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INTERVIEW/020: Theater pur ...    Winni vom Improtheater Leistenbruch im Gespräch (SB)


Situationskomik und Bühnenzauber

Interview in Hamburg-Harburg am 8. November 2014



Geschichten aus einem Wort oder einer Idee heraus entwickeln, aus der Situation heraus agieren und die Dinge in die Hand nehmen, alle Menschen im Raum mit einbeziehen, die Lust an Spontaneität zu einer Kunstform entwickeln und dabei viel Spaß haben - all das und mehr ist Improvisationstheater. In gewisser Weise handelt es sich beim improvisierten Auftreten auf der Bühne um die Urform des Theaters, um das originäre Erschaffen eines Schauspiels mitten aus dem Leben heraus. Daß die aus spannungsreichen sozialen Verhältnissen erarbeitete Kultur szenischer Darstellungen am Anfang jeder Entwicklung dramatischer Kunstformen stand, heißt nicht, daß sich ihre Spur in der Geschichte der darstellenden Künste verloren hat. Der höchst kommunikative Maskentanz, der zwischen Liebe und Konkurrenz, zwischen Freudentänzen und Trauerritualen, zwischen Spottgesängen und Gardinenpredigten alle nur denkbaren Spielarten mimischer, physischer und sprachlicher Performanz hervorbringt, hat mit dem Improtheater eine Brücke zwischen Alltag und Kunst geschlagen, die auch ohne das Gepäck einer langwierigen Ausbildung oder akademischer Vorbildung leichtfüßig zu begehen ist.

Wer sich also nicht durch den Nimbus der Hochkultur einschüchtern lassen, sondern die Freude am Schauspiel auf kurzem Weg in Anspruch nehmen möchte, ist in einer der vielen Improtheatergruppen, die es in der Bundesrepublik gibt, gut aufgehoben. Was geschieht, wenn deren Akteure öffentlich auftreten, konnte man am 8. November im Kulturcafé Komm du in Hamburg-Harburg erleben. Die Improtheatergruppe Leistenbruch bot dort vor vollem Haus eine rasante Abfolge komödiantischer Szenen, deren Pointen und Stimmungen von einem E-Gitarristen musikalisch akzentuiert wurden. Bisweilen hart am Rand drastischen Klamauks balancierend, aber auch in ironischer Überspitzung Konsumkritik übend und die Ambivalenz allzumenschlicher Reaktionen in aller Zugewandheit konterkarierend gelang es den Improspielern, einen Eindruck von der ganzen Bandbreite ihres darstellerischen Könnens zu vermitteln. Was auf Zuruf des Publikums auf der Bühne an sprechenden, singenden und aktionsreichen Szenerien entstand, war eine Form der abendfüllenden Unterhaltung, die für das persönliche Ambiente kleiner Veranstaltungsorte ideal ist.

Im Anschluß an den Auftritt beantwortete Winni, Urgestein der Truppe und kenntnisreicher Improspieler, dem Schattenblick einige Fragen zu den Hintergründen dieser Kunstform.

Auf der Bühne des Kulturcafés Komm du - Foto: © 2014 by Schattenblick

Daniela und Winni von der Improtheatergruppe Leistenbruch Foto: © 2014 by Schattenblick

Schattenblick: Winni, könntest du erklären, woher das Improtheater kommt?

Winni: Wie so viele andere Einflüsse hier in Europa stammt es natürlich aus den USA. Diese Form des Theaters hat zwar in Keith Johnstone seinen großen Gott, aber auch er hat nur bestimmte Bestandteile aus der klassischen Bühnenkunst herausgenommen, denn das Improvisieren wird auch beim normalen Schauspieltraining angewandt. Die Improvisation als solche gibt es schon länger. Nur hat es Johnstone als Theaterform oder Theatersport, wie es einige auch nennen, weil Leute teilweise gegeneinander antreten, im Prinzip erst richtig ausformuliert. Von den USA aus ist es dann in die großen Städte Europas herübergeschwappt, erst nach England wegen der gleichen Sprache und dann weiter nach Frankreich, Deutschland und Rußland. Im Grunde wird es inzwischen überall gespielt, wobei teilweise verschiedene Akzente gesetzt werden. Im großen und ganzen und vor allem hier in Hamburg dient es dazu, Leute zu unterhalten. Das heißt, es werden Stücke mit witzigen Pointen, zum Teil sogar mit Einflüssen aus der Stand-up-Comedy, bevorzugt.

SB: In welchem Zeitraum hat sich das Improtheater entwickelt?

Winnie: So wie es Johnstone konzipiert hat, ist das Improtheater in den 60er und 70er Jahren entstanden. Hier in Deutschland ist es noch relativ jung, 15 bis 20 Jahre etwa.

SB: Und wie lange gibt es eure Truppe schon?

Winni: Wir existieren jetzt seit etwa siebeneinhalb Jahren, mit einigen Wechseln in der Besetzung zwar, aber doch durchgehend.

Leistenbruch auf der Bühne des Kulturcafés Komm du - Foto: © 2014 by Schattenblick

Foto: © 2014 by Schattenblick

SB: In welchem Verhältnis stehen Repertoire und Improvisation zueinander?

Winni: Alles ist Improvisation. Als Repertoire könnte man allenfalls die sogenannten Spielarten zusammenfassen. So planen wir für einen Auftritt lediglich die Reihenfolge der Spiele. Heute zum Beispiel fingen wir mit einem sogenannten Freeze an, also mit kurzen Szenen, von denen wir jedoch nicht wissen, welches Thema kommen wird. Als nächstes kam ein Musik-Replay, also ein Spiel, in dem wir uns in verschiedenen Musik-Genres bewegen müssen. Aber wir wissen nicht - und genau das ist tatsächlich der Impro-Part -, in welchem Genre wir agieren werden, wer wir sind und was vom Publikum kommen wird. Darauf können wir uns natürlich nicht vorbereiten. Wir haben also null Texte und null Figuren.

SB: In einer Szene haben zwei Spieler am Rand gesprochen und zwei andere in der Bühnenmitte dazu die Lippen bewegt, als ob es ihr Text wäre - war das alles improvisiert?

Winni: Ja, wir haben all das improvisiert. An diesem Beispiel kann ich das schön erläutern: Wir haben vorher gesagt, wir machen ein Spiel. Wir wissen, wie dieses Spiel aufgebaut ist - das heißt, zwei spielen vorne, zwei sprechen am Rand -, aber wir haben nicht abgesprochen, wer spricht und wer spielt. Und das Thema, in diesem Fall Verkaufsshow, kam ja aus dem Publikum.

SB: Laßt ihr euch den Text tatsächlich erst in dem Moment, wo das Thema vorgegeben wird, einfallen?

Winni: Ja natürlich.

SB: Wenn ihr abklatscht und die Darsteller wechseln, basiert das auf einer strukturellen Grundlage?

Winni: Nein. Was du gesehen hast, nennen wir Impuls. Wenn ich eine Idee habe und denke, daß sie gut hineinpassen würde, dann springe ich ein und spiele zum Beispiel die Hexe, weil die Körperhaltung der Spielerin mich dazu inspiriert hat. Oder wenn zwei eine Szene spielen und ich den Eindruck habe, daß sie abgespielt ist, dann muß ich unter Umständen abklatschen und die Leute herausholen, auch wenn ich noch gar nichts im Kopf habe. Dann gehe ich hin und versuche, aus der Körperhaltung der anderen, die wir auslösen, irgend etwas zu machen. Dann müssen wir uns ganz schnell etwas einfallen lassen. Das ist die einzige Möglichkeit, anders geht es nicht.

SB: Stellt dieser Umgang mit dem Ungeplanten und Spontanen für euch eine persönliche Herausforderung dar, weil ihr auf der Bühne im Angesicht eines erwartungsvollen Publikums eine Situation praktisch voraussetzungslos bewältigen müßt?

Winni: Ja, aber grundlegend geht es mehr um die Leute, mit denen man spielt. Durch diese Herausforderung wächst natürlich auch das Selbstbewußtsein, da mir sofort etwas einfallen muß. Für einige stellt es vielleicht schon eine Überwindung dar, überhaupt auf die Bühne zu gehen, aus Angst, dumm dazustehen. Die Erfahrung, daß mir dann doch etwas einfällt, ist eine Facette des Ganzen, die andere ist das Vertrauen in die Gruppe, da keiner von uns weiß, was passiert. Wenn mir dennoch nichts einfallen sollte, muß zum Beispiel Annika sofort hinspringen und mir helfen oder umgekehrt. Dieses Vertrauen zu einer Gruppe aufzubauen ist ein sehr wichtiger Aspekt dabei.

Nicht von ungefähr machen viele insbesondere von den professionellen Gruppen - wir sind nur halbprofessionell, wie wir immer gerne sagen -, auch Beratungen. Sie gehen in Firmen und unterweisen in Gesprächstechniken und so weiter. Dadurch, daß man sich in verschiedene Situationen hineindenken und nach vorne gehen kann, auch wenn man noch nicht weiß, was kommt, erlangt man eine gewisse Selbstsicherheit, die wichtig ist, wenn man sich unter Umständen im Job behaupten muß.

SB: Mit dem Ziel, kommunikativ beweglicher zu werden?

Winni: Definitiv. Wir hatten zu Beginn eine Trainerin von der Steifen Brise, die uns nach dem ersten oder zweiten Training gesagt hatte, spätestens nach einem halben Jahr tretet ihr auf. Wir waren zu dem Zeitpunkt völlig unbeleckt, aber nach sechs Monaten standen wir wirklich auf der Bühne, und es hat geklappt. Allerdings muß man dabei auch erwähnen, daß Improspielern immer beigebracht wird, keine Angst, sondern auch Freude daran zu haben, unter Umständen zu scheitern. Das ist wichtig.

Wenn wir oben auf der Bühne keinen Spaß haben, dann können wir den Spaß auch nicht nach unten zum Publikum bringen. Zwischen dem Publikum und den Leuten auf der Bühne muß es immer hin und her spielen. Wenn man mit irgend etwas scheitert, dann grinst man sich eben eins. Ich habe schon einige Gruppen auch von den professionellen gesehen, die eine Szene zu spielen anfingen, nicht mehr weiterkamen und dann gesagt haben, war nett, aber wir beginnen nochmal von vorne. Das passiert. Wir haben auch schon wie blöd auf der Bühne gestanden und konnten nur noch in die Welt hinausgrinsen. Dann macht man eben das nächste, was soll's.

Leistenbruch auf der Bühne des Kulturcafés Komm du - Foto: © 2014 by Schattenblick

Foto: © 2014 by Schattenblick

SB: Wie wichtig ist beim Improtheater der emphatische Übertrag auf das Publikum?

Winni: Die Verbindung zwischen den Leuten auf der Bühne und dem Publikum ist ganz wichtig. In der Ansprache erklären wir den Leuten, was Improtheater überhaupt ist, damit sie von vornherein wissen, Leute, ihr seid dabei, wir spielen für euch und nicht für uns allein da oben auf der Bühne. Ansonsten könnten wir den Vorhang zumachen und alles wäre gut. Vielmehr spielen wir hier zusammen, wir nehmen das, was ihr uns gebt. Und dann kann es geschehen, daß alle mitsingen, vor allem wenn der Refrain funktioniert wie heute beim Endsong, wo das sehr gelungen war. Es ist aber nicht jedesmal so, daß das Publikum auch wirklich Lust hat mitzusingen. Dann kommt es darauf an, daß man eine Beziehung zum Publikum aufbaut.

SB: Offenbar stellt die Verbundenheit mit dem Publikum ein zentrales Element im Improtheater dar. Geht das so weit, daß Zuschauer auf die Bühne geholt werden und in Szenen mitspielen?

Winni: Ja und nein. Es gibt Spielarten, wo Leute aus dem Publikum nach oben geholt werden, um verschiedene Aufgaben zu übernehmen oder um Informationen zu verkünden. Das machen wir ganz gerne, wenn wir durch Zufall mitbekommen, daß jemand im Publikum Geburtstag hat. Was jedoch niemals vorkommen darf und auch nicht wird, weder bei uns noch in den anderen Gruppen, ist, daß Leute aus dem Publikum in irgendeiner Weise vorgeführt werden. Wenn das jemand von uns aus der Gruppe machen würde, bekäme er hinterher von den anderen wirklich Ärger, und das zu Recht. Natürlich wird über bestimmte Sachen auch gelacht, aber es darf niemanden kränken.

Es gibt zum Beispiel Spielarten, bei denen wir auf der Bühne ein Pärchen aus dem Publikum darstellen. Wir spielen dann nach, wie sie sich zum ersten Mal getroffen haben. Klingel und Hupe nennen wir das. Wenn wir das falsch wiedergeben, wird geklingelt. Dann muß man sich zur falschen Szene etwas Neues einfallen lassen. Wenn die Hupe zustimmend ertönt, wird einfach weitergespielt. Bei dieser Spielart wird natürlich viel gelacht, aber nicht über die Person, das wäre sträflich, sondern über die Situation, entweder weil wir völlig übertrieben oder ganz falsch gelegen haben. Das Gelächter ist natürlich dann besonders groß, wenn Leute aus dem Publikum das Pärchen kennen, aber das darf nie so weit gehen, daß Leute vorgeführt werden. Das ist eine feste Regel.

SB: In einer Szene habt ihr kurz einen Muslim karikiert. Wie geht ihr im allgemeinen mit politisch sensiblen Themen um, achtet ihr darauf, nicht unnötig zu provozieren, oder legt ihr es zuweilen auch darauf an, kontroverse Debatten in Gang zu bringen?

Winni: In aller Regel passen wir auf, in kein politisches Fettnäpfchen zu treten, was sich realistischerweise nicht immer vermeiden läßt. Ich selbst bin manchmal, zugegebenermaßen, ziemlich frech. Dennoch versuchen wir, die ganz schlimmen Sachen nicht zu bringen, weil wir niemandem auf den Schlips treten und auch kein böses Blut wecken wollen. Wenn man jedoch auf der Bühne alles aus sich herausholt, kann es schon einmal vorkommen, daß man im Eifer des Gefechts zu weit geht. Ich persönlich tendiere zu dem guten, alten Comedy-Spruch: Wenn ich die Wahl habe, einen guten Gag zu bringen oder einen Freund zu verlieren, würde ich mich für den Gag entscheiden. Natürlich ist das ein Extremspruch, aber manchmal fällt einem urplötzlich eine famose Idee ein, die man dann auch raushaut, und fünf Minuten später realisiert man, daß man damit ganz tief in den Eimer gegriffen hat.

Deswegen ist es ratsam, lieber vorsichtig zu sein. Schließlich wollen wir das Publikum auf unserer Seite haben, und zwar jeden einzelnen. Vor einem Fehlgriff ist natürlich niemand gefeit wie zum Beispiel bei der heutigen Aufführung, als Michael Jackson zum Thema gemacht wurde und wir eine Anspielung auf den gegen ihn erhobenen Vorwurf des Kindesmißbrauchs gemacht haben. In dem Moment zuckte es im Publikum kurz auf, aber letzten Endes wurde es akzeptiert. Schließlich ist es ein naheliegendes Thema, über das jeder Bescheid weiß. Dennoch war es kein guter Einfall, denn auf der Bühne wollen wir eigentlich Gags machen.

Auf der Bühne des Kulturcafés Komm du - Foto: © 2014 by Schattenblick

Jenny und Daniela
Foto: © 2014 by Schattenblick

SB: Das Comedyhaftige ist in gewissem Ausmaß ein Selbstgänger, aber wie weit geht ihr bei Themen mit politischer Brisanz wie zum Beispiel Armut oder Fremdenfeindlichkeit?

Winni: Improvisation ist erst einmal für jedes Thema geeignet, ob es nun eine tieftraurige russische Tragödie oder ein heißes soziales Eisen ist, solange man eine eigene Ausdrucksform dazu findet. Ein Hindernisgrund für die meisten Improgruppen ist, daß sich das Publikum gerade am Samstag abend vor allem unterhalten lassen will. Sie wollen lachen, denn sonst wären sie ins Thalia-Theater oder in eine Oper gegangen. In dieser Unterhaltungsnische ist das Improtheater ein wenig gefangen. Daher wäre es äußerst schwierig, den Leuten plötzlich klarzumachen, daß wir nur ernste Sachen spielen. Aus meiner Erfahrung weiß ich jedoch, daß es jede Gruppe hier in Hamburg einmal probiert hat. Es funktioniert auch, nur muß man dann auch ein Publikum haben, das wirklich mitgeht.

SB: Ihr versteht euch als Semiprofis. Ein normaler Schauspieler hat eine gewisse Grundausbildung, er übt Rollen ein und versucht sie glaubhaft auszufüllen. Wie reflektiert ihr euer Selbstverständnis im Rahmen der Schauspielkunst?

Winni: Ein Schulfreund von mir ist gelernter Schauspieler, aber er improvisiert nicht gerne. Das fand ich ganz lustig. Deckungsgleich ist, daß wir irgendwelche Rollen kreieren. Ein ausgebildeter Schauspieler arbeitet eine Rolle meistens über mehrere Wochen hinweg bis zum Gehtnichtmehr aus, die er dann entweder auf der Bühne oder in einem Film durchspielt. Wir dagegen haben Charaktere, die nicht so ausgebaut sind, aber dafür benutzen wir sie teilweise auch nur fünf Minuten lang. Wir müssen aber dennoch versuchen, daß diese Charaktere zum einen überhaupt rüberkommen und zum anderen auch überzeugen. Wenn ich auf der Bühne einen ganz dünnen Mann spiele, muß ich zumindest versuchen, wie ein dünner Mann zu denken oder mich entsprechend zu bewegen, es sei denn, ich spiele mit meinem Körper direkt dagegen an, dann gehe ich sofort auf den Gag. Beides setzt auf seine Art schauspielerisches Können voraus.

Deswegen machen wir auch durchgehend unsere Trainings, egal, ob wir Auftritte haben oder nicht. Wir lernen, wie wir miteinander reagieren und was wir aus uns selbst heraus dazu beitragen können. Denn letztendlich hat ein Schauspieler alles, was er darzustellen vermag, in irgendeiner Art und Weise in sich. Er muß dann all diese Facetten nach vorne bringen, blankputzen und präsentieren. Da wir das sehr schnell machen müssen, bleibt keine Zeit für ausgefeilte Charakterstudien, weil wir innerhalb der nächsten drei, vier Minuten im Prinzip wieder eine neue Rolle spielen. Dieses Manko versucht man mit ein bißchen Körperbewegung und Stimmenveränderung - natürlich im Kontext - wettzumachen, damit das Publikum begreift, ich bin jemand anderer oder ich bin etwas anderes. Beim Improtheater wechseln wir ständig die Rollen. Deswegen müssen sie wie ein Strohhut sein, damit man sie schnell abnehmen und einen neuen aufsetzen kann. Insofern sind die Rollen beim Impro eher leicht. Selbstverständlich gibt es bei den verschiedenen Leuten Unterschiede im Entwicklungsstadium oder Talent, aber das ist bei normalen Schauspielern auch nicht anders. So gesehen sind beide Darstellungsformen an und für sich deckungsgleich.

SB: Sind diese schnellen Wechsel das typische Kennzeichen des Improtheaters?

Winni: Genau. Wir spielen, Pausen nicht mitgerechnet, ungefähr anderthalb bis zwei Stunden. In dieser Zeit werde ich höchstwahrscheinlich acht unterschiedliche Rollen spielen. Natürlich sieht mich das Publikum immer als eine Person, ob ich nun einen Schuldirektor oder den Adam im Paradies spiele, aber dennoch versuche ich immer, in die jeweilige Rolle etwas anderes hineinzulegen. Deshalb trainieren wir auch regelmäßig, um zu sehen, was wir alles können und was darüber hinaus noch möglich ist.

SB: Bedient ihr euch auch klassischer schauspielerischer Mittel wie das Degenfechten oder Tanzen?

Winni: Nach einem Auftritt hatte ich angeregt, auch Tanzschritte ins Training aufzunehmen. Wenn man alleine tanzt und beispielsweise einen Stepptanz andeutet, muß man es nicht wirklich können. Um aber Polka zu tanzen, brauche ich eine Partnerin, und dann müssen die Schritte halbwegs funktionieren. Es muß nicht immer deckungsgleich sein, aber man sollte auch nicht unbedingt in zwei verschiedene Richtungen rennen, sonst kann das Publikum damit nichts anfangen. Degenfechten zu üben ist für uns kein Thema, weil wir mit Ausnahme eines einzigen Spiels keine Gegenstände benutzen. Wenn wir unter Umständen Degenfechten darstellen müßten, dann würden wir es nur andeuten. Daß jemand von einer bestimmten Sache Ahnung hat und das mit einbaut, bleibt jedem unbenommen. Ich selber hatte einmal als Genre einen Martial Arts-Film gekriegt, also Kung Fu, Karate und so weiter. Das Publikum hat dann jedenfalls nicht schlecht gestaunt, als der kleine dicke Winni plötzlich hochsprang und sein Bein ausstreckte, weil man es von mir nicht erwartet hatte. Wir würden uns aber nicht hinsetzen und alle Karate oder Degenfechten üben, dafür brauchen wir es zu selten. Ein richtiger Schauspieler kriegt ab und zu klassische Rollen, sei es Wallenstein oder Hamlet, und dann muß er sich intensiv darauf vorbereiten und den Umgang mit einem Schwert lernen. So etwas gehört zum schauspielerischen Beruf. Bei uns wird es nur angedeutet, und wenn es dann einmal nicht stimmt, kriegt es das Publikum nicht mit, weil wir keine Schwerter haben und uns deswegen die Dinger nicht auf die Köpfe schlagen können.

Leistenbruch auf der Bühne des Kulturcafés Komm du - Foto: © 2014 by Schattenblick

Christian, Annika und Winni
Foto: © 2014 by Schattenblick

SB: Ihr hattet heute beim Auftritt einen Gitarristen dabei. Sind Instrumentalmusiker beim Improtheater üblich?

Winni: Ja, im Prinzip hat jede Gruppe immer einen Instrumentalmusiker dabei, sofern er Zeit hat. Wir haben auch schon Auftritte ohne Christians musikalische Begleitung gehabt, was aber schwieriger ist, denn ein guter Gitarrist oder Klavierspieler kann die Szenen stimmungsvoll mit seiner Musik aufladen und somit auch die Spieler direkt unterstützen. Auf diese Weise können wir aufnehmen, was er uns an Gefühlen und Tempi in seinen musikalischen Einlagen anbietet. Hinzu kommt, daß einige Spiele von vornherein mit Musik unterlegt sind. Ich glaube, wir waren die erste Gruppe in Hamburg, die mit einem Gitarristen aufgetreten ist. Bis dahin hatten die anderen Gruppen entweder Klavier oder Keyboard eingesetzt. Inzwischen haben auch andere Gruppen einen Gitarristen dabei, wenngleich manche der Meinung sind, mit einem Klavier mehr machen zu können, aber das ist Ansichtssache.

SB: Euer Gitarrist hat verschiedene Stilarten einfließen lassen, was den einzelnen Spielen jeweils eine besondere Note gab. Knüpft ihr musikalisch auch an populäre Sounds an?

Winni: Christian hat schon früh, nachdem wir uns als Gruppe formiert hatten, bei uns gespielt. Deswegen ist er auch entsprechend auf unser Spiel eingestellt. Mit Martin haben wir noch einen anderen Gitarristen, der beim Training ab und zu ein paar Szenen mitspielt, was von Vorteil ist, da er dann weiß, worum es geht. So können wir uns darauf verlassen, daß er zum Beispiel bei einer Mittelalterszene eine entsprechende Musik anbietet. Daß es nicht immer perfekt klappt, ist klar, aber das tut es auch bei den Spielern nicht immer, was auch ein Reiz des Improtheaters ist.

Leistenbruch auf der Bühne des Kulturcafés Komm du - Foto: © 2014 by Schattenblick

Foto: © 2014 by Schattenblick

SB: Hangelt ihr euch von Auftritt zu Auftritt, oder habt ihr eine inhaltliche Planung, die auch bestimmte Themenfelder umfaßt?

Winni: Von einer längerfristigen Planung zu sprechen, wäre zuviel gesagt. Schließlich können wir nur da auftreten, wo man uns sozusagen auch läßt, es sei denn, wir kriegen eine kleine Absprache zustande wie hier im Komm Du, wo wir fürs nächste Jahr mit drei oder vier Auftritten fest eingeplant sind. Bei einem wechselnden Publikum würde es nicht viel bringen, wenn wir versuchten, eine große Sache aufzuziehen, aber jedes Mal ein anderes Publikum vorfinden würden, das nicht weiß, was beim letzten Mal gelaufen ist. Ich weiß von einer Gruppe aus Barmbek, die eine Impro-Soap macht. Sie haben ein festes Publikum, wodurch ein Wiedererkennungswert gewährleistet ist, aber weil sie jedes Mal mit festen Charakteren operieren, ist das natürlich insofern weniger Impro. Es ist ein bißchen wie Lindenstraße, man weiß zwar nicht, welche Story abläuft und wie sie sich weiterentwickelt, aber die Charaktere und der Ort der Handlung sind immer gleich. Für einige Leute ist es vielleicht ganz schön, daß sie jedes Mal auf alte Bekannte treffen, aber für uns kommt das nicht in Frage, weil wir in unseren Spielarten oft hin und her wechseln.

SB: Ihr sucht in euren Auftritten demnach eher das Spontane.

Winni: Ja, so könnte man es nennen. Wenn wir den Leuten zwei Stunden lang einen schönen Abend und Freude bereiten, ist es uns genug. Es gibt nichts Schöneres, als wenn ich nach einem Auftritt draußen eine Zigarette rauche und mir Leute mit einem Grinsen auf dem Gesicht entgegenkommen und sagen, das war toll. Oder wenn auf unserer Website positive Kommentare abgegeben werden, oder eine Firma uns bucht und uns ein weiteres Mal engagieren will. Von solchen Sachen lebt jeder Künstler. Das ist der Applaus für den Moment und seine Bestätigung, wenn Leute sagen, ich war schon letztes Mal dabei und habe heute drei Freunde mitgebracht. Unser Plan für die Zukunft ist natürlich, immer besser, immer feiner und vielleicht auch immer schneller zu werden, um den Leuten noch mehr bieten zu können. Unsere Auftritte sind zwar stets abwechslungsreich, weil wir immer etwas Neues parat haben, aber trotzdem versucht man, in seiner Entwicklung nie aufzuhören. Das ist immer schon die Grundlage eines Künstlers gewesen.

SB: Winni, vielen Dank für das Gespräch.

Leistenbruch auf der Bühne des Kulturcafés Komm du - Foto: © 2014 by Schattenblick

Foto: © 2014 by Schattenblick

3. Dezember 2014