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VETERINÄR/453: Der BSE-Schock ist abgeklungen, seine verheerenden Folgen noch nicht (PROVIEH)


PROVIEH MAGAZIN - Ausgabe 3/2017
Magazin des Vereins gegen tierquälerische Massentierhaltung e.V.

Der BSE-Schock ist abgeklungen, seine verheerenden Folgen noch nicht

von Sievert Lorenzen


Um BSE (Bovine Spongiforme Enzephalopathie), eine tödlich verlaufende Hirnkrankheit des Rindes, ist es still geworden. Abgeklungen ist der deutsche Schock, als Ende November 2000 BSE erstmals bei einem rein deutschen Rind (einer Milchkuh) diagnostiziert wurde. Die ganze Herde musste vernichtet werden, auch die jüngsten Kälber, alles rein vorsichtshalber.

Der Schock hatte Vorboten. Das Vereinigte Königreich (UK) hatte schon seit 1986 mit BSE zu kämpfen. Damals war es im UK noch üblich, Tiermehl zur "Leistungssteigerung" auch an Rinder zu verfüttern. Zu Tiermehl wurden auch Rinder verarbeitet, die an BSE erkrankt waren. Zubereitet wurde das Tiermehl nur durch einfaches Kochen statt unter Druckerhitzung auf 133 Grad Celsius. Erzwungener Kannibalismus unter Rindern und zu schwache Hitze bei der Herstellung von Tiermehl - das müssen die gemeinsamen Ursachen für die Ausbreitung von BSE gewesen sein. So dachte man. Also wurde 1994 EU-weit verboten, Rinder und andere Wiederkäuer mit Tiermehl zu füttern. Doch die Zahl der britischen BSE-Fälle stieg weiter.

1996 sorgte eine Meldung für Angst und Schrecken. Menschen könnten durch den Verzehr von Fleisch BSE-kranker Rinder zu Opfern einer neuartigen, tödlich verlaufenden Hirnkrankheit werden, die mit BSE verwandt sei und als neue Variante der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit (vCJD) bezeichnet wurde. Tausende von Menschen könnten an ihr erkranken, das hätte ein Rechenmodell ergeben. Panische Angst entstand, ihretwegen mussten allein im UK einige hunderttausend Rinder vernichtet werden.


Wissenschaftliches Versagen von BSE- und vCJD-Forschern

Die offiziellen Hypothesen zum Ursprung und der Verbreitung von BSE und vCJD blieben spekulativ, zu viele Fehler wurden bei ihrer Begründung gemacht. Sie zeugen von wissenschaftlichem Versagen der BSE- und vCJD-Forscher. Zu den offiziellen Hypothesen gab es Alternativen. Nach einer von ihnen könnte ein Nervengift die britische BSE-Katastrophe erzeugt haben. Es war in einem systemischen Insektizid enthalten, das damals in vielleicht zu hoher Dosierung auf den Nacken von Rindern ausgebracht werden musste, zur Bekämpfung der Dasselfliege. Diese Hypothese wurde in der offiziellen Forschung experimentell nicht geprüft, sondern als Spekulation abgetan.

Möglicherweise blieb deshalb ungeklärt, warum 98 Prozent aller bekannten BSE-FäIle britisch sind, obwohl Tiermehl (auch britisches!) auch anderswo in der Welt an Rinder verfüttert wurde. Unerklärt blieb auch, warum im UK die Zahl der BSE-Fälle von Nord nach Süd zunahm, die der vCJD-Fälle aber von Süd nach Nord, obwohl in südenglischen Arenen der Verzehr von "Deathburgern" (mit gebratenem Rinderhack) sehr beliebt war und dennoch hinsichtlich vCJD ziemlich folgenlos blieb.

Unhaltbar ist schon lange die Behauptung, BSE sei eine Infektionskrankheit, denn schon lange wird anerkannt, dass von einem BSE-kranken Rind keinerlei Infektionsrisiko für den Rest der Herde ausgeht. Entgegen früheren Beteuerungen wird mittlerweile aber anerkannt, dass BSE sehr selten doch spontan entstehen kann wie alle anderen Spongiformen Enzephalopathien auch.


Wie die Angst vor BSE die Massentierhaltung und die Umweltzerstörung vorantrieb

BSE war der Grund, dass Tiermehl ab 2001 EU-weit nicht mehr an solche "Nutz"tiere verfüttert werden durfte, die Lebensmittel für den Menschen liefern. Das Verbot führte zunächst zu riesigen Problemen bei der Fütterung von Allesfressern wie Schweinen, Hühnern und Puten, die tierische Kost gewohnt waren. Was sollten sie dann fressen? Pflanzliche proteinhaltige Kost natürlich, was sonst? Als solche gerieten die massenhaften Pressrückstände von Sojabohnen ins Visier, aber die kamen bei den Allesfressern nicht gut an. Erst durch Rösten konnten sie lecker für sie gemacht werden, derart lecker, dass die Massentierhaltung weltweit gewaltig zunahm. Eine immense Nachfrage nach Sojaschrot entwickelte sich, es war relativ billig massenhaft verfügbar. Sojaöl wird anderweitig verwertet. Die Nachfrage nach Solasch rot wuchs und wuchs. Deshalb werden noch heute riesige Urwälder und riesige andere Lebensräume unwiederbringlich zerstört für den Massenanbau von Soja.

Aber wo massenhaft Sojaschrot verfüttert wird, fällt massenhaft Gülle an. Wohin mit ihr? Zur Düngung auf die Felder! Mais verträgt zum Glück viel von ihr. Aber zu viel Gülle blieb trotzdem übrig. Wohin mit ihr? Auch auf die Felder oder weg in andere Gegenden. So sickerte immer mehr Gülle ins Grundwasser, verdarb das Trinkwasser, oder wurde in Bäche und Flüsse gespült. Bis in die Meere breitete sich die Überdüngung aus.

Die wachsende Massentierhaltung führte auch zu einem Überangebot an Eiern, Fleisch und Milch. Wohin mit den Überschüssen? Ab mit ihnen in den subventionierten Export, so die Devise, zur Sicherung der Welternährung. Doch das Gegenteil wurde erreicht: der Massenruin von kleinbäuerlichen Existenzen, die mit den Ramschprodukten nicht konkurrieren können und zu Hungernden wurden. Die Liste der haarsträubenden Folgen unserer Angst vor BSE ist lang geworden. Klimaverschlechterung steht schon lange in ihr.

Ohne die Angst vor BSE hätte alles auch so kommen können, aber nicht so schnell. Die Triebfeder für die ganzen Entwicklungen war schon da: die ungezügelte Gier nach endlos steigenden Renditen. Sie treibt die Ausbeutung von Mensch, Tier und Ndtur voran und spaltet die Menschheit, die Staaten und die Staatengemeinschaften immer tiefer in wenige superreiche Gewinner und ein Heer von armen Verlierern, und überall verödet die staatstragende Mitte. Das ist gefährlich. Warum, das lehrt die Forschung über Selbstorganisation: Jedes Wachstum erzeugt eine Gegenkraft, die das Wachstum zunehmend bremst. Wird die Entwicklung der Gegenkraft künstlich behindert, kommt es zu übermäßigem Wachstum, und dann rückt die Gefahr von Revolutionen und anderen Katastrophen immer näher und wird schon jetzt immer häufiger erlebt. Das wissen auch die Mächtigen aus Politik und Wirtschaft oder sollten es wissen, um zu erkennen, wie verantwortungslos ihre Predigten von Wachstum ohne Ende sind. Das ist nur einer der Gründe, warum PROVIEH unaufhaltsam gegen Massentierhaltung kämpft.


Die Erholung vom BSE-Schock schreitet voran: Verfütterung tierischer Fette an Kälber wieder erlaubt

Nur als Kälber brauchen Rinder auch Futter tierischer Herkunft: Milch. Aber die will auch der Milchviehhalter haben, um sie zu verkaufen. Also gibt er den Kälbern einen Ersatz für die Muttermilch, den Milchaustauscher. Für dessen Herstellung wurden früher auch tierische Fette benutzt. Damit war in Deutschland ab dem 2. Dezember 2000 rigoros Schluss, nur noch pflanzliche Fette und Öle waren erlaubt, um auch den leisesten Hauch eines BSE-Risikos zu vermeiden. Mit vorbeugendem gesundheitlichen Verbraucherschutz hat das nichts zu tun, viel aber mit psychotischer Angst vor Negativ-Schlagzeilen in den Medien.

Diese Angst weicht. Im Juni 2013 wurde schon das Tiermehlverbot leicht gelockert, und auf politische Vermittlung konnte in diesem Jahr (2017) erreicht werden, dass das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR), das Friedrich-Loeffler-Institut (FLI) und die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) das Verbot der Tierfettverfütterung an Wiederkäuer für nicht mehr erforderlich halten. Also forderte der Bundestag die Bundesregierung am 17. Mai 2017 auf, dieses Verbot aufzuheben, was auch prompt geschah. Damit darf Fett aus genussfähigen Schlachtabfällen, auch von Rindern, wieder in den Milchaustauscher. PROVIEH sähe lieber, dass Kälber richtige Milch statt Milchaustauscher bekommen, erkennt aber die neue Regelung als zweitbeste Lösung für den Umwelt- und Klimaschutz an.

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Quelle:
PROVIEH MAGAZIN - Ausgabe 3/2017, Seite 36-38
Herausgeber: PROVIEH - Verein gegen
tierquälerische Massentierhaltung e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 1. Dezember 2017

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