbsbedingungen".

Was sich wie eine Episode aus dem dystopischen Roman "1984" von George Orwell anhört, wo den Menschen mit sogenannten "Doppeldenk"-Maßnahmen eingetrichtert wurde, daß Krieg Frieden, Freiheit Sklaverei und Unwissenheit Stärke sei, ist im Spitzensport bittere Realität. So sind Topathletinnen und -athleten zum Beweis ihrer "Sauberkeit" faktisch gezwungen, die Kontroll- und Überwachungsmaßnahmen, die tief in ihre Privatsphäre und Persönlichkeitsrechte eingreifen, nicht nur als "positiv" hinzunehmen, sondern geradezu einzufordern.

"Athleten Deutschland e.V." setzt noch einen drauf. Die vermeintlich "unabhängige" Athletenvertretung, die letztes Jahr unter "Einbeziehung von NADA, Sporthilfe und DOSB" einen Verein gegründet hat und sich laut Selbstdarstellung "für einen sauberen und fairen Sport" einsetzt, sorgte im Mai für Aufsehen. In einem Offenen Brief an das Internationale Olympische Komitee (IOC) verlangte die deutsche Athletenkommission nicht nur, daß die TeilnehmerInnen Olympischer Spiele "25 Prozent des Gesamtgewinns aus den Vermarktungs- und Übertragungserlösen des IOC" erhalten sollten. Vor dem Hintergrund internationaler Dopingskandale und den damit sichtbaren Schwächen des internationalen Anti-Doping Managements, so die deutsche Athletenkommission, sollten auch "10 Prozent des Gewinns aus Vermarktungs- und Übertragungsrechten für die Finanzierung eines unabhängigen Anti-Doping Managements und damit einer vom Sport unabhängig agierenden Welt-Anti-Doping Agentur" abgezweigt werden. [1]

So verständlich eine größere Teilhabe an den Gewinnen des IOC auch sein mag - mit ihrer Forderung stärken die Olympiakader vor allem das Geschäftsmodell des IOC, ohne das die SportlerInnen keine Eigenprofite durchsetzen könnten, und machen jede ernsthafte Kritik an den kommerziellen Machenschaften des Ringekonzerns, auch aus den eigenen Reihen (siehe etwa die weltweite Athleten-Kritik am IOC-Sponsor Dow Chemical), unglaubwürdig. Die Forderung indes, zehn Prozent der Gewinne in die Bildung einer "unabhängigen" Welt-Anti-Doping-Polizei zu investieren, läuft auf eine mit weitreichenden Befugnissen ausgestattete WADA hinaus, die in Erweiterung des auf Individualebene bereits etablierten Generalverdachts ganze Länder an den Doping-Pranger stellen kann. Säumige Nationen, die nicht in der Lage sind, den Anschein einer flächendeckend funktionierenden Kontroll- und Überwachungsstruktur vorzuhalten, können dann unter ständiger Bringschuld gehalten und im Extremfall auch von internationalen Sportereignissen ausgeschlossen werden.

Der Internationale Leichtathletik-Verband (IAAF) teilt seine Mitgliedsnationen bereits nach Risikoklassen für Doping ein. Länder, die eines hohen "Dopingrisikos" verdächtigt werden, müssen für eine Zulassung zu internationalen Großereignissen pro Athlet im Vorfeld mindestens drei unangekündigte Trainingskontrollen vorweisen. Niemand stellt mehr die Frage, wieso nur drei Tests, warum nicht zehn oder gar hundert? Das nämlich würde sofort die Willkür der Maßnahme entlarven und unangenehme Fragen aufwerfen, auf welch repressiver Grundlage sportliche Spitzenleistungen stehen. Die als "Transparenzoffensive" getarnte Verdächtigmachung von Personen und Ländern geht auf das Zusammenspiel des britischen IAAF-Präsidenten Sebastian Coe und der 2017 geschaffenen "Athletics Integrity Unit" (AIU) zurück, die von den reformschwärmerischen Medien unisono als "unabhängige" Integritätskommission bezeichnet wird. Chef dieser Kommission ist übrigens David Howman, ehemaliger Generaldirektor der WADA - soviel zur Unabhängigkeit. Die mit weitreichenden Befugnissen ausgestattete Integritäts- bzw. Ethikpolizei der AIU soll laut IAAF nicht nur Doping, sondern "alle Bedrohungen" für die Integrität des Sports bekämpfen. [2]

Daß dabei Datenschutz und Persönlichkeitsrechte immer mehr auf der Strecke bleiben und sich alle möglichen Formen vorauseilender Bezichtigung und Anprangerung Bahn brechen, liegt auf der Hand. So haben IAAF- bzw. AIU-VertreterInnen unter anderem durchgesetzt, daß entgegen der herkömmlichen Praxis, nur abgeschlossene Dopingfälle bekanntzumachen, nunmehr schon im Verdachtsraum alle Einzelheiten der Öffentlichkeit preisgegeben werden - was logischerweise bedeutet, daß auch unschuldige, falschpositive oder wie auch immer in den Maschen der Sportkriminalistik hängengebliebene Athleten dem offensichtlich beabsichtigten sozialen und medialen Spießrutenlaufen ausgesetzt werden. Die persönliche Integrität der Athleten spielt keine Rolle mehr - Hauptsache, der selbst unter Beschuß stehende Dachverband kann seine "Integrität" in den Medienraum projizieren. Wer es wagt, den Absolutheitsanspruch der "Integrität" zu hinterfragen, muß wohl - frei nach Orwell - ein Gedankenverbrecher sein, der an den guten Absichten "der Partei" zweifelt.

Zu all diesen bedenklichen Entwicklungen schweigt auch "Athleten Deutschland e.V.". Schon die Übernahme der Sprachregelung, daß die förderabhängigen Kaderathleten einem "Anti-Doping Management" unterliegen, wo offizielle Anti-Doping-Agenturen selbst noch vor ein paar Jahren in 'Altsprech' von "Test-" oder Kontrollregime" sprachen, wirft ein Schlaglicht darauf, wie effizient die Big Brother-Agenturen auch auf der sprachlich-begrifflichen Ebene alle negativen Assoziationen aus dem Bewußtsein der Bevölkerung "vaporisiert" haben.

Das heißt keineswegs, daß Spitzensportlerinnen und -sportler nicht für ihre Rechte kämpfen würden. Doch davon erfährt der gemeine Sportkonsument so gut wie nichts. Dabei täte eine Gegenöffentlichkeit, die den Menschen nicht mit der üblichen Skandal- und Verdachtsberichterstattung im Sport den Kopf verdreht, mehr als not, um sich den elementaren Widersprüchen des sogenannten Anti-Doping-Kampfes wie auch des Hochleistungssports überhaupt annähern zu können. Denn inzwischen werden sogar die Menschenrechte zur gesellschaftlichen Legitimation von (präventiven) Big Brother-Maßnahmen herangezogen, um den sportindustriellen Komplex und seine mehr als zweifelhaften Wettbewerbsbedingungen zu schützen. Ohne daß dies in der breiten Öffentlichkeit überhaupt als Schlag gegen die Freiheitsrechte der Athleten wahrgenommen wurde, hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg Anfang des Jahres im Fall der "National Federation of Sportspersons' Associations and Unions" (FNASS) vs. Frankreich (als Beklagter) entschieden, daß ein Kontrollsystem, das TopsportlerInnen zum Beispiel dazu zwingt, mehrere Monate im voraus Angaben über ihren Aufenthaltsort zu machen, rechtmäßig ist (Urteil v. 18.01.2018, Az. 48151/11 und 77769/13). Zu den Klägern gehörten Sportverbände, Athletenvertretungen des Fußballs, Handballs, Rugbys und Basketballs, viele Einzelpersonen sowie ein hochklassiger Radfahrer. Die KlägerInnen waren der Meinung, daß die von der Nationalen Anti-Doping-Agentur zur Durchführung unangekündigter Dopingkontrollen auferlegte lokale Melde- und Anwesenheitspflicht für Athleten einer bestimmten "Zielgruppe" ihre durch Artikel 8 der Konvention und Artikel 2 des Protokolls Nr. 4 garantierten Rechte verletzt. Eine Klägerin hielt dies auch für einen Verstoß gegen Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention (Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens). [3]

Die Luxemburger Richter, die die Kontroll- und Überwachungsmaßnahmen sogar als "Einschränkungen des in Art. 8 Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) geschützten Privatlebens" werteten, wollten den klagenden Athletinnen und Athleten weder eine Verringerung noch eine Aufhebung der Verpflichtungen, die sie eingehen müssen, um ihren Sport überhaupt betreiben zu können, zugestehen. Denn dies "würde die Gefahren des Dopings für ihre Gesundheit und die der gesamten Sportgemeinschaft erhöhen und dem europäischen und internationalen Konsens über die Notwendigkeit unangekündigter Tests zuwiderlaufen", heißt es in französischer Sprache in einer rechtlichen Zusammenfassung des Urteils. [4]

Den wegweisenden Richterspruch werden die Hardliner jetzt nutzen, um jedwede Einwände gegen die Zumutungen des Anti-Doping-Regimes mit dem EMRK-Hammer niederzumachen, und zwar ungerührt der Widersprüche, wie sie offen zutage liegen. Im Gegensatz zu den EMRK-Richtern würde zum Beispiel kaum ein ernstzunehmender Wissenschaftler oder Forscher den Hochleistungssport mit dem Begriff "Gesundheit" in Zusammenhang bringen, es sei denn in negativer Weise. Selbst der Moral und Strafverschärfungen predigende Sportwissenschaftler Prof. Helmut Digel, viele Jahre in hohen Ämtern als Leichtathletik-Funktionär tätig, schreibt:

"Es kommt einer Heuchelei gleich, wenn öffentlich nach wie vor angenommen wird, der Hochleistungssport stehe in irgendeinem direkten Zusammenhang mit einer Gesundheitsprävention. (...) Der Hochleistungssport hat wohl kaum präventive gesundheitliche Wirkungen, und er dient schon gar nicht dem Erhalt der Volksgesundheit. Wer heute Hochleistungssport betreibt, nimmt die Gefährdung seines Körpers billigend in Kauf. Er muss mit der Wahrscheinlichkeit mittel- und langfristiger Schäden rechnen, und die Längsschnittstudien über gesundheitliche Beeinträchtigungen durch den Hochleistungssport sprechen ihre eigene Sprache." [5]

Fußnoten:

[1] https://www.athletenkommission.de/so/4MECC9u1?cid=da7b081e-84d3-49c8-88f5-f7bf9d0b6aa6#/main

[2] https://www.iaaf.org/news/press-release/independent-athletics-integrity-unit. 05.04.2017.

[3] https://www.doctrine.fr/d/CEDH/HFJUD/CHAMBER/2018/CEDH001-180276. 18.01.2018.

[4] https://hudoc.echr.coe.int/fre#{%22itemid%22:[%22002-11815%22]}

[5] http://sport-quergedacht.de/wiss_beitrag/zur-verrechtlichung-des-sports-am-beispiel-des-dopings/. 25.03.2018.

28. August 2018


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