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ETHIK/040: Das Fleisch ist billig, der Geist schwach (Ingolf Bossenz)


Das Fleisch ist billig, der Geist schwach

Gipfelrekorde deutscher Schlachthauskultur und Propaganda auf der Höhe der »Zeit«

von Ingolf Bossenz, 20. Februar 2016


Von Kopf bis Fuß mit Blut besudelt, im Gürtel kleine und lange Messer. Die Schlachter ziehen von Haus zu Haus, um die Tiere fachgerecht zu zerlegen. Normalerweise tötet der Hausherr oder Familienvater das Schaf. Eine Aufgabe, die später auf den Erstgeborenen übergeht. Den Opfertieren wird die Kehle durchgeschnitten und dabei ein Gebet gesprochen - langsam bluten die Tiere aus. Für Muslime die vorgeschriebene rituelle Form des Schlachtens.

Das Zitat entstammt einer »nd«-Reportage aus Tanger (Marokko) über das alljährliche islamische Opferfest, das darin als »ein Fest der religiösen Besinnung« beschrieben wird. Besinnung per Massaker an Millionen »Opfertieren« - dass dies in den Medien des Okzidents nach wie vor eher als Exotik à la »Karneval der Kulturen« denn als kritikwürdiges und verurteilenswertes Phänomen gilt, hat zweifellos mit einer Tendenz zu tun, die der britische Evolutionsbiologe Richard Dawkins in seinem Buch »Der Gotteswahn« beschreibt: Es ist die »Tendenz, wunderliche religiöse Gewohnheiten einzelner ethnischer Gruppen zu glorifizieren und die in ihrem Namen begangenen Grausamkeiten zu rechtfertigen«.

Nun bietet nicht nur der islamische Kalender solch blutige Daten. Im christlichen Jahreslauf liegt Weihnachten gerade hinter, Ostern gerade vor uns. Die an Jesu Geburt respektive sein Ableben und Wiederauferstehen erinnernden Feierlichkeiten sind hierzulande veritable Schlachtfeste, die ohne den Tod von Millionen »Mitgeschöpfen « (wie sie im deutschen Tierschutzgesetz heißen), die gut durchgebraten die Festtagstafel krönen, nicht denkbar sind. Von besonders zynischer Symbolik ist die Tatsache, dass ausgerechnet an einem 25. Dezember (1865) das Zeitalter der industriellen Massentötung von Tieren begann - mit der Eröffnung der Union Stock Yards, der berüchtigten Schlachthöfe von Chicago.

Dass die abendländische Schlachthauskultur nicht auf eine Handvoll Daten im christlichen Kirchenjahr limitiert ist, sondern alle 365 Tage fest im Griff hat, erhellt die Meldung, dass in Deutschland noch nie so viel Fleisch »erzeugt« wurde wie im vergangenen Jahr: 8,22 Millionen Tonnen. Allein die Zahl der dafür nach einem elenden Leben dem brutalen Tod mit anschließender Zerstückelung überantworteten Schweine stieg 2015 auf 59,3 Millionen.

Die Verkündung dieser exorbitanten Gipfelleistung werktätig-produktiver Gewalt kam passgenau zur diesjährigen Fastenzeit. Und folgerichtig holten die Redaktionen mehr oder weniger abgehangene Betrachtungen zum Thema Fleischverzehr und Fleischverzicht aus den Kühlkellern mit den Kommentarbergen. Immerhin ist ein Klageruf wie in der »Bild«, dass »Umwelt-Politiker den Deutschen die Fleisch-Lust austreiben« wollen, eher die Ausnahme. Es geht um Gesundheitszerstörung (bei Menschen), Umweltverschmutzung, Klimaschädigung, Welthunger und andere hinlänglich bekannte, besprochene und beurteilte fatale Folgen des übermäßigen Labens an den Leibern der massakrierten Kreaturen. Auch von den »Exzessen der Massentierhaltung« ist die Rede.

Dass jeder Verzehr von Fleisch eine moralische Dimension hat; dass Leben, Leiden und Sterben fühlender Wesen untrennbar und unleugbar mit der exzessiven »Produktion« von Fleisch verbunden sind - das wird weitgehend ignoriert. Was der griechische Schriftsteller und Philosoph Plutarch postulierte, ist nach fast 2000 Jahren noch immer kein allgemein akzeptiertes ethisches Essential: »Für einen Bissen Fleisch nehmen wir einem Tier die Sonne und das Licht und das bisschen Leben und Zeit, an dem sich zu erfreuen seine Bestimmung gewesen wäre.«

Tierrechtler bilden weiterhin eine randständige Minderheit, Vegetarismus und Veganismus sind vor allem Attribute eines modernen, metropolitanen Lebensstils.

Mit der muslimischen Masseneinwanderung ist langfristig eine mit dieser einhergehende Rückentwicklung der Bewusstseins- und Bewertungslage bei Tierrechten durchaus zu befürchten. Nur notorische Schwarzzeichner werden Zustände wie die eingangs geschilderten erwarten. Doch inzwischen gehört es zur Talkshow-Kultur hierzulande, »Respekt« einzufordern »gegenüber den religiösen Vorstellungen und Vorschriften von Minderheitsreligionen«. Wie es unlängst Volker Beck tat. Der Sprecher für Religionspolitik der grünen Bundestagsfraktion bezog sich in seiner Reverenz explizit auf den Islam und dabei auf die Praktiken des religiös begründeten betäubungslosen Schlachtens von Tieren und die nicht zuletzt unter sozialem Druck erfolgende Beschneidung kleiner Jungen. Becks eigene Prämisse, religiöses Brauchtum dürfe nicht »die Rechte von Dritten einschränken«, wirkt hier, gelinde gesagt, äußerst wackelig.

Respekt? Gewiss. Doch sollte dieser vor allem dem Leben, auch dem tierlichen, entgegengebracht werden. Albert Schweitzer sprach sogar von »Ehrfurcht vor dem Leben«. Mittlerweile gibt es noch eine andere, indes kaum überraschende Strategie, dem Eintreten für Tierrechte den Ruch des Reaktionären anzuhängen: Die Aufrechnung von Flüchtlingselend gegen Tierelend.

Als veritable Frontfrau solcher Propagandafeldzügler geriert sich Elisabeth Raether, die in der »Zeit« ihre Pappkameraden aufbaut, um sie anschließend glorios zur Strecke zu bringen: »Wir zerbrechen uns den Kopf über die psychischen Folgen, die es für ein Kalb hat, wenn es zu früh von seiner Mutter getrennt wird, während wir zugleich behaupten, das Töten von Kindern im Nahen Osten sei eine vom Völkerrecht gedeckte Kriegshandlung. Die Empörung über das Leid, das Hühnerküken angetan wird, ist riesig. Doch angesichts von menschlichem Elend zucken wir mutlos mit den Schultern.«

Dass »wir« uns den Kopf über das Wohlergehen von Kälbern zerbrechen, ist ein ebensolcher Unsinn wie die Feststellung, die Empörung über das Kükenleid sei »riesig«. Dass »wir« der Ansicht seien, das Töten von Kindern stehe im Einklang mit dem Völkerrecht, entzieht sich ohnehin jeder sinnvollen Entgegnung. Raether, die schon vor Jahren behauptete, es gebe »wenige Untersuchungen und wenige empirische Ergebnisse zur Gefühlswelt von Tieren« (diese dürften ganze Bibliotheken füllen), steigert sich schließlich zu intellektuell schwer unterbietbarer Dramatik: »Mitgefühl für flauschige Tierbabys fällt natürlich leichter als zum Beispiel Mitgefühl mit fremd aussehenden jungen Männern. Die brauchen zwar auch unsere Hilfe, aber bewahren sich dabei womöglich etwas von ihrem Eigensinn, über den Küken nicht verfügen.«

Da solcher Stuss auf den Seiten und Portalen sich seriös gebender Medien erscheint, kann immerhin konstatiert werden, dass die Meinungsfreiheit sich wohl doch noch nicht derart in Gefahr befindet, wie bisweilen geargwöhnt. Es ist allerdings auch zu hoffen, dass engagierte Tierrechtler und -schützer resistent bleiben gegen derlei platte Propaganda.

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Quelle:
Ingolf Bossenz, Februar 2016
Der Schattenblick veröffentlicht diesen Artikel mit der freundlichen
Genehmigung des Autors.
Erstveröffentlicht in Neues Deutschland vom 20./21. Februar 2016
https://www.neues-deutschland.de/artikel/1002424.das-fleisch-ist-billig-der-geist-schwach.html


veröffentlicht im Schattenblick zum 21. Februar 2016

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