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HIPPOS/77: Ohne Herde ist Schlaf für Pferde Streß (SB)


Schlafen Pferde eigentlich?

Keine Liegepause für einsame oder alte Weidenbewohner


Ein einzelnes Pferd auf der Weide ist Tierquälerei

Schleswig-Holstein gilt allgemein als Pferdeland. Wenn ich jedoch an den satten, grünen oder auch mageren Weidegründen vorbeifahre, in die sich bald hier, bald da mal eine Pferdenase gräbt, dann füllt sich mein Herz mit Traurigkeit. Wohin ich auch schaue, sehe ich größtenteils einsame, vereinzelte Pferde und Ponys, denen auf großzügigen Freilandflächen und in gemütlichen Offenställen nur eines fehlt, ein wenig Gesellschaft. Und die ist für sie geradezu lebensnotwendig.

Artgerechte Haltung ist gerade unter Pferdefreunden und Freizeitpferdehaltern ein ebenso häufig verwendetes wie falsch verstandenes Schlagwort. Denn statt mit einer eigenen, billig erworbenen oder gepachteten Weide wären manche Pferde mit der Unterbringung in einer Reitschule oder Pension besser bedient. Nur in einer Stall- oder Weidengemeinschaft können Herdentiere wirklich entspannen. Alleinsein bedeutet für sie unsäglicher Streß.

So kann sich beispielsweise ein einzeln gehaltenes Pferd nicht zum Schlafen niederlegen. In der freien Wildbahn wechseln sich die Tiere in den Ruhephasen, die im übrigen auch tagsüber stattfinden, so ab, daß immer eines von ihnen gewissermaßen Wache hält. Bleibt ein Pferd allein, hat es aber niemanden für die Wachablösung.

Nun gibt es Zeitgenossen, die behaupten tatsächlich, erwachsene Pferde würden ohnehin nie richtig schlafen. Sie denken dabei wahrscheinlich nur an ihr eigenes, vereinzelt gehaltenes Tier, das sie vermutlich niemals schlafend angetroffen haben.

Tatsächlich schlafen auch wildlebende Pferde nur sehr selten im Liegen, sie ruhen oder dösen gewöhnlich im Stehen, was auch völlig ausreicht, wenn sie sich dabei richtig entspannen können.

Manche Pferdekenner glauben, dies hätte mit einer ständig vorhandenen Fluchtbereitschaft der Equiden zu tun. Doch wer Pferde als reine, hochspezialisierte Fluchttiere betrachtet, unterschätzt ihre Wehrhaftigkeit. Zumindest von Wildpferden ist durchaus bekannt, daß sie sich zunächst mit Hufen und Zähnen gegen angreifende Raubtiere zur Wehr setzen, und nur im äußersten Notfall die Flucht ergreifen.

Nicht umsonst heißt es im Nibelungenlied von Siegfried "er schlug der Ure viere und den grimmigen Schelch", womit ein wohl durchaus schlagkräftiger Wildhengst gemeint war. Das Wort Schelch finden wir übrigens heute noch in dem für Deckhengste verwendeten Ausdruck Beschäler wieder.

Auch bei dem gemeinen, domestizierten Pferd ist eine gesunde Grundaggressivität festzustellen. Hauspferde dominieren beispielsweise gerne Rinder, die sie nach Belieben durch Bisse und Schläge herumzutreiben vermögen und die deshalb normalerweise einen respektvollen Abstand wahren.

Abgesehen davon kann wohl jeder Pferdeliebhaber mit ein paar Beispielen aufwarten, in denen er seinen lammfrommen Schützling am liebsten weggeben hätte, denn der einst grimmige Schelch steckt auch noch in dem freundlichsten Wallach.

Diese Wehrhaftigkeit widerspricht sich nicht mit einer Art angeborenem Gefahrenbewußtsein, das noch heute jedes domestizierte Pferd wachsam sein läßt. Die Gefahr, von einem Feind in der ungeschützten Schlafposition überrascht zu werden, wäre letztlich immer noch zu groß. Und Schnelligkeit ist die wohl verläßlichste Sicherheit gegenüber den Feinden.

Deshalb schlafen nie alle Tiere einer Herde gemeinsam, mindestens ein Mitglied der Herde täuscht nur die dösende Haltung vor. An seinem Ohrenspiel kann man jedoch erkennen, daß es in alle Richtungen gleichermaßen aufmerksam ist. Gesellschaft ist daher für Pferde, die offen gehalten werden, einfach unabdingbar, und wenn es sich dabei nur um ein oder zwei Ziegen handelt, mit denen sie eine Weidegemeinschaft bilden können.

Es gibt aber noch einen weiteren Grund, warum manche glauben, daß Pferde nie schlafen. Das Hinlegen und Aufstehen ist nämlich für ältere Pferde mit einigen Anstrengungen verbunden. Alte Tiere, die sich nach dem Liegen aus irgendeinem Grund nicht mehr erheben können, stehen Todesängste aus. Und sehr häufig sterben sie dann auch.

Ein Pferd, dem die Kraft fehlt, seine Beine unter dem Körper zu sammeln, z.B. wenn es in einer kleinen Mulde liegt, um von allein wieder aufzustehen, muß oft von seinem Schicksal erlöst werden, weil es sonst in Panik gerät. Das gleiche gilt für Pferde, die so verletzt sind, daß sie nur noch liegen können.

Ältere Pferde vermeiden es deshalb, sich vollständig im Liegen auszustecken und verzichten somit auf den Tiefschlaf, in den sie nur in der entspanntesten Körperhaltung fallen können. Auch meiden alle erwachsenen Pferde nasse, kalte Böden.

Die viel leichteren und beweglicheren Fohlen dagegen schlafen völlig sorglos auf dem Bauch oder sogar flach ausgestreckt am Boden, alle viere von sich gestreckt.

Aus dem Tiefschlaf erwachen die Tiere nur langsam, gewissermaßen stufenweise. Tiermediziner behaupten, daß sie während dessen keine Sinneseindrücke mehr wahrnehmen, statt dessen aber offenbar träumen. Wohl jeder hat schon mal die leise murmelnden Schlaflaute gehört, die sie dabei von sich geben, sogar gelegentliches "Schnarchen" ist zu hören, und wie bei anderen Tieren (Hunden z.B.) können sogar die Gliedmaßen zucken. Alles das wird als Anzeichen für das Träumen verstanden.

Die Mitglieder einer Pferdegemeinschaft haben sich in ihren Tätigkeiten gut aufeinander abgestimmt. Beginnt ein Pferd nach einer längeren Freßphase zu dösen oder legt es sich hin, kommt meist sehr schnell ein zweites und drittes der Familie dazu und beginnt ebenfalls zu ruhen. Fohlen legen sich neben ihre Mütter, ihre älteren Geschwister stellen sich meist auf die andere Seite. Leithengste dösen bevorzugt neben ihren Lieblingsstuten. In kalten Nächten rücken die Tiere beim Stehen und Liegen eng zusammen.

Bricht am Morgen die Sonne durch die Wolken, sammelt sich die Herde zum gemeinsamen Sonnenbad. Jedes Mitglied hört mit seiner momentanen Beschäftigung (Fressen, Dösen oder Fellpflege) auf und stellt sich beinahe bewegungslos mit der Breitseite in die Sonne, um die steifen Glieder aufzuwärmen.

An heißen Tagen im Sommer suchen die Tiere entweder schattige Stellen oder auch zugige Ecken ohne störende Vegetation. Dort verbringen sie dann den größten Teil des Tages, um sich gegen den Großangriff der Mücken und Bremsen zu wehren. Von Ruhen kann dabei eigentlich keine Rede sein, auch wenn es manchmal so aussieht.

Wenn sich Pferde immer wieder geradezu auf den Rücken schmeißen, ist das ein untrügliches Zeichen dafür, daß ihnen der Pelz juckt, und sie ein wohltuendes Staubbad nehmen wollen. Ansonsten schlagen sie heftig mit dem Schweif und reiben sich an bevorzugten Artgenossen, mit denen sie sich auch wechselseitig und ausgiebig Mähne und Kruppe durchkauen, was gleichermaßen reinigt und den Juckreiz lindert. Während sie dabei Kopf an Schweif nebeneinander stehen, wedeln sie sich gegenseitig Ungeziefer vom Kopf. Gepeinigte Fohlen kann man sogar mit ihren Köpfen zwischen den Hinterbeinen der Mutter Zuflucht suchen sehen. Ein einzelnes Pferd ist auch dieser Plage völlig allein ausgeliefert.

Vielleicht erinnert sich noch der eine oder andere Leser an unsere Schilderung über die Camargue, die durch ihre Lage eine Hochburg für Insekten darstellt (siehe HIPPOS/07: Französische Mustangs - von Cowboys & Pferden der Camargue). Im Hochsommer treffen sich hier die verschiedenen Harems immer wieder am gleichen Ort, rücken eng zusammen und selbst die Leithengste dulden die unmittelbare Nachbarschaft von Rivalen.

Seltsamerweise ergab eine Untersuchung in der Camargue, daß auch die Fellfarbe einen Einfluß haben soll: aus irgendeinem unerfindlichen Grund ziehen dunkle Pferde mehr Insekten an als Falben oder Schimmel. Doch das sei nur am Rande erwähnt.

Man könnte es nun so verstehen, daß alle davon profitieren, wenn in einer großen Herde durch das enge Beieinanderstehen die einzelnen Tiere prozentual weniger von Insekten gestochen werden. Doch das stimmt nur zum Teil. Die außen stehenden, meist schwächeren Tiere, müssen nämlich wesentlich mehr Stiche einstecken, als die kräftigeren, die sich ihre "natürlich" zustehenden Plätze im Innern der Gruppe durch die "natürliche Rangordnung" sichern. Dieses äußerst unheldenhafte Verhalten, bei dem im Extremfall die stärksten Tiere ihr Überleben auf Kosten von anderen durchsetzen, ist Grundlage jeder Sozialgesellschaft und damit ausgesprochen natürlich und tatsächlich "artgerecht".

Hierin zeigt sich die äußerst brutale Auslese der Natur. Da die bis zu zwei Zentimeter langen Bremsen beim Stechen nicht nur eine beachtliche Menge an Blut abzapfen, sondern auch zahlreiche Krankheitserreger übertragen können, sind es die ohnehin Alten und Schwachen, die am meisten erdulden müssen und davon sogar krank werden können.

Umgekehrt bleiben vereinzelt gehaltene Pferde natürlich ohne jeden Schutz der Herde. Nur wer ist der Mensch, daß er an dieser Stelle über das Vorteilsstreben anderer sozialer Kreaturen richten und ihre natürliche Lebensweise in seinem "gerechten" Sinne verändern darf...

8. Februar 2008