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GEFAHR/058: Bussard in Fahrgestell von LKW gefangen (Der Falke)


Der Falke - Journal für Vogelbeobachter 4/2008

Bussard in Fahrgestell von LKW gefangen


Diese erstaunliche Schlagzeile brachte am 27. November 2007 die Augsburger Allgemeine mit großformatigem Bild. Die Aufnahme zeigt einen Mäusebussard, der recht munter zwischen Motorblock, Schaltgestänge und Kabelwerk herausblickt. Erstaunlicher noch ist allerdings die Geschichte, die sich hinter dem Bild verbirgt. Als der Fahrer den Leih-LKW zurückbrachte, wurde er gefragt, ob irgendetwas Besonderes vorgefallen sei. Der Fahrer berichtete nur, dass er zwischen Hamburg und Hannover einen Bussard überfahren hätte. Dies war zwei Tage zuvor. Als der LKW daraufhin inspiziert wurde, entdeckten die Männer den eingeklemmten Vogel. Über 450 km weit muss er bei jedem Schaltvorgang geschoben und gedrückt worden und einer unerträglichen Hitze ausgesetzt gewesen sein. Danach begann das große Frieren, dann wieder Geschubse und Gestoße, als der LKW zurückgebracht wurde. Dafür wirkte der Pechvogel aber noch recht munter. Die Augsburger Berufsfeuerwehr befreite den Bussard aus seiner misslichen Lage. Hierzu musste Einiges an Stangen und Kabeln abmontiert und teilweise mit dem Seitenschneider durchtrennt werden. "Das Tier konnte sich nicht mehr selbst befreien und war stark geschwächt", berichtete der Feuerwehrmann Friedhelm Bechtel gegenüber der Zeitung. Der Bussard wurde in eine Tierklinik nahe Augsburg gebracht, wo er wieder aufgepeppelt werden sollte. Soweit der Zeitungsbericht.

Eigene Recherchen über den Verbleib des Vogels erbrachten leider, dass diese Story ohne Happyend blieb. In der Tierklinik zeigten sich bald neurologische Ausfälle an den Läufen, die sich auch Tage danach nicht besserten. Die Odyssee des Vogels ging daraufhin noch weiter: Am 3. Dezember wurde er in die Vogelklinik Oberschleißheim bei München "überwiesen", die sich nochmals mehrere Tage um den Vogel bemühte. Dort erwies sich, dass der Vogel mehrere Wirbel gebrochen hatte, was offensichtlich der Grund für die Ausfallerscheinungen war. Aber schlimmer noch: Durch den Aufprall hatte sich der Augenhintergrund abgelöst. Der Vogel war dadurch praktisch blind, konnte allenfalls noch Schatten erkennen: "Dies ist ein häufiges Problem bei Greifvögeln, die in Unfälle verwickelt werden", erläuterte Dr. Kempf von der Vogelklinik am Telefon. "Die Vögel wirken nach außen hin unversehrt und schauen aufmerksam in der Gegend herum. Sie können aber nicht mehr jagen, da sie die Beute nicht mehr erkennen können und müssen verhungern" - sofern sie nicht nachträglich noch von einem Auto überfahren oder von einem Beutegreifer gefressen werden. In der Pflege seien solche Vogel manchmal unauffällig: Rasch lernen sie, wo das Futter gereicht wird, vielleicht riechen sie es auch. Dem Pflegepersonal weichen sie unter Umständen aus, da sie deren Umrisse als große Schatten wahrnehmen können, alles erscheint also vielversprechend. Aber: In die Natur zurück kann ein solcher Vogel nicht, er würde unweigerlich zugrunde gehen, da der Augenschaden nicht verheilt. Am 10. Dezember schließlich wurde das Leiden des weitgereisten Mäusebussards durch eine Spritze beendet. Die Freude über die Befreiung des Vogels war leider zu früh.

Dr. Hermann Stickroth
Sperberweg 4a
86156 Augsburg
Hermann.Stickroth@t-online.de


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Quelle:
Der Falke - Journal für Vogelbeobachter 4/2008
55. Jahrgang, April 2008, S. 143
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veröffentlicht im Schattenblick zum 17. April 2008