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BERICHT/008: Ohrbiss-Hörspiellounge auf Kampnagel (SB)


Ohrbiss-Hörspiellounge als Treffpunkt für ein deutsch-polnisches Freundschaftsgelage

von Julia Barthel


Am Donnerstag, dem 4. Juni 2009 wurde auf Kampnagel in Hamburg eine höchst eigenwillige Produktion zum Thema Kulturaustausch zwischen Deutschland und Polen dargeboten. Die ganze Begebenheit war eine Kooperation zwischen dem Theaterhaus und der Robert Bosch Stiftung und ging aus dem Programm "Kulturmanager aus Mittel- und Osteuropa" hervor.

Das Motiv für den Abend hätte eigentlich kaum trockener sein können, denn man hat zumindest aus der Schulzeit noch einige Veranstaltungen dieser Art in Erinnerung, bei denen man mit konservativen musikalischen Vorträgen und landestypischer Kost zu Tode gelangweilt wurde.

Es gab aber drei Dinge, die einem doch Hoffnung machten, kein Déja Vu der unangenehmen Sorte zu erleben. Zum einen deutete das Wort "Freundschaftsgelage" eher auf eine lockere bis ausschweifende Atmosphäre hin, zum anderen glich die Aufmachung der Vorankündigung einem Discoflyer für eine spezielle Party. Hinzu kam das Motto einer "Hörspiellounge", einem Konzept, das durchaus nach Entspannung und unbeschwertem Beisammensein klingt. Außerdem wurde im Vorfeld darauf hingewiesen, daß dieser Einblick in die deutsch-polnischen Beziehungen bissiger Natur sein würde. Man konnte also davon ausgehen, keinem weich gespülten Verständigungszwang ausgesetzt zu sein, bei dem alle Unterschiede zwischen den Kulturen möglichst klein geredet werden.

Alle Künstler, um die sich das Programm drehte, haben sich Provokation und Satire auf die Fahnen geschrieben und entsprechen sicher nicht der Norm des typischen Repräsentanten ihres Landes. Beginnen sollte der Abend mit einem skurrilen Gedankenspiel vom "Club der polnischen Versager", hinter dem sich eine Institution des deutsch-polnischen Kulturaustausches aus Berlin verbirgt. Anschließend würden die Besucher eine Art Hörspiel des Soundkünstlers Felix Kubin auf die Ohren bekommen, seines Zeichens Spezialist für experimentelle elektronische Musik und Lärmerscheinungen. Als Aufhänger für den provokant inszenierten Abend war eine Live-Version des Skandalromans "Die Reiherkönigin" von Dorota Maslowska angekündigt. Die junge, polnische Bestsellerautorin gilt in ihrer Heimat als Ausnahmetalent und ist bekannt dafür, den aktuellen Zustand der modernen Gesellschaft aus einer düsteren Perspektive zu beschreiben. Am Ende der interkulturellen Zusammenkunft sollte auch das Feiern nicht zu kurz kommen, weshalb DJ Krach aus Berlin und VJ Emiko eingeladen waren, das Gelage mit einem Knall aus Projektionen und frisch gemixter Musik zu beenden.

DJ Krach und VJ Emiko

Allein die Auswahl der Künstler aus beiden Kulturen läßt erkennen, daß hier nichts beschönigt werden sollte, sondern Gegensätze, Probleme und subversive Ansichten auf beiden Seiten offen angesprochen wurden. Die Dramaturgin Malgorzata Cwikla hatte sich mit dem Konzept für ihre Produktion weit aus dem Fenster gehängt und Mut für eine unkonventionelle Methode zum kulturellen Austausch bewiesen. Allerdings fiel dieser Furchtlosigkeit leider auch der rote Faden zum Opfer, der notwendig ist, um die Verbindung zwischen der Kunst und dem Publikum am Leben zu erhalten.

Beim Betreten des großen, bunt beleuchteten Raumes auf Kampnagel war für die Schattenblick-Redakteure die Welt noch in Ordnung. Draußen vor der Tür hatte die Schafskälte den norddeutschen Raum fest in ihrem klammen Griff und man erschien deshalb in dicker, herbstlicher Kleidung im Theaterhaus. Beim Anblick der Hörspiellounge wurde einem aber schnell wieder warm, da dort überall Liegestühle standen, die mit ihrem hellen Stoffbezug sofort an eine sommerliche Strandbar erinnerten. Von der Decke strahlten Lampen ein angenehmes, rotes und gelbliches Licht ab, das von einer glitzernden Discokugel über den ganzen Raum reflektiert wurde. Lustige Akzente wie ein großes, von oben herab hängendes Radio und zwei Projektionen, die das "Ohrbiss" Layout an die Wand warfen, lockerten die Perspektive gekonnt auf. Raumfüllende, technische Ausrüstung, eine kleine silberne Bar am Eingang und Mikrophone für die Live-Lesung versprachen einiges an Unterhaltung.

Als aber die Veranstaltung begann, gab es den ersten Dämpfer für die deutschen Gäste, denn das Hörstück "Der polnische Dalai Lama" wurde nur auf Polnisch in voller Länge abgespielt. Für einen Teil der Zuhörer hieß es also zunächst: raus aus den bequemen Lounge Liegen und anstellen an einem rot beleuchteten Stromkasten im Eingangsbereich. Dort wurde nämlich eine Zusammenfassung der satirischen Betrachtung in unserer Sprache abgespielt. Obwohl die Tatsache, daß die ersten Minuten des Abends in einer Fremdsprache ablaufen würden, bereits im Vorwege angekündigt worden war, fühlte man sich durch diese holprige Startsequenz doch etwas verunsichert. Die Lösung, alle deutschen Gäste vor einem kleinen Radio im Retro-Stil zusammenkommen zu lassen, war allerdings auch irgendwie charmant. Sie erzeugte beim Hören eine heimelige, intime Situation und konnte ein wenig über den seltsamen Beginn des Abends hinweg trösten.

Das Gedankenspiel, welches der Club der polnischen Versager erdacht hatte, war eine durchaus nette, absurde Idee zu folgender Frage: Wie könnte man, nach dem Ende der Ära des polnischen Papstes, die geknickte politische Stimmung im katholischen Polen wieder zum Besseren wenden? Auf diese Frage konnte es dem Club zufolge nach reiflicher Überlegung nur eine Antwort geben. Die besten Möglichkeiten, bald wieder einen religiösen Führer aus der eigenen Nation vorweisen zu können, müßten sich, statistisch gesehen, durch ein Umsatteln zum Buddhismus ergeben. Am praktikabelsten sei es daher, den jetzigen Dalai Lama vorsorglich schon einmal nach Polen umzusiedeln, damit seine Vorhersage über die Geburt eines Nachfolgers diesmal auf polnisches Gebiet weisen würde.

Audiostation im Stromkasten

Durch diese kleine Abhandlung zum Thema Nationalstolz hatte der Club der polnischen Versager auf amüsante Weise einen kleinen Teil der aktuellen gesellschaftlichen Misere Polens aufs Korn genommen. Ganz nebenbei wurde auch darauf aufmerksam gemacht, daß in den deutsch-polnischen Beziehungen im Falle der Papstwahl des Einen Gewinn des Anderen Verlust ist. Außerdem brachte das Hören der kleinen Satire den deutschen Gästen den ausgeprägten Hang der Polen zu Selbstironie und Wortwitz näher. Allerdings hätte eine Live-Performance des Clubs in deutscher Sprache sicher wesentlich mehr Wirkung auf das Publikum gehabt.

Zunächst blieb es aber beim Abspielen von Tonaufnahmen. Ohne große Überleitung drifteten wir in eine recht abstrakte Form von Hörspiel hinein, dessen Titel "Territerrortorium" lautete. In einem gemeinsamen Werk haben der deutsche Soundkünstler Felix Kubin und sein polnischer Kollege Wojtek Kucharczyk die kulturellen Differenzen zwischen Deutschland und Polen auf ihre Weise verarbeitet. Sie sammelten eine große Menge an Alltagsgeräuschen aus beiden Ländern, um diese dann in Form von Audiofiles zu bündeln. In einer Klangschlacht wurde der akustische Output beider Kulturkreise gegeneinander gestellt, damit am Ende alle Vorurteile in Lärm und Gegenlärm untergehen würden. Das Publikum sollte sich diese Auseinandersetzung in einem fiktiven Niemandsland zwischen Polen und Deutschland vorstellen, wo alle Aggressionen schließlich in ihrer eigenen Sinnlosigkeit ersticken. Das Stück stand daher unter der Prämisse "erst schreien, dann nichts bereuen". Es war leicht zu verstehen und sorgte während der ersten fünf bis zehn Minuten auch noch für etwas Unterhaltung. Nach einigen Vergleichsgeräuschen wie beispielsweise deutschem und slawischem Hundegebell hatte sich die Botschaft der experimentellen Soundkulisse aber auch abgenutzt. Die Tragfähigkeit der nicht ganz so neuen Grundidee war letztlich doch sehr begrenzt. Dennoch hatte man das Stück auf etwa 50 Minuten ausgedehnt, in denen das Freundschaftsgelage in ein geistiges Vakuum hineingesogen wurde.

Aber es gab ein Licht am Ende des Tunnels, da zum Schluß noch die erste Live-Version von Dorota Maslowskas umstrittenen Roman "Die Reiherkönigin" vorgetragen werden sollte. Die Zuhörer blieben also stark und bestanden den Nerventest der langatmigen Klangcollage. Dafür wurden sie am Ende mit einer sehr lebendigen und hörenswerten Umsetzung von moderner, polnischer Literatur belohnt.
Maslowska setzt sich in ihrem Werk hauptsächlich mit den Schattenseiten der heutigen Gesellschaft in Polen auseinander. Zu diesem Zweck erschuf sie unter anderem den Charakter des Rocksängers Stanislaw Retro, dessen Karriere auf dem absteigenden Ast ist und dem von der Presse übel mitgespielt wird. Außerdem gibt es in ihrem Kosmos noch zwei Polizisten, die jede Form von Arbeit, Gewalt und Dreck konsequent umgehen, sowie eine Bäckerei-Fachangestellte mit recht begrenztem Verstand. All diese Personen sind Bewohner der pulsierenden, fortschrittlichen Stadt Warschau, die, von außen betrachtet, ein verheißungsvolles Pflaster voller Glanz und Reichtum zu sein scheint. Die Protagonisten aus dem Buch "Die Reiherkönigin" stehen allerdings am unteren Ende der gesellschaftlichen Nahrungskette. Sie sind Verlierer und Versager, denen die Moral in der Aussichtslosigkeit ihrer Existenz abhanden gekommen ist. Ihre Perspektive auf das Leben setzt sich aus einzelnen Erlebnissen, Gedankengängen und Enttäuschungen zusammen, die Maslowska in einer sehr rohen Form, ohne viel Beiwerk, an den Leser weiterreicht.

Paulina Neukampf und Henrik Schmidt beim Vortrag

Zwei charismatische Schauspieler setzten die wüste Abhandlung über alltägliche Dramen sehr gekonnt für das Publikum der Hörspiellounge in Szene. Paulina Neukampf und Henrik Schmidt hauchten den Menschen aus der Geschichte soviel Leben ein, daß man nicht anders konnte, als ihnen bis zum letzten Wort an den Lippen zu kleben. Zum Brüllen komisch waren dabei die Grimassen von Henrik Schmidt, dem die Gefühle seiner Charaktere geradezu aus dem Gesicht sprangen. Zudem setzte Paulina Neukampf dem ganzen Schauspiel mit ihrem hinreißenden, polnischen Akzent die Krone auf. Es war eine Freude, die junge Literatur Polens einmal auf eine so mitreißende Art vorgestellt zu bekommen. Später erzählte die Organisatorin des Abends dem Schattenblick, daß der Buchtext eigentlich gar keine Dialoge enthält und es ihr aus rechtlichen Gründen auch nicht erlaubt war, die Vorlage irgendwie umzuschreiben. Die Schwierigkeit bestand also darin, das Original nur durch den Einsatz von Sprache, Akzent und verschiedenen Stimmen möglichst dynamisch vorzutragen. Sinn und Zweck all der Mühe war es laut Malgorzata Cwikla auch, die Zuhörer zum Lesen des Buches zu animieren, und man kann sagen, daß diese Taktik aufgegangen ist.

Funktioniert hat auch der Übergang vom Kulturaustausch zur Party, für die wieder ein deutsch-polnisches Duo angeheuert wurde. DJ Krach aus Berlin setzte alle Tanzwilligen mit seiner ganz eigenen Version von elektronischer Musik in Bewegung. Dazu warf VJane Emiko bunte Bilder von der Bühne des Warschauer Theaters an die Wände. Die Theaterbildcollage mit Musik verlieh diesem ausgefallenen Treffen der Kulturen ein passendes und vor allem entspanntes Ende.

Dramaturgin Malgorzata Cwikla

Zum Schluß erfuhr der Schattenblick von Malgorzata Cwikla, daß es in Zukunft noch mehr Veranstaltungen der Marke "Ohrbiss" geben wird. Der nächste Termin ist für Oktober diesen Jahres anvisiert, wo die Produktion im Rahmen eines Festivals in Danzig noch einmal gezeigt werden soll. An der experimentellen Gestaltung der Produktion sollte bis dahin allerdings noch gefeilt werden, damit Publikum und Organisatorin sich nicht an allzu abstrakten Kunstformen verschlucken. Außerdem bräuchte die Gastgeberin sich nicht zu scheuen, die Zuhörer beim nächsten Mal mehr an die Hand zu nehmen und sie mit ihrer freundlichen Präsenz durch den Abend zu führen.

8. Juni 2009