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SCHAUSPIEL/003: Zugesehen - Michael Frayn "Kopenhagen" (TU Dresden)


Dresdner UniversitätsJournal Nr. 9 vom 18. Mai 2010

Von der Unmöglichkeit der exakten Rekonstruktion
Zugesehen: Michael Frayn - "Kopenhagen"

Von Steffi Eckold


Am 23. April 2010 erlebte Michael Frayns preisgekröntes Stück "Kopenhagen" im Theater Wechselbad seine Wiederaufnahme. "Kopenhagen" handelt von dem geheimnisvollen Besuch des deutschen Physikers Werner Heisenberg bei seinem Mentor, dem Nobelpreisträger Niels Bohr, in Kopenhagen im Jahr 1941. Dänemark war zu dieser Zeit bereits von den Deutschen besetzt und Bohr als "Halbjude" ein potenziell Gefährdeter. Der Besuch Heisenbergs in Kopenhagen beendete die Freundschaft zwischen beiden Wissenschaftlern abrupt. Doch was war der Grund?

Michael Frayn geht dieser Frage nach. "Warum ist er nach Kopenhagen gekommen?", will auch Bohrs Ehefrau Margrethe, dargestellt von Brigitte Wähner, zu Beginn des Stückes wissen. Sie ist neben Bohr (Rolf Dietrich) und Heisenberg (Olaf Hais) die dritte Person des Abends und ihr Stuhl gemeinsam mit den Stühlen der männlichen Protagonisten die einzige Requisite der sonst leeren Bühne. Der Fokus liegt auf dem Wort in einem Stück, das weit in der unbestimmten Gegenwart beginnt. Alle drei Protagonisten sind bereits lange verstorben und treffen sich noch einmal, um über jene zurückliegende Zusammenkunft im Jahr 1941 zu sprechen. Was Heisenberg von Bohr wollte, konnten beide Wissenschaftler auch in Wirklichkeit nach Kriegsende nicht mehr bestimmt sagen. Auch die Forschung war sich uneinig. Das Trio geht also gedanklich zurück in den September 1941 oder war es doch schon Oktober? Heisenberg, der Star der deutschen Atomforschung, trifft auf den im "Reich" verfemten Niels Bohr. Die Kälte zwischen beiden Männern schmilzt, je länger man ins Gespräch vertieft ist. Beide verlassen das Haus, um das Gespräch etwaigen Überwachungsmikrofonen zu entziehen - und kehren bereits nach zehn Minuten zurück. Entsetzt der eine, nervös der andere, Verabschiedung und Rauswurf sind eins. Bohr und Heisenberg versuchen, rückblickend das Gespräch zu rekonstruieren. Um was ging es Heisenberg mit der Frage, ob ein Physiker das moralische Recht habe, an der praktischen Nutzung der Atomenergie zu arbeiten? Tatsächlich um den Hinweis, dass Deutschland an der Atombombe baue? War Bohrs Entsetzen ob Heisenbergs Frage wirklich berechtigt? Wie hätte das Gespräch anders verlaufen können und was wären mögliche Konsequenzen gewesen? Oder hat am Ende Margrethe recht, die Heisenberg vorwirft, dass er mit seinem Besuch nur vor dem nun in Bedrängung lebenden früheren Idol Bohr habe angeben wollen.

Das Stück ist komplex, für den Physik-Laien trotz Bemühungen des Autors nicht immer sofort erschließbar und mit 150 Minuten Sprech-Zeit (eine Pause nach dem ersten Akt exklusive) eine Herausforderung für Schauspieler und Publikum. Dennoch ist "Kopenhagen" als historische Lehrstunde auch abzüglich der freien Hinzudichtungen Michael Frayns wertvoll und auch darstellerisch durchaus ansprechend. Nachdem "Kopenhagen" im Theater Wechselbad bereits 2004 seine Premiere erlebte, wird es bis Dezember 2010 insgesamt sechs Mal gezeigt.


Nächste Vorstellungen am 12. Juni, 2. Oktober, 5. November, 11. Dezember 2010, im Theater Wechselbad.


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Quelle:
Dresdner UniversitätsJournal, 21. Jg., Nr. 9 vom 18.05.2010, S. 8
Herausgeber: Der Rektor der Technischen Universität Dresden
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veröffentlicht im Schattenblick zum 2. Juni 2010