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INTERVIEW/041: Ohne Worte - tanzen, sprechen, prägen ...    Johnny Lloyd im Gespräch (SB)




Am Abend des 5. Januar 2019 auf Kampnagel, noch kurz vor der Aufführung des Tanzstücks "Without Words - Melting Point Dance"[1], hatte der Schattenblick die Gelegenheit mit dem Choreographen Johnny Lloyd ein Interview zu führen.

Schattenblick (SB): Als Tänzer und Choreograph hast du stetig mit Bewegung und somit mit Körpersprache zu tun. Ist Körpersprache für dich eine allgemein gültige, verständliche und auch verbindliche Sprache? Kann sie gar Sprache ersetzen wie der Titel des Stückes "Ohne Worte - ..." andeutet?

Johnny Lloyd (J.L.): Ich finde das eine sehr schöne Frage. Ich denke, daß wir die Bedeutung von Tanz nicht suchen müssen. Damit meine ich, was jemand mit seinem Tanz in diesem Moment sagen kann oder sagen will, wird deutlich. Für mich ist die Art interessant, wie wir denken, und die Person, die wir sind. Das beeinflußt unsere Physikalität. Die Art, was man denkt, hat großen Einfluß auf den Tanz. Ich bin weniger an Formen interessiert, die schon etabliert sind, sondern ich finde es schöner zu sehen wie sich individuelle Menschen bewegen. Ich versuche was wir Konzept nennen zu gebrauchen und eine neue Körperlichkeit zu finden. Dafür ist das Stück gut. Nicht unbedingt, daß die Show etwas zu sagen hat, hat sie auch, aber das ist nicht so von Belang. Was mir wichtig war, ist daß sich das Stück transformiert und das Publikum inspiriert. Die Geschichte ist für mich ein Hilfsmittel, damit die Tänzer ihre Körperlichkeit finden.

SB: Bedeutet das, du gibst auch unbekannten Tänzern und Künstlern eine Chance?

J.L.: Das kommt auf die Situation an. Dieses Stück wurde in einem bestimmten Rahmen produziert. Ich habe dafür eine Audition abgehalten. Dies war das erste Mal in meinem Leben. Aber das mußte sein, da es Voraussetzung der beteiligten Schule war. Ziel war, Tänzer, die mit ihrer Karriere beginnen, zu fördern. Und deshalb ist es eine andere Situation als wenn ich selber mein Stück produziere und jemanden frage, mit dem ich schon gearbeitet habe. Aber es ist immer anders. Grundsätzlich mag ich es, mit Leuten zu arbeiten, die nicht von einer bestimmten Schule kommen oder schon eine bestimmte Form gelernt haben. In diesem Sinn stimmt es, kann ich die Frage mit ja beantworten. Mir ist egal, woher die Tänzer kommen und was sie schon gelernt haben. Mir ist wichtig, daß ich einen Weg finden kann, um zu erkennen, was interessant ist, wo ihre Präsenz liegt, ihre Körperlichkeit und was sie für die Choreographie mitbringen.



Im Foyer von Kampnagel während des Gesprächs - Foto: © 2019 by Schattenblick

Choreograph Johnny Lloyd und Assistentin Svantje Buchholz mit SB-Redakteurin
Foto: © 2019 by Schattenblick

SB: Was für Referenzen hast du in das Stück mit eingebaut, die sich auf andere Tanzgenre, Ideen oder Künstler beziehen?

J.L.: Zuerst geht es um drei unterschiedliche Stücke von den Komponisten Strawinsky, Bernstein und Kraft, mit denen ich zu arbeiten hatte. Das war mir vorgegeben. Daher habe ich recherchiert, was jedes von diesen musikalischen Stücken bedeutet hat, aus welcher Zeit es stammt, welches Genre es war und ob es avangarde oder klassisch ist. Dann habe ich versucht, von diesen Intentionen inspiriert zu werden. Unsere Arbeit wurde abstrakter im Laufe der Zeit, eben wie auch die Komponisten über die Zeit hinweg abstrakter wurden. Kraft ist beispielsweise viel abstrakter als Strawinsky.

SB: So wie auch der Umgang mit den choreographischen Formen abstrakter geworden ist.

J.L.: Genau. Auch das Moderne, das Zeitgenössische ist immer abstrakter geworden. Aber es ist schön, Genres zu zitieren, zum Beispiel Bernstein. Da geht es ganz viel um Jazz, und im Jazztanz hat man eine andere choreographische Form gehabt. Der Fokus der Tänzer liegt dabei oft vorne beim Publikum und es geht sehr viel über die Bewegung. Sie ist soulfull, das heißt es wird sehr gefühlvoll getanzt. Diese Essenz von Jazzdance wollte ich nutzen, das wollte ich zeigen und wachsen lassen. Ich wollte abstrahieren und die Essenz davon finden. Für Stereotypen wollte ich einen Weg finden, sie interessanter zu gestalten. Zum Beispiel das frontale Darstellen, wo man im Jazz den Zuschauer nicht direkt anschaut. Hiermit wollte ich spielen und Schritte zeigen, aber auch die dazugehörige Community hervorheben, die Gemeinschaft, die um die kulturellen Tanzformen, beispielsweise Hip-Hop, herum existiert.

SB: Waren die drei Musikstücke von der Elbphilharmonie[2] vorgegeben?

J.L.: Ja, die Musik habe ich nicht gewählt.

SB: Sven Kacirek, euer Komponist, berichtet in einer Ankündigung[3] zum Stück, daß ihr in diesem Projekt versucht habt, die Choreographie und die Musik gemeinsam zu entwickeln. Bezieht das auch die Tänzer mit ein? Habt ihr gemeinsam das Stück besprochen?

J.L.: Ja. Ich versuche einen Prozeß zu finden, wo es keine Autorität gibt. Ich bin der Choreograph und ich muß Entscheidungen treffen. Aber ich bin nicht der Chef. Und ich versuche das auch nicht, obwohl ich die Rechte an dem Stück habe und die künstlerische Verantwortung auf mir liegt. Ich probiere in dem Prozeß, daß wir zusammen kreieren, zusammen arbeiten. Ganz viel von dem Material kommt von den Tänzern. Sven und ich haben eine lange Geschichte, da wir viele Stücke zusammen produziert haben. Und hierdurch haben wir eine sehr bestimmte Sprache entwickelt, wie wir zusammen arbeiten. Dies funktioniert sehr gut. Aber da ist auch sehr viel Material von den Tänzern gekommen. Es gab Bewegungsvorschläge, die wir einbauen konnten. Manchmal arbeiteten wir mit langen Improvisationen, die wir anschließend vom Video lernten. Darauf mußte Sven dann reagieren. Auf diese Weise war es eine sehr starke Zusammenarbeit zwischen Choreograph, Musiker und den Tänzern, welche ja die Hauptakteure des Stückes sind.

SB: Du hast bereits viele Einzelstücke produziert. Wie arbeitest du lieber, allein oder in der Gruppe?

J.L.: Diesmal finde ich es sehr schön, nicht in dem Stück sein zu müssen. Ich kann besser Entscheidungen treffen, wenn ich außerhalb sitze. Ich bin ein Fan von mir, wie ich tanze, und es können nicht viele Menschen tanzen wie ich, weil es eben mein eigener Stil ist. Aber langsam bin ich ein bißchen müde von mir selbst (lacht) und ich bin inspiriert durch die sehr breite Palette, was heute im Tanz existiert, was die Tänzer mitbringen. Ich würde sagen, ich finde es jetzt schöner, in dem Stuhl sitzen zu bleiben (lacht). Das mache ich natürlich nicht wirklich.

SB: Es findet von "Without Words - ..." nur eine Aufführung statt.

J.L.: JA.

SB: Und es gab auch nur 200 Karten, die sehr schnell ausverkauft waren.

J.L.: JA.

SB: Das ist doch sehr schade für die ganze intensive Arbeit, die darin steckt. Warum wurde das so beschränkt? Tretet ihr vielleicht mit dem Stück noch in anderen Städten auf?

J.L.: Ich bin nicht der richtige, um darauf zu antworten. Aber was ich schon sagen kann: "Without Words - ..." ist ein sehr schönes Projekt, weil es etwas anbietet, das ich in Hamburg noch nicht gesehen habe. Es ist eine Art Zwischenstand von Tänzern, die noch in der Schule sind oder ihre Ausbildung gerade abgeschlossen haben, aber sehr gut tanzen können, viel Talent haben und eigentlich schon beginnen in die Tanzwelt einzusteigen. So ein Projekt wie dieses gibt es nicht so oft. Entweder ist man in der Schule oder hat sie gerade hinter sich und muß dann ständig an Auditions für ein professionelle Stück teilnehmen. Und da einen Platz zu bekommen, schafft man nicht, weil es ganz viele Tänzer gibt, die schon fünf Jahre lang suchen und in der Zwischenzeit weiter an Workshops teilgenommen, sich weiterentwickelt haben. Aber das war das Ziel dieser Arbeit, Tänzern dieses Zwischenstandes eine Möglichkeit zu bieten. Es war nicht geplant, eine Tournee zu starten. Es ist aber schon schade, denn wir sehen, wir sind ausverkauft, und wir merken, daß wir eine sehr gute Arbeit geleistet haben. Es ist ein schönes Stück, dauert eine Stunde und es ist sehr professionell. Aber das alles wußten wir nicht, bevor wir es begonnen haben. Ich glaube, da wir das jetzt sehen, gibt es wirklich die Bemühung darum, daß es hier nicht stoppt.

Und ich glaube auch, es zählt nicht nur, was heute abend passiert, sondern auch was in dem Prozeß stattfand, alles was die Tänzer, ich und Sven gelernt haben. Auch was die Elbphilharmonie gelernt hat, denn es ist das erste Mal, daß sie diese schöne Idee hatten. Daran müssen alle noch weiterlernen, weiterwachsen. Ich glaube wir haben die beste Arbeit geleistet, die wir hätten machen können.

SB: In einer der Ankündigungen[3] sprichst du von Frauenpower in dem Stück, wie ist das zu verstehen?

J.L.: Das ist nicht unbedingt eine politische Aussage. Es ist nur so, daß ich Fan von Frauenpower bin. Frauenpower ist nicht neu, das ist etwas, das existiert. Auch in diesem Stück gibt es starke Frauen. Es gibt auch starke Männer, aber es gibt viel mehr starke Frauen, die tanzen.

Heutzutage leben wir in einer Zeit, wo die Rechte von Geschlechtern genug Zeit gehabt haben, um sich wirklich ein bißchen zu etablieren, wo wir alte Stereotypen nicht mehr beachten. Das kann man zelebrieren und das mache ich. Ich zelebriere die Tatsache, daß es starke Frauen in diesem Prozeß gibt, die sehr viel anzubieten haben. Das kann wirklich angenommen werden. Ich finde, es ist eine wichtige, eine schöne Zeit, und wir haben die Chance, das weiter zu zeigen.

SB: Seit unserem letzten Interview[4] mit dir ...

J.L.: ... vor 10 Jahren (lacht)

SB: ... in dem wir einiges über deinen tänzerischen Background erfahren konnten, ist ja viel passiert. Was hat sich seit dieser Zeit in deinem Tanz und an deinen Schwerpunkten verändert?

J.L.: Alles, alles. Ich habe ganz viele Erfahrungen gesammelt. Ich war mit einer großen Company lange auf Tournee und habe viel von meinen Dramaturgen und Co-Produzenten gelernt. Dann habe ich noch 20 Stücke produziert. Ich finde es schön, zu lernen, mit sehr wenig Ego zu arbeiten. Ich mag es, ohne Autorität über mir zu arbeiten und diese auch selber nicht auszuüben. Mir ist wichtig, daß der Prozeß mehr wert ist als das Produkt, daß die Tänzer human angesehen und behandelt werden und nicht als etwas, woran man arbeitet. Die Tänzer haben eine Stimme im dem Prozeß und das muß diese Generation von Choreographen merken. Die Tänzer brauchen Platz und Zeit, um gehört zu werden und sagen zu können, was sie denken. Ein Tänzer kann nicht einfach wie eine Farbe auf einem Bild sein, das der Maler, also der Choreograph, hinstellt, wo es ihm persönlich paßt. Sie sind keine Farben. Tänzer sind Menschen. Ich arbeite an dieser neuen Plattform.

SB: Deine nächsten Projekte sind?

J.L.: Nächste Woche gehe ich nach Köln an die Oper und arbeite an einem Kinderstück. Es heißt "ToyBox" und feiert am 9. Februar Premiere.[5] Dann habe ich ein halbes Jahr Pause, die ich auch brauche, denn ich habe in diesem Herbst und Winter fünf Stücke produziert.

SB: Danke für das Gespräch. Wir freuen uns auf das Stück.

J.L.: Danke für die Fragen.


Ein noch leeres Foyer auf Kampnagel - Foto: © 2019 by Schattenblick

Ruhe vor dem Sturm
Foto: © 2019 by Schattenblick



Anmerkungen:

[1] "Without Words - Melting Point Dance" - "Ohne Worte - Schmelzpunkttanz"

[2] "Without Words - ..." ist eine einmalige Tanzveranstaltung, entstanden durch die Kooperation der Elbphilharmonie mit der CDSH (Contemporary Dance School Hamburg) und Kampnagel. Diese Veranstaltung ist im Rahmen der Elbphilharmonie+, dem Begleitprogramm der Elbphilharmonie, entstanden, beruhend auf den Werken dreier Komponisten, deren Stücke am 8. Januar 2019 im Konzert mit dem Bundesjugendorchester in der Elphilharmonie selbst zu hören waren.

[3] Elbphilharmonie+ - "Without Words - Melting Point Dance" - Ankündigung auf YouTube:
https://www.youtube.com/watch?feature=youtu.be&v=SM7H6El1TlM&app=desktop

[4] Schattenblick → INFOPOOL → THEATER UND TANZ → REPORT:
INTERVIEW/001: "Animation" - Ein klassischer Fall von Poesie in Bewegung (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/theater/report/trpi0001.html

[5] "ToyBox", Spielzeugkiste, Tanzstück für Kinder ab 7 Jahren, Dauer ca. 75 Minuten, Choreographie von Johnny Lloyd, Musik von Sven Kacirek
https://www.oper.koeln/de/programm/toybox/4023


Im Schattenblick ist unter THEATER UND TANZ → REPORT auch ein Bericht zu dem Tanzstück "Without Words - Melting Point Dance" erschienen:

BERICHT/100: Ohne Worte - ein großer Beginn ... (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/theater/report/trpb0100.html



13. Januar 2019


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