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BERICHT/082: Abschaffung der Ferkelkastration - Holland wieder einen Schritt voraus (PROVIEH)


PROVIEH Heft 1 - März 2009
Magazin des Vereins gegen tierquälerische Massentierhaltung e.V.

Abschaffung der Ferkelkastration:
Holland wieder einen Schritt voraus

Von Sabine Ohm, Büro Brüssel


Es ist etwas mehr Bewegung in den deutschen Schweinefleischsektor gekommen, seit PROVIEH im Juli 2008 mit Hilfe der niederländischen Tierschutzorganisation Wakker Dier die Abschaffung der betäubungslosen Ferkelkastration in Deutschland durch eine so diskrete wie intensive Kampagne zu betreiben begann. Zwar gibt es bisher nur kleine konkrete Schritte, die in der Öffentlichkeit sichtbar werden, aber die Erzeuger, Schlachter, Verarbeiter und der Einzelhandel haben sich in ihrer Düsseldorfer Erklärung im September 2008 immerhin schon öffentlich auf das Ziel der Abschaffung der Ferkelkastration festgelegt. Seit Anfang 2009 sitzen sie deshalb an einem Tisch, um gemeinsam und schnellstmöglich eine praxistaugliche Alternative zur Kastration zu entwickeln und zu finanzieren.

Das ist an sich schon ein großer Erfolg, da sich die meisten Hauptakteure zuvor höchst skeptisch bis rundheraus ablehnend gegenüber der Abschaffung der betäubungslosen Kastration geäußert hatten. Heute tun das nur noch ganz sture Köpfe, die die Macht des Sinneswandels nicht erkennen oder nicht erkennen wollen. Die Ferkelkastration - ob mit oder ohne Betäubung - ist in Deutschland und in Europa ein Auslaufmodell! Es ist nur noch eine technische Frage, ob die Ferkelkastration schon Ende 2010 (analog der Ökoschweinehaltung gem. der neuen EU-Verordnung) oder erst in 2011 aufhören kann. Vom "Ob" ist nicht mehr die Rede.

Die Entwicklung der elektronischen Nase zur Erkennung des manchmal auftretenden Ebergeruchs (vgl. Infobox S.20, Heft 2/2008) am Schlachtband befindet sich schon jetzt in einem weit fortgeschrittenen Stadium. In den Niederlanden, der Schweiz und sogar in Deutschland wird das Fleisch von Ebern schon jetzt durch Erhitzungsproben auf Ebergeruch geprüft. In Dänemark scheint die Methode des Spermasexings schon in einem fortgeschrittenen Stadium zu sein, das zur Geburt vor allem von weiblichen Ferkeln führt (siehe Infobox).

Die Niederländer sind uns einen Schritt voraus. Schon im Herbst 2007 zeichnete sich dort ein privatwirtschaftlicher Konsens zur Abschaffung der betäubungslosen Ferkelkastration ab, der dazu führte, dass ab März 2009 kein Fleisch unbetäubt kastrierter Schweine mehr im Einzelhandel verkauft wird. Zuvor hatten sich schon Norwegen, Belgien und die Schweiz ausdrücklich für einen solchen Schritt ausgesprochen. Im EU-Projekt PIGCAS wurden praktikable Alternativen zur betäubungslosen Ferkelkastration entwickelt. Dennoch leugneten Vertreter der deutschen Schweinewirtschaft und der Politik solche Alternativen noch im November 2007 auf einem Workshop der Deutschen Gesellschaft für Zuchtkunde in Bonn. Stattdessen wollten sie, dass 22 Millionen Ferkel in Deutschland und 100 Millionen in der EU auch weiterhin betäubungslos kastriert werden. Dr. Zwingmann aus dem Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (BMELV) ließ sich in diesem Glauben nicht erschüttern und behauptete in der tierärztlichen Fachzeitschrift VET Impulse (Ausgabe vom 15. Januar 2009), er sehe "keine einzige sinnvolle Alternative". Er übersah: Lösungen für ein Problem fallen nicht vom Himmel, sie müssen aktiv entwickelt werden.

Das deutsche Qualitätssicherungssystem "QS" - ein freiwilliger Zusammenschluss führender Verbände und Organisationen der Lebensmittelwirtschaft mit mehr als 100.000 Systempartnern im Bereich Fleisch und Fleischwaren - hat am 22. Januar 2009 endlich die post-operative Schmerzbehandlung bei der Ferkelkastration ab dem 1. April für seine Mitglieder zur Pflicht gemacht. Allerdings ist dies eher ein Akt der Augenwischerei als ein echter Schritt hin zur Abschaffung der Kastration. Eine Schmerzlinderung wäre auch schon früher möglich gewesen durch Umwidmung der entsprechenden Wirkstoffe. Doch vor unserem Kampagnenbeginn hat sich keiner der Akteure um die Schmerzen der Tiere geschert! Jetzt wirkt die Verpflichtung durch QS wie eine Alibihandlung, um den Medien Aktionswilligkeit zu demonstrieren und den Eindruck zu erwecken, als sei damit das Schmerzproblem schon gelöst.

PROVIEH lässt sich von dieser Minimalmaßnahme nicht einlullen: Die schmerzstillende Wirkung der bisher vorgesehenen Wirkstoffe (Meloxicam und Flunixin), beide aus der Familie der nichtsteroidalen Entzündungshemmer (NSAID), tritt erst etwa 20 Minuten nach der Injektion ein, in der Praxis wohl 20 Minuten nach der Kastration. Ferkel würden also weiterhin unter Stress und Schmerz leiden, der durch die Kastration erzeugt wird. Die Wirkungsdauer der Mittel beträgt nur etwa 12 (Flunixin) bis 20 Stunden (Meloxicam), die Wundheilung dagegen dauert mehrere Tage. Auch die derzeit bereits praktizierten Betäubungen mit CO2 und Isofluran (in den Niederlanden bzw. bei Neuland) vor der Kastration erweisen sich aus vielerlei Gründen als suboptimal für die Tiere, Landwirte und die Umwelt. Auch deshalb arbeiten wir weiter an der völligen Abschaffung der Ferkelkastration.

Bewegt hat sich auch QS. Inzwischen hat sich diese Organisation schon mehrfach zur völligen Abschaffung der Ferkelkastration bekannt und will "eine Koordinierungsplattform [unterstützen] mit dem Ziel, den Wissensstand zu evaluieren und die notwendige Forschung koordiniert und zielstrebig voranzutreiben".

Noch erfreulicher (da ein echter, konkreter Fortschritt für zigtausend Ferkel) ist eine niederländische Pressemitteilung vom 29. Januar 2009: Tönnies Fleisch - der große deutsche Schweineschlacht- und Fleischverarbeitungsbetrieb aus Rheda-Wiedenbrück - will zusammen mit seinem niederländischen Partner Groothedde den holländischen Markt ab August 2009 nur noch mit Fleisch von Betrieben beliefern, auf denen nur unkastrierte Schweine gemästet werden. Dieser Ankündigung sind monatelange Tests und Versuche vorausgegangen, die Gefahr des Ebergeruchs zu bannen - ein wichtiges Zeichen auch für den deutschen Markt, auf dem Tönnies Fleisch ebenfalls einer der wichtigsten Akteure ist. Wegen der viel größeren Liefermengen ist eine völlige Umstellung auf dem deutschen Markt für 2009 noch nicht zu erwarten.

Auch in der EU tut sich etwas: Da sich seit Abschluss der Erhebungen für das oben erwähnte PigCas Projekt in 2006 so viel geändert hat, wurde Ende 2008 eine kurze, einjährige Anschlussstudie vergeben, um den neuesten Stand zu berücksichtigen. Die Ergebnisse müssen spätestens bis Ende Dezember 2009 vorliegen und werden mit Sicherheit auch die Fortschritte in Richtung Abschaffung der Ferkelkastration in Deutschland berücksichtigen. Zudem gab der dänische Justizminister jüngst bekannt, dass in Dänemark eine Schmerzbehandlung bei Ferkelkastrationen schon ab dem 1. Januar 2010 gesetzlich vorgeschrieben sein wird. Dies erhöht die Chancen auf eine baldige gesamteuropäische Abschaffung der Ferkelkastration, denn offensichtlich greift das Bewusstsein der Schmerzhaftigkeit dieses Eingriffs immer schneller um sich.


INFOBOX

Spermasexing:

Die Herstellung einer einzigen Besamungsportion zur ausschließlichen Erzeugung weiblicher Nachkommen durch Trennung von Samenzellen ist mit der derzeit in Deutschland verfügbaren Technik sehr aufwändig und dauert mehrere Tage; die Zeit bis zur Marktreife wurde deshalb bisher noch auf etwa 10 Jahre geschätzt. In Dänemark scheint man weiter zu sein und eventuell schon ab 2010 mit einer kommerziellen Nutzung zu rechnen, was aber bisher noch nicht durch offizielle Quellen bestätigt wurde.


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Quelle:
PROVIEH Heft 1, März 2009, Seite 13-15
Herausgeber: PROVIEH - Verein gegen
tierquälerische Massentierhaltung e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 17. April 2009