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BÜHNE/013: Indendant Moritz Seibert - Lieber hinter der Bühne als darauf (forsch - Universität Bonn)


forsch Oktober 2015
Bonner Universitäts-Nachrichten

Lieber hinter der Bühne als darauf

Übers Jurastudium zum Theater-Intendanten: Moritz Seibert

von Ulrike Eva Klopp


Eigentlich ging Moritz Seibert nur gern in Theatervorstellungen und wollte Journalist mit juristischem Interesse werden. Aber es gibt Sogkräfte, gegen die man sich nicht wehren kann: Heute ist er Intendant des "Jungen Theater Bonn" (JTB), des bundesweit meistbesuchten Kinder- und Jugendtheaters.


Der kleine Moritz Seibert ging in Berlin in den selben Kinderladen wie der Sohn des Gründers von "Grips", dem Vorreiter aller Kindertheater in Deutschland. "Durch den persönlichen Draht war ich ständig dort, manche Stücke haben wir fünf oder sechs Mal gesehen", erzählt er. Mit neun Jahren kam er nach Bonn und wurde Stammgast im damaligen "Theater der Jugend". Pierre Brice als Winnetou auf der Freilichtbühne Elspe gab den Anstoß, sich mit Freunden selbst als Akteure zu versuchen: "Old Shatterhand war meine letzte große Rolle", sagt Moritz Seibert und lacht. "Inszenieren, Organisieren und hinter den Kulissen agieren liegt mir mehr." Trotzdem sah er hier erst relativ spät seinen künftigen Beruf.

Er wollte Journalist werden und besonders über Grundfragen der Rechtswissenschaft schreiben: Zusammenleben, Moral, Menschlichkeit - schaffen Gesetze Gerechtigkeit? Deshalb studierte er seit 1989 an der Uni Bonn Jura. "Nicht gefallen haben mir die überfüllten Vorlesungen im ersten Semester", erinnert er sich. "Sehr gut dagegen Professoren, die mir dann in kurzer Zeit viel beigebracht haben: neben den unumgänglichen Inhalten auch solche, die mich wirklich interessierten."

Neben dem Studium schrieb er als freier Autor für Bonner Medien. Über die Berichte zum 20. Jubiläum des "Theaters der Jugend" in der Beueler Hermannstraße und verschiedene Premieren kam er in intensiveren Kontakt mit Gründer Helmut Tromm, der ihm die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit übertrug. Als der Student außerdem die Bühnenfassung von "Auf Wiedersehen Kinder" nach Louis Malle schrieb, war ihm klar: Das ist mein Ding. Er wechselte an die neu gegründete Filmakademie Baden Württemberg, war Autor und Regisseur. Und dann kam der Zufall ins Spiel: "Ich war zu Besuch in Bonn, holte eine Bekannte im Theater ab und traf dabei das Ehepaar Tromm", erzählt Moritz Seibert. "Folge: Ein langer Abend und ein spontaner Wochenendeinsatz für den neuen Spielplan - für den zwei Stücke noch gar nicht geschrieben waren. Das habe ich dann gemacht." So kam er als Dramaturg nach Bonn zurück.

Nun gibt es das Theater - heute "Junges Theater Bonn" - bereits über 45 Jahre. Moritz Seiberts erster Kontakt ist etwa 40 Jahre her, und 2003 wurde er selbst Intendant. Seitdem führte er das JTB durch massive finanzielle Probleme in die Spitzenliga: In über Jahre ununterbrochener Folge ist es das bundesweit bestbesuchte und mehrfach ausgezeichnete Kinder- und Jugendtheater. Erwachsene Profis stehen hier in einigen Stücken gemeinsam mit Kindern und Jugendlichen auf der Bühne. Der Einzugsbereich ist groß, je nach Stück sogar bundesweit: "Manche Schüler sind auf Klassenfahrt hier, besuchen in Bonn das Haus der Geschichte - und uns!"

Moritz Seiberts Jurastudium erweist sich heute als sehr nützlich für sein Theater: "Ich habe die Rechtssystematik verstanden und weiß, wo ich was finde. Das hilft bei fast allem hier: Vertrags- und Urheberrechtsverhandlungen, Kauf und Miete. Unsere jungen Schauspieler sind als Vereinsmitglieder aktiv, Jugendschutzgesetze beachten wir aber, und alle Rollen sind doppelt besetzt." Er lacht: "Selbst unser derzeit mitspielender Hund wurde vom Amtstierarzt genehmigt." In die Uni kam Moritz Seibert gelegentlich als Gastreferent in der Germanistik zurück, wenn es um Kinder- und Jugendliteratur ging, oder er hatte Studentengruppen im JTB zu Besuch. Bei Premieren ist der Intendant immer im Publikum, natürlich auch, wenn er selbst Autor und Regisseur des Stückes ist. Permanente Herausforderung an das ganze Team ist die direkte, unverblümte Reaktion der jungen Zuschauer. Theater und Rechtswissenschaft treffen sich auf der Bühne: "Wir wollen nicht den Zeigefinger heben und dem Publikum erklären, wie die Welt zu funktionieren hat, aber Denkanstöße geben: Wir zeigen Menschen und ihre Konflikte, wir stellen auf der Bühne Fragen, die alle Menschen und ihr Zusammenleben betreffen." Bei etwa sechs neuen Stücken pro Spielzeit rund um die Themen Freundschaft, Liebe, Mut, aber auch Einsamkeit und Tod ist Moritz Seibert bis auf gelegentliche kurze Auszeiten im Dauereinsatz: (fast) ständig ansprechbar im JTB oder seinem Wohnhaus direkt dahinter. Theaterferien gibt es nicht, in der spielfreien Zeit laufen Proben und Workshops.

"Wer als junger Mensch auf die Bühne will, muss eine gewisse Grundbegabung haben und selbst dafür brennen", sagt Moritz Seibert. "Auf Ansage der Eltern funktioniert das auf Dauer nicht." Unter den jungen Talenten aus der JTB-eigenen Schauspielschule und offenen Castings haben manche den Sprung geschafft: Ein Darsteller aus "Herr der Fliegen" spielt heute in einer TV-Familienserie, ein anderer ist "Tatort"-Kommissar. Und einer erhielt im September sogar den Studenten-Oscar für Regie.


Moritz Seibert stellt im Jungen Theater Bonn Fragen, die alle Menschen und ihr Zusammenleben betreffen. Hier begegnen sich Theater und Studienfach.

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Quelle:
forsch - Bonner Universitäts-Nachrichten Oktober 2015, Seite 43 - 44
herausgegeben im Auftrag des Rektorats der
Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn
vom Dezernat Hochschulkommunikation,
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Tel.: 0228/73 7647, Fax: 0228/ 73-7451
E-Mail: forsch@uni-bonn.de
Internet: www.forsch.uni-bonn.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 23. Februar 2016

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