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KOMMENTAR/285: Nur noch Geschäft ... (SB)



Im deutschen und internationalen Profihandball scheint die Welt der apolitischen, Mammon und Titelweihen verehrenden Hofberichterstattung noch in Ordnung zu sein. Während andere Sportarten, -verbände und -organisationen sich mit Vorwürfen herumplagen müssen, dass in den Gastgeberländern der Sportwettbewerbe teilweise schwerste Menschenrechtsverletzungen verübt werden, gelingt es der Zunft der Ballwerfer, sich von solchen, angeblich "sportfernen" Misslichkeiten fast vollständig freizuhalten. Der kampfbetonte, von männlichen Härteidealen durchdrungene Handballsport gerät allenfalls in die Negativschlagzeilen, wenn Beachhandballerinnen vom Dachverband sanktioniert werden, weil sie gegen die sexistische Kleiderordnung verstießen und sich weigerten, in knappen Bikinihosen zu spielen. [1] Blind stellt sich jedoch das Funktionärs- und Medienauge, wenn die Männer ihre Weltmeisterschaft in Ägypten austragen - dann geht es angeblich nur um "Sport" und nicht etwa darum, dem brutalen Militärregime einen Propagandaerfolg durch die Handball-WM zu bescheren. [2]

Auch die Tageszeitung Neues Deutschland, die einen "Journalismus von links" für sich in Anspruch nimmt, macht da keine Ausnahme. Wenn es um verkaufsträchtigen Lokalpatriotismus geht, scheint die Beweihräucherung, dass sich Magdeburgs Handballer jetzt "Klubweltmeister" nennen dürfen, weil sie in Saudi-Arabien beim "IHF Super Globe" im Endspiel den amtierenden Champions-League-Sieger FC Barcelona schlugen, immer noch die höchste Tugend zu sein. In der typischen Marketingsprache werden dann viele Worte verschwendet, dass sich der Titel gut verkaufen lasse, nun seinen Platz auf dem Briefbogen des SC Magdeburg bekomme, aber die Wertschätzung in Deutschland für diesen Wettbewerb noch nicht so hoch sei. Ehrlicherweise fasst Neues Deutschland schließlich zusammen: "Bei der seit 2010 regelmäßig ausgetragenen Klub-WM geht es vor allem für die europäischen Teilnehmer um zwei Dinge: Erstens sollen die eigenen Spieler gesund bleiben. Zweitens soll so viel Geld wie möglich kassiert werden." Für den Turniersieg in Saudi-Arabien strich der SC Magdeburg die stolze Summe von 400.000 US-Dollar ein, wofür die Spieler vier Partien in fünf Tagen absolvieren mussten. [3]

Saudi-Arabien hat zum zweiten Mal den Super Globe ausgetragen, nachdem in den neun Jahren zuvor immer Katar das Gastgeberland für den warmen Geldregen war. Bekanntlich stehen die öl- und gasreichen Wüstenstaaten, die den Sport jeweils als gesellschaftlichen Transformationsriemen nutzen, um sich nach innen wie außen nach dem Bild westlicher Herrschaftssysteme zu modernisieren, in der Kritik, Menschenrechte mit den Füßen zu treten. Über die Baustellentoten, die ausgebeuteten GastarbeiterInnen und die feudalen Strukturen in Katar wurde schon oft berichtet; inzwischen auch über die verlogenen Protestaktionen von Profisportlern, deren kalkulierte Kritik an den gesellschaftlichen Unterdrückungsverhältnissen in Katar vor allem dazu dient, den internationalen Sportevents noch mehr Legitimität zu verschaffen, weil jetzt ja auch die Schattenseiten - zumindest symbolisch - angesprochen würden.

Der geschäftstüchtige Profihandball indes macht aus seinem Herzen nicht einmal eine PR-Grube - er schweigt einfach. "IHF Super Globe" in Saudi-Arabien - war da irgendetwas? Man muss bei Neues Deutschland (ND) schon den Hyperlink anklicken, um Spuren der Erinnerung bei anderen Sportarten zu finden. Als vor knapp einem Jahr das erste Profiturnier für Golferinnen in Saudi-Arabien stattfand, wurde es noch von Boykottaufrufen begleitet. "Das Gastgeberland ist bekannt dafür, dass es dort schlecht um die Menschen- und speziell die Frauenrechte bestellt ist. Zudem nutzt das Regime die Unterhaltungsindustrie und Sportgroßereignisse, um künstlich ein weltoffenes Bild von sich zu zeichnen", berichtete ND über "White-" oder "Sportwashing" in Saudi-Arabien und wie sich das Regime darum bemüht, insbesondere Frauen einige Zugeständnisse gesellschaftlicher Teilhabe zu machen, um sein internationales Image aufzupolieren, während gleichzeitig politische Aktivistinnen im Gefängnis schmoren. [4]

"Brot und Spiele" sind in allen modernen Gesellschaftsformationen ein unglaublich effektives Mittel, das sich für nahezu alle Herrschaftsziele bis in die kleinsten sozialen Monaden hinein einsetzen lässt. Deshalb gibt es auch kein Industrieland, gleich ob demokratisch oder autoritär regiert, das darauf verzichtet. Und da der Sport als kommerzielle Ware käuflich ist und in der Regel immer dort hingeht, wo ihm die lukrativsten Angebote und das meiste Geld winken, haben die reichen Erdölstaaten am persischen Golf zur Zeit ganz gute Karten, Sportevents jedweder Couleur an Land zu ziehen. Nachdem Katar den Vorreiter machte, legt nun Saudi-Arabien mit Milliarden-Investitionen in Bau-, Infrastruktur-, Touristik- und Sporteventprojekte, die ausländische Unternehmen und Fachleute wie die Fliegen anlocken, einen ähnlichen Kurs an. Seit 2016 werden immer mehr Sportveranstaltungen eingekauft: Wrestling, Schach, Formel E, Formel 1, Rallyesport, Golf, Handball, Tennis, Boxen, Combat, Pferdesport, Fußball sowie jüngst auch der Erwerb des englischen Fußball-Erstligisten Newcastle United durch saudische Investoren. Wie beim kleinen Nachbarn Katar steht natürlich auch die Ausrichtung der Olympischen Spiele als Fernziel auf dem Plan. Wie die Menschenrechtsorganisation Grand Liberty dem "Guardian" sagte, soll das Königreich mindestens 1,5 Milliarden Dollar für hochkarätige internationale Sportereignisse ausgegeben haben. [5]

Vorerst dienen Handball und Konsorten noch dazu, das miserable geopolitische Image von Saudi-Arabien sauberzuwaschen. Bekanntlich stammten 15 der 19 Selbstmordattentäter beim Flugzeuganschlag am 11. September 2001 in den USA aus Saudi-Arabien, ohne dass die genauen Umstände aufgeklärt worden wären. Die Ermordung und Zersägung des regierungskritischen Journalisten Jamal Khashoggi im türkischen Istanbul durch ein saudisches Killerkommando hängt Kronprinz Mohammed bin Salman al-Saud, dem vom US-Geheimdienst CIA und von einer UNO-Sonderermittlerin eine mindestens indirekte Beteiligung vorgeworfen wird, bis heute wie ein Klotz am Bein. Hinzu kommen noch der teure Jemen-Krieg, die saudischen Bombenangriffe und die in ihren Auswirkungen mörderische Seeblockade zwecks Aushungerung der jemenitischen Zivilbevölkerung, welche nach Schätzungen der Vereinten Nationen über 233.000 Menschen das Leben gekostet haben.

Da lohnt es sich für Kronprinz Mohammed bin Salman, der vor fünf Jahren den "Vision 2030"-Strategieplan ins Leben gerufen hat, der eine lebendige, gesunde, glückliche und zukunftsorientierte saudische Gesellschaft formen soll, nicht nur Milliarden in die Rüstungsindustrie zu investieren, sondern auch in das soziale Schmiermittel des Sports, das die gesellschaftlichen Widersprüche in bewährter Manier zu glätten hilft.

"Saudi-Arabien versucht, den guten Ruf der beliebtesten Sportstars der Welt zu nutzen, um seine Menschenrechtsbilanz von Brutalität, Folter und Mord zu verschleiern", sagte Lucy Rae von Grant Liberty dem "Guardian", und sie beschuldigte Saudi-Arabien, "Menschenrechtsverletzungen in industriellem Ausmaß zu begehen". [5] Davon liest und hört man allerdings nichts in der deutschen Hofberichterstattung, schon gar nicht in der Sponsorenpresse des Handballs. Dort geht es darum, soviel Geld wie möglich zu kassieren.



Fußnoten:

[1] https://www.faz.net/aktuell/sport/mehr-sport/norwegen-verstoesst-bei-beachhandball-em-gegen-kleiderordnung-17445431.html. 19.07.2021

[2] http://www.schattenblick.de/infopool/sport/meinung/spmek275.html.

[3] https://www.nd-aktuell.de/artikel/1157466.handball-sc-magdeburg-gut-fuer-den-geldbeutel.html. 10.10.2021

[4] https://www.nd-aktuell.de/artikel/1144284.vertuschung-oder-inspiration.html. 11.11.2020

[5] https://www.theguardian.com/world/2021/mar/28/saudi-arabia-has-spent-at-least-15bn-on-sportswashing-report-reveals. 28.03.2021


18. Oktober 2021

veröffentlicht in der Schattenblick-Druckausgabe Nr. 169 vom 23. Oktober 2021


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