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HIPPOS/46: Galopprennen - Pferde bleiben auf der Strecke (SB)


Galopprennen - Pferde bleiben auf der Strecke

Nichts weiter als ein gutes Geschäft


Schon anhand einer Broschüre über den Galoppsport heute, die von dem großen Galopprennsport-Sponsor BMW unter Mitwirkung des Informationsdiensts des Direktoriums für Vollblutzucht und Rennen e.V. herausgegeben wurde, sieht man es ganz deutlich:

Ein und eine halbe Seite über die Pferde und eigentlichen Athleten stehen hier 32 Seiten über Wetten, Wettgeschäft und Sponsoring gegenüber. Das erklärt, warum das Pferd auch bei diesem Sport, den man bei oberflächlicher Betrachtung vielleicht noch "artgemäß" nennen könnte, auf der berühmten Galoppstrecke bleiben muß. Zwar locken auch die schönen, glänzend gepflegten Tiere und natürlich das gesellschaftliche Ereignis die vielen Besucher zu den Galopprennen, doch im Grunde geht es immer nur um money, money, money...

Es dreht sich allerdings auch um sehr viel Geld! Pferderennen und die Vollblutzucht sind weltweit ein wichtiger, oft unterschätzter Wirtschaftszweig. Wenn man bedenkt, daß allein in Deutschland über 7.000 Menschen in dieser Branche arbeiten (2.100 Rennpferdebesitzer, 1.165 Züchter, 450 Trainer/Besitzertrainer, 600 Rennreiter (Profis, Amateure, Auszubildende) und 3.000 Vollzeitbeschäftigte rund um die Rennbahnen), Wettumsätze von 200 Millionen Mark auch bei nachlassender Konjunktur immer noch die Regel sind und somit Millionen an Steuern anfallen, so ist der Vergleich des Rennbetriebs mit einem großen Wirtschaftsunternehmen durchaus angebracht (dabei sind kleinere Unternehmen, die am Rande des Wettgeschehens existieren wie Imbißbuden u.a. Catering, Hotel- oder Gastronomiezweige in dieser Rechnung gar nicht erfaßt). Allein in dem wirtschaftlich schwachen Jahr 1999, in dem viele Rennbahnen über Einbußen klagten, flossen 263 Millionen Mark nur durch die Wettkassen der Rennvereine und ermöglichten zusammen mit dem Sponsoring- und anderen Rennvereinseinnahmen (beispielsweise Eintrittsgelder, Lotterien, Gastronomie u.ä.). die Ausschüttung von 58 Millionen Mark in Form von Züchterprämien und Rennpreisen für die Ställe.

Die Rennbahnunternehmen werben allerdings damit, daß 75 Prozent des Gesamtumsatzes als Gewinn an die Wetter zurückgeht. Diese Gewinnausschüttung, die höher als in jedem anderen Gewinnspiel ist, macht letztlich die Attraktivität dieses Pferdesports aus. "Beim Wetten", so heißt es in der oben erwähnten Broschüre, "fühlen Sie sich nicht einfach wie jemand, der viel Geld gewinnen will, sondern so, als ob es um Ihr eigenes Pferd ginge." Das ist nur insofern richtig, als daß bei den meisten Menschen der Nervenkitzel erst dann einsetzt, wenn ihm ein Verlust bevorstehen könnte. Er fiebert mit jedem Galoppsatz, den das von ihm erwählte Pferd tut, mit. In jedem Fall macht ihn die Aussicht auf einen möglichen Gewinn aber auch unsensibel dafür, wie es dem Pferd eigentlich geht, das sich da auf der Rennbahn für ihn abstrampelt, ob sein Jockey es gut behandelt, schlägt oder ob es sich gar, wie schon im letzten Beitrag (zum Thema Trabrennen) erwähnt, um ein noch unausgewachsenes Fohlen handelt, dessen Knochen, Bänder und Sehnen durch diese Höchstleistung unter viel zu schweren Reitern so verschleißen, daß sein frühzeitiger Tod in das große Geschäft miteinberechnet wurde.

Bei dem brutalsten und von Tierschützern verzweifelt und erfolglos angeprangertem Pferderennen der Welt, dem "Grand National" in England, kommen oft nicht einmal die Hälfte der gestarteten Pferde ans Ziel, was den besonderen "Kick" dieses Rennens vor allem für Wettsüchtige ausmacht.

Eines ist natürlich auch klar, ohne das Publikum bzw. die Wetter gäbe es auch die Pferde nicht. Denn diese Sportart kann nur mit hochgezüchteten Vollblutpferden betrieben werden, eine ausgesprochen anspruchsvolle Zucht, die ohne Rennbetrieb und potentielle Preisgelder reiner Luxus wäre.

Die Bezeichnung "Vollblut" gilt nur für zwei Pferderassen - für das arabische und das englische Vollblut. Die Zucht des englischen Vollbluts wurde aber ebenfalls durch arabische Pferde geprägt. Man hatte schon im Jahr 1121 Pferde orientalischen Ursprungs nach Schottland eingeführt.

Die Rasse Vollblut entstand nachweislich in England aus Kreuzungen von Stuten der Landrasse (Galloway) mit edlen orientalischen Hengsten (Berber, Araber, Türken) mit dem Ziel, schnelle und ausdauernde Pferde zu züchten. Nach Angaben des Engländers J. Osborne geschah dies bereits um 1200.

Nachweislich wurden zu Beginn des 14. Jahrhunderts in Newmarket, ca. 100 km nördlich von London, die ersten Rennen durchgeführt. Als offizielle Geburtsstunde der Vollblutzucht muß man die 1793 in England erfolgte Herausgabe des ersten Gestütbuches (General Stud Book) ansehen. Dazu wurden 1791 in einer Art Vorbuch alle um diese Zeit verwendeten heimischen und eingeführten Stuten und Hengste zusammengefaßt. Auf dieses erste Gestütbuch sind alle Vollblüter nunmehr über mehr als 30 Generationen hinweg lückenlos zurückzuführen. Alle Züchter, die etwas auf sich halten, führen ihre Pferde auf die drei legendären arabischen Stammväter Byerly Turk, Darley Arabian und Godolphin Barb zurück, die um 1700 nach England eingeführt wurden und heute unter den Vorfahren von mindestens 80 Prozent aller Vollblüter der Welt zu finden sind. Das Ausleseverfahren für die angestrebte Härte, Schnelligkeit, Ausdauer und die Charaktere dieser Vollblüter sind schließlich die berühmten Zucht-Rennen. Und damit schließt sich der Kreis der Sinnlosigkeiten oder der Circulus vitiosus im Galoppsport, denn die Rennen finanzieren die Zucht, aus der dann u.a. das Pferdematerial hervorgeht, das dabei wiederum nur verschlissen wird. Nur den besten Vollblütern ist ein Überleben als Zuchttier, Samenspender oder Geburtsmaschine vergönnt.

Doch wer sind die besten?

Wer die Rasse kennt, ihre grundsätzlich offene und bei ruhiger Behandlung absolut unkomplizierte Art, und weiß, daß dieses Pferd unter Leistungsdruck bereit ist, alles zu geben und bis zur totalen Erschöpfung zu laufen, der kann nicht verstehen, daß es nicht auch andere Möglichkeiten gibt, an diesem Tier mit seinen hervorragenden sportlichen Anlagen Freude zu haben, als es bis aufs Blut auszubeuten, um die schnellsten und ausdauerndsten Vertreter herauszufiltern.

Der Galopp gehört immerhin zu einer Grundgangart des Pferdes, wenn es sich dabei auch um das Fluchttempo handelt, das erst bei drohender Gefahr und in Streßsituationen eingeschlagen wird. Da es sich bei Vollblutpferden um die herausgezüchteten Athleten der Gattung Pferd handelt, vergleichbar mit einem Leistungssportler der gerne läuft, wäre grundsätzlich an einer vernünftigen athletischen Ausbildung unter allmählicher Kräftigung der Beine, Knochen und Sehnen nichts einzuwenden, solange es das Pferd gerne und freiwillig tut.

Bedenklich wird es jedoch, wenn die leicht in Panik zu versetzenden, nervigen Vollblüter (auch diese "nützliche" Charaktereigenschaft wird nämlich züchterisch verfolgt) bei Rennen zu Leistungen getrieben werden, die gesundheitliche Schäden zur Folge haben. Für das Ergebnis ist letztlich gleich, ob das Pferd aus Spaß an der eigenen Geschwindigkeit oder aus Todesangst so schnell gelaufen ist, und den Züchtern, Pferdebesitzern, Jockeys und Wettern ist das auch egal. Das heißt jedoch auch für das Ausleseverfahren Zuchtrennen, daß hierbei nicht unbedingt die besten Athleten, sondern gleichzeitig auch die nervenschwächsten, anpassungsfähigsten und am leichtesten zu beeindruckenden Tiere ausgewählt werden.

Geradezu unverantwortlich ist auch hier die Praxis, daß Rennen schon mit zweijährigen Fohlen durchgeführt werden, die bereits als Jährlinge mit dem Training beginnen müssen. Wir haben hier dasselbe Problem wie bei den Trabrennpferden, die ebenfalls im "Kindesalter" gezwungen werden, Hochleistungssport zu trainieren, obwohl es für ein Fohlen schwere Folgen hat, einen Reiter auf dem nicht vollständig ausgewachsenen Rücken zu balancieren. Rennpferde haben darüber hinaus aus organisatorischen Gründen alle am 1. Januar Geburtstag, d.h. ein Fohlen das erst spät im Sommer geboren wurde und in Wirklichkeit erst ein halbes oder ein dreiviertel Jahr alt ist, muß nach dieser Regelung mit allen frühgeborenen Einjährigen das Training beginnen und gilt dann gleichfalls mit eineinhalb Jahren schon als zweijährig und reif für das erste Zuchtrennen. Vollblüter gelten praktischerweise als frühreife Pferde, doch der Abschluß des Knorpelwachstums dauert auch bei diesen Pferden so lange wie bei jedem anderen.

Welche schlimmen Auswirkungen und frühzeitigen Verschleißerscheinungen das für den Bewegungsapparat und die Organe der Tiere haben muß, kann wohl jeder nachvollziehen.

Zwar wurde bis heute das System an Leistungsprüfungen vermeintlich immer weiter verfeinert und ausgeklügelt, doch wer glaubt, daß die Bedingungen für die Pferde dadurch besser oder bewältigbarer geworden wären, der irrt.

Auch ein Sieger hat es schwer

Im 17. Jahrhundert betrugen die Renndistanzen 6.000 bis 9.500 Meter und die Reitergewichte zwischen 50 und 76 Kilogramm, doch um unter diesen Anforderungen nicht spektakulär auf der Strecke zu bleiben, mußten die Tiere auch entsprechend vernünftig und - wie jeder Langstreckenläufer - auf die erforderliche Kondition trainiert worden sein. Heutzutage ist die Anforderung scheinbar geringer, die meisten Rennen werden auf flacher Bahn über Distanzen von 1.000 und 2.800 Metern gelaufen. Die Jockeys sind zwar etwas leichter als früher, doch nur in wenigen Rennen (u.a. dem Derby) starten alle Pferde unter dem gleichen Reitergewicht (einschließlich Kleidung und Sattel). Um das Rennen für die Zuschauer spannender zu gestalten, wurde nämlich, um Chancengleichheit herzustellen, für die Favoriten, d.h. Gewinner früherer Rennen, der sogenannte Ausgleich oder das Handicap geschaffen, d.h. wer siegt - ganz gleich wie belastbar das Tier gebaut ist, dem werden weitere Bleigewichte (unter den Sattel) geladen. Die Einhaltung dieses vorgeschriebenen Gewichts wird vor und nach dem Rennen kontrolliert, indem man die Jockeys mit ihrer ganzen Ausrüstung wiegt.

Als man vor 300 Jahren mit den Zuchtrennen begann, waren die Anforderungen zwar so groß, daß sie ein erst kurz eintrainierter Zweijähriger heute wohl kaum noch überstehen könnte, doch wurden die Tiere mit einem Gewicht belastet, an das sie gewöhnt waren, und die Pferde waren seinerzeit mindestens sechs Jahre alt oder älter.

Auf Sicht gesehen - und wenn es denn überhaupt sein muß - wäre eine Besinnung auf die alten Traditionen (selbst von der finanziellen Seite her betrachtet) befriedigender, denn wie viele junge vielversprechende Talente bleiben schon früh durch Verletzungen und Abnutzungserscheinungen auf der Strecke und werden als Pferdefleisch entsorgt. Und wenn sich ein begeisterter Wetter, der sich kurze Zeit als Pferdebesitzer fühlen darf und vorgibt, den Sport und die Tiere zu lieben, von der Faszination der hinstürmenden Pferde mitreißen läßt, dann sollte ihm doch etwas daran liegen, daß dies mit Tieren geschieht, die ebenfalls Freude am Sport haben und denen es gut geht.

Erstveröffentlichung 18. April 2001

13. März 2007