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INTERVIEW/039: Veganes Straßenfest - Kinderernährung, kein veganes Sonderproblem ...    Carmen Hercegfi im Gespräch (SB)



Carmen Hercegfi berät vegan lebende Familien in Ernährungsfragen, um werdenden und stillenden Müttern wie ihren Kindern zu ermöglichen, auf vollwertige und gesunde Weise ohne Tierprodukte auszukommen. Ihre Bücher "Vegan in anderen Umständen", verfaßt mit Co-Autorin Sarah Gebhardt, "Vegan für unsere Sprösslinge", verfaßt mit der Oecotrophologin Anna Maynert, sowie das in Zusammenarbeit mit mehreren Bloggern entstandene Buch "Vielfalt für vegane Familien" enthalten ernährungsphysiologisch fundierte Informationen zu einer veganen Lebensweise, die nicht nur für Mütter und Kinder von Interesse sind. Weitere Hinweise rund um das Thema Veganismus finden sich auf ihrem Blog "Vegane Familien". Nach ihrem Vortrag auf dem 6. Veganen Straßenfest in Hamburg [1] beantwortete Carmen Hercegfi dem Schattenblick einige Fragen.


Im Veranstaltungszelt mit Mikro vor Projektionswand - Foto: © 2019 by Schattenblick

Carmen Hercegfi beim Vortrag "Vegane Ernährung für Schwangere und Kinder"
Foto: © 2019 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Im Vortrag bist du kurz auf Vorurteile gegen vegane Mütter eingegangen. Worum geht es dabei?

Carmen Hercegfi (CH): Manchmal hört man Leute sagen, das sei ja ein Fall fürs Jugendamt. Es gibt Fälle extrem veganer Eltern, also extrem im Sinne von "ich muß das Kind nicht supplementieren, ich stille auch nicht, irgendeine Pflanzenmilch reicht". Wenn das in der Presse hochkocht wie bei einem Fall aus Australien, aus Belgien und aus Schweden, schürt das dann natürlich derartige Vorurteile. Diese Fälle haben natürlich nichts mit veganer Ernährung zu tun, sondern einfach mit Vernachlässigung des Kindes. Es kann natürlich auch sein, daß Eltern, die ihr Kind mischköstlich ernähren, es vernachlässigen und sich nicht richtig um das Kindeswohl kümmern.

SB: Hältst du es für zwingend erforderlich, daß eine Mutter, die sich vegan ernährt und ihr Kind stillt, den Aufwand betreibt, sich so differenziert mit Ernährungsfragen auseinanderzusetzen, wie du es tust?

CH: Ich würde das allen Menschen für ihre Kinder empfehlen, besonders natürlich, wenn sie schwanger sind oder bereits stillen, auch ganz unabhängig von der Art der Ernährung. Wir haben als Veganer im Grunde genommen den Vorteil, daß wir gezwungen sind, uns im Unterschied zu Mischköstlern um unsere Ernährung zu kümmern. Zwar informieren sich beim Thema Schwangerschaft und Kinder viele Eltern intensiver über Ernährung. Aber manche denken auch, daß das, was ich im Supermarkt bekomme, ausreicht und ich nur essen muß, was ich gewohnt bin zu kaufen. Als Veganer hingegen ist man richtiggehend gezwungen, sich zu informieren - das machen zwar auch nicht alle, aber es ist auf jeden Fall verbreiteter als unter nichtvegan lebenden Menschen.

SB: Du hattest vorhin gesagt, daß die Stillzeit anhalten kann, bis das Kind sieben Jahre alt ist. Gibt es tatsächlich Frauen, die ihre Kinder so lange stillen?

CH: Ja, das Langzeitstillen gibt es schon, aber die werden immer als extreme Mütter abgetan. Aber man hat tatsächlich herausgefunden, daß das natürliche Abstillalter irgendwo im Bereich zwischen zweieinhalb und sieben Jahren liegt. Da geht es allerdings nicht mehr darum, daß die Kinder vollständig ernährt werden, sondern sie kommen ab und zu und nuckeln ein bißchen, das hat auch viel mit Bindung zu tun. Natürlich spielen auch die Antikörper eine Rolle, die von der Mutter auf das Kind übertragen werden, das ist von Natur her sicher sinnvoll.

SB: Empfiehlt sich das Erlangen umfassenden Wissens über die Art und Weise der Ernährung auch für Erwachsene, oder würdest du sagen, daß die meisten mit einer durchschnittsveganen Kost ganz gut klarkommen?

CH: Es geht schon um die kritischen Nährstoffe, um deren Aufnahme sich Veganer mehr kümmern müssen. Im Gegenzug sind sie auch mit einigen Nährstoffen besser versorgt, die bei Mischköstlern viel zu kurz kommen. Veganismus kann wirklich die gesündeste Ernährung sein, vorausgesetzt, man achtet auf bestimmte Nährstoffe gesondert und supplementiert einige Dinge. Dann ist sie aufgrund des hohen Ballaststoffreichtums und der vielen sekundären Pflanzenstoffe extrem gesund. Aber wir müssen halt auf bestimmte Nährstoffe achten, die tatsächlich erst mittelfristig problematisch werden würden. Der Speicher von Vitamin B12 zum Beispiel reicht ja ein paar Jahre beim Erwachsenen.

SB: Wenn Mütter nicht direkt stillen, verwenden sie häufig Säuglingsersatznahrung, die auf Kuhmilch basiert. Gibt es auch Menschen, die Säuglingen direkt Kuhmilch mit der Flasche verabreichen?

CH: Das ist eher ungesund, weil die Zusammensetzung von normaler Kuhmilch eben nicht der der Muttermilch entspricht und unter anderem die Nieren wegen des Proteingehalts überfordert werden. Die Zusammensetzung von Kuhmilch paßt einfach nicht.

SB: Im Veganismus wird an Kuhmilch häufig kritisiert, daß sie für Kälber gebildet wird, die nach zwei Jahren ausgewachsen sind. Ein Mensch hingegen braucht zwölf und mehr Jahre, um vollständig auszuwachsen. Wo liegt deiner Ansicht nach das Hauptargument, daß sich gegen den Konsum von Kuhmilch bei Kindern und Jugendlichen richten könnte?

CH: Mein großer Sohn, das hatte ich vorhin im Vortrag gesagt, den ich nach der Abstillzeit anfangs nicht vegan ernährte, litt häufig an Mittelohrentzündung. Er bekam, ich weiß nicht wie oft, Antibiotika und hatte auch schon zwei OPs hinter sich. Kurz vor der dritten OP hatte mir der Heilpraktiker gesagt, ich soll die Kuhmilch weglassen. Von heute auf morgen hatte er keine Mittelohrentzündung mehr. Das ist zehn Jahre her, und mein jüngster Sohn hatte nie eine. Kuhmilch hat viele Nährstoffe, die wir, wenn wir älter sind, irgendwie verarbeiten können. Wir haben uns in Europa an den Verzehr von Kuhmilchprodukten gewöhnt, und bilden Laktase, um sie aufspalten zu können, natürlich hilft uns das. Aber bei der üblicherweise konsumierten Menge an Kuhmilch wird es problematisch, denn es gibt unfaßbar viele Milchprodukte. Über die Jahrhunderte hinweg war der Anteil von Milchprodukten wesentlich kleiner. Deshalb tritt die körperliche Wirkung der Kuhmilch inzwischen so hervor.

Im Grunde haben wir unsere Mütter, die uns säugen, solange wir es brauchen. Wenn wir abgestillt sind, brauchen wir im Grunde keine Muttermilch und erst recht keine artfremde mehr. Es gibt inzwischen viele Studien, auch gerade zu Käse, die aufzeigen, daß das wirklich alles andere als gesund ist, auch aufgrund des extrem hohen Fettgehaltes. Letztes Jahr auf dem VegMed-Kongreß in Berlin wurden viele Studien erwähnt, die die negativen Auswirkungen von Käse belegen. Das fand ich erschreckend.

SB: Carmen, vielen Dank für das Gespräch.


Fußnote:


[1] http://www.schattenblick.de/infopool/tiere/report/trbe0015.html


30. Juli 2019


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