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HIPPOS/11: Silver Brumby's Königreich - von Romantik keine Spur (SB)


Brumbies & Brumby-Runner

Ein Leben in der australischen Wildnis


Faszination Wildnis: Einsam, mit wehender Mähne galoppiert ein schwarzglänzender Hengst über die endlosen Weiten der Prärie. Die Sonne wirft changierende Lichter in sein seidiges Fell. Frei geboren verteidigt er seinen Harem gegen Menschen und Widersacher, rettet sanfte Stuten und niedliche Füllen aus tödlicher Gefahr ...

So in etwa stellen sich viele von uns das freie Wildpferdeleben in den letzten, vom Menschen verschonten, Wildreservaten vor, in den Prärien Nordamerikas etwa oder auch in den Steppen Australiens, wie die Leser-Fangemeinde, die von Elyne Mitchells Silver-Brumby Geschichten fasziniert wurde. Die Saga von Silver Brumby eroberte in den sechziger Jahren die Bücherschränke pferdebesessener Teenager und wurde darüber hinaus vor zwei Jahren neu verfilmt. Sie hat offensichtlich bis in die heutige Zeit hinein noch nichts von ihrer magischen Anziehungskraft eingebüßt. Die Geschichte des Silver Brumby und auch der Film entsprechen jedoch kaum der Realität dieser seltenen Wildpferderasse, die in einem schwer zugänglichen Gebiet im Nationalpark Kossciusko in den Snowy Mountains zu Hause ist. Man braucht schon zwei bis drei Tage und einen kundigen Führer, um in das Königreich von Silver Brumby vorzudringen. Es liegt am Fuße des Berges "The Pilot", den man wie viele andere Flußnamen, Berge und Plätze aus Elyne Mitchells Büchern kennt.

Ein ganzes Filmteam in die Heimat des Originals zu bringen, wäre ein Ding der Unmöglichkeit gewesen, daher entschied man sich von vornherein für eine Verlegung des Schauplatzes an einen Ort in Amerika, der dem Original äußerlich nicht einmal sehr nahe kommt. Doch nicht nur der Schauplatz ist eine "Not"lüge, auch die Abenteuer des populären Wildpferdes haben wenig mit dem harten Existenzkampf der Brumbies in Australien zu tun.

Zwar hat die Autorin viele Sommer- und einige Wintertage in diesem Gebiet verbracht, wovon die "Logbücher" in den alten Hütten noch heute Zeugnis ablegen. Um jedoch Wildpferde zu beobachten, braucht man heutzutage viel mehr Zeit und vor allem Geduld, die Tage der ursprünglichen Brumbys scheinen auch hier, wie bei allen Wildpferderassen der Welt, gezählt zu sein. Außerdem haben es die noch verbliebenen Brumbys gelernt, den Menschen zu fürchten und fliehen beim geringsten Geräusch. Wer früh aufsteht, ehe sich die ersten Morgennebel verzogen haben, der kann sich glücklich schätzen, wenn er eine friedlich grasende Herde antrifft.

Alte, halb zerfallene "corrals" erinnern noch an die Tage der Brumby-Runner, die seinerzeit Tiere aus den unerschöpflichen Herden einfingen, um sie als Gebrauchspferde zu zähmen und zu verkaufen. Es gab also durchaus einmal so viele von ihnen, daß ein verwegener Bursche von diesem Geschäft leben konnte. Kaum einer fängt heute noch ein Brumby, um es einzureiten. Bei ihrer berüchtigten Eigenwilligkeit und Dickfelligkeit ist das schwere Arbeit. Nur bei sehr jungen Pferden kann man Glück haben, und die "Dressur" gelingt. Dann allerdings hat man ein Pferd mit der Trittsicherheit einer Bergziege, ein begehrtes Arbeits- und Freizeitpferd für diese unwegsame Berglandschaft. Allein hierüber erzählt man sich heute noch unzählige Geschichten und Legenden. Doch zunächst einmal gilt es ein Jungpferd zu fangen, und dazu muß der Brumby-Runner überhaupt in der Lage sein, die Geschicklichkeit und Sicherheit des kleinen Wildpferdes zu überbieten, was natürlich nur mittels übler Tricks geschieht, in einem äußerst unfairen Wettbewerb, bei dem wieder einmal die Kreatur den kürzeren zieht. Nicht aus existenzieller Not oder um den eigenen Lebensunterhalt zu sichern, fängt man die Brumbys, sondern aus rein sportlichen Interessen.

Beim sogenannten "Brumby-running" wird heutzutage eine Brumby- Herde in halsbrecherischem Tempo querfeldein durch den australischen "Busch" gejagt. Bei diesem heimlichen "Sport" - denn Jagd auf Tiere ist in Nationalparks verboten - fängt man die Pferde mit dem Lasso, die "corrals" wären zu verräterisch. Gefangene Jungpferde werden unter Umständen mitgenommen, häßlicher ist jedoch, daß die Jäger auch hier nicht ohne eine Trophäe auskommen, die, wie könnte es anders sein, der Gefangene zu liefern hat.

Früher hatte dieser Brauch vielleicht noch Sinn. Die ursprünglichen Brumby-Runner schnitten den Brumbys, die man nicht als Reitpferd gebrauchen konnte, als Zeichen dafür, daß sie schon einmal gefangen worden waren, den Schweif unterhalb der Schweifrübe ab und behielt dieses Schweifbüschel als Siegestrophäe. Das war für das Pferd zwar nicht schmerzhaft, doch fehlte ihm dadurch ein wichtiger Teil, um lästige Fliegen zu verscheuchen, die auch in dieser Gegend zur Plage werden können. Da der Schweif wieder nachwächst, gingen jedoch einige zu einer Kennzeichnungsmethode über, die dauerhaft für das Tier jedoch äußerst schmerzhaft und entwürdigend war. Man schnitt ihm einfach eine Ohrspitze ab. Diese "Methode" wenden auch heute noch einige der sportlichen "Brumby"-Runner an. So ist es kein Wunder, daß man immer seltener auf eine vollzählige Brumby-Herde trifft, die sich aus gutem Grund im Hintergrund hält. Und nicht selten begegnet man Pferden, denen ein oder sogar beide Ohrenspitzen fehlen, letztere als Zeichen, daß sie nicht nur einmal, sondern sogar zweimal eingefangen wurden.

Wer also heute die entlegenen Täler der Snowies auf der Suche nach Wildpferden durchstreift, kann sich durchaus in die Romane von Elyne Mitchell, die Geschichten von Thowra, dem Silver Brumby, von Kunama, seiner Tochter, Wirramirra, seinem Sohn oder Baringa, seinem Enkel hineinversetzt fühlen. Wenngleich die Erzählungen das, was man heute über Pferde kennt, recht vermenschlicht darstellen, geben sie doch den Traum und die Romantik des freien Wildpferdelebens wieder, das jedem Wildpferd eigentlich zugestanden werden sollte. Die Realität sieht jedoch anders aus. Im Überlebenskampf gegen eine sterbende Natur, gleißende, ungefilterte Sonne, die die Nahrung verbrennt und die Wasserquellen versiegen läßt, und gegen den Menschen, der die Tiere in einem entwürdigenden Sport verfolgt, ist von der Romantik des Wildpferdelebens keine Spur. Die Saga von Silver Brumby bleibt letzter Zeuge einer Kindheit, in der man noch von Wildpferden träumen durfte, die mit wehenden Mähnen durch den australischen Busch galoppierten, von Leithengsten, die tapfer ihren Harem gegen Brumby-Runner und Widersacher verteidigten und von sanften Stuten und bildschönen Fohlen, die aus tödlicher Gefahr gerettet werden mußten ...

Erstveröffentlichung 1. Oktober 1996

13. November 2007