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INTERVIEW/044: Tierversuchslabor - Keine Sicherheit für Tierquäler ...    Friedrich Mülln im Gespräch (SB)


Mit der Undercover-Recherche im Tierversuchslabor LPT in Mienenbüttel bei Hamburg [1] haben die Organisationen SOKO Tierschutz und Cruelty Free International der seit 2013 laufenden Kampagne zur Schließung des Unternehmens neuen Schwung verliehen. Auf der abendlichen Mahnwache vor den Toren des Labors beantwortete Friedrich Mülln, Initiator und Vorstandsmitglied von SOKO Tierschutz e.V., dem Schattenblick einige Fragen.



Bei Ansprache auf der Mahnwache - Foto: © 2019 by Schattenblick

Friedrich Mülln
Foto: © 2019 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Herr Mülln, wie bedeutsam ist das Fernsehen, das im Magazin FAKT über die Undercoverrecherche bei LPT berichtet hat, dafür, daß heute so viele Menschen zur Großdemo und zur Mahnwache gegen das Tierversuchslabor [2] gekommen sind?

Friedrich Mülln (FM): Die Medien und speziell Fernsehen und Print spielen immer noch eine sehr wichtige Rolle gerade für die regionale Mobilisierung. Social Media, Facebook und Co. sind schön und gut, aber die gute alte gedruckte Zeitung, die in der Früh im Briefkasten steckt oder beim Bäcker liegt, das hat eine wahnsinnig große Rolle gespielt. In Tübingen[3] waren die Medien von Anfang an gegen uns, weil das ein Hort der Tierversuchsindustrie ist. Da haben wir so richtig gemerkt, daß wir stören. Hier haben wir eigentlich das Gegenteil festgestellt, hier war man erleichtert. Wir schreiben seit Jahren darüber, und endlich verfügt man über die Beweise. Deswegen denke ich, daß gerade die Medien und die Berichterstattung hier eine wichtige Rolle für die Mobilisierung erfüllt haben. Aber die Hauptrolle spielen die Bilder. Die Menschen wollen die Realität sehen, sie schauen sich die schlimmen Bilder an. Und man sieht, wenn die Menschen die Information haben, dann handeln sie auch korrekt.

SB: Bei der wissenschaftlichen Nutzung von Tieren gibt es ganz neue Bereiche, so in der synthetischen Biologie, wo Tierexperimente stattfinden, bei denen Hybridwesen erschaffen und ganz neue Formen von Tierausbeutung praktiziert werden. Haben Sie schon mal überlegt, auch in diese Richtung etwas zu machen?

FM: Wir halten uns ja grundsätzlich bedeckt, aber für SOKO Tierschutz sind zwei Grundsätze wichtig: Tierquäler sollen sich nicht verstecken können, und wir wollen schwarze Löcher finden. Als schwarze Löcher bezeichnen wir diejenigen Bereiche in den Industrien oder der Tierausbeutung, wohin niemand vordringt, die das Licht verschlucken, wo nichts rauskommt. Gerade in der Primatenforschung passieren in Bereichen, die Sie angesprochen haben, momentan schauderhafte Dinge. Wir beobachten das ganz genau. Und wer weiß, wo der nächste Undercover-Ermittler einige Monate verbringt? Sicher sollte sich da keiner fühlen.

SB: Was sagen Sie zum Thema Xenotransplantation, die eine besonders grausame Form der Forschung an Tieren darstellt?

FM: Da bin ich insofern besonders betroffen, weil ich aus München komme, und das ist der Hotspot der Xenotransplantation, bei der Tieren die Organe entnommen werden, in andere verpflanzt werden, teilweise auch Extremitäten ersetzt werden und alles mögliche. An der Uni München wird sehr viel in diese Richtung geforscht, aber man kann nicht überall sein. Eine Undercover-Recherche ist für uns als kleine Organisation ein gigantischer Gewaltakt. Uns war es jetzt erst einmal wichtig, die toxikologische Forschung aufs Korn zu nehmen. Aber im Max-Planck-Institut ging es ja schon um den Bereich Grundlagenforschung, wo auch die Xenotransplantation beheimatet ist. Also mich würde es interessieren.

SB: Die Demonstration zum Auftakt der Kampagne gegen LPT vor sechs Jahren wurde von etwa 350 AktivistInnen besucht. Heute sind siebeneinhalb bis zehntausend Menschen gegen das Tierversuchslabor auf die Straße gegangen. Gibt es Ihrer Ansicht nach im Bewußtsein der Bevölkerung eine neue Sensibilität für die Tierfrage nicht nur im Sinne dessen, daß man sich gesünder oder klimafreundlicher ernähren will, sondern wo auch das subjektive Leiden der Tiere eine Rolle spielt?

FM: Es ändert sich gerade alles. Ich habe schon in den 90er Jahren immer vertreten, daß wir das mit der Tierausbeutung etwa 2030 zumindest bei Fleisch, Milch und Eiern hinter uns haben, dabei bleibe ich. Das läuft. Aber was sich in den letzten vier, fünf Jahren in der Gesellschaft verändert hat, und zwar durch alle Strukturen hindurch, auch in der Justiz und in den Behörden, wo es immer noch knöchern und schwierig zugeht, ist, daß jetzt Tierquäler endlich vor Gericht kommen. Das gab es früher nicht. Früher wurde die Anzeige zerknüllt und in den Papierkorb geschnipst. Demonstrationen dieses Ausmaßes nicht nur für die Tiere, sondern auch für die Umwelt hätte man sich früher nicht vorstellen können. In den 80er Jahren vielleicht schon, aber dann schlief das irgendwie ein. Das zeigt, daß Sachen einfach aufreißen, daß die Leute bereit sind, Einsatz zu zeigen, daß sie bereit sind, ihr eigenes Leben zu verändern. Und das stimmt mich hoffnungsvoll.

SB: Heute wachsen verschiedene Themen zusammen, wie etwa die Rinderhaltung in Brasilien, die die Entwaldung des Regenwaldes vorantreibt, was wiederum den Klimawandel beschleunigt. Meinen sie, daß sich dies auch auf die Mobilisierung der Jugend auswirkt, so daß immer mehr Probleme im Zusammenhang aufgegriffen werden?

FM: Eigentlich ist das Ganze eine alte Nummer. Ich komme aus den 80ern, 90ern, und damals hieß es schon: Three struggles, one fight. Menschenrechte, Umweltrechte, Tierrechte, das gehört zusammen. Das ist über die Jahre von Organisationen auseinandergerissen worden, die gesagt haben: nur für die Tiere, nur für die Menschen, nur für die Umwelt. Im Prinzip wächst jetzt zusammen, was zusammengehört, und ich denke, das macht vielen in den Ausbeutungsindustrien gerade richtig viel Angst. Es ist ja genauso wie mit MeToo. Endlich werden die Leute, die sich erdreisten, Frauen zu mißhandeln, in die Öffentlichkeit gestellt und zur Rechenschaft gezogen, egal ob sie große Herren in Hollywood oder in der Gesellschaft sind. Die Schonzeit ist einfach vorbei. Das heißt nicht, daß unsere Gesellschaft schon auf einem grünen Zweig ist, aber es gibt zumindest Anlaß zur Hoffnung, daß wir auf den grünen Zweig kommen.

SB: Herr Mülln, vielen Dank.


Auf LKW-Rampe mit Mikrofon - Foto: © 2019 by Schattenblick

Abschlußkundgebung auf dem Neugrabener Markt
Foto: © 2019 by Schattenblick


Fußnoten:


[1] https://www.soko-tierschutz.org

[2] https://www.schattenblick.de/infopool/tiere/report/trbe0017.html

[3] Undercover-Ermittlung im Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik in Tübingen
https://youtu.be/5qQbQ_S3P6E


24. Oktober 2019


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