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BERICHT/005: Tierrechte human - Abgründe ... (SB)


Neue Horizonte für antikapitalistische Bewegungen

"One Struggle - One Fight!?" am 8. November 2013 in Hamburg-Eimsbüttel



Massentierhaltung, Schlachtfabriken, Lebensmittelskandale, Tierversuche, Artensterben - allein diese in der Öffentlichkeit immer wieder heftig diskutierten Themen zeigen, daß der Umgang des Menschen mit den Tieren im argen liegt. Die jeweiligen Skandalisierungen lassen lediglich die Spitze eines Eisbergs aus Ignoranz, Grausamkeit und Tod erkennen, will doch kaum jemand genau wissen, was in den Schlachthöfen und Mastbetrieben der hochproduktiven Fleischindustrie geschieht. Dennoch rückt immer mehr Menschen ins Bewußtsein, daß die in Anspruch genommene ethische Legitimation menschlicher Produktion und Reproduktion im schroffen Widerspruch zur realen Mißachtung der Würde jeglichen Lebens steht. Selbst wenn nur ein Teil der geschätzten sieben Millionen Vegetarierinnen und Vegetarier in der Bundesrepublik und rund 800.000 Veganerinnen und Veganer, die gänzlich auf den Verbrauch von Tierprodukten verzichten, dies nicht aus Gesundheitsgründen tut, sondern damit der Inakzeptanz des Quälens und Schlachtens Rechnung trägt, so weist dies auf ein virulentes Widerstreben gegen die Fortsetzung der kulturell und historisch tief verankerten Praxis des Tierverbrauchs hin.

Sich dem Ziel der Befreiung der Tiere aus der Gewalt ihrer Verwertbarkeit zu verschreiben, geht allerdings über den bloßen Konsumverzicht hinaus. Der Blick auf das gequälte Tier richtet sich auf den Menschen als Verursacher einer Pein, die zu beseitigen ganz allein seine Sache ist. Nicht nur weil er sie verursacht, sondern weil er prinzipiell dazu fähig ist, den Naturzwang im Rahmen seiner zivilisatorischen und technologischen Entwicklung so zu moderieren, daß sogar die Vision, die gegenseitige Gewalt eines Tages zu beenden, am Horizont aufscheint. Seiner sogenannten Höherentwicklung ist die Möglichkeit, durch die Entwicklung der Produktivkräfte von der Not befreit zu werden, die Befriedigung essentieller Lebenserfordernisse zu Lasten des anderen Menschen zu vollziehen, ebenso immanent, wie auch die Ausbeutung nichtmenschlichen Lebens einzustellen. Ansonsten ließe die Totalität des Naturzwangs nicht zu, diese Möglichkeit auch nur gedanklich zu reflektieren.

Daß weder die Antizipation eines herrschafts- und gewaltfreien Lebens noch der Verzicht auf Tierprodukte davon befreit, als biologisch determinierter Organismus und kapitalistisch vergesellschafter Mensch auf so innige wie averse Weise mit allem anderen verbunden zu sein, daß die Kette der Widersprüche sich in schierer Endlosigkeit durch Geschichte und Gesellschaft zu ziehen scheint, macht die Auseinandersetzung mit dieser Zwangslage um so unabdinglicher. Wähnt sich der Mensch im Stoffwechsel mit seiner Umgebung auch noch so unabhängig, erlebt er den limitierten Charakter seiner Freiheit spätestens dann, wenn der Bedarf an Wasser, Luft und Nahrung aus Gründen physischer Dysfunktionalität oder objektiven Mangels nicht befriedigt werden kann. Die Bindung an seine Lebensvoraussetzungen ist so umfassend, daß der flüchtige und nichtige Charakter bioorganischen Lebens gerade nicht zu denjenigen Dingen gehört, mit denen sich Menschen gerne konfrontieren.

Um so eifriger wird der evolutionären Logik gefrönt, längere Lebensfristen und sicherere Versorgungsmöglichkeiten zu Lasten weniger leistungs- und anpassungsfähiger Kreaturen zu erwirtschaften. Die spätkapitalistische Verabsolutierung des marktgetriebenen Selektionsdrucks, in der die christliche Doktrin, sich die Erde untertan zu machen, zu sich selbst kommt, soll jeden Gedanken daran zunichte machen, daß der Schmerz der Isolation und Entfremdung nicht darin münden muß, sich am andern Lebewesen in der Hoffnung zu vergehen, dadurch die eigenen Chancen auf Dauer und Unberührbarkeit zu vergrößern. Die Unteilbarkeit des Schmerzes und die im Kosmos unendlicher Naturkonstanten höchst verletzliche bioorganische Existenz könnten statt dessen Formen und Praktiken der Solidarität hervorbringen, die der auf der Herrschaft des Menschen über den Menschen und alle Natur basierenden Maximierung von Not und Gewalt, von Raub und Zerstörung den Boden entziehen.

Schlachtmaschine nach Renger, aus Oskar Schwarz, 'Bau, Einrichtung und Betrieb öffentlicher Schlacht- und Viehhöfe. Ein Handbuch für Sanitäts- und Verwaltungsbeamte', Berlin 1903 - Grafik: Public Domain, via Wikimedia Commons

Eingespannt in die Gewalt fremdnützigen Interesses
Grafik: Public Domain, via Wikimedia Commons


Dem Schlachten ein Ende - Klassenkampf für Mensch und Tier?

Der Frage, wie das Problem der Naturausbeutung für eine antikapitalistische Linke fruchtbar gemacht werden könnte, war eine von der Assoziation Dämmerung in Hamburg veranstaltete Herbstakademie gewidmet. Unter dem Titel "One Struggle - One Fight!? Die Tierbefreiungsbewegung und die antikapitalistische Linke" diskutierten Aktivistinnen und Aktivisten aus der Tierrechts- und Tierbefreiungsbewegung wie aus der organisierten Linken darüber, inwiefern sich die verschiedenen Kämpfe dazu nutzen lassen, aus der Defensive herauszukommen, in der sich die revolutionäre Linke in Anbetracht des neoliberalen, nationalistischen und sozialchauvinistischen Rollbacks befindet. Dabei zeigte sich, daß die Unterschiede in den jeweiligen Positionen zumindest so groß sind, daß erheblicher Gesprächsbedarf bestände, wenn sie denn überhaupt überwunden werden sollten. So hatte die Assoziation Dämmerung in ihrer Einladung zu der Veranstaltung [1] zwar konstatiert, daß die "Gemeinsamkeiten zwischen der antikapitalistischen Linken und der Tierrechts- und Tierbefreiungsbewegung (...) keineswegs nur theoretischer Natur" seien und es "Anlässe zur Zusammenarbeit (...) angesichts der globalisierten Ausbeutung von Menschen, Tieren und der Natur genug" gäbe, aber auch die Frage nach dem Trennenden aufgeworfen, die dies verhindert. Klar strukturiert und zugewandt moderiert von Michael Sommer verlief die Debatte denn auch durchaus kontrovers. War man sich in der Notwendigkeit der Überwindung des Kapitalismus grundsätzlich einig, so ließ die Frage nach der Ausbeutung der Tiere fundamentale Unvereinbarkeiten insbesondere zwischen Hans-Peter Brenner, dem stellvertretenden Vorsitzenden der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP), und Christian Stache von der Assoziation Dämmerung zutage treten.

Auf dem Podium - Foto: © 2013 by Schattenblick

Hans-Peter Brenner
Foto: © 2013 by Schattenblick

Dem der Tierbefreiungsbewegung, aus der die Gruppe entstanden ist, attestierten Problem, über kein zusammenhängendes Theoriekonzept zu verfügen und sich über den gemeinsamen Nenner mit der antikapitalistischen Bewegung nicht klar zu sein, entsprach die von Brenner im Grundsatz konstatierte Notwendigkeit des Tierverbrauchs in ihrer gegenseitigen Distanz. Zwar bemühte sich der maßgeblich an der Theoriebildung der DKP beteiligte Psychotherapeut durchaus, mögliche Gemeinsamkeiten mit der Tierrechts- und Tierbefreiungsbewegung auszuloten, indem er den Menschen als Naturwesen bezeichnete, seine Gemeinsamkeiten mit anderen Primaten betonte und das durch die agroindustrielle Produktionsweise verursachte Quälen des Schlachtviehs verurteilte.

Dem stellte er das Spezifische der Arbeit gegenüber, die den Menschen erst zum Menschen mache und ihn zur kreativen, bewußten und zielgerichteten Nutzung der Natur befähige. Als ein Kulturwesen, das die Fähigkeit zur Sprache sehr viel differenzierter und ausgeprägter entwickelt habe als jedes Tier, verfüge er zwar über Schnittmengen mit Tieren, stehe diesen aber nicht nur entwicklungsgeschichtlich bedingt, sondern im Grundsatz in einem durch die Auseinandersetzung mit der Natur bestimmten Nutzungsverhältnis gegenüber, in dem dem Tier die Funktion eines Werkzeugs und Produktionsmittels zukomme. Dieser konstitutive Rahmen seiner Argumentation blieb bei allen Zugeständnissen, daß sich auch Kommunisten und Sozialisten zu wenig mit Tierschutz befaßt hätten und daß es darum gehe, die massenhafte Vernichtung natürlichen Lebens zu beenden, aufrechterhalten. Anfangs ging Brenner so weit zu sagen, daß fleischliche Nahrung für die Gesundheit des Menschen unabdinglich sei, wurde aber zumindest in diesem Punkt von einer langjährigen Veganerin überzeugt, daß dies nicht stimmen müsse.

Christian Stache widersprach Brenner nicht minder grundsätzlich, indem er forderte, die historischen und gesellschaftlichen Verhältnisse der heutigen Zeit anzulegen, um das Verhältnis zwischen Mensch und Tier zu bestimmen. Heute sei es aufgrund der vollzogenen Entwicklung der Produktivkräfte nicht mehr notwendig, Tiere für die Reproduktion des Menschen zu töten oder als Produktionsmittel einzusetzen. Zudem verwies er auf das Problem der durch den Tierverbrauch in Frage gestellten Ernährungssicherheit in den Ländern des Südens, wo der extensive, für den Export in die hochproduktiven Industriestaaten vorgesehene Futtermittelanbau den lokalen Bevölkerungen Nahrungsmittel entziehe.

Für Stache ist der Kampf für die Befreiung der Tiere und der Kampf für ein versöhntes Verhältnis der menschlichen Gesellschaft zur Natur im Kern eine Klassenfrage, die auf unterschiedlichen Formen der Ausbeutung und Herrschaft beruht. Lohnarbeit sei zwar etwas anderes als Gratisaneignung der Naturbedingungen, aber der Mechanismus der Profitmacherei sei derselbe. Mit Thomas Münzer, dem sozialutopischen Revolutionär der Bauernkriege, stellte er die Eigentumsfrage, hatte dieser doch kritisiert, "daß alle Kreatur zum Eigentum gemacht worden sei, die Fische im Wasser, die Vögel in der Luft, das Gewächs auf Erden", um zu fordern, "auch die Kreatur müsse frei werden".

Auf dem Podium - Foto: © 2013 by Schattenblick

Eva Bulling-Schröter
Foto: © 2013 by Schattenblick

Die lange Jahre für Tierschutz in ihrer Fraktion zuständige Bundestagsabgeordnete der Linkspartei, Eva Bulling-Schröter, war in der Sache weiter als der neben ihr sitzende DKP-Politiker und dokumentierte dies mit den praktischen Initiativen, die ihre Partei für den Tierschutz, die Einstellung der Futtermittelimporte und den Kampf gegen die Spekulation mit Lebensmitteln eingebracht hat. Einer steuerpolitischen oder andersgearteten staatlichen Regulation des Verzehrs von Fleisch stellte sie sich mit dem Argument, daß dies über den Kopf gehen müsse, entgegen, betonte aber auch, daß sie auf jeden Fall auch in der eigenen Lebenspraxis zur Minderung des Tierleides die Reduktion des Konsums von Fleisch befürworte.

David von der Gruppe Hilarius aus Düsseldorf, die sich, wie er erklärte, basisnah mit ihrer Umwelt und marxistischer Theorie auseinandersetzt, verwahrte sich ebenfalls gegen ein Verbot des Fleischkonsums, das allerdings keiner der Anwesenden einforderte. Ihm ging es vor allem darum, keine künstlichen Hierarchien wie etwa zwischen Mensch und Tier zu errichten. Seine Gruppe engagierter Jugendlicher führe politische Debatten zu Schwerpunkten wie Antirassismus und Antimilitarismus, die im Alltag vielleicht leichter zu vermitteln wären als Tierrechtsfragen. Er ernähre sich selbst seit Jahren rein pflanzlich, habe es aber die ganzen Zeit nicht geschafft, dies zu vermitteln und in seine Bewegungskämpfe einfließen zu lassen. Die Frage, wie dies möglich gemacht werden könne, habe ihn veranlaßt, an diesem Podium teilzunehmen. Allerdings stehe er nach zweieinhalb Stunden Ableitungsmarxismus und der nichtzustandegekommenen Debatte über reale Bewegungen nach wie vor am Anfang, bekannte er zum Schluß der Diskussion.

Auf dem Podium - Foto: © 2013 by Schattenblick

David, Gruppe Hilarius
Foto: © 2013 by Schattenblick

Daß diese bisweilen zu Wortgefechten unter Berufung auf die Vordenker des Marxismus und deren Nachfolger etwa der Kritischen Theorie eskalierte, war nicht nur dem Diskursniveau geschuldet, das die Vertreterinnen und Vertreter der Assoziation Dämmerung wie auch Hans-Peter Brenner anlegten. Wo relatives Neuland beschritten wird, stellen sich Fragen zu den Grundlagen gesellschaftlicher Kritik, die zunächst einmal den Blick auf historische sozialrevolutionäre Ansätze empfehlen. Brenners Ärger über die zur Bedingung sozialistischer Revolution gemachte Tierbefreiung artikulierte sich darin, daß er die Würdigung jener Frauen und Männer, die die historischen Kämpfe der Linken gegen Faschismus und Imperialismus unter Einsatz und häufig Verlust ihres Lebens führten, für gemindert hielt.

Die im Plenum vertretene Ansicht von der Unzulänglichkeit bisheriger Revolutionen ist jedoch nicht nur einem Streit darum geschuldet, ob diese auf das Ziel der Etablierung einer sozialistischen Gesellschaft zu beschränken seien oder es gleich um die Verwirklichung des Kommunismus gehe. In diesem Konflikt spiegelt sich auch die relative Schwäche sozialrevolutionärer Bewegungen in einem kapitalistischen Weltsystem, das die Entwicklung der Produktivkräfte auf eine Weise zur Zementierung der Herrschaft von Staat und Kapital zu nutzen versteht, daß deren Umkehrbarkeit in der Rückbesinnung auf die klassenkämpferische Programmatik marxistischer Parteien und Organisationen, die das Kapitalverhältnis in den Mittelpunkt der Analyse herrschender Gewaltverhältnisse rücken, in Frage gestellt ist. Den historischen Materialismus und die Kritik der politischen Ökonomie in dieser Auseinandersetzung zu nutzen, um über ein wirksames analytisches Instrumentarium zu verfügen, wirft die Frage nach einer Weiterentwicklung von Theorie und Praxis auf, die der veränderten Klassenzusammensetzung, dem informationstechnischen Zurichtungs- und Repressionspotential administrativer Verfügungsgewalt und kapitalistischer Vergesellschaftung wie nicht zuletzt der an die Grenzen der Reproduktion allen Lebens stoßenden Ausbeutung der Natur Rechnung trägt.

Staches Forderung, sich der heute gegebenen Möglichkeit zu stellen, auch und gerade bei der Durchsetzung einer sozialistischen Gesellschaft auf den Verbrauch von Tieren zu verzichten und damit das Spektrum der Befreiung nicht nur dem Stand der Produktivkräfte, sondern vor allem der dadurch verursachten Zerstörung angemessen zu erweitern, ist ein Schritt in diese Richtung. Seine Kritik, zum einen werde unter Berufung auf Marx vertreten, daß der Kapitalismus mit Arbeit und Natur beide Springquellen des Reichtums untergräbt, dies jedoch bei der Forderung nach der Überwindung der Herrschaft des Menschen über den Menschen sogleich wieder zu vergessen, rührte an eben jenen Punkt, an dem zumindest der Dissens zwischen DKP und Tierbefreiung unüberbrückbar erscheint. Wie sehr seine Forderung, gerade weil es darum gehe zu erkennen, daß es außerhalb der Menschen noch andere Qualitäten gibt, die es zu wahren und zu schützen gilt, um die sozialistische und schließlich die kommunistische Revolution zu verwirklichen, bei den Bannerträgern der auf die Arbeiterklasse bezogenen revolutionären Agenda auf Gehör und Zustimmung stößt, ist nach diesem Abend mindestens so offen wie vor ihm.

Brenner bewältigte die Aufgabe, einem in der Sache überwiegend konträr zu ihm stehenden Plenum den Standpunkt klarzumachen, daß auf Tierverbrauch im Grundsatz nicht verzichtet werden könne, in anerkennenswerter Weise streitbar und unerschrocken. Er steht damit in großer Übereinstimmung mit jener gesellschaftlichen Mehrheit, die den Kommunismus bekämpft, wenn auch aus anderen Gründen. Daß diese in direkten Zusammenhang zur Weigerung, ernsthaft über das eigene Verhältnis zur ausgebeuteten und geschundenen Kreatur nachzudenken, gesetzt werden und als das verbliebene Gemeinsame bezeichnet werden könnte, das auszuloten Sinn und Zweck der Veranstaltung war, sollte an dieser Stelle nicht unerwähnt bleiben.


Fallstricke und Chancen

Um den in Sicht auf linke und soziale Bewegungen schmalen Grat zu erweitern, auf dem Tierbefreiung und Antikapitalismus in eins fallen, kann die Kritik an einem als Lifestyletrend, Gesundheitsdoktrin oder ethischer Primat motivierten Veganismus nicht unterbleiben. Wo dieser sich als der moralisch bessere Konsum darstellt und soziale Fragen ausblendet, befeuert er einen Kulturkampf, der schlimmstenfalls dazu führt, daß von der Nutzung hochwertiger und dementsprechend kostspieliger veganer Nahrung ausgeschlossene Menschen sich in dem ohnehin vorhandenen Reflex bestätigt sehen, den Verzicht von Tierprodukten als bourgeoise Forderung abzulehnen und die Herrschaft über die Tiere als verbliebenes Privileg des überflüssig gemachten Subproletariats zu verteidigen. Was Veganerinnen und Veganer erleiden, wenn sie allein aufgrund ihrer Lebenspraxis die Aggressivität der Fleischverzehr als Wohlstandsattribut, Quelle physischer Vitalität und maskuliner Dominanz affirmierenden Bevölkerung zu spüren bekommen, kann auf umgekehrte Weise äquivalent auf knappe Sozialtransfers angewiesene Menschen dazu bringen, den marktwirtschaftlichen Wachstumssektor der Veganprodukte als eine Form des sie ausschließenden und daher abzulehnenden Luxuskonsums wahrzunehmen.

Darüber hinaus ist die Gefahr nicht zu unterschätzen, daß ein insbesondere in grünbürgerlichen Kreisen eines Tages hegemonial werdender Vegetarismus und Veganismus Instrument einer Mangelverwaltung wird, die in der disziplinatorischen, die individuelle Lebensweise biopolitisch normierenden Stoßrichtung der medizinaladministrativen Kampagne gegen Fettleibigkeit und anderen Praktiken der Konditionierung des Menschen auf verwertungsadäquate Normen Gestalt annehmen. So hat die ursprünglich antikapitalistische Wachstumskritik unter den Fürsprechern der neoliberal formierten Gesellschaft Fuß gefaßt, wo neben sozialeugenischen Konzepten der Bevölkerungspolitik auch an "Leistungsgerechtigkeit" orientierte Verteilungsschlüssel diskutiert werden. Auch deshalb wäre der Kampf um egalitäre Ernährungssicherheit unabdingbarer Bestandteil einer Linken, die sich dem Ziel der Tierbefreiung öffnet. Den PR-Strategien des sogenannten Greenwashing, die ökologische Ziele für die Legitimierung und Stabilisierung kapitalistischer Herrschaft adaptieren, gewachsen zu sein, erfordert insbesondere, die Entwürfe des grünen Kapitalismus einer kritischen Betrachtung zu unterziehen.

All das sind gute Gründe, über die Weiterentwicklung linker Theorie und Praxis im Sinne des in Hamburg vollzogenen Ansatzes nachzudenken. Um den in der Breite der Gesellschaft langsam Fahrt aufnehmenden Kulturkampf um das Verhältnis zwischen Mensch und Tier nicht den Sachwaltern gesellschaftlicher Widerspruchsregulation anheimfallen zu lassen, bleibt die soziale oder Klassenfrage zentral. Wie deren Entwicklung im Rahmen der Herbstakademie über "Tierbefreiung und Revolutionäre Realpolitik" erfolgte, wird Gegenstand weiterer Berichte sein.


Fußnoten:

[1] http://www.assoziation-daemmerung.de/herbstakademie2013/

15. November 2013