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INTERVIEW/015: Tanzplattform Deutschland 2014 - Kunst bleibt am Geld ... (SB)


Zwischen Kunst und Koalitionsversprechen

Kampnagel-Intendantin Amelie Deuflhard zur Tanzplattform Deutschland 2014

Interview in Hamburg am 27. Februar 2014



Mit der erstmaligen Aufnahme der "international ausstrahlenden Kunstform Tanz" in einen Koalitionsvertrag [1] hat sich die neue Bundesregierung in Sachen Kulturförderung viel vorgenommen. Einen "Paradigmenwechsel" nannte Kultusministerin Monika Grütters die geplanten kulturpolitischen Neuerungen in ihrer Eröffnungsrede zur Tanzplattform Deutschland 2014 auf Kampnagel in Hamburg. Die Tanzplattform Deutschland, seit 1994 fester Bestandteil der Kulturszene, die in diesem Jahr in der Hansestadt stattfand, kann als eine der renommiertesten Standortbestimmungen des zeitgenössischen Tanzes gelten.

Nachdem der Fokus in den letzten Jahren stark auf einer Verbesserung der Ausbildungslandschaft für Tanzschaffende gelegen hat und in der Folge eine große Gruppe exzellent ausgebildeter Künstler und Künstlerinnen an die Häuser und in die Kompanien strebt, liegt die Frage nach gleichermaßen breit gesiedelten Karrierechancen, die mehr versprechen, als ein Leben am Existenzminimum, auf der Hand.

Mit der Intendantin des internationalen Tanz- und Kulturzentrums, Amelie Deuflhard, hatte der Schattenblick kurz vor der Eröffnung die Gelegenheit zu einem Gespräch über die aktuellen kulturpolitischen Entwicklungen in der Tanzszene und das Konzept der bedeutenden Tanzfachmesse, die vom 27. Februar bis zum 2. März 2014 die zwölf besten nationalen Produktionen des zeitgenössischen Tanzes der letzten zwei Jahre präsentierte und in den Panels "Future of Dance" und "Dance of the Future" auch zukünftige Ausrichtungen dieser zunehmend multidisziplinären Ausdrucksform in den Blick nahm.

Plakat zur Tanzplattform Deutschland 2014 vom 27.2. bis 2.3.2014 - Foto: © 2014 by Schattenblick

Foto: © 2014 by Schattenblick

Schattenblick (SB): In der Ankündigung zur Tanzplattform 2014, die seit 1994 alle zwei Jahre stattfindet, steht: "Kampnagel verwandelt die Tanzplattform Deutschland vom Insidertreff zum Publikumsfestival." Was wird mit dieser Neuerung bezweckt?

Amelie Deuflhard (AD): Wir machen alles gerne fürs Publikum und haben hier auf Kampnagel Räumlichkeiten, die das ermöglichen. Und obwohl wir wußten, daß bereits 500 überregionale und internationale Gäste und Professionals da sein würden, haben wir von Anfang an gesagt, das muß auch ein offenes Festival für das Publikum sein, so daß sich die Stadt mit der internationalen Tanzszene verbindet. Das ist einfach interessanter als ein reines Insidertreffen. Dabei kommt es auch darauf an, wie man so ein Festival in die Stadt trägt. Wir haben zwei Dinge gemacht: Erstens haben wir in der Woche vorher ein lokales Showing gemacht und das K 3, das Zentrum für Choreographie hier auf Kampnagel, zeigt in der Woche nach der Tanzplattform die Abschlußarbeiten seiner Residenten. Der zweite Punkt ist, daß wir die Tanzplattform als Festival mit Produktionen aus Deutschland in die Stadt hineinkommuniziert haben wie ein großes internationales Festival, zum Beispiel das Sommerfestival und das Live Art Festival. Und das zeigt auch einen Effekt, denn es gibt ein riesiges Publikumsinteresse, wir haben fast keine Tickets mehr, denn es gibt einen wahnsinnigen Run. Es ist fast ein bißchen schade, daß die Tanzplattform nicht zwei Wochen länger geht, denn dann könnten wir noch mehr Publikumsinteressen zufrieden stellen.

Das hat eine große Bedeutung für den zeitgenössischen Tanz als einer Disziplin, der lange ein Dornröschendasein in der Kulturlandschaft zukam und die in den letzten Jahren einen enormen Aufschwung erfährt. Daß wir inzwischen ein wirklich sehr großes Publikum für zeitgenössischen Tanz hier in Hamburg haben, sehen wir nicht nur bei der Tanzplattform, wo sich das Programm nochmal verdichtet, sondern natürlich auch in der Spielzeit und bei unseren Festivals.

Große Zuschauerschaft im Kampnagelfoyer - Foto: © 2014 by Schattenblick

Volles Haus zur Eröffnung der Tanzplattform am 27. Februar 2014
Foto: © 2014 by Schattenblick

SB: Wie funktioniert das neue "Pitching", das bei freiem Eintritt im Programm immer vormittags stattfindet?

AD: Das Pitching ist ein Format, das bei der letzten Tanzplattform erfunden wurde. Die Idee, die dahinter steht, ist, daß die Jury der Tanzplattform, die insgesamt aus vier Stimmen besteht, Kampnagel ist eine davon, zehn junge, aufstrebende Choreographinnen oder Choreographen auswählt, die in zwanzig Minuten ihre Arbeit vorstellen. Jeder kann die Form selbst wählen, sie darf nicht aufwendig sein und es gibt ein technisch sehr begrenztes Equipment. Es geht also nicht darum, ein ganzes Stück zu präsentieren, man kann jedoch über seine Arbeit sprechen, Videos zeigen und auch etwas vortanzen, das ist freigestellt. Weil wir eine Menge internationaler Kuratoren von allen Kontinenten hier haben, ist das eine wirklich sehr gute und wichtige neue Plattform. Auch national würde ich sagen, gibt es niemanden aus der Tanzszene, und da kenne ich wirklich alle, der irgendein Haus, ein Festival oder sonst etwas kuratiert, der nicht anreisen wird. So gibt es für die jungen Künstler, die ihre Arbeit hier dem Fachpublikum vorstellen können, die Möglichkeit, daß sie in andere Städte eingeladen werden. Das gilt natürlich auch für die Produktionen, die in der Hauptauswahl sind, aber gerade die Pitchings sind eine ganz, ganz wichtige und riesige Chance.

SB: Haben sich die jungen Teilnehmer für das Pitching der Tanzplattform Deutschland selbst beworben, um diese Chance zu ergreifen?

AD: Nein. Niemand hat sich beworben, es ist eine reine Juryauswahl. Die Jury besteht aus erfahrenen Tanzspezialisten. Bettina Masuch hat bereits Tanz im August geleitet, war Tanzkuratorin im Hebbel am Ufer, hat ein Festival in Utrecht geleitet und ist jetzt Intendantin des Tanzhauses NRW, Esther Boldt ist eine Tanzjournalistin aus Frankfurt, die auch Projekte macht, und Sophie Becker hat in München von der Ballettdramaturgin bis zur Spielartkuratorin, vom klassischen Ballett bis zum zeitgenössischen Tanz und der Performance schon in unterschiedlichsten Häusern und auf verschiedensten Festivals gearbeitet. Auch ich gehöre der Jury an und wurde von meinen beiden Tanzkuratorinnen Caroline Spellenberg und Melanie Zimmermann in der Arbeit unterstützt. Insofern gibt es ein großes Grundknowhow, weil wir die Tanzszene kennen. Doch ging es nicht nur darum, die besten Choreographen zu suchen, sondern vor allem die besten Produktionen, die in den beiden letzten Jahren entstanden sind. Wir haben mehr als zweihundert Stücke gesichtet, live oder auf Video, es gab bestimmt sieben Jurysitzungen und unzählige E-Mailwechsel, Listen und Sortierungen, aber es war eine reine Juryauswahl. Man konnte uns natürlich anschreiben und fragen, ob wir uns ein bestimmtes Stück ansehen könnten, die Vernetzung in der Szene, die große Erfahrung, die vielen Kontakte und auch das viele Schauen - ich glaube, jeder von uns guckt bestimmt 300, 400 Stücke im Jahr an, auf Festivals kann man nämlich mehrere gucken, deshalb kann man sich das Verhältnis "einen Tag pro Stück" noch ein bißchen vergrößern - führt dann aber eher dazu, daß man selbstgesteuerte Wege geht. Ich glaube nicht, daß uns besonders viel durch die Lappen gegangen ist. Die Jury ist auch für unterschiedlichste Regionen Deutschlands zuständig, das ist ganz wichtig. Sophie Becker kommt aus Süddeutschland, Esther Boldt mehr aus dem Westen, Frankfurt, wir hier aus dem Norden und Bettina Masuch aus Nordrhein-Westfalen, was ja das größte Bundesland ist.

Foto: © 2014 by Schattenblick

Die Jurymitglieder Bettina Masuch, Esther Boldt und Amelie Deuflhard (v. lks.) auf dem Podium der Jurydebatte
Foto: © 2014 by Schattenblick

SB: Sind auch Produktionen in Ihrer Auswahl mit dabei gewesen, die zum Beispiel eher auf Stadtteilebene gefördert werden, oder ist das dann doch zu klein?

AD: Natürlich kann man auch mal etwas verpassen, aber im Normalfall kann man schon sagen, daß die Künstler, die ausgesucht worden sind, schon vorher von den Städten oder von den Bundesländern, je nachdem, wie die Förderstruktur ist, gefördert wurden. Man braucht auch eine Art von Verläßlichkeit oder Orientierungspunkt in Rankingsystemen. Natürlich ist das nicht sicher und es passiert auch hier in Hamburg und in anderen Städten und Bundesländern, Berlin, NRW und Frankfurt, daß die tollsten Künstler mal keine öffentliche Förderung bekommen, was ich persönlich dann nie nachvollziehen kann, aber es ist sehr unwahrscheinlich, daß man zu den zwölf herausragendsten Produktionen gezählt wird und noch nie öffentliche Förderungen von einer Stadt oder einem Land bekommen hat. Die Tanzplattform ist kein Nachwuchsfestival, sie ist schon ein Festival der Herausragenden.

SB: Können Sie kurz umreißen, nach welchen Kriterien die Künstler ausgewählt werden?

AD: Ja, das Grundkriterium, und das ist eigentlich vergleichbar mit dem Theatertreffen in Berlin, ist tatsächlich, daß man die besten Produktionen, die in den zwei letzten Jahren entstanden sind, auswählt. Für uns alle, also für die gesamte Jury, gab es ein weiteres Kriterium, nämlich, daß man gleichzeitig auch Produktionen heraussucht, mit denen wir die Hallen hier auf Kampnagel bespielen können. Wir haben sechs Hallen, mit unterschiedlicher Struktur, und wir haben darauf geachtet, daß sowohl große Produktionen dabei sind als auch kleinere Produktionen, so wie man es eigentlich bei jedem Festival macht. Auch sollte möglichst eine eher installative Arbeit dabei sein, das ist die von Swoosh Lieu (Besetzungsprobe) und auch Richard Siegal (Black Swan). Es sollte ein interessanter Querschnitt durch die Tanzlandschaft entstehen. Dabei sind uns einige Dinge aufgefallen, zum Beispiel, daß es wieder mehr große Stücke gibt, was für mich sehr erfreulich ist, weil ich einen so großen Ort leite wie Kampnagel, oder daß mehr Choreographen auch größere Stücke mit mehreren Tänzern erarbeiten. Das reflektiert auch etwas über die Förderlandschaft, die in den letzten Jahren mehr und mehr begonnen hat, sich um den zeitgenössischen Tanz zu kümmern. Das ist aber noch sehr ausbaufähig. Dann ist tatsächlich aufgefallen, daß es sehr viele interdisziplinäre Arbeiten gibt, die sich in einer deutlichen Auseinandersetzung mit bildender Kunst befinden oder ganz stark mit Musik arbeiten, in einem wirklich sehr intensiven Austausch mit Livemusikern oder auch mit bestimmten Musikstücken. Der Tanz ist nicht mehr nur Tanz, sondern sehr offen, und er verflüssigt sich stark in andere Kunstsparten, was ich extrem interessant finde.

Ein Tänzer sitzt mit dem Rücken zum Publikum auf einem Kissen, über ihm an der schwarzen Wand erscheint in weißen Buchstaben der Schriftzug 'Where to? What next?' - Foto: © 2014 by Franz Kimmel

Installative Szene aus 'Black Swan' von Richard Siegal
Foto: © 2014 by Franz Kimmel

SB: Die Förderung der freien zeitgenössischen und darstellenden Kunst und Kultur wurde in den Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung aufgenommen. Was kann man sich davon erhoffen?

AD: Davon erhoffe ich mir, und das steht ja auch genau so im Koalitionsvertrag, daß die Fördersysteme neu überdacht und ausgebaut werden. Das ist dringend notwendig. Gut ist, und auch das steht im Koalitionsvertrag, daß dafür eine enge Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern geplant ist. Eigentlich gibt es in Deutschland die Kulturhoheit der Länder, die aber immer mehr aufgeweicht wird. Ich finde das natürlich sehr gut, denn wenn der Bund Kultur mehr fördert, ist im Endeffekt auch mehr Geld für Kunst da, und das ist enorm wichtig. Für die Entwicklung und Differenzierung der Großstädte untereinander, die in einem gewissen Wettbewerb stehen, ist die Kunst- und Kulturproduktion ein erheblicher Faktor. Die Städte erkennen langsam, wie wichtig es ist, Kunst und gerade die zeitgenössische Kunst zu fördern. Davon entsteht sehr viel in freien und prekären Verhältnissen, von freischaffenden Künstlern, sie sind der Innovationsmotor für die Kunstentwicklung, und da wird immer noch viel zu wenig getan. Wenn man in Hamburg die Projektförderung für Theater und Tanz, 600.000 Euro im Jahr, mit dem vergleicht, was das Ballett von John Neumeier, das Schauspielhaus oder das Thalia kosten, kann man feststellen, daß es da erhebliche Unterschiede gibt und daß viele der freien Projekte klein gehalten werden, da sie gar nicht die Möglichkeit haben, groß zu denken, weil nicht genug Geld da ist. Hier gibt es Handlungsbedarf, und in den letzten Jahren wurde schon einiges gemacht, es wurden neue Stiftungen eingerichtet, die wichtigste ist seit 2000 die Kulturstiftung des Bundes, die mit 60 Millionen pro Jahr immerhin innovative Kunstprojekte aus allen Sparten fördert, auch international relevante. Das ist eine Förderung der Kunstelite, so kann man das bezeichnen, Exzellenzförderung sagt man in der Wissenschaft. Ich glaube, diese Idee der Exzellenzförderung lässt sich auch auf die Kunst ausweiten, nicht indem man sagt, alles bekommt Geld, sondern indem man Wettbewerbe ausschreibt und Tanzinstitutionen oder auch Tanzkompanien mehrjährige Förderungen bekommen, wenn sie gute Projekte einreichen. Das ist eine der Ideen, die gerade von der Initiative Tanzförderung entwickelt wird, zu der sich unterschiedliche tanzlobbyistische Institutionen zusammengeschlossen haben. Diese Wege muß man für die Zukunft verfolgen.

Amelie Deuflhard vor einer bunten Bücherwand in ihrem Büro - Foto: © 2014 by Schattenblick

Kampnagel-Intendantin Amelie Deuflhard vor der Eröffnung der Tanzplattform 2014
Foto: © 2014 by Schattenblick

SB: Wie könnte dieses "zeitgemäße, nachhaltig wirkende Förderprogramm" aus dem Koalitionsvertrag im besten Fall auf lange Sicht aussehen?

AD: "Nachhaltig" ist zwar ein Modewort, was schon ein bißchen abgenutzt ist, aber in Bezug auf Förderung habe ich für "nachhaltig" eine ganz klare Vorstellung. Für die zeitgenössischen freien darstellenden Künste gibt es fast nur dauergeförderte Häuser wie Kampnagel, was ja ein Produktionsort genau dafür ist, oder das Hebbel-Theater am Ufer, das Tanzhaus NRW und ein paar andere. Für die Künstler selber gibt es überwiegend nur Projektförderungen, das heißt, sie hangeln sich von Projekt zu Projekt, von Idee zu Idee. Wenn ein Projekt mal scheitert, gibt es wieder zwei Jahre kein Geld, das heißt, es ist auf gewisse Art eine sehr sporadische Förderung. Unter nachhaltig verstehe ich mehrjährige Förderungen für besonders vielversprechende Kompanien oder auch Häuser. Vor ein paar Jahren hat man gedacht, die kurzfristigen Projektförderungen seien von Vorteil, weil man sich immer neue gute Sachen ausdenken muß, was eine hohe Innovation bringt. Nachdem aber viele Künstlergruppen sich jetzt über Jahre an diesen Förderbedingungen abarbeiten und ein paar, zum Beispiel durch die Kulturstiftung des Bundes, wo es größere Geldsummen zu akquirieren gibt, angefangen haben, auch größere Projekte zu machen und international sehr erfolgreich zu sein, wird es extrem belastend, wenn man nie dafür belohnt wird, indem auch mal gesagt wird, okay, ihr kriegt jetzt eine Förderung für drei Jahre, quasi eine Art Spitzenförderung. Das ist, glaube ich, wirklich der nächste Schritt und bedeutet eine gewisse Umstrukturierung der Förderlandschaften, die aber auf jeden Fall etwas mit einem Aufwuchs an Fördermitteln zu tun haben muß. - Und das ist keine Subvention, sondern Investition in die Zukunft, auch das steht im Koalitionsvertrag.

SB: Wie kann man dem Tanz bei dieser Faktenlage dann aus Ihrer Sicht den Platz verschaffen, der ihm gebührt, damit er nicht zu einer bloßen Plattform eliteästhetischen Sonderbewußtseins verkommt?

AD: Das ist eine sehr gute Frage. Natürlich gibt es viele Künstler, bei denen man denkt, sie arbeiten eher für sich. Natürlich kann man als Künstler seine Handschrift entwickeln und natürlich kann ein Künstler immer sagen, das ist mir doch ganz egal, was mit dem Publikum los ist, ich mache das für mich und zehn Kollegen, und that's it. Das ist aber nicht interessant, wenn man darüber nachdenkt, wie man den zeitgenössischen Tanz nachhaltig in einer Landschaft implantieren kann. Dazu gehören starke Produktionshäuser, die in der Lage sind, ein Publikum zu schaffen, sowohl für große Stücke, die einigermaßen gut rezipierbar sind, als auch für schwierige Stücke. Diese präsentierenden und produzierenden Häuser, also Kampnagel zum Beispiel, spielen eine sehr wichtige Rolle dabei, genau diese Türen aufzustoßen. Das kann ein Künstler eigentlich gar nicht machen. Die Künstlerinnen und Künstler brauchen für ihre großartige Arbeit günstige Rahmenbedingungen und grundsätzlich muß man auch für den Künstler, der sagt, es ist mir egal, wieviel Publikum kommt, festhalten: Jeder mag es lieber, wenn es voll ist am Schluss. Natürlich sollte man keine ästhetische Zugeständnisse machen, nein! Ich sehe meine Aufgabe darin, das Publikum dazu zu verführen, sich auf neue Kunstformen einzulassen und sich an sie zu gewöhnen und das klappt auch ganz gut.

Eine Tänzerin und ein Tänzer in bunter Kleidung halten einander an den Armen und drehen sich, um sie herum laufen weitere Tänzer - Foto: © 2014 by Eva Würdinger

Szene aus 'Built to Last' von Meg Stuart
Foto: © 2014 by Eva Würdinger

SB: Die Schließung des baulich maroden Schauspielhauses Wuppertal wegen mangelnder Sanierungsmittel war ein Politikum. Wie ist es einzuordnen, daß nun ausgerechnet dort möglicherweise das internationale Tanzzentrum Pina Bausch entstehen soll, das auch von der neuen Bundesregierung gefördert wird?

AD: Wenn eines der Stadttheater geschlossen wird, von denen es in Deutschland ungefähr 150 oder noch mehr gibt, ist das natürlich immer sehr traurig. Vor allem dann, wenn dieses Geld einfach einkassiert wird und dann mit Bundesgeldern etwas anderes weiter geführt wird. Niemand will die Stadttheaterlandschaft abwickeln, aber wenn ich jetzt mal in Sachen Erfolg, Ästhetik und so weiter das Tanzzentrum von Pina Bausch und das Stadttheater Wuppertal vergleichen würde, da ist natürlich das Tanzzentrum von Pina Bausch 10.000 mal berühmter und wichtiger. Das heißt nicht, daß ich dafür plädiere, ein Stadttheater zu schließen, aber wenn man - abstrakter gesehen - sagen würde, man nimmt so ein Stadttheater, gerade in einer so dichtbesiedelten Gegend wie dem Ruhrpott, wo es wahnsinnig viele andere Theater gibt, und macht aus dem Geld, das man vorher für das Stadttheater ausgegeben hat, ein Tanzzentrum, ist das für mich denkbar. Noch toller wäre es natürlich, alle Stadttheater bleiben, und man macht zusätzlich große, finanziell gut ausgestattete, internationale Produktionszentren, eins in jedem Bundesland, das wäre eigentlich meine Lieblingsidee. Ich habe überhaupt nichts gegen Stadttheater, im Gegenteil, sie sind eine tolle Grundversorgung für die Leute. Wenn neues Geld kommt, sollen gerne noch internationale Produktionszentren dazu kommen, wenn kein neues Geld kommt, finde ich, könnte man an der einen oder anderen Stelle auch mal ein Haus umstrukturieren, was aber nicht heißt, daß die Regierungen dieses Geld einfach einbehalten, dann müßten sie es für etwas anderes in der Kunst ausgeben. In Wuppertal hat man einfach nur das Theater geschlossen. Und die Kulturförderung ist nicht so hoch, daß Schließungen von Theatern irgendein adäquates Mittel sind, um Haushalte zu finanzieren. Ich bin absolut gegen Schließungen in der Kunst. Das führt zur Verödung der städtischen Landschaften, ich verstehe die Politiker nicht, das macht überhaupt keinen Sinn.

SB: Frau Deuflhard, vielen Dank für das ausführliche Gespräch.

Am Kampnagelgebäude mit neongelbem 'k' hängt ein riesiges Tanzplattform 2014-Banner - Foto: © 2014 by Schattenblick

Foto: © 2014 by Schattenblick


Anmerkung:

[1] http://www.handelsblatt.com/downloads/9133918/3/Koalitionsvertrag_CDU-CSU-SPD


18. März 2014