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FRAGEN/008: "Stadtlandeier" - Hühnerhaltung in Hamburg (PROVIEH)


PROVIEH MAGAZIN - Ausgabe 1/2015
Magazin des Vereins gegen tierquälerische Massentierhaltung e.V.

"Stadtlandeier" - Hühnerhaltung in Hamburg

Das Interview führte Christina Petersen


Alena und Stefan Kuna-Wagenhuber leben mit ihren Kindern mitten in Hamburg. Seit 2014 halten sie im Garten ihres Mehrgenerationen-Hauses eine kleine Hühnerschaar und berichten darüber auf ihrem Blog "stadtlandeier.de" PROVIEH war neugierig und fragte nach.


Petersen: Hühner mitten in der Stadt zu halten klingt zunächst ungewöhnlich. Wie kamt ihr darauf?

Kuna-Wagenhuber: Unsere Töchter und ich essen gern Eier zum Frühstück. Meine Frau lebt vegan und kann deshalb den Konsum von Eiern aus Massentierhaltung eigentlich nicht mit ihrem Gewissen vereinbaren. Der goldene Mittelweg musste gefunden werden. Und das waren eben die eigenen Hühner, deren Lebensqualität wir zum großen Teil selbst beeinflussen können. Die Entscheidung fiel endgültig während eines Frühstücks. Wir hatten viele Tage lang die Eier von den glücklichen Hühnern meines Vaters gegessen. Jetzt stand vor mir wieder ein Ei aus dem Supermarkt. Und das schmeckte im Vergleich zu den anderen so schlecht, dass wir uns noch am selben Tag nach Hühnern umsahen.


Petersen: Gab es Probleme bei der Umsetzung eures Wunsches? Wie reagierten die Nachbarn?

Kuna-Wagenhuber: Die Nachbarn fanden die Idee von Anfang an super. Das lag wohl vor allem daran, dass sie sich regelmäßig Eierlieferungen versprochen hatten. Leider mussten wir sie enttäuschen. Die Hühner haben bisher nicht so viel gelegt, dass wir damit die Nachbarschaft versorgen könnten. Außerdem haben wir aus Rücksicht auf die Nachbarn auf einen Hahn verzichtet. Deshalb hatten wir uns auch für die Bielefelder Kennhühner entschieden. Bei dieser Rasse kann man das Geschlecht schon bei den Küken an der unterschiedlichen Federzeichnung erkennen. Auf Unverständnis stieß unser Hühnerwunsch aber bei Familienmitgliedern in unserem Mehrgenerationenhaus. Ausgerechnet die "ältere" Generation, die als Kinder selbst noch Hühner im Garten erlebt hat, konnte so gar nicht verstehen, warum wir nicht weiter Supermarkteier kaufen wollten.


Petersen: Welche Auflagen musstet ihr beachten?

Kuna-Wagenhuber: Wir mussten die Hühner beim Veterinäramt anmelden. Außerdem ist eine regelmäßige Impfung gegen Geflügelpest Pflicht. Und natürlich mussten wir in diesem Winter die Auflagen zum Schutz vor der Vogelgrippe H5N8 einhalten. Die Hühner mussten so untergebracht werden, dass es keinen Kontakt zu Wildvögeln und deren Kot geben konnte. Wir haben das Problem zunächst mit einem Party-Pavillion mit geschlossenen Seitenteilen gelöst. Das Konstrukt entpuppte sich aber als sehr windanfällig und im Inneren als sehr dunkel. Das führte dazu, dass die Hühner keine Eier mehr legten. Wir haben die Seitenteile dann ersetzt durch Vogelschutznetze aus dem Baummarkt. Dadurch kommt weiterhin kein fremder Vogel zu unseren Hühnern, aber es ist deutlich heller. Und prompt legen sie auch wieder Eier.


Petersen: Wie viele Hühner habt ihr zurzeit?

Kuna-Wagenhuber: Wir haben sechs Hühner. Die Hennen Helga, Hertha, Heide und Hilde haben wir vor etwas über einem Jahr als Küken bekommen und großgezogen. Das sind unsere Bielefelder Kennhühner, sehr hübsch, unkompliziert, groß und nicht besonders flugfreudig. Vor knapp zwei Monaten haben wir aus einer Ausstallaktion von "Rettet das Huhn" noch zwei sogenannte Braune bekommen. Das sind Hybriden, also Hochleistungshennen, die zu Beginn der Mauser so unproduktiv geworden waren, dass sie entsorgt werden sollten. "Rettet das Huhn" vermittelt diese todgeweihten Hühner an neue Besitzer. Unsere beiden heißen Henriette und Frau Hoppe, und die dürfen jetzt völlig unabhängig von der Legeleistung bei uns alt werden.


Petersen: Was gefällt euch besonders an der Hühnerhaltung?

Kuna-Wagenhuber: Die Hühner sind zur echten Bereicherung für unser Leben geworden. Wir haben uns selbst eine Alternative zum "Industrie"-Ei geschaffen. Außerdem macht es einfach Spaß, sich um sie zu kümmern und ihnen dabei zuzusehen, wie sie durch unseren Garten laufen.


Petersen: Gibt es bestimmte Erkenntnisse, die ihr durch eure städtische Hühnerhaltung gewonnen habt? Was lernen eure Kinder durch die Hühner?

Kuna-Wagenhuber: Die Kinder lernen, dass Lebensmittel nicht im Supermarkt wachsen und dass hinter jedem Ei ein Huhn steckt, das es verdient hat, mit Respekt und Würde behandelt zu werden. Außerdem wird anhand der Eier deutlich, dass Lebensmittel nicht immer und in unbegrenzter Menge zur Verfügung stehen. Denn wenn unsere Hühner keine Eier legen, dann gibt's eben auch keine. Und wenn am Wochenende Besuch kommt, dann müssen wir dafür unter der Woche Eier "sparen". Durch die eigenen Hühner haben wir auch viel über die Bedürfnisse von Hühnern gelernt. Und ich bin mir sicher, dass man in der industriellen Eierproduktion in Freiland- oder Bodenhaltung diesen Bedürfnissen nicht gerecht werden kann. Deshalb versuche ich auf alle Produkte zu verzichten, die Hühnerei-Eiweiss enthalten. Beim Kochen kommen wegen der veganen Lebensweise meiner Frau ohnehin keine Eier ins Essen.


Petersen: Wann würdet ihr dazu raten, Hühner in der Stadt zu halten?

Kuna-Wagenhuber: Hühner zu halten macht nur dann Sinn, wenn ich ihnen ein artgerechtes Leben ermöglichen kann. Bevor ich mir also Hühner in der Stadt anschaffe, sollte mir Folgendes klar sein: Hühner brauchen Platz, Hühner machen Dreck, Hühner können auch ohne Hahn laut sein, Hühner können stinken und Hühner kosten Zeit und Geld. Aber, dafür schafft man mit eigenen Hühnern für sich selbst eine Alternative zur industriellen Eierproduktion in Massentierhaltung. Außerdem schmecken die Eier besser. Aber ich glaube, das hatte ich schon zwei-, dreimal erwähnt.


Petersen: Vielen Dank für das Gespräch.

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Quelle:
PROVIEH MAGAZIN - Ausgabe 1/2015, Seite 26-28
Herausgeber: PROVIEH - Verein gegen
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veröffentlicht im Schattenblick zum 22. August 2015

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