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BERICHT/105: Statt mehr Katzen - mehr "Katzenschutz-Verordnungen" (tierrechte)


tierrechte Nr. 56, Juni 2011
Menschen für Tierrechte - Bundesverband der Tierversuchsgegner e.V.

Statt mehr Katzen: Mehr "Katzenschutz-Verordnungen"

Von Stephanie Elsner


Das Thema ist in der Öffentlichkeit sowie auf allen politischen Ebenen angekommen: In Deutschland existiert ein Katzenproblem. Bundesweit gibt es eine starke, unkontrollierte Vermehrung von Katzen, die erhebliches Katzenelend bedingt (tierrechte 3.10 schilderte die Situation). Die Bundesregierung versagt bislang effektive Hilfe durch Festschreibung von verpflichtenden Kastrationen für "Freigängerkatzen" im Tierschutzgesetz. Etliche Kommunen haben nun eigene Wege beschritten, um das Problem in den Griff zu bekommen. Andere wagen sich noch nicht.


Im April scheiterte erneut ein Versuch, bundesweit für Rechtssicherheit zu sorgen: Der Bundestag lehnte mehrheitlich einen Antrag aus der Opposition - der SPD-Fraktion - zur Schaffung rechtsverbindlicher Vorschriften für eine verpflichtende Kastration von Katzen mit Freigang ab. Katzenschutz- und Tierschutzvereine sowie die Kommunen sind somit auf sich gestellt. Das "Paderborner Modell" ist daher "das Mittel der Wahl", das vielerorts gefordert und mancherorts schon umgesetzt wird. Doch warum folgen manche Kommunen dem Modell und andere nicht? Ein gewichtiger Grund ist die uneindeutige Rechtslage.


"Paderborner Modell" - bejubelt und ausgebremst

Paderborn hat 2008 als erste deutsche Stadt die Initiative ergriffen: sie schaffte eine Kastrations- und Kennzeichnungspflicht für Freigänger-Katzen; festgeschrieben in der ordnungsbehördlichen Verordnung der Stadt Paderborn. Männliche und weibliche Freigänger-Katzen ab dem fünften Lebensmonat müssen danach kastriert und mittels Tätowierung oder Mikrochip gekennzeichnet werden. Ausnahmeregelungen sind möglich!

Beifall dafür kam aus weiten Kreisen der Republik, darunter Politiker wie NRW-Umweltminister Johannes Remmel oder die Bundestierärztekammer.

Doch der Nachahmungseffekt kommt leider in keinster Weise der Vermehrungsrate der Katzen gleich. Denn die rechtliche Basis, um oben Genanntes in einer ordnungsbehördlichen Verordnung festzuschreiben, wird uneinheitlich beurteilt. So begann die Umsetzung solcher "Katzenschutz-Verordnung" zu stagnieren, als Nordrhein-Westfalens Landeshauptstadt Düsseldorf - die kurz vor Aufnahme o.g. Inhalte in ihre ordnungsbehördlichen Verordnung stand - seitens des Städte- und Gemeindebundes eine juristisch begründete Ablehnung erhielt. Die ordnungsbehördliche Verordnung einer Kommune dient der öffentlichen Sicherheit und Ordnung bzw. der Gefahrenabwehr. Laut Städtebund genüge es nicht, mit abstrakten Gefahren zu argumentieren. Vielmehr müsse jeweils belegt werden, wie hoch die Katzenpopulation und die dadurch entstandenen Gefahren für das städtische Leben tatsächlich seien. Doch das stellt die meisten Kommunen vor eine kaum lösbare Aufgabe. Zudem empfiehlt auch nach aktueller Auskunft der Deutsche Städtetag die Festschreibung in den ordnungsbehördlichen Verordnungen nicht, da abstrakte Gefahren durch Katzen fehlten.


Leid der Katzen betrifft öffentliche Ordnung

Doch dieser Standpunkt ist umstritten. Andere Rechtsbeurteilungen sehen hingegen die Legitimierung lokaler "Katzenschutz-Verordnungen". Anfang des Jahres hat beispielsweise die Deutsche Juristische Gesellschaft für Tierschutzrecht (DjGT) eine dezidierte Stellungnahme veröffentlicht. Zusammenfassend kommt sie zum Ergebnis, dass Katzenschutzvorschriften gemäß dem "Paderborner Modell" durch ordnungsbehördliche Verordnungen geregelt werden dürfen. Das Schutzgut der öffentlichen Ordnung sei allein durch Schmerzen und Leiden der Katzen betroffen. D.h., die Katzen müssen nicht erst eine Gefahr für andere im Stadtleben darstellen. Voraussetzung für die Festschreibung der regionalen Kastrationspflicht sei allerdings, dass es Ausnahmemöglichkeiten gebe, da Eigentumsrechte berücksichtigt werden müssten. Außerdem müsse der Verordnungsgeber im Vorfeld eine "hinreichende Prognose" abgeben, dass eine abstrakte Gefahr vorliege. Das Bundesverwaltungsgericht habe bei vergleichbaren Rechtsinhalten Kriterien aufgestellt, die hierfür in Betracht kämen: fachwissenschaftliche Stellungnahmen, Erkenntnisse fachkundiger Stellen, Statistiken und/oder belastbares Erfahrungswissen. Diese Möglichkeiten werden von den Kommunen unterschiedlich bewertet und genutzt. Während es den einen genügt, dass Tierheime über Überbelegung klagen und wiederholt Aufnahmestopps für Katzen aussprechen müssen, verlangen andere gar Katzenzählungen oder eindeutiges Zahlenmaterial.


Weitsichtige Kommunen

Aus Sorge vor Angreifbarkeit bzw. Gerichtsverfahren verändern etliche Kommunen, vor allem Einwohner starke, ihre ordnungsbehördlichen Verordnungen nicht für diese Katzenschutzmaßnahme. In der Pionierstadt Paderborn sind übrigens bisher derartige Rechtsstreitigkeiten ausgeblieben. Darüber hinaus mag es mancherorts auch andere Gründe geben, z. B. die Mehrarbeit, die eine "Katzenschutz-Verordnung" mit sich bringt; wenngleich diese verhältnismäßig gering erscheint. Wird jedoch nichts unternommen und das Katzenproblem in den Städten und Gemeinden wächst weiter an, dann werden neben dem Tierleid selbstverständlich auch Arbeit und Kosten für die Kommunen steigen. Alle Kommunalpolitiker tun also gut daran, jetzt Weitblick zu zeigen und alle Hebel in Bewegung zu setzen, damit dieser unbefriedigende Status quo endlich ein Ende hat.


Anmerkung der Redaktion: Das Thema ist komplexer als es hier wiedergegeben werden kann. Insbesondere die juristischen Argumentationen können nur verkürzt dargelegt werden.


Informationen

Die Stellungnahme der Deutschen Juristischen Gesellschaft für Tierschutzrecht e.V. 'Kastrationspflicht für Katzen durch Gefahrenabwehrverordnung", veröffentlicht 21.01.2011, ist über die Website der Gesellschaft abrufbar:
www.djgt.de

Beschlussvorlage und ordnungsbehördliche Verordnung der Stadt Paderborn sowie einiger anderer Kommunen können auf dem Portal des Bundesverbandes zur Dokumentation von parlamentarischen Aktivitäten auf dem Gebiet des Tierschutzes und der Tierrechte eingesehen und heruntergeladen werden unter:
www.tierschutzwatch.de
Menüpunkt 'Kommunen'

In Bielefeld hat der Bundesverband zusammen mit dem örtlichen Tierschutzverein die Schaffung einer kommunalen Kastrationspflicht angestoßen. Daraus resultierend hat das damalige Ratsund gleichzeitige Landtagsmitglied Günter Garbrecht (SPD) eine sogenannte Kleine Anfrage an die Landesregierung NRW gestellt. Anfrage und Antwort stehen unter:
www.tierschutzwatch.de
Menüpunkt 'Länder', 'Nordrhein-Westfalen', 'Landtag', 'SPD'

Weitere Informationen zum Thema und Anregungen zum Aktivwerden unter:
www.katzenschutzverordnung.de.vu/

Städte und Gemeinden, die eine 'Katzenschutz-Verordnung' über ihre Kommunalverordnung bereits eingeführt haben (ohne Gewähr für Vollständigkeit):
Bremen: Bremen
Niedersachsen: Bad Harzburg, Delmenhorst, Hildesheim, Verden
Nordrhein-Westfalen: Arnsberg, Bergheim, Bünde, Gütersloh, Halle, Jülich, Kall, Lemgo, Leverkusen, Lippstadt, Oer-Erkenschwick, Paderborn, Verl
Sachsen-Anhalt: Bad Dürrenberg


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Quelle:
tierrechte - Nr. 56/Juni 2011, S. 10-11
Infodienst der Menschen für Tierrechte -
Bundesverband der Tierversuchsgegner e.V.
Roermonder Straße 4a, 52072 Aachen
Telefon: 0241/15 72 14, Fax: 0241/15 56 42
E-Mail: info@tierrechte.de
Internet: www.tierrechte.de

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Der Verkaufspreis ist im Mitgliedsbeitrag enthalten.


veröffentlicht im Schattenblick zum 18. August 2011