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INTERVIEW/016: Feiern, streiten und vegan - Joch- und Zaumzeugaugenblicke ...    Hartmut Kiewert im Gespräch (SB)


Künstlerische Annäherung an ein Gewaltverhältnis

Interview auf dem Vegan Summer Day in Leipzig am 6. September



Hartmut Kiewert ist ein Maler und Grafiker, der sich in seinen Arbeiten mit dem Mensch-Tier-Verhältnis aus einer herrschaftskritischen Perspektive auseinandersetzt. Mit seinen Bildern versucht er, die Menschen zum Nachdenken über ihr Verhältnis zu nichtmenschlichen Tieren zu bewegen. Hartmut wohnt seit einigen Monaten in Leipzig und nahm am Vegan Summer Day auf dem alten Messegelände mit einem Stand teil, auf dem er einige seiner Bilder präsentierte und an dem er dem Schattenblick einige Fragen beantwortete.

Im Gespräch - Foto: © 2014 by Schattenblick

Hartmut Kiewert
Foto: © 2014 by Schattenblick

Schattenblick: Hartmut, wie bist dazu gekommen, das Mensch-Tier-Verhältnis zum Gegenstand deiner künstlerischen Arbeit zu machen?

Hartmut Kiewert: Einer der ersten großen Widersprüche, mit denen ich als Kind konfrontiert war, betraf die Frage, warum Menschen Tiere essen müssen. Von meinen Eltern erhielt ich darauf die Antwort: Das ist natürlich, und man wird krank, wenn man es nicht macht. Darüber war ich sehr traurig, weil ich Tiere mochte und respektierte. Es hat dann eine ganze Weile gedauert, bis ich mich vegetarisch und später sukzessive vegan ernährt habe. In der Folge habe ich mich auch mehr und mehr politisiert und zusammen mit anderen verschiedene Aktionen gegen Atomkraft, Gentechnik und Militarismus unternommen. Dann, während meines Studiums, habe ich auch politische Infoveranstaltungen zu libertären Themen und zur Gentechnikkritik durchgeführt. Als es auf das Diplom zuging, überlegte ich, wie ich mein politisches Engagement und die Malerei miteinander verbinden könnte. So kam ich auf das Mensch-Tier-Verhältnis zurück, weil ich dachte, daß es sich ganz gut verbildlichen läßt. Seit ungefähr 2008 setze ich mich in meiner künstlerischen Arbeit ausschließlich mit dem Mensch-Tier-Verhältnis auseinander.

SB: In Leipzig gibt es mehrere Tierrechts- und Tierbefreiungsgruppen. Bist du in einer dieser Initiativen tätig?

HK: Mir sind mindestens drei Tierrechtsgruppen hier in Leipzig bekannt. Einige der hiesigen Aktivisten kenne ich seit langem. Mein Engagement hier hält sich noch in Grenzen. Nach dem Umzug mußte ich erst einmal ein Atelier suchen und dergleichen. Ich werde mich aber noch stärker in die direkte politische Arbeit mit Kampagnen und Aktionen einbringen.

SB: In der radikalen Linken gibt es ausgesprochene Gegner der Tierbefreiungsbewegung, aber auch Leute, die beides zusammendenken können. Hast du persönlich über die Frage der Tierbefreiung hinaus Ambitionen, dich für die Befreiung von Mensch und Tier einzusetzen?

HK: Definitiv. Wenn man Ausbeutung und Herrschaft überwinden will, muß man die Befreiung von Mensch und Tier zusammendenken, denn die verschiedenen Unterdrückungsmechanismen und Ideologien verzahnen und stabilisieren sich gegenseitig. Und deswegen ist es auch sinnvoll, Aktionen zusammenzulegen, wo sich gemeinsame Schnittmengen ergeben.

SB: Hast du auch Kontakt zu anderen Künstlern aus der Malerei- und Kunstszene oder überwiegt eher dein politisches Interesse als Tierbefreier?

HK: Tatsächlich bin ich innerhalb der Tierbefreiungs- oder Tierrechtsbewegung schon relativ gut vernetzt, aber ich habe auch Kontakt zu anderen Künstlern und Künstlerinnen, die sich mit dem Mensch-Tier-Verhältnis beschäftigen. Im Augenblick läuft in Berlin eine Ausstellungsreihe unter dem Titel "we, animals", in der kritische künstlerische Arbeiten zum Mensch-Tier-Verhältnis gezeigt werden. Daß Künstler sich in dieser Sache vernetzen, finde ich sehr wichtig. Aus diesem Grund bin ich auch nach Leipzig gezogen. Ich habe nach meinem Studium für ein paar Jahre in einem Dorf gewohnt, wo es natürlich weder eine Kunstszene noch zeitgenössische Kunst gibt. Unter solchen Bedingungen ist es sehr schwierig, Anschluß an die allgemeine Kunstszene zu finden, weil ich schon das Interesse habe, das Mensch-Tier-Verhältnis stärker in den Kunstbetrieb einzubringen. Es geht mir nicht so sehr darum, eine interne Kunstszene zu bereichern, sondern auch Künstler mit anderen Arbeitsschwerpunkten mit diesem Thema zu konfrontieren.

SB: Hast du auch schon eigene Ausstellungen gegeben?

HK: Ich war mit Originalarbeiten in verschiedenen Ausstellungen vertreten, hatte aber auch Einzelausstellungen wie jetzt kürzlich in einem Lese-Café in Erlangen.

SB: Gibt es nach deiner Kenntnis kunstgeschichtliche Vorbilder für die Problematisierung des Mensch-Tier-Verhältnisses?

HK: Explizit kritisch wird das Thema in der Kunstgeschichte nicht behandelt. Es tauchen eher anthropomorphisierte Motive auf, in denen Tiere entweder als Mythos oder als Metapher vermenschlicht werden. Manchmal werden Tiere als Sinnbild, in der Regel jedoch schlicht als Objekt eingesetzt, aber nur selten bis kaum als eigenständige Individuen betrachtet, was nach meinem Wissen ein relativ neues Phänomen ist. Sue Coe, eine US-amerikanische Künstlerin, die ursprünglich aus England stammt, hat sich mit diesem Thema sicherlich mit am längsten auseinandergesetzt. Inzwischen ist sie weit über 60 Jahre alt. Sie ist neben einem Schlachthof aufgewachsen und hat bereits in ihrer Jugend Zeichnungen angefertigt, in denen sie das Mensch-Tier-Verhältnis kritisch reflektierte. Ältere Kunstwerke mit einer anderen Sichtweise auf das Tier kommen ganz selten vor. So hatte Hilal Sezgin bei einem vegan-vegetarischen Sommerfest von einem ägyptischen Künstler bzw. einem Bild aus dem alten Ägypten erzählt, auf dem eine Kuh zu sehen ist, die weint, während sie gemolken wird, weil ihr Kälbchen gefesselt daneben liegt und so davon abgehalten wird, die Milch der Mutter zu trinken. Auch wenn so etwas nur eine marginale Erscheinung in der Kunsthistorie war, ist interessant daran, daß es bereits vor mehreren tausend Jahren Kunstwerke gegeben hat, die das Nutzverhältnis Mensch-Tier auf andere Weise problematisierten.

SB: Hartmut, vielen Dank für das Gespräch.

Hartmut Kiewert an seinem Stand - Foto: © 2014 by Schattenblick

Nach dem Ende des Schlachtens ...
Foto: © 2014 by Schattenblick


Fußnote:

Webauftritt des Künstlers mit Bildbeispielen:
http://hartmutkiewert.de/


Berichte zum Veganen Straßenfest in Hamburg unter
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BERICHT/008: Feiern, streiten und vegan - Konfliktbereit für Mitgeschöpfe ... (SB)
BERICHT/009: Feiern, streiten und vegan - Von Menschen für Menschen ... (SB)

21. September 2014