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MELDUNG/033: Dissertation erschienen - Nacktheit auf der Bühne seit 1900 (RUB)


RUB - Ruhr-Universität Bochum - 13. Januar 2011

Warum muss der Körper nackt sein?

RUB-Dissertation: Nacktheit auf der Bühne seit 1900
Starkes Bild für die Unfreiheit des Menschen in der Zivilisation


Ein nackter Körper auf der Bühne ist noch immer ein Skandal - aber wird er nur um des Aufsehens willen eingesetzt? Oder steckt mehr dahinter? Dieser Frage widmete sich Dr. Ulrike Traub in ihrer Dissertation am Institut für Theaterwissenschaft der RUB. Ihre Analyse der Nacktheit auf der Bühne in drei Zeitabschnitten seit 1900 belegt, dass die Nacktheit auf der Bühne nie reines Modethema ist, sondern immer Spiegel des gegenwärtigen Körperverständnisses und Zivilisationskritik. "Sie ist notwendig, um zu zeigen, wie unfrei der Körper und damit letztendlich der Mensch selbst ist", resümiert sie. Die Arbeit ist jetzt im Transcript Verlag erschienen.


1920er Jahre: Tanz auf dem Vulkan

Ulrike Traub untersucht die Nacktheit auf der Bühne in drei verschiedenen Zeitabschnitten und setzt sie in den Kontext der jeweiligen gesellschaftlichen Normen: Im Deutschen Kaiserreich und der Weimarer Republik spielt dabei die "Lebensreform" eine große Rolle, die Ende des 19. Jahrhunderts in Deutschland entstand. Ziel war der gesellschaftliche Wandel durch die Verbesserung und Stärkung des menschlichen Körpers in einer sozial und körperlich degenerierten Welt. Luftbäder galten zum Beispiel als heilsam. Tänzerinnen verzichteten zunächst auf die Spitzenschuhe und schließlich ganz auf jede Bekleidung. Zur Legitimation ihrer Nacktheit beriefen sie sich auf Religion, Schönheit, Antike und Natur. "Eine gänzlich unsublimierte Nacktheit zeigt Anita Berber, deren dargestellter Exzess Sinnbild des Tanzes auf dem Vulkan der ausgehenden zwanziger Jahre ist", so Ulrike Traub.


Entbürgerlichung in den 1960er und 70er Jahren

Im zweiten Teil der Arbeit stehen die späten 1960er und frühen 1970er Jahre im Mittelpunkt. Die Studentenrevolte bekämpft die bürgerliche Ordnung, fordert die Liberalisierung der Sexualität und dass das Private politisch zu sein habe. So wird die zuvor tabuisierte Nacktheit öffentlich. Diverse Inszenierungen sprechen die Zuschauer direkt an und beziehen sie ins Geschehen ein; es soll eine intime Beziehung zwischen ihnen und den Darstellern entstehen. Die oft schockierenden und ekelerregenden Darbietungen verzichten auf Sprache und richten sich gegen das Primat des Schönen in der Kunst. Im dezivilisierten Körper schlägt sich die Entbürgerlichung nieder.


Heute sind nackte Körper erlaubt - aber nur solange sie perfekt sind

Zuletzt analysiert Ulrike Traub die Nacktheit auf der Bühne in der Gegenwart. "Hier muss man ganz genau hinschauen, um zu erkennen, wie die sehr unterschwelligen zivilisatorischen Normen infrage gestellt werden", sagt die Forscherin. Denn vordergründig erscheint die Gesellschaft tolerant, nackte Körper dürfen gezeigt werden - aber nur solange sie perfekt sind. Ästhetische Normen sind an die Stelle der moralischen getreten, der Körper ist versklavt. Diesem Druck setzt das Theater bewusst den neutralen oder gar hässlichen Körper entgegen. In dieses Bild passt auch die "New Burlesque" bei der sich Tänzerinnen freiwillig entblößen und ihren unperfekten und ungeschönten Körper zu Schau stellen, auch wenn die üppigen Kostüme ablenken. Generell fällt auf, dass die meisten von Ulrike Traub untersuchten Inszenierungen aus dem Bereich des Tanzes kommen. "Es gibt nur wenige Schauspiel-Inszenierungen, welche in einem derartigen Umfang das Stilmittel Nacktheit gebrauchen, dass sie sich für die Untersuchung qualifiziert hätten", stellt die Autorin fest. "Es zeigt sich aber, dass die Nacktheit ein hervorragendes Ausdrucksmittel ist, wenn der Sprache die Vermittlung von Inhalten nicht mehr zugetraut wird."


Titelaufnahme
Ulrike Traub: Theater der Nacktheit.
Zum Bedeutungswandel entblößter Körper auf der Bühne seit 1900.
2010 Transcript Verlag Bielefeld (= Theater Band 24), ISBN 978-3-8376-1610-1

Redaktion: Meike Drießen


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Quelle:
Pressemitteilung Nr. 007 vom 13. Januar 2011
RUB - Ruhr-Universität Bochum
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veröffentlicht im Schattenblick zum 14. Januar 2011