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HIPPOS/71: Fliegengitter für die Weide (SB)


Auch artgerechte Haltung ist nicht immer angenehm

Fliegen und Bremsen werden immer aggressiver


Ein wolkenloser, sonnenbeschienenen Tag, die Mähne freiflatternd im Wind, Hufe, die im Galopp über das Weideland trommeln, Nüstern, die tief in das satte weiche Gras tauchen, das ist für viele Pferdefreunde der Inbegriff des Pferdehimmels. Doch die Vorstellung vom sorglosen artgerechten Pferdeleben ohne einschränkende Mauern oder Stallwände, mit der Pferdebesitzer ihre Tiere ganzjährig auf die Weide schicken, um es ihnen ganz besonders schön zu machen, berücksichtigt oft nicht, daß die Sonne inzwischen auch in unseren Breiten oft unbarmherzig brennt, daß auch Pferdehaut, selbst unter dem Fell, ohne schattenspendende Bäume oder Unterschlupf, Sonnenbrand bekommen kann und daß auch andere Gefahren lauern, denen das domestizierte Pferd nicht mehr gewachsen ist, weil sie sich im Laufe der Jahre fast sprichwörtlich zugespitzt haben. Sie surren und summen dicht über der Grasnarbe, haben weiche, winzige Flügel, aber vor allem haben sie viele spitze Stechrüssel.

Ich spreche von Insekten - hauptsächlich sind es Stechfliegen und Bremsen. Im Tiefflug nehmen sie Kurs auf ihre Opfer, dicht über dem Boden sausen sie über Felder, erst kurz vor dem Ziel gewinnen sie an Höhe und greifen an. Jeden Sommer werden sie zur Plage - vor allem für Pferde. Das piekt und sticht vor allem an Stellen, die die Tiere nicht erreichen können, wie Kopf, Beine und Bauch. Selbst harmlose Stuben- oder Schmeißfliegen sondieren nicht erst - wie früher - das Gelände, sondern speien gleich ätzende Verdauungssäfte aus, die auf der Haut brennen. Während Menschen meist nur genervt sind von den stechenden Insekten, sind sie für die Vierbeiner eine gesundheitliche Gefahr.

Wenn die Pferde dann heftig mit den Köpfen nicken, und mit den Schweifen schlagen, oder panisch über die Weiden galoppieren, halten das unwissende Spaziergänger oft noch für einen Ausdruck von Temperament. "Schau mal Mutti," heißt es dann, "wie sich das Pferd freut, es wedelt mit dem Schwanz und tollt herum." Manch einer, der entdeckt, daß sich die Tiere dabei gegen Insekten zur Wehr setzen, findet auch das nur "ganz natürlich" oder sogar lustig.

Dabei sind die Tiere, die sich so verhalten, oft schon völlig verzweifelt. Wenn sie in wilder Panik über die Weide brettern, oder sich auf dem Boden wälzen, können sie sich zudem verletzten. Manche brechen sogar durch Zäune, um der Plage zu entkommen, oder schaben so intensiv die juckenden Stellen an den Pfosten, bis die Verankerung nachgibt. Das dies eine große Gefahr für Haut und Knochen der gesamten Weidegemeinschaft bedeutet, steht außer Frage. Es gibt daher inzwischen Pferdehalter, die ihre Tiere nur noch nachts weiden lassen. Aber selbst das ist kaum ein Schutz vor den Blutsaugern, wie man weiß.

Die Insekten sind jedoch nicht nur in den letzten Jahren angriffslustiger bzw. aggressiver geworden, sie tragen auch häufiger Krankheitserreger als früher. So steigt das Infektionsrisiko der Pferde, wenn sie gestochen werden.

Die Weidestechfliege verursacht Hautbluten und Blutverlust, die schmerzhaften Stiche der Bremsen lösen Quaddeln in der Haut aus. Nach massiven Attacken durch Kriebelmücken kann es sogar zu allergischen Überreaktionen kommen, die Veterinärmediziner sprechen dann von einem "anaphylaktischen Schock". Noch schlimmer setzt den Pferden die Magenbremse zu. Diese klebt ihre Eier an die Haare der Pferde, besonders in der Nähe der Vorderbeine. Die Pferde lecken an den Eiern, daraufhin schlüpfen Larven, die über die Zunge in die Mundhöhle des Pferdes und dann weiter in den Magen wandern, wo sie sich an die Magenwand heften. Dort verursachen sie Geschwüre. Die Pferde leiden in der Folge an Verdauungsstörungen und Abmagerung.

Bisher gibt es für Pferdehalter nur zwei Wege, ihre Tiere zu schützen: Entweder sie verhüllen die Pferde mit Decken und Kopfmasken oder sie benutzen Schutzmittel und Lotionen, mit denen sie die Vierbeiner einsprühen und einreiben. Doch während die Verhüllungsstrategie für die geplagten Tiere eine weitere Qual darstellt, ist die Wirksamkeit der chemischen oder pharmazeutischen Mittel nur auf wenige Stunden begrenzt.

Wie nun der Informationsdienst Wissenschaft dieser Tage verlautbaren ließ haben Wissenschaftler vom Institut für Parasitologie und Tropenveterinärmedizin der Freien Universität Berlin jetzt ein Verfahren entwickelt, wie Pferde wesentlich effektiver geschützt werden können: Sie zäunen die Koppel mit einer Art Moskitonetz ein.

So ein Fliegengitter für die Weide mag sich für manchen vielleicht recht absurd anhören, dabei ist das Prinzip ganz einfach, wörtlich hieß es in der Pressemitteilung:

Die Insekten fliegen auf der Höhe der Wirtstiere", sagt Privatdozent Dr. Peter-Henning Clausen, "höchstens einen Meter über dem Boden". Für die Jagd sei das die optimale Flughöhe, von weiter oben könnten die Insekten ihre Opfer nicht so gut riechen und erkennen. Es reicht also, das Netz in einer Höhe von bis zu einem Meter aufzuspannen. Wichtig: Das Hindernis muss so fein sein, dass es für Insekten unsichtbar ist. "Das Insektenauge kann das schwarze, feinmaschige Netz nicht wahrnehmen, so dass die Fliegen und Bremsen auf der Suche nach ihren Wirten früher oder später dagegen fliegen", sagt der Veterinärmediziner. Damit die Insekten nicht weiterfliegen können, werden die Netze mit einem Insektizid behandelt - Bremsen und Fliegen sterben selbst nach kurzem Kontakt innerhalb von fünf Minuten.
(idw, 10. Juli 2006)

Für die rund eine Million Pferde in Deutschland könnte das eine enorme Erleichterung bedeuten.

Gegenüber den sogenannten Repellents (Einreibemitteln, die Insekten vertreiben) haben diese Fangnetze aber noch weitere Vorteile: Die Insektizide sind nach Aussage von Dr. Burkhard Bauer vom Institut für Parasitologie und Tropenveterinärmedizin der Freien Universität Berlin mehrere Monate lang wirksam, also wesentlich effizienter als alle bisher praktizierten Methoden. Darüber hinaus kommen die Tiere jedoch nicht ständig mit der toxischen Chemie in Kontakt. Insektenschutzmittel wie auch Insektenvertildungsmittel greifen Pferdenerven an.

Das Aufstellen der Fangzäune schafft dagegen tatsächlich eine Atmosphäre, in der Pferd sich wohl fühlen kann, wenn denn auch noch für ausreichend schattenspendende Bäume gesorgt ist, an denen gefahrlos geschubbert und gerubbelt werden darf.

Erstveröffentlichung 11. Juli 2006

15. Oktober 2007