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FRAGEN/002: "Tierschutz ist ein zentrales Thema unserer Zeit" - Interview mit Heinz Paula (tierrechte)


tierrechte 4.13 - Nr. 65, Dezember 2013
Menschen für Tierrechte - Bundesverband der Tierversuchsgegner e.V

Interview
"Tierschutz ist ein zentrales Thema unserer Zeit"



Die Tatsache, dass die Benennung eines tierschutzpolitischen Sprechers heute eine Selbstverständlichkeit ist, zeigt, dass der Tierschutz auch in der Politik angekommen ist. Heinz Paula war bis vor Kurzem tierschutzpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion im Bundestag. Er hat diese Funktion ernst genommen und sich sehr engagiert für die Tiere eingesetzt. Mit der neuen Legislatur hat er den Bundestag verlassen. Der Bundesverband schätzt Heinz Paulas Einsatz und ist gespannt, wie er die Entwicklungen bewertet.

Foto: © by Heinz Paula

Heinz Paula mit einem Hund aus dem Tierheim
Foto: © by Heinz Paula

tierrechte: Herr Paula, wenn Sie auf Ihre Wirkungszeit als tierschutzpolitischer Sprecher zurückblicken: Erkennen Sie Veränderungen bei der Behandlung von Tierschutzthemen?

Heinz Paula: In den letzten Jahren hat ein gesellschaftlicher Wandel stattgefunden: Tierschutz ist ein zentrales Thema unserer Zeit geworden. Tausende setzen sich für das Wohl unserer Mitgeschöpfe ein. Zehntausende Menschen gehen auf die Straßen für mehr Tierschutz und eine bessere Agrarpolitik und Hunderttausende wollen Veränderungen sehen.

Auf meine Zeit als tierschutzpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion blicke ich daher mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Zum Einen war da die Bundesregierung: Außer Ankündigungen, PR-Aktionen und langen Übergangsregelungen bestand hier weder Wille noch Konzept für eine vernünftige Tierschutzpolitik. Alle unsere Vorschläge wurden mit fadenscheinigen Begründungen blockiert. Die sogenannten christlichen Parteien nahmen das C und damit eine Verantwortung gegenüber unseren Mitgeschöpfen nicht einmal im Ansatz ernst. Auf der anderen Seite kann ich mit Fug und Recht behaupten, dass Tierschutz bei den Sozialdemokraten einen festen Platz gefunden hat. Unter unserer Regierungsverantwortung wurde das Staatsziel Tierschutz im Grundgesetz festgelegt. Wir haben viel bewegt. Dafür möchte ich mich insbesondere beim Deutschen Tierschutzbund, Menschen für Tierrechte, Pro Wildlife, NABU, BUND, den Tierheimen und bei den zahllosen ehrenamtlich engagierten Tierschützern bedanken. Ohne sie wäre meine Arbeit nicht denkbar gewesen. Und nur mit ihnen hat der Tierschutz in Deutschland eine Zukunft.


tierrechte: Über welche Entwicklungen während Ihrer Amtszeit freuen Sie sich besonders?

Heinz Paula: Wir brauchen uns nichts vorzumachen: Wenn es um konkrete Tierschutz-Verbesserungen ging, sind wir bei Schwarz-Gelb in der Vergangenheit auf Granit gestoßen. Die SPD-Bundestagsfraktion hat in dieser Wahlperiode 14 Anträge eingebracht. Alle 14 Anträge gingen konkrete Probleme an. Sie bezogen sich auf bestehende Missstände und fehlenden Tierschutz. Und alle unsere Anträge wurden systematisch, wider besseres Wissen, blockiert; der Auftrag des Grundgesetzes wurde ignoriert. Die Debatten dazu gerieten oftmals zur bloßen Schau der Agrarlobby. Hier sitzen die Lobbyvertreter im Bremserhäusen. Dennoch war unsere Arbeit nicht umsonst. Die SPD hat sich in der vergangenen Wahlperiode beim Thema Tierschutz sachlich fundiert aufgestellt. Wir haben dazugelernt und die Zeichen der Zeit erkannt. Sowohl im Regierungsprogramm als auch in unseren Anträgen haben wir klar gemacht, wo die Reise hingehen soll. Wir wollen mehr Tierschutz. Außerdem haben wir öffentliche Debatten angestoßen und die Alibi-Politik der Bundesregierung bloßgestellt. Zum Beispiel erinnere ich an die Debatten zur vergeigten Tierschutzgesetz-Novelle, die unsäglichen Debatten zur Ferkelkastration und zum Schenkelbrand, unseren Antrag zum Wildtierhandel, bis hin zur Presseresonanz zum Thema Hunde am Arbeitsplatz.


tierrechte: In wieweit nimmt heute Ihrer Meinung nach politisches Agieren der Bürger (Petitionen, Demonstrationen etc.) sowie auch deren Kaufverhalten Einfluss auf die Politik?

Heinz Paula: Tierschutz ist kein Nischenthema mehr, das nur wenige betrifft. Es ist nicht mehr ein Konflikt zwischen überambitionierten Aktivisten und verknöcherten Lobbyverbänden. Tierschutz ist ein breites gesellschaftliches Verlangen geworden, das eine ehrliche Politik verdient.
Bei der Tierschutzpolitik gilt insbesondere "das Bohren dicker Bretter". Aus meiner Sicht wird daher auch in der kommenden Legislatur insbesondere das Engagement der Bürgerinnen und Bürger bedeutend sein. Gerade deshalb bin ich froh, dass der Tierschutz in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist und dass Verbände, wie "Menschen für Tierrechte" so hart dafür arbeiten.
Solange wir alle weiterhin aufmerksam machen, konstruktive Vorschläge für einen besseren Schutz unserer Mitgeschöpfe machen und den Kontakt zur Politik suchen, wird diese zuhören und handeln müssen. Denn engagierte Bürger und Forderungen aus der Gesellschaft heraus sind Unterpfand und Gradmesser guter Tierschutzpolitik.
Tiere haben keine Stimme. Dass wir uns für sie einsetzen ist keine Selbstverständlichkeit und wird in der Bevölkerung hoch angesehen. Dieses Engagement basiert insbesondere auf Ehrenamt und gutem Willen. Ohne all die engagierten Tierschützer vor Ort, ohne die seriösen Verbände und vor allem ohne den öffentlichen Rückhalt wäre meine politische Arbeit im Bundestag nicht denkbar gewesen. Dafür möchte ich mich herzlich bedanken.
Aus meiner Zeit als langjähriger Abgeordneter kann ich nur den Ratschlag geben: Machen Sie weiter! Lassen wir nicht locker, einen besseren Schutz der Tiere einzufordern und auch selbst zu leben. Das beginnt beim Einkauf im Supermarkt und geht bis zur lautstarken Demo auf der Straße. Jeder von uns zählt.


tierrechte: Als Vorsitzender des Tierschutzvereins Augsburg und Umgebung kennen Sie auch die Sorgen, Nöte und Aufgaben des kommunalen Tierschutzes. Was müssen Bundesländer und Bund zügig regeln?

Heinz Paula: Wir Tierschützer vor Ort haben fast überall mit einer prekären Finanzlage und klammen Kommunen zu kämpfen. Die Tierheime übernehmen kommunale Aufgaben, die aber nicht entsprechend bezahlt werden. Die Fundtierzahlen steigen und steigen. Das führt nicht selten zu Konkursen.
Der Hintergrund ist klar: Jahr für Jahr sind viele Tierheime aufgrund der Katzenschwemme und der damit verbundenen finanziellen Kosten überlastet und verhängen zum Teil Aufnahmestopps. Sie haben weder Platz noch finanzielle Mittel, sich der steigenden Zahl der Katzen annehmen zu können. Die Kastration zur Vermeidung unkontrollierter Fortpflanzung ist nach unserem Tierschutzgesetz zwar erlaubt, es gibt jedoch keine verpflichtende bundeseinheitliche Verordnung, die eine Kastration für Katzen verbindlich vorschreibt. Über 200 Städte haben bereits eine verpflichtende Kastration durch eine entsprechende Verordnung eingeführt.
Dasselbe gilt für illegale Heimtier- und Wildfangimporte. Diesen muss endlich ein Riegel vorgeschoben werden. Die Auswüchse im Wildtierhandel, wie sie seit zwei Jahrzehnten zu beobachten sind, müssen eingedämmt werden. Mit deren Folgen haben Tierheime und spezielle Auffangstationen zu kämpfen. Diese sind am Rand ihrer Aufnahmekapazitäten und finanziellen Möglichkeiten. In vielen Bundesländern gibt es überhaupt keine geeigneten Auffangstationen für Reptilien und andere Exoten.
Tatsächlich dürfen hier Bund und Länder nicht länger die Augen verschließen. Wir brauchen zum Beispiel auch konkrete Verhandlungen, um klare und bundesweit einheitliche Rahmenregelungen für die Fundtierkostenerstattung, ihren Umfang und die Zuständigkeiten für Fundtiere und herrenlose Tiere zu schaffen und damit auch den Begriff des Fundtieres eindeutig zu klären. Nur in gemeinsamen Gesprächen mit Tierschutzvereinen, kommunalen Vertretern und Vertretern der Länder können wir Lösungen finden, wie die Tierheime bei der Wahrnehmung der öffentlichen Aufgaben unterstützt werden können. Außerdem müssen sich die Bundesländer an der Finanzierung von Tierheimen angemessen beteiligen und dauerhafte Investitions- und Nothilfefonds zur Unterstützung der Tierschutzvereine schaffen.


tierrechte: Haben Sie eine Vision, wie sich die Situation der Tiere entwickeln könnte?

Heinz Paula: Manche Zeitenwende kann man spüren. Vor wenigen Monaten gingen über 25.000 Menschen in Berlin auf die Straße. Unter dem Motto "Wir haben Agrarindustrie satt!" sprechen sie aus, was viele in unserem Land denken: Wir brauchen ökologische und soziale Reformen in der Landwirtschaft und mehr Tierschutz.
Die derzeitige Form der landwirtschaftlichen Intensivtierhaltung geht auf Kosten ökologischer, sozialer und ethischer Aspekte. Sie führt zu immensen Problemen beim Tier- und Artenschutz, über Antibiotikamissbrauch bis hin zum Klimawandel. Insbesondere in den Zentren der intensiven Tierhaltung befürchten die Menschen gesundheitliche Schäden und negative Auswirkungen auf Boden und Grundwasser. Millionen von Tieren werden weiterhin gequält, auf viel zu engem Raum gehalten, tagelang durch Deutschland gekarrt. Es werden weiterhin millionenfach Schnäbel gekürzt, Hörner geschliffen und Ferkel betäubungslos kastriert. In deutschen Schlachthöfen herrschen weiterhin verheerende Zustände für Mensch und Tier. Deutschland verkommt zum Billigland für Schlachtungen und Fleischproduktion. Der bäuerliche Mittelstand und über Jahrhunderte gewachsene landwirtschaftliche Strukturen werden verdrängt. Auch in Bayern und gerade in den ländlichen Regionen betrifft uns das unmittelbar. Man darf nicht, wie die bisherige Regierungskoalition, die Augen davor schließen und sie als reines Akzeptanzproblem abtun. Man muss endlich konsequent handeln. Unter anderem an diesen strukturellen Tierschutzproblemen wird sich die künftige Politik messen müssen.

Meine Vision: Die Haltungssysteme sind den Bedürfnissen der Tiere angepasst, sinnlose Eingriffe und Manipulationen, wie die betäubungslose Ferkelkastration, sind endlich verboten. Hühner haben mehr Platz. Die gesamte Kette der Haltung, Transport, Schlachtung und Vermarktung ist regionaler. Das öffentliche Bewusstsein ist so geschärft, dass selbst die großen Agrarkonzerne einlenken müssen. Wildfänge werden nicht weiter importiert, und Wildtiere werden nicht länger in Zirkussen zu Clowns gemacht. Statt Tierversuchen haben sich tierversuchsfreie Methoden durchgesetzt. Diese werden konsequent gefördert. Der Mensch behandelt die Tiere wie seine Mitgeschöpfe und das im Grundgesetz verankerte Staatsziel wird endlich umgesetzt. Frei nach Franz von Assisi, dem Schutzpatron der Tiere: "Ein jedes Wesen in Bedrängnis hat gleiches Recht auf Schutz."
Der Weg zu mehr Tierschutz ist lang, aber wir wissen alle: Es lohnt sich zu kämpfen.

Vollversion des leicht gekürzten Interviews für das Magazin tierrechte 4.13, Dezember 2013

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Quelle:
tierrechte 4.13 - Nr. 65/Dezember 2013, S. 12
Infodienst der Menschen für Tierrechte -
Bundesverband der Tierversuchsgegner e.V.
Roermonder Straße 4a, 52072 Aachen
Telefon: 0241/15 72 14, Fax: 0241/15 56 42
E-Mail: info@tierrechte.de
Internet: www.tierrechte.de
 
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veröffentlicht im Schattenblick zum 18. Januar 2014