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BERICHT/093: Die Verordnungspest (PROVIEH)


PROVIEH Heft 4 - Dezember 2009
Magazin des Vereins gegen tierquälerische Massentierhaltung e.V.

Die Verordnungspest

Von Stefan Johnigk


Puten sind empfindliche Tiere. Das gilt ganz besonders, wenn man sie unter Missachtung ihrer natürlichen Lebensbedürfnisse in industrieller Intensiv-Mast auf engstem Raum aufzieht. Der ständige Stress, die hohe Dichte der Artgenossen, Staubbelastung, Ammoniak in der Luft und die mangelnde Bewegung schwächen ihr Immunsystem. Da braucht nicht erst die Vogelgrippe zuzuschlagen. Ein einfacher Infekt reicht manchmal schon aus, um hunderte Vögel eines Bestandes umzubringen. Die "Verordnung zum Schutz gegen die Geflügelpest" sorgt dann dafür, dass auch von den vielen Tausend gesunden Tieren der Herde garantiert keines mehr überlebt. Sie werden vorsorglich und auf den bloßen Verdacht hin vernichtet.

Das klingt so zynisch, dass man es kaum glauben möchte. Anfang November 2009 wurde dieses Prinzip in Süstedt, einem Ort in der niedersächsischen Gemeinde Bruchhausen-Vilsen, erneut unter Beweis gestellt. In einem konventionellen Putenstall mit rund 30.000 Tieren waren auffallend viele Vögel verendet. Verordnungsgemäß informierte der Halter die Behörden, die umgehend feststellten, einen Anfangsverdacht auf Vogelgrippe nicht ausschließen zu können. Sofort wurde eine Sperrzone von drei Kilometern eingerichtet und Proben für eine genauere Analyse an das Friedrich-Löffler-Institut geschickt.


Küken wurden "abgegast"

Bevor jedoch die endgültigen Laborergebnisse vorlagen, gab das Landwirtschaftsministerium bereits grünes Licht für die Keulung. Noch in der Nacht begann die Vernichtungsaktion. 800 Putenküken wurden "abgegast", die fast erwachsenen, bereits bis zu 19 kg schweren Truthühner mit Elektroschocks betäubt und dann getötet. "Da sind uns die Hände gebunden, die Verordnung zum Schutz gegen die Geflügelpest schreibt uns vor, wie wir vorzugehen haben." bedauert dies später ein Mitarbeiter vom "Fachdienst Veterinärwesen und Verbraucherschutz" gegenüber der Presse.

Tatsächlich ist diese Verordnung die eigentliche Pest. Sie ist unklar, unlogisch und im höchsten Maße ungerecht. Industrielle Geflügelställe und Brütereien gelten per Definition als "biosicher". Routineuntersuchungen auf Vogelgrippe sind innerhalb dieser zum Teil riesigen Bestände nicht vorgeschrieben. So können sich Viren unentdeckt entlang der Handelsströme verbreiten, bis sie auf eine genügend geschwächte Herde treffen, in der sie zur tödlichen Erkrankung führen.

Freiland-Geflügelhalter dagegen müssen in regelmäßigen Abständen ihre Tiere auf Vogelgrippeviren untersuchen lassen. Damit werden sie massiv gegenüber ihren industriellen Kollegen benachteiligt. Kommt es in einem Intensiv-Geflügelbestand zum Ausbruch der Grippe, werden auch alle Freiland-Geflügelherden innerhalb der Sperrzone gekeult. Außerhalb der Todeszone leiden die Freilandgeflügelherden unter der erzwungenen Stallpflicht. Diese Ungerechtigkeit hält an, obwohl mittlerweile kaum ein ernstzunehmender Wissenschaftler noch an die Mär von einer Vogelgrippeausbreitung durch Wildvögel glaubt.


Die Stallpflicht muss weg!

PROVIEH ist sich einig mit vielen Tierschützern, Geflügelhaltern und Vogelkundlern, dass die Geflügelpest-Verordnung in ihrer jetzigen Form mehr Schaden anrichtet als sie vermeidet. Die Aufstallungspflicht für Freilandgeflügel muss endlich abgeschafft werden. Die hunderttausende Nutzvögel aus intensiv gehaltenen Beständen müssen in die vorsorglichen Vogelgrippetests einbezogen werden. Im bloßen Verdachtsfall auf Vogelgrippe sollte zunächst eine Quarantäne bis zum Eintreffen belastbarer Laborergebnisse verhängt werden, statt gleich zu keulen. In einem breiten Bündnis appellieren wir an Bundeslandwirtschaftsministerin Ilse Aigner, dafür zu sorgen.

In Süstedt konnte der Verdacht auf Vogelgrippe letztlich nicht bestätigt werden. Doch die Entwarnung vom Friedrich-Löffler-Institut kam knapp 12 Stunden zu spät. 30.000 Puten waren da schon sinnlos vernichtet worden.


Protest gegen Geflügelpest-Verordnung

Ein bundesweites Bündnis von bisher 11 Verbänden aus bäuerlicher Landwirtschaft und Tierschutz appelliert an die Bundesregierung, für eine Änderung der Geflügelpest-Verordnung zu sorgen, die Tierschutzanforderungen endlich ausreichend berücksichtigt. Mitgliedsverbände von PROVIEH, die auch in ihrem Namen den Appell mit unterzeichnen möchten, sind herzlich eingeladen, sich in der Bundesgeschäftsstelle zu melden.

Pro7 berichtete über Putenmast

Am 19.11.2009 strahlte der Sender Pro7 im Magazin Galileo einen Bericht zu den Zuständen in der deutschen Putenmast aus. PROVIEH lieferte den Journalisten im Interview den fachlichen Hintergrund. Ein führender Lobbyverband der Geflügelindustrie versuchte bis kurz vor Sendetermin, den Bericht zu stoppen.


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Quelle:
PROVIEH Heft 4, Dezember, 2009, Seite 34-35
Herausgeber: PROVIEH - Verein gegen tierquälerische Massentierhaltung e.V.
Küterstraße 7-9, 24103 Kiel
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PROVIEH erscheint viermal jährlich.


veröffentlicht im Schattenblick zum 21. Januar 2010