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BERICHT/087: Üble Folgen aus peinlichen Fehlern bei Vogelgrippe-Tests (PROVIEH)


PROVIEH Heft 2 - Juni 2009
Magazin des Vereins gegen tierquälerische Massentierhaltung e.V.

Üble Folgen aus peinlichen Fehlern bei Vogelgrippe-Tests

Von Peter Petermann und Sievert Lorenzen


Kennen Sie noch das "Phantom von Heilbronn"? So wurde die mutmaßliche Serientäterin genannt, deren genetische Spuren an vierzig sehr verschiedenen Tatorten gefunden wurden. Ein Zusammenhang zwischen den vielen Verbrechen war nicht erkennbar und wurde mit jedem neuen genetischen Nachweis nur rätselhafter. Jahrelang fahndete die Polizei erfolglos, bis die Identität des "Phantoms" im März 2009 endlich erkannt wurde. Es war eine Verpackerin von Wattestäbchen, mit denen die Abstriche an den Tatorten genommen wurden. Bewundernswert ist, dass mit der hochsensiblen PCR-Technik selbst geringste DNA-Spuren der Verpackerin zuverlässig nachgewiesen werden konnten. Der peinliche Fehler aber bestand im jahrelangen blinden Glauben an die Unfehlbarkeit selbst unplausibler Laborergebnisse.

Seit 2008 wurde in der virologischen Fachliteratur wiederholt gezeigt, dass fehlerhafte Labor-Ergebnisse bei genetischen Tests regelmäßig vorkommen. Das erstaunt nicht, denn mit Hilfe der PCR-Methode können selbst geringste Fragmente einer Erbsubstanz (z.B. von Viren) nachgewiesen werden. Doch ob diese Fragmente von den beprobten Tieren stammen oder von einer späteren Verunreinigung im Labor, verrät ein Laborergebnis nicht.

Das Wissenschaftsforum Aviäre Influenza (WAI)1 hegt den dringenden Verdacht, dass verschiedene "Nachweise" von hochpathogenen Vogelgrippeviren des Subtyps H5N1 (HPAIV H5N1) falsch sind und deshalb zu schweren seuchenpolitischen Fehlleistungen geführt haben. Drei Beispiele:


1) "Vogelgrippe" bei der Hausgans von Wickersdorf ist ein Skandal

Am 2. Juli 2007 starb im Minizoo einer Behinderteneinrichtung in Wickersdorf (Thüringen) eine Hausgans. In Proben aus ihr wurden geringste Spuren von HPAIV H5N1 gefunden. Unverzüglich ließ der Amtstierarzt im Umkreis von 3 km alle 1.211 Hausvögel aus 97 Haushalten auf grausame Weise töten (siehe Heft 2/2008). Hinweise auf HPAI H5N1 in weiteren Haus- oder Wildvögeln der Region ließen sich nicht finden. Seit Januar 2009 (sehr spät!) ist endlich der Grund hierfür bekannt:

Ebenfalls Anfang Juli 2007 starben 70 km entfernt von Wickersdorf, am Stausee Kelbra, 285 Schwarzhalstaucher innerhalb weniger Tage an HPAI H5N1. Die Wickersdorfer Hausgans und die Schwarzhalstaucher wurden etwa zeitgleich im gleichen Thüringer Landesamt beprobt. Offenbar gerieten Viren aus einem Schwarzhalstaucher als Verunreinigung in die Probe aus der Gans. Anders ist der Befund des Friedrich-Loeffler-Instituts (FLI) nicht zu verstehen, dass die Viren aus der Hausgans mit denen aus einem Schwarzhalstaucher genetisch praktisch identisch sind.


2) Markersdorf 2008: Klassischer Fall einer "zeitlichen Anomalie"

Der bislang letzte "Ausbruch" bei deutschem Nutzgeflügel scheint sogar beim FLI Zweifel ausgelöst zu haben. Bei einer Routineuntersuchung in einem Enten- und Gänsebestand in Markersdorf (Kreis Görlitz, Sachsen) wurde im Oktober 2008 in der Pflichtprobe aus einer gesunden Ente HPAIV H5N1 gefunden (siehe Heft 4/2008). Fast identische Viren waren schon im April 2006 bei einer wildlebenden Reiherente gefunden worden. Im FLI staunte man über diese "zeitliche Anomalie", denn es ist unbekannt, dass sich eine Virenlinie in der Natur unverändert über zweieinhalb Jahre halten kann. In den fixierten Proben des Labors, das beide Fälle untersucht hatte, ist so etwas jedoch möglich.

Wie üblich wurde alles Geflügel auf dem Markersdorfer Hof getötet, und ebenfalls wie üblich konnten keine weiteren Fälle von HPAI H5N1 in der Umgebung gefunden werden. Wiederum ist zu vermuten, dass eine Verunreinigung im Labor zur Massentötung führte.


3) Starnberg 2009: Eine Ente macht noch keinen Ausbruch...

Der bislang letzte H5N1-"Nachweis" stammt von einer Stockente am Starnberger See, die im Januar 2009 geschossen wurde. Wiederum konnten nur mit Mühe minimale Mengen viraler Gen-Fragmente in der Probe gefunden werden. Die Umstände - völlig isolierter Einzelbefund, zweifelhaftes Laborergebnis - ähneln anderen zweifelhaften "Nachweisen", so dass auch in diesem Fall mit einem Laborfehler gerechnet werden muss. Eine unabhängige Überprüfung der Vermutung ist nicht mehr möglich, weil die Ente längst verzehrt ist.


Forderung: Seuchenbekämpfung muss rechtsstaatlich sauber werden

Die Schlussfolgerung aus den Fehlleistungen und ihren üblen Folgen kann nur lauten: Bei der Seuchenbekämpfung müssen endlich rechtsstaatliche Verhältnisse geschaffen und beachtet werden. Die Behörden müssen Transparenz herstellen. Sie müssen epidemiologische Befunde und Laborergebnisse und -protokolle sofort veröffentlichen und die Interpretation der Befunde begründen. Auch Ergebnisse von Ringtests zur Qualitätssicherung von Tests sollten vom FLI und den Landesämtern vollständig und zeitnah veröffentlicht werden. Schließlich muss eine unabhängige Berufungsinstanz eingerichtet werden, an die sich Betroffene im Fall von Zweifeln an der Richtigkeit von Laborbefunden und deren Interpretationen wenden können.

Als Sofortmaßnahme sollten schwerwiegende Entscheidungen nicht länger aufgrund von zweifelhaften Einzelbefunden getroffen werden. Auch in Labors geschehen Fehler - weil dort Menschen arbeiten, auch im FLI.


Peter Petermann, WAI
Sievert Lorenzen, PROVIEH


[1] Weitere Informationen zum WAI und Quellennachweise im Internet:
www.wai.netzwerk-phoenix.net.


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Quelle:
PROVIEH Heft 2, Juni, 2009, Seite 36-37
Herausgeber: PROVIEH - Verein gegen tierquälerische Massentierhaltung e.V.
Küterstraße 7-9, 24103 Kiel
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PROVIEH erscheint viermal jährlich.


veröffentlicht im Schattenblick zum 31. Juli 2009