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FRAGEN/025: Tierschutzvergehen - Wir haben ein massives Vollzugsdefizit (tierrechte)


Magazin tierrechte - Ausgabe 3/2018
Menschen für Tierrechte - Bundesverband der Tierversuchsgegner e.V

Wir haben ein massives Vollzugsdefizit!

Interview mit Professor Jens Bülte von Christina Ledermann


Jens Bülte, Professor für Wirtschaftsstrafrecht an der Universität Mannheim, hat Tierschutzfälle aus den vergangenen 40 Jahren ausgewertet. Tierrechte sprach mit ihm. Sein Fazit: Wer aus Profitinteresse eine Straftat begeht wird nach deutschem Strafrecht besonders hart bestraft. Doch bei Tierschutzvergehen ist dies anders. Da wirkt die wirtschaftliche Motivation des Täters offenkundig strafbefreiend.


tierrechte: Herr Bülte, seit 16 Jahren ist der Tierschutz im Grundgesetz. Damit wurde seine Bedeutung aufgewertet. Sie haben Tierschutzfälle aus mehreren Jahrzenten untersucht. Konnten Sie eine Veränderung in der Rechtsprechung seit 2002 feststellen?

Jens Bülte: Ich habe mir für meine Untersuchung nur die strafrechtlichen Gerichtsentscheidungen zum Tierschutz angeschaut, es gibt allerdings hier nur sehr wenige. Die meisten sind vor 2002 ergangen. Das einzige strafrechtliche Verfahren zur Massentierhaltung nach 2002 war das des Landgerichts Münster zum "Küken-Schreddern". Der Beschluss von 2016 berücksichtigt Artikel 20a des Grundgesetzes allerdings in der Sache nicht.


tierrechte: Wie beurteilen Sie die Entscheidung des Landgerichts vor diesem Hintergrund?

Jens Bülte: Zunächst zeigen sich in dem Beschluss handwerkliche juristische Fehler, dabei geht es aber eher um die juristische Arbeitsmethode als um das Ergebnis. Darüber hinaus nennt die Entscheidung das Staatsziel des Tierschutzes zwar, setzt sich aber nicht so mit diesem Verfassungsgut auseinander, dass man sagen könnte, es habe eine ernsthafte Abwägung stattgefunden. Die Ausführungen hierzu sind eher floskelhaft.


tierrechte: Was für ein Strafmaß hatten die Urteile, die Sie analysiert haben?

Jens Bülte: Ich habe nur eine einzige Verurteilung durch das Landgericht Oldenburg aus dem Jahr 1996 gefunden, die auch Tierquälerei zum Gegenstand hatte. Allerdings wurde dem Angeklagten hier eine Vielzahl weiterer Straftaten gegen Lebensmittel- und Arzneimittelrecht sowie unterlassene Hilfeleistung vorgeworfen. Darüber hinaus habe ich nur einige Entscheidungen gefunden, in denen Oberlandesgerichte angeordnet haben, dass Strafverfahren durchgeführt werden müssen. Aber ich kenne keinen weiteren Fall, in dem es nach einer öffentlichen Hauptverhandlung zu einer Verurteilung, zu Freiheitsstrafen oder Geldstrafen im Zusammenhang mit Massentierhaltung gekommen ist.


tierrechte: Schon der Titel Ihres Essays "Zur faktischen Straflosigkeit institutionalisierter Agrarkriminalität" spricht Bände. Wie kann es sein, dass Tierquälerei im großen Stil nicht angemessen bestraft wird?

Jens Bülte: Praktisch liegt das daran, dass es in der Strafjustiz zwei Akteure gibt, die beide zu dem Ergebnis kommen müssen, dass ein Handeln strafbar ist. Zum einen die Staatsanwaltschaft, zum anderen das Gericht. Wenn einer der beiden meint, ein allgemein akzeptiertes Verhalten könne man nicht bestrafen und das in juristische Argumente verpackt, bleiben diese Taten unbestraft. Hier kann also unter anderem die Überzeugung, ein wirtschaftlich sinnvolles und als Folge der Massentierhaltung notwendiges Übel könne nicht strafrechtlich verfolgt werden, dazu führen, dass geltendes Strafrecht nicht angewendet wird. In Münster hatte die Staatsanwaltschaft im Falle des Küken-Schredderns zwar angeklagt. Die Anklage wurde jedoch vom Landgericht Münster nicht zugelassen, unter anderem, weil das Gericht die wirtschaftlichen Interessen der Unternehmer klar überbewertet hat.


tierrechte: Betriebsleiter gehen oft straffrei aus, weil sie behaupten, nicht vorsätzlich gehandelt zu haben, d.h. sie sagen, sie hätten nicht gewusst, dass eine bestimmte Praktik verboten ist oder sie sagen, sie wüssten schlicht nicht, was auf ihrem Hof vorgeht. Beides trifft höchstwahrscheinlich nur sehr selten zu. Denn ein Landwirt muss die entsprechende Sachkunde haben. Doch Tiermäster, die teils Hunderttausende von Tieren halten, haben doch ein eindeutiges Motiv. Sie wollen einen möglichst hohen Profit erwirtschaften...

Jens Bülte: Wer versucht, möglichst großen Profit zu erzielen, ist eher geneigt, gesetzliche Vorgaben zu verletzen, wenn das seinen wirtschaftlichen Interessen dient. Deswegen spricht das wirtschaftliche Interesse durchaus dafür, ein Indiz für den Vorsatz anzunehmen.

Aber die Motive haben grundsätzlich für den Vorsatz keine Bedeutung. Relevant ist die Motivation allerdings bei der Strafzumessung. Wird eine Straftat gewerbsmäßig begangen, also zur Gewinnerzielung, so liegt ein Strafschärfungsgrund vor. Die Relevanz wirtschaftlicher Motivation wird am Mordparagrafen besonders deutlich. Habgier ist ein möglicher Grund dafür, warum aus dem Totschlag mit mindestens fünf Jahren Freiheitsstrafe, ein Mord mit lebenslanger Freiheitsstrafe werden kann. Das heißt, im deutschen Strafrecht gilt der Grundsatz: Wer aus Profitinteresse eine Straftat begeht, wird schwerer bestraft. Das scheint seltsamerweise im Tierschutzrecht anders zu sein, hier wirkt die wirtschaftliche Motivation offenkundig strafbefreiend.


tierrechte: Sie haben festgestellt, dass Urteile im Bereich Tierschutz - wenn sie überhaupt erfolgen - handwerklich oft schlecht gemacht sind. Dies erklären Sie einerseits mit der hohen Arbeitsbelastung der Gerichte und andererseits damit, dass die Staatsanwälte sich lieber auf Fälle konzentrieren, die sich leicht nachweisen lassen und weniger Arbeit machen. Hinzu kommt, dass die Anwälte der Tierhalter meist hochspezialisiert sind. Was müsste passieren, damit Tierquälerei endlich gleichberechtigt verfolgt wird? Wären Schwerpunktstaatsanwaltschaften für Tierschutz eine Lösung?

Jens Bülte: Ja, ich denke, dass wir in diesem Bereich mehr Schwerpunktstaatsanwaltschaften oder Spezialisierung brauchen. Die Schwerpunktstaatsanwaltschaften haben sich im Wirtschaftsstrafrecht bewährt. Im Wirtschaftsstrafrecht wird mit Wirtschaftsdezernenten gearbeitet, die die wirtschaftlichen Belange vorbereiten, aufbereiten und den Staatsanwälten verständlich machen. Hier sollte man überlegen, ob man Staatsanwaltschaften mit Schwerpunkteinheiten einrichtet und diese mit Veterinären und Ethologen als Tierschutzdezernenten oder mit Umweltdezernenten besetzt. Denn letztlich ist dieser Bereich des Tierschutzstrafrechts auch Wirtschaftsstrafrecht.

Außerdem ist natürlich die Weiterbildung der Staatsanwälte das A und O. Dazu muss man den ohnehin schon überlasteten Staatsanwälten die Weiterbildung aber auch schmackhaft machen. Man kann nicht von ihnen erwarten, dass sie sich in ihrem Urlaub auf eigene Kosten weiterbilden.


tierrechte: Viele Tierschutzvergehen werden meist gar nicht bekannt. Dies ist in der sogenannten Nutztierhaltung so, jedoch auch im Tierversuchsbereich. Verstöße kommen meist nur durch Whistleblower heraus. Zuletzt war dies bei den illegalen Tierversuchen an der Uni Münster der Fall...

Jens Bülte: Im Bereich der Wissenschaft wird es besonders schwierig, weil dort massive Abhängigkeitsverhältnisse bestehen. Die Arbeitsstrukturen an Universitäten zeichnen sich durch prekäre Arbeitsverhältnisse aus, wo es teilweise nur 3-Monatsverträge gibt. In ihrer Doktorarbeit sind die Doktoranden zudem von ihrem Betreuer abhängig. Wenn sie ihm in den Rücken fallen, können sie diese wissenschaftliche Arbeit und auch ihre Karriere vergessen. Dass kann zu einem "Klima der Angst" führen oder zumindest zu besonderer Zurückhaltung, in Fällen aktiv zu werden, in denen Tiere rechtswidrig gequält werden. Da hilft meiner Ansicht nach nur Transparenz. Es muss deutlich sein, dass bestimmte Vergehen beamtenrechtliche, beziehungsweise dienstliche oder strafrechtliche Konsequenzen haben. Hier kann das Strafrecht wirklich einen Abschreckungseffekt haben. In Betracht kommen Berufsverbote oder eine Entfernung aus dem öffentlichen Dienst.


tierrechte: Für wie wirkungsvoll halten Sie die Tierschutz-Verbandsklage, um die Rechtsstellung der Tiere zu verbessern?

Jens Bülte: Grundsätzlich halte ich solche Instrumente im Tierschutzrecht für elementar, um einen Vollzug überhaupt ansatzweise garantieren zu können. In einem Bereich, wo sich der Einzelne nicht als Opfer wehren kann, weil Tiere betroffen sind, muss das ein Verband machen, damit die Interessen der Betroffenen, in diesem Falle der Tiere, gewahrt werden.

Darüber hinaus sind Transparenzinstrumente wie die Verbandsklage auch aus europäischer Perspektive zwingend notwendig. Im EU-Recht merken wir zunehmend, dass Transparenz zur zentralen Frage der Wirtschaft wird. Das zeigt sich beim Transparenzregister bei der Geldwäsche oder im Lebensmittel- und Umweltrecht.


tierrechte: Herr Bülte, im Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD steht, Deutschland solle beim Tierschutz eine Spitzenposition einnehmen. Ist die Regierung in diesem Punkt glaubwürdig?

Jens Bülte: Unter dem Punkt "Tierschutz" im Koalitionsvertrag stehen allgemeine Ausführungen zum Tierschutz und ein bisschen was zum Lebensmittelrecht. Das einzige, was konkreter ausformuliert wird, ist das Vorhaben "Einbrüche" in Tierställe zu bestrafen. Das macht alle Erklärungen zum Tierschutz zur Makulatur.


tierrechte: Welche kurz- und langfristigen Maßnahmen müsste die Regierung in Bezug auf den Vollzug ergreifen, um beim Tierschutz Ihre Glaubwürdigkeit wiederherzustellen?

Jens Bülte: Das zentrale Problem ist, dass wir ein massives Vollzugsdefizit haben. Die existierenden Verordnungen auf Basis des Tierschutzgesetzes sind zwar unzureichend, dennoch müsste die Regierung sich erst einmal Gedanken darüber machen, warum geltendes Recht nicht eingehalten wird. Leider sehe ich nicht, dass diese Tatsache überhaupt anerkannt wird. In den Anträgen zur Verbandsklage in NRW steht: Wir haben kein Problem im Vollzug. Das ist schlicht realitätsfremd.


Eine ausführliche Version dieses Interviews lesen Sie unter:
www.tierrechte.de

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Quelle:
Magazin tierrechte - Ausgabe 3/2018, S. 8-9
Menschen für Tierrechte
Bundesverband der Tierversuchsgegner e.V.
Mühlenstr. 7a, 40699 Erkrath
Telefon: 0211 / 22 08 56 48, Fax. 0211 / 22 08 56 49
E-Mail: info@tierrechte.de
Internet: www.tierrechte.de
 
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veröffentlicht im Schattenblick zum 31. Januar 2019

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