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HIPPOS/10: Das Hornafjördur-Islandpferd - Wikinger seit 1000 Jahren (SB)


WIKINGER-PFERDE IM HORNAFJÖRDURTAL

Überlebenskampf in Feuer und Eis


Island: legendenreiche Insel aus Feuer und Eis. Wer sich zur Aufgabe gemacht hat, die Stätten alter, unverfälschter Pferderassen zu besuchen, muß irgendwann einmal auf diese öde Insel, die die Dichter besungen und die Fischer berühmt gemacht haben. Doch wie? Für unser kleines Team aus Hobby-Hippologen stand schon ein Sportflugzeug bereit. Doch zogen wir es vor, wie die alten Kelten, die von den britischen Inseln kamen oder die Wikinger, die sich von Norwegen aus auf der Suche nach neuem Land befanden, Island vom Wasser aus zu erobern. Die Wikinger waren es schließlich, die in ihren Drachenbooten 1000 km weit über das Meer Pferde nach Island brachten - die Ahnen des heutigen Islandpferdes, dem unsere Exkursion gilt.

Während unser Schiff nach Aberdeen tuckert, um Passagiere und Waren aufzunehmen, machen wir ein paar Tage auf den Färoerinseln Zwischenstation. Gemessen an Island, sind diese achtzehn kleinen Inseln nur Punkte im Meer, Brutstätten für Millionen von Vögeln. Es sind die Ausläufer einer früheren vermuteten Verbindung zwischen Island, den Shetlandinseln und Schottland. Aus schwarzem oder grauem Basalt, durchzogen mit rötlichem Tuffstein, zeugen sie in bizarren Skulpturen von ihrem vulkanischen Ursprung. Sie lassen uns ahnen, welche Gefühle die ersten keltischen Siedler und Wikinger bewegte, als sie im Jahr 874 an der isländischen Küste landeten.

Und wie die ersten Wikinger erreichen wir Island im Südosten und lassen das rauhe Meer hinter uns und mit ihm die eisigen Winde und Sturmböen, die uns seit den Färoerinseln verfolgt haben. Ruhig gleitet das Schiff in den Hafen von Seydifordur, zwischen zwei Hügeln, die auch jetzt noch mit Schnee bedeckt sind. Niemand kann das Wetter in Island voraussagen. Die kalten Luftmassen aus der Arktis treffen unablässig auf die feucht-warmen Massen, die aus den Tropen kommen, kaltes Schmelzwasser aus dem Norden trifft hier den Golfstrom. Nur eines kann man mit Sicherheit über das isländische Wetter sagen: Es ändert sich! Ein optimistischer Reisegefährte und Islandkenner meinte: "Wenn Ihnen das Wetter nicht zusagt, warten Sie ruhig noch ein kleines Weilchen ..."

Dennoch sei jedem, der es den Wikingern nachmachen will, geraten: Reise nie allein! Die Stürme verschonen hier niemanden, Pannen sind selbst bei den gut ausgerüsteten Geländewagen, die man auf Island mieten kann, an der Tagesordnung. Kein Einheimischer, der aus dem Haus geht, ohne nicht wenigstens eine Menschenseele davon in Kenntnis zu setzen, vor allem nicht im Winter. Die entfesselten Naturgewalten, die plötzlichen vulkanischen Eruptionen, die todbringend sein können, haben die Isländer fest zusammengeschweißt, so verschlossen und unnahbar sie nach außen auch erscheinen mögen.

Wie der Name bereits verrät, heißt Island etwa soviel wie "Eisland". Die Insel liegt am Polarkreis im Nordatlantik und erstreckt sich über eine Fläche von 103 000 qkm, eine Fläche, die so groß ist wie die Schweiz und Österreich zusammen. Abgesehen von Großbritannien ist sie damit die größte Insel Europas. Mit seinen rund 230.000 Einwohnern ist Island jedoch auch das am dünnsten besiedelte Land Europas. Fast die Hälfte der Bevölkerung lebt in der Hauptstadt Reykjavik, etwa 75.000 in Akurery, das Landesinnere ist nahezu menschenleer. Die Landschaft wird geprägt von Gletschern und Vulkanen, von Geysiren, von baumlosen unendlich scheinenden Landschaften mit Lava- und Geröllfeldern und von unberechenbaren, unschiffbaren Flüssen, die von Schmelzwässern gespeist werden und ständig ihr Flußbett und den Wasserstand wechseln. Diese einmalige Landschaft hat Island auch den Beinamen "Insel aus Feuer und Eis" eingebracht. Die wenigen Menschen, die außerhalb der großen Städte wohnen, leben auf abgelegenen, einsamen Gehöften. Da nur 1% der Gesamtfläche Islands landwirtschaftlich erschließbar ist, kann man sich vielleicht ein Bild von der Einsamkeit machen, in die wir uns auf der Suche nach dem Islandpferd begeben.

Unser Ziel ist das Hornafjördur-Pferd, die großwüchsigste Islandpferderasse, die ausschließlich von den Pferden der alten Wikinger abstammen soll, da die Pferde der Kelten, die ebenfalls einen Teil der isländischen Ahnen ausmachen, in dieser unwirtlichen Region im Südosten Islands nicht überleben konnten.


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Als im 9. Jahrhundert norwegische Bauern ihre Höfe verließen und mit ihren Drachenbooten auf der Suche nach neuem Land in See stachen, kannte man auf Island noch keine Haustiere. Die Bewohner lebten von den Früchten des Meeres und wußten nichts von Zucht und Auslese. Ingolfur Arnason und seine Mannen steuerten die Insel Island an. Sie hatten Norwegen verlassen, um der Herrschaft des Königs Harald Schönhaar zu entgehen. Neben Vieh und Hausrat hatten die Wikinger auch ihre Pferde mit in die neue Heimat genommen, die dem Typ des Germanenponys entsprachen, zähe, kurzbeinige Gesellen mit großem schweren Schädel, die in ihrer Ursprünglichkeit an eiszeitliche Felsmalereien erinnerten. Kurzum: ein typisches nordisches Robustpony, genügsam und überaus belastbar.

Daß das heutige Islandpony jedoch so wenig dem Fjordpony gleicht, mit dem es offensichtlich die gleichen Wurzeln teilt, erklärt sich leicht. Schon die neuen norwegischen Siedler ersetzten ihre Ausfälle an Sklaven und Pferden bei Zwischenlandungen in Nordschottland. Auf diese Weise gelangten auch einige wenige Exemplare des dortigen Keltenponys nach Island. Man darf auch nicht vergessen, daß im Mittelalter unter allen nordischen Inseln Völkerverschiebungen und Handelsbeziehungen stattfanden. Der heutige Isländer ist somit eine alte Mischung der Ponys aus Norwegen, von den Hebriden und auch aus Irland. Der Zusammenschluß all dieser Rassen hat ihn hervorgebracht, und doch stammen sie alle vom gleichen prähistorischen Pferd ab, welches Zentral- und Nordeuropa bevölkerte.

Die Nachfahren der Keltenponys konnten allerdings aufgrund der hohen Luftfeuchtigkeit nur auf der nördlichen Inselhälfte existieren, so daß man im Norden Islands heute eine kleinwüchsige, temperamentvolle Bergrasse herausgebildet hat, während im Südosten in der Gegend um den Hornafjördur nur die größten, stärksten, härtesten und ausdauerndsten Tiere herangezogen wurden, die nicht nur in diesen bewundernswerten Eigenarten dem Gemüt ihrer Züchter zu gleichen scheinen.

Dank den Sagas, großen, festlichen Zusammenkünften die einmal im Jahr auf Island stattfinden, werden viele Geschichten und Traditionen von Generation zu Generation Überliefert. Das Pferd galt als heiliges Tier, und man trug Talismane mit seinem Abbild. Das Pferd galt als Fruchtbarkeitssymbol und Sinnbild der Dichtkunst. In der neuen Heimat wurde es erneut zum Würdezeichen der Anführer und zum Machtsymbol. Niemand durfte das heilige Tier berühren - darauf stand die Todesstrafe -, und die getreuen Vierbeiner folgten ihren Besitzern sogar ins Grab.

Der Kult um das Pferd versteht sich angesichts der Lebensbedingungen, die die Wikinger auf Island vorfanden: Wo mehr, als in diesem unwirtlichen, rauhen Land, waren Tier und Mensch so aufeinander angewiesen? Das Pferd stellte in dem endlos-leeren Lebensraum die einzige Transportmöglichkeit dar, zum Reisen wie für den Besuch der großen Feste. Ob man die Schafe umtreiben mußte oder sein Kind taufen ließ oder einen Handel in der Stadt abzuschließen gedachte - nichts ging ohne das Islandpferd, das dem Isländer seit mehr als tausend Jahren als Last- und Reitpony dient.

Das Leben des Isländers wurde deshalb durch sein Pferd bestimmt. Und so wundert es einen auch nicht, wenn man in der isländischen Sprache Schiffe als "Meerrosse" bezeichnet, und noch heute das Verb "fara" nicht nur gehen und fahren, sondern auch reiten bedeutet. Die soziale Verflochtenheit und Identifikation der Menschen mit ihren Pferden, zeigte sich auch darin, daß Streitigkeiten, die anderweitig nicht geregelt werden konnten, durch Pferderennen und Hengstkämpfe entschieden wurden. Vor allem bei den Hengstkämpfen und Rennen führte die Identifizierung mit den Kampfhengsten oder Rennpferden zuweilen auch zu tatkräftigen Auseinandersetzungen unter den Zuschauern. 1592 wurden die oft recht grausamen Hengstkämpfe durch eine Synode des Klerus verboten. Der letzte schriftlich belegte Hengstkampf in Island fand 1623 statt.

Seit Jahrhunderten ist kein anderes Pony mehr nach Island gekommen. 930 n.Chr. wurde das Althing als gesetzgebende und gerichtliche Körperschaft gegründet und schloß damit die erste Siedlungsperiode Islands ab. Das Althing ist die älteste bekannte gesetzgebende Versammlung. Sie wurde jährlich in einer zweiwöchigen Sitzungsperiode in Thingvellir an der Öxará abgehalten. Auf den Treffen wurden wichtige Gesetze erlassen und die künftige Politik des Landes bestimmt. Daneben feierte man aber auch ausgiebig. Das Rahmenprogramm bestand seit seiner Gründung in Pferdekämpfen, Pferdemärkten, Pferdeschauen, Spielen und jeder Form von Unterhaltung.

Auf so einem Althing, etwa um das Jahr 950 herum, wurde das Einfuhrverbot für Pferde erlassen, das heute noch uneingeschränkt gültig ist und dem die alte Islandpferderasse viel zu verdanken hat. Ein Pferd, das einmal die Insel verlassen hat, darf nie und unter keinen Umständen zurückkehren. Die Leute hatten offenbar damals schon die Gefahren erkannt, die eine regelmäßige Kreuzung mit fremden Rassen mit sich bringen können. So sind die meisten im rauhen isländischen Klima nicht mehr überlebensfähig. Man nimmt allerdings an, daß dieses Verbot etwa bis zum Jahr 1100 hin und wieder gebrochen wurde. Seit nahezu 900 Jahren wird das Islandpferd also rein gezüchtet (Isolationszucht) und ist damit die älteste und vielleicht die einzige wirkliche Reinzuchtrasse der Erde.

Auf diese Weise blieb der urtümliche Pferdetypus unverändert: Der heutige Isländer - und hier allen voran das Hornafjördur-Pferd - ist das gleiche Wikingerpony, welches Hengist und Horsa bei ihrer Invasion nach England begleitet haben:

Bei einem Stockmaß von ca. 128 bis 142 cm ist der Isländer im Grunde ein typisches Quadratpferd. Das heißt, ein relativ kurzer, kräftiger Rücken mit abfallender, ebenfalls kräftiger Kruppe wird von einem stämmigen, kompakten, rundrippigen Körper getragen. Alles an ihm scheint stabil: die auch bei den größten Isländern relativ kurzen Beine, die starken Gelenke und Knochen, die in der Regel harten und gut geformten Hufe; ein breiter, keilförmiger und etwas schwerer Kopf mit kurzen Mauseohren, der sich jeder Unbill trotzig entgegenstellt und der kurze mächtige Hals. Vor der Witterung schützt ihn das ganzjährig dichte und feste Deckhaar, wobei das Winterfell auffallend lang und geradezu bärenhaft wirkt. Isländer gibt es in allen Farben und Farbnuancen, auch kommen Schecken in allen Variationen vor.


Das Hornafjördur-Pferd - Wikinger seit 1000 Jahren

Im südöstlichen Teil Islands ragt der Vatnajökull auf, der größte Gletscher Europas. Zwischen seinen gewaltigen Eisrändern und den Wogen des Atlantik liegt der abgeschiedenste Teil der ohnehin spärlich besiedelten Insel. Es ist die Gegend um Hornafjördur; sie besteht fast ausschließlich aus Gletscherhängen, schroffen Küstenfelsen und Geröllfeldern. Im dem blauen Wasser eines Sees spiegelt sich ein halb abgebrochener Krater, das Rauschen eines Baches zeugt von der Gewalt des Schmelzwassers, aus dem auch dieser See einmal gespeist wurde. Ein wildes Pony trinkt hastig ein paar Schlucke, bevor es seinen unterbrochenen Tölt wieder aufnimmt. Wir reiten weiter an den ewigen Gletschern entlang, wo das Firneis in großen Flächen in die Bäche und Flüsse kracht und wo kleine Eisberge geboren werden, die auf dem Wasser majestätisch dem Meer entgegentreiben.

In letzter Zeit hat sich diese Welt der Gegensätze dem Tourismus geöffnet. Einige Bauern organisieren mit ihren Ponys Wanderritte. Sie führen von Unterstand zu Unterstand, rund um Vulkane, deren letzter Ausbruch weniger als drei Jahre zurückliegt.

Der Eindruck, den diese Gegend übermittelt, ist in seiner schroffen und gefährlichen Schönheit überwältigend: Zahllose, ständig ihr Bett wechselnde Gletscherflüsse spalten sie in eine Unmenge schmaler Landzungen auf, zwischen denen sich Treibsand sammelt. Wir überqueren Basaltfelsen mit entstellten Formen, senkrecht wie ein Labyrinth. Einmal gab es hier grünes Weideland, bevor eine dicke schwarze Lavaschicht alles überströmte und jedes Leben tötete. Hier auf eigene Faust loszuziehen, wäre unverantwortlich. Die einheimischen Bauern, die uns an diesem Naturereignis teilhaben lassen, lernt man angesichts der harten Umweltbedingungen, gegen die sie schon jahrhundertelang kämpfen, kennen und verstehen. Ein Menschenschlag, der die vulkanischen Ausbrüche des Batnajökull überstanden hat, der seine Häuser unter Asche und Eis verschwinden sah, und viele, oftmals noch junge Männer beim Fischfang in den offenen Booten auf dem Ozean verloren hat, muß stark, hart, mutig und nicht selten auch rücksichtslos gegeneinander und gegen seine Tiere sein, um zu überleben. Doch hinter der rauhen und zugeknöpften Art versteckt sich eine gemütvolle und traditionsgebundene Heimatliebe, eine seltene Mischung aus Seefahrer, Landmann und Bergbewohner, der die Natur ebenso liebt, wie sie sich zu unterwerfen sucht.

Diese Menschen schufen auch die härtesten und größten Islandpferde, weithin bekannt wegen ihrer Stärke und extremen Ausdauer, die aber auch starke, unerschrockene Reiter brauchen, wie die Menschen dieses Landstrichs selbst. Hornafjördurpferde, so der unaussprechliche Name, zeichnen sich im Vergleich mit anderen isländischen Pferden durch scharf akzentuierte Bewegungen und große Schnelligkeit aus. Sie besitzen einen sehr flexiblen Rücken, rhythmische und - wie der Fachmann sagt - taktklare Gänge. Für den Züchter von Gangpferden oder den ehrgeizigen Reiter bei sportlichen Tölt- und Paßwettbewerben, sind sie somit erste Wahl. Dabei sind sie nüchterne Pferde: ausdauernd, klug, mutig, zuverlässig, stets bereit, das Letzte herzugeben, sehr gleichmäßig bei hoher Durchschnittsgeschwindigkeit. Kein anderer Pferdestamm Islands hat so viel und so gefährliche Strömungen zu durchqueren, so schlüpfrige Gletscher zu erklimmen, so tückische Treibsandwüsten hinter sich zu bringen, wie die prachtvollen Hornafjördurpferde.

Abends im Unterstand erzählen unsere Führer gefühlvolle Legenden über die Trittsicherheit und Treue dieses eigenartigen Pferdestamms; zahllos sind die Geschichten darüber, wie die Sleipnirs, Stjarnis, Odins ... oder wie immer sie heißen mögen, im dichtesten Nebel oder stärksten Schneetreiben einen Pfad wiederfanden, den sie erst einmal in ihrem Leben gegangen waren.

Auf der Weide sind diese Pferde allerdings keine Paradestücke. Schwerfällig wie träge Maultiere stehen sie abseits und zeigen sich sparsam in ihren Bewegungen. Scheinbar unbeteiligt lassen sie sich putzen und satteln und ohne Nervosität besteigen. Sitzt jedoch der Reiter erst im Sattel, sind sie plötzlich hellwach und entwickeln eine Entschlossenheit, die den Zaghaften das Fürchten lehrt, die von ihnen verlangte Arbeit in kürzester Zeit und mit so wenig Kraftaufwand wie möglich zu verrichten.

Als Reiter muß man beispielsweise darauf gefaßt sein, daß sie beim Springen über ein Hindernis keinen überflüssigen Zentimeter verschwenden, dabei jedoch unglaubliche Hindernisse bewältigen können. Wer dabei nicht das nötige Vertrauen mitbringt, dem kann das Herz bei einer solchen Aktion sonstwohin rutschen. Doch zur Beruhigung des Reiters den Sprung höher zu berechnen und ein paar Zentimeter zuzulegen, käme ihnen nicht in den Sinn. Und Widersinniges können sich die Bewohner im Hornafjördur-Land nicht leisten.

Noch heute leben sie im halbwilden Herdenverband Sommers wie Winters draußen. Da es in Island kein Getreide gibt, müssen sie mit reiner Weide- bzw. Heufütterung auskommen und trotzdem unter dem Reiter Leistung bringen. Aus diesen Haltungsbedingungen ergeben sich die inneren Werte des Islandpferdes. Es ist widerstandsfähig und genügsam, robust, gesund und ausdauernd. Auch wenn das Hornafjördurpferd äußerst selbstbewußt und manchmal auch dominierend erscheint, kann man sich dennoch seiner Großzügigkeit, Freundlichkeit, Zuverlässigkeit und Gutmütigkeit sicher sein. Alle Isländer gelten als sehr spätreif. Sie werden in der Regel erst fünfjährig angeritten, bleiben dann aber oft bis weit über das zwanzigste Lebensjahr hinaus als Arbeits-, Sport- oder Freizeitpferde voll einsatzfähig.


Der Viertakter

Man kann nichts über das Islandpferd erzählen, ohne etwas über seine besonderen Gangarten zu sagen, die es in aller Welt berühmt gemacht hat. Islandpferde verfügen nicht nur über die Gangarten Schritt, Trab und Galopp, sondern über zwei weitere: Tölt und Paß.

Der Tölt hat die gleiche Fußfolge wie der Schritt, also rechts hinten - rechts vorne - links hinten - links vorne, die man als klaren Viertakt entsprechend der jeweils auffußenden Hufe hören kann. Für den Bruchteil einer Sekunde ruht in dieser Gangart das gesamte Gewicht von Pferd und Reiter allein auf einem einzigen Bein. Dabei kann die Geschwindigkeit von einem gering gesteigerten Schrittempo bis zur Galoppgeschwindigkeit variieren. Jeder isländische Reiter träumt vom Viertakt »Tölt«, dem Charme und dem unbeschreiblich bequemen Gefühl dieser Gangart, in der man nahezu erschütterungsfrei im Sattel sitzen kann. Mit faszinierenden Bewegungen scheint das Islandpferd dabei über den Boden zu fliegen. So manchem Rückengeschädigten konnte das Islandpferd doch noch zu seinem Glück auf dem Pferderücken verhelfen, denn es gibt kaum eine erschütterungsträchtigere und rückenschädigendere Sportart als das gewöhnliche Reiten.

Beim Paß treten die Hufe der gleichen Seite nahezu gleichzeitig auf. Wie auch beim Trab gibt es eine Schwebephase, bevor die Gliedmaßen der anderen Seite auffußen. Der Fachmann nennt dies eine Gangart in der Lateralen. Diese Gangart ist nichts für Seekranke.

Der Paß wird eigentlich nur als Rennpaß geritten und ausgebildet. Ein langsamer Paß wie bei einem »Wüstenschiff« geschieht manchmal ungewollt und unvermittelt und wird als »Schweinchenpaß« bezeichnet. Der Rennpasser wird vom Galopp aus in den Paß »gelegt«. Die traditionelle Entfernung für Paßrennen beträgt 250 Meter, wovon die ersten 50 Meter im Galopp zurückgelegt werden. Es gehört viel Erfahrung dazu, ein Pferd in den Rennpaß zu legen. Dazu werden für Paßrennen vorzugsweise temperamentvolle, gehfreudige und oft auch heftige Pferde ausgesucht. Aber nicht jeder Isländer geht Rennpaß; man unterscheidet deshalb zwischen Viergängern (mit Tölt) und Fünfgängern (mit Tölt und Paß). Da die Übergänge zwischen Trab, Tölt und Paß fließend sind, gehört einige Erfahrung und gründliche Schulung durch anerkannte Lehrer dazu, einen Isländer gut zu reiten.

Island ist eines der letzten Länder Westeuropas, in welchem das Pony seinen ganzen Wert als Gebrauchstier bis heute bewahrt hat. Viehzüchter nutzen es heute noch, um die Schafherden zu bewachen und den Ausreißern aus den oft primitiven Weidezäunen nachzustellen. Viele Schafherden leben, wie die Pferde, halbwild auf den Bergwiesen. Einmal im Jahr werden sie in großen hölzernen Pferchen zusammengetrieben, wo jeder Eigentümer seine Widder und Lämmer nach der Weidezeit wiederfindet, eventuell kennzeichnet und gesundheitlich überprüft. Die »Sömmerung« dauert je nach Witterung von Juni bis September, und immer sind Islandpferde am Viehabtrieb beteiligt.

Von jeher war das Pferd auf Island nicht nur Arbeitstier auf dem Hof, es war auch Kamerad und Statussymbol. Bei der Wahl seiner Reittiere achtete ein Bauer sehr auf Qualität. Oft stand auch der Bäuerin ein besonderes »Frauenpferd« zu, bei dem sowohl auf einen guten Gang als auch auf Verläßlicheit und Charakter Wert gelegt wurde.


Düstere Zeiten in der Islandpferde-Geschichte

Wie in jeder Geschichte, gab es auch hier schwere Zeiten für das Islandpferd, ganz gleich, ob es aus dem schwermütigen Südosten oder dem heiteren Norden stammte.

1262 war die Zeit des isländischen Freistaates zu Ende. Die außergewöhnliche Insel im Polarmeer wurde zunächst bis 1380 von den Norwegern und dann von den Dänen regiert. Naturkatastrophen und Seuchen erschütterten den Inselstaat. Die dänische Regierung erwog sogar mehrfach eine Zwangsevakuierung der von Pest und Hungersnot geplagten Einwohner der unwirtlichen Insel. Und wie immer, wenn Menschen hungern, hatte dies auch hier, an der Kultstätte vergötterter und verherrlichter Pferde, verheerende Folgen für ihren Bestand.

1783 fand der größte Vulkanausbruch im Süden der Insel statt. Er verminderte den Pferdebestand Islands von 32.000 auf 8.500. Die Tiere starben dabei weniger durch direkte Vulkanwirkung, sondern vielmehr an der Asche, die ihre Weiden vergiftete. Wetterstürze, Schneestürme sowie Nebel taten das ihrige, um die Rasse weiter zu dezimieren.

Die demütigendeste Zeit für das "Wikingerpferd", das einst die Dichter beflügelt hatte, begann jedoch mit dem Beginn der Industrialisierung. Die stolzen und temperamentvollen Pferde mußten Karren ziehen und Eis für die Fischdampfer schleppen. Man brauchte sie zum Entladen der Schiffe, und schließlich wurden sie im 19. Jahrhundert selbst in dunkeln Schiffsladeräumen ins Ausland transportiert, wo sie, oft erblindet, unter Tage in den Minen Erz- und Kohlelasten zogen. Diese Erniedrigung teilten sie mit dem Shetlandpony, das zur gleichen Zeit ebenfalls in großen Mengen nach England gebracht wurde.

Der erste "Großexport" von Pferden aus Island fand nachweislich im Jahr 1851 nach England statt. Zwischen 1880 und 1920 blühte der Handel mit Arbeitstieren für die Kohlegruben der aufstrebenden Industrienation Großbritannien. Bis zu 3000 Pferde wurden im Jahr verschifft. Der Bestand an Islandpferden auf Island verringerte sich zunehmend.

Wegen ihrer kleinen Statur, ihrer Genügsamkeit und großen Kraft waren sie als Arbeitstiere sehr beliebt, wurden schlecht gepflegt und ausgebeutet. Die es leidlich besser getroffen hatten, zogen ländliche Gespanne, wie sie bei den reichen Bürgern und Händlern populär wurden, oder dienten den kleinen Straßenhändlern als Zugtiere. Da ihre Besitzer oftmals selbst kaum etwas zu essen hatten, brachte den für ihre Langlebigkeit bekannten Pferden das schlechte, ungeeignete Futter, die harte Arbeit und die ungewohnte Stallunterbringung in kloakeverseuchtem Streu oftmals Huffäule, schlimme Krankheiten, unbekannte Ekzeme und schließlich einen frühen und vielleicht gnädigen Tod.

Nach 1920 exportierte Island einige Tiere nach Grönland, wo sie zunächst als Transport- und später als Nahrungsmittel für Expeditionen dienten. Im Jahr 1946 erfolgte ein Großtransport von 1200 Pferden nach Polen. Sie wurden dort zur Blutauffrischung in der polnischen Kleinpferdezucht eingesetzt.

In den fünfziger Jahren erlangte das Buch "Dick und Dally und die Ponys" von Ursula Bruhns große Popularität. Die Geschichten wurden die Vorlage für die Immenhoffilme, in denen das erste Mal Islandpferde zu sehen waren. Gleichzeitig nahm in Island selbst aufgrund der auch dort einsetzenden Mechanisierung der Pferdebestand ständig ab. Tausende von Fohlen wurden geschlachtet, da man keine Verwendung mehr für sie hatte. Während man früher sämtliche Gänge zu Pferde erledigt hatte, wurde es nun auch auf Island schick, ein Auto zu besitzen. Zwar nahm man zur Sicherheit noch immer ein paar Handpferde mit, um das Automobil im Notfall aus Flüssen und Sumpflöchern herauszuziehen, doch schien nichts mehr von der einstigen Verehrung gegenüber dem Gefährten im Kampf gegenüber den Naturgewalten übriggeblieben zu sein. Bis auf wenige Ausnahmen standen die Isländer in dieser Zeit ihren Pferden und deren Qualitäten gleichgültig gegenüber.

Moden und Trends haben den Vorzug, vorüberzugehen, und die traditionsbewußten Isländer stehen im Ruf, sehr an Althergebrachtem festzuhalten. So kam es, daß sich plötzlich, als es nichts Besonderes mehr war, über ein motorisiertes Vehikel zu verfügen, der eine oder andere Isländer auf die glorreiche Vergangenheit besann. Dem Pferd kam wieder ein Ehrenplatz zu, das Reiten wurde zum Volkssport. Man gründete Vereine, führte Körungen und Stutenbeschauen ein, achtete auf fachgerechtes Zureiten und hielt sogenannte "Hestamót"s, Pferdetreffen, ab.

Inzwischen sind etwa 7.000 Reiter in Vereinen auf der Insel organisiert. Die Reiterveine Islands sind im "Nationalen Reitclub-Verband" zusammengeschlossen. Dieser Verband organisiert, zusammen mit der Landwirtschaftskammer Islands, alle vier und inzwischen alle zwei Jahre das weit über Island hinaus bekannte Landestreffen der Pferdezüchter und -reiter: das Landsmót, das 1950 an der historischen Thingstätte der Isländer in Thingvellir stattfand. Damit setzte sich die Tradition der isländischen Reiterspiele fort. Die Isländer haben sich ihrer wikingischen Wurzeln besonnen und ihrer tiefen Bindungen zum Islandpferd.

Trotz des arktischen Klimas lebt das Hornafjördur-Pferd - wie seine Brüder im gebirgigen Norden - während des ganzen Jahres halbwild in den vulkanischen Bergen der Insel und zieht wie ein Nomade auf der Futtersuche übers Land. Dieses Leben hat seine Robustheit geprägt, und ihm alle Instinkte freilebender Tiere, zum Beispiel seinen legendären Orientierungssinn, bewahrt. Es verfügt über die unvergleichliche Fähigkeit, selbst auf lavaartigem Gestein nicht zu ermüden, wenn es - Geheimnis der Natur - im Töltgang ohne weiteres 60 Kilometer mit 80 kg Gewicht auf seinem Rücken zurücklegt. Das jedoch nur, wenn der Mensch es - in aller Ehre - für seine Zwecke abberuft. Und wenn, wie so häufig in diesem wetterlaunigen Land, der jährliche Viehabtrieb von einem plötzlichen Temperatursturz oder Schneefall überrascht wird, verwandeln sich Bärte, Mähnen und Wolle der Schafe in eisige Gebilde und Pferde wie Menschen verwandeln sich in wilde, groteske Schneegeister - Wikinger, seit 1000 Jahren.

Erstveröffentlichung 9. August 1996

13. November 2007