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BERICHT/096: Wird 2010 das Jahr des Schweines? (PROVIEH)


PROVIEH Heft 1 - März 2010
Magazin des Vereins gegen tierquälerische Massentierhaltung e.V.

Wird 2010 das Jahr des Schweines?

Von Sabine Ohm und Stefan Johnigk


Die Abschaffung der betäubungslosen Ferkelkastration ist in Deutschland im Jahr 2009 ein großes Stück näher gerückt. Mittlerweile favorisiert die Mehrheit der Branche die Alternative, männliche Schweine unkastriert zu mästen (Ebermast).

Vorschub bekommt diese Entwicklung aus den Niederlanden. Dort wurde im Jahr 2008 die Kastration unter CO2-Narkose eingeführt. Doch sie erwies sich bald als zu unangenehm für die Ferkel, als zu aufwendig und als wenig überprüfbar. Mittlerweile verstauben die teuren Geräte ungenutzt in den Ställen. Die Holländer steigen um auf die Ebermast.

Bereits im Juli 2009 gaben die Discounter LIDL und ALDI bekannt, aus dem Verkauf von Kastratenfleisch in allen niederländischen Filialen auszusteigen. Im Januar 2010 zog die größte niederländische Lebensmitteleinzelhandelskette Albert Heijn B.V. nach. Der Marktführer will ab dem 1. Juli 2011 nur noch Schweinefleisch verkaufen, das nach den Mindeststandards des Tierschutzgütesiegels "Beter Leven" (Besser Leben) erzeugt wurde.

Die Ebermast ist Teil dieses Programms. Die dazu benötigten rund 1.000.000 Schweine pro Jahr soll das Schlacht- und Verarbeitungsunternehmen VION liefern. Es zählt in Holland wie in Deutschland zu den Mächtigsten der Branche.

Was Albert Heijn vormacht, da kommt zudem mittelfristig auch kein Konkurrent in Holland drumherum. Deren Initiative hat aber auch weit über die Landesgrenzen hinaus Signalwirkung: Deutsche Betriebe, die nach Holland liefern, werden sich auf die neuen Anforderungen einstellen müssen, oder sie fliegen aus dem Markt. Schon jetzt zeigen deutsche Schweinefleischerzeuger Interesse an den Richtlinien von "Beter Leven". Wer bereits Fleisch unkastrierter männlicher Tiere anbieten kann, hat Vorteile.

Die deutsche Lebensmittelbranche kommt unter Handlungsdruck. Im Zuge unserer "Kastratenburger"-Kampagne (siehe Heft 03-2009) erklärten McDonald's und Burger King im Juli 2009 als erste Unternehmen in Deutschland den Umstieg auf Eberfleisch bis spätestens zum 1. Januar 2011. Etliche Schweinefleischverarbeiter testen bereits ihre Produkte auf die Verwendung von Eberfleisch. Das Angebot an Fleisch unkastrierter männlicher Schweine wächst stetig, kann aber die wachsende Nachfrage nicht decken. Die kritische Masse bei der Ebererzeugung ist noch nicht erreicht, rückt aber immer näher. Doch noch hat in Deutschland keine große Lebensmittelhandelskette den Mut gehabt, wie ALDI, LIDL und Albert Heijn in den Niederlanden den Verzicht auf die Ferkelkastration öffentlich anzukündigen. PROVIEH will den Lebensmitteleinzelhandel dazu bewegen, spätestens mit dem Verbot der betäubungslosen Ferkelkastration in der EU-Ökoschweinehaltung (ab 1. Januar 2012) vorbehaltlos und in allen Produktbereichen Eberfleisch zu akzeptieren.

Die Umstellung auf die Ebermast soll in den Schweineställen mit verbesserten Haltungsbedingungen zusammen fallen. PROVIEH setzt sich seit Ende 2008 gemeinsam mit Partnerorganisationen der "Europäischen Koalition für Nutztierschutz" (ECFA) dafür ein, dass die EU-Tierschutzvorschriften für die Schweinehaltung endlich auch in Deutschland vernünftig umgesetzt werden (siehe Heft 01-2009). Verdeckte Recherchen der ECFA in den sechs wichtigsten EU-Schweineerzeugerländern hatten Beweise für die mangelhafte Umsetzung der seit 2003 gültigen Schweinerichtlinie geliefert. PROVIEH forderte die zuständigen Ministerien auf, Abhilfe zu schaffen. Als diese auch nach einem Jahr nichts unternommen hatten, legte unser Fachverband bei der EU-Kommission Beschwerde ein (siehe Heft 04-2009).

PROVIEH kritisiert, dass bei der Umsetzung der EU-Richtlinie in nationales Recht wichtige Inhalte unklar formuliert oder ganz ausgelassen wurden - übel für die deutschen Schweine. Für sie gelten Ketten mit anhängenden Holzstücken als Wühlmaterial und das Abknipsen der Ringelschwänze ist nicht etwa als allerletztes Mittel zugelassen, sondern wird als Routineeingriff geduldet. Die Schlamperei bei der Umsetzung hat gravierende Folgen. Hunderte Schweineställe, die seither genehmigt wurden, dürften nach EU-Recht so nicht betrieben werden. PROVIEH wird nun mit den zuständigen Stellen auf eine zügige Behebung der Mängel hinarbeiten. Dabei ließen sich zeitgleich in den Betrieben die notwendigen Änderungen für die Ebermast vornehmen.

Der gemeinsame Druck der Nutztierschützer wirkt europaweit. Unsere Nachbarn machen uns vor, wie schnell ein Wandel herbei zu führen ist, wenn genügend Marktteilnehmer zum Handeln bewegt werden. PROVIEH kann sich mit all seinen Mitgliedern und Unterstützerinnen freuen, dass auch in Deutschland die Zeichen gut stehen für die Ebermast und für verbesserte Haltungsbedingungen in der Schweinehaltung.


Die niederländische Tierschutzorganisation "Dierenbescherming" vergibt das Tierschutzgütesiegel "Beter Leven" (Besser Leben). Danach können auch konventionelle tierische Erzeugnisse bei erhöhter Umwelt- und Tierfreundlichkeit mit 1 oder 2 Sternen ausgezeichnet werden (3 Sterne = Bioqualität). Das zugrundeliegende Punktesystem soll Anreize zu schrittweisen Verbesserungen liefern. Die bisher nicht präzise veröffentlichten Kriterien sollen u. a. den Verzicht auf Kastration, mehr Platz pro Schwein sowie verringerte Transportzeiten beinhalten.


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Quelle:
PROVIEH Heft 1, März, 2010, Seite 46-47
Herausgeber: PROVIEH - Verein gegen tierquälerische Massentierhaltung e.V.
Küterstraße 7-9, 24103 Kiel
Telefon: 0431/248 28-0
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PROVIEH erscheint viermal jährlich.


veröffentlicht im Schattenblick zum 24. April 2010