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TIERHALTUNG/532: Bio-Kaninchen brauchen Freiland (PROVIEH)


PROVIEH MAGAZIN, Ausgabe 01/2011
Magazin des Vereins gegen tierquälerische Massentierhaltung e.V.

Bio-Kaninchen brauchen Freiland

Von Verena Stiess


Kaninchen müssen raus aus der industriellen Produktion - darin sind sich alle einig. Doch auch die meisten Mastkaninchen auf Biobetrieben leben nicht auf der Wiese, sondern bestenfalls in Stallgruppen - ohne jeden Zugang zu frischer Luft, Natur und Sonne, geschweige denn zu einer adäquaten Weidefläche. Artgerecht ist das nicht. Kaninchen sind Blattfresser und Futterselektierer, d.h. sie suchen gezielt nach den schmackhaftesten Pflanzen. Sie vertragen auch unterschiedlichste Giftpflanzen, fressen bestimmte Kräuter in großen Mengen und können sich so vor Endoparasiten schützen oder sich ihrer sogar entledigen.


Bettina Hüttig-Reusch aus Angfurten bei Köln hält seit 15 Jahren rund 50 Kaninchen auf einer rund 400 m² großen Wiese, die von einem 1,40 Meter hohen Maschendrahtzaun eingefriedet ist. Tag und Nacht können sich die robusten Langohren dort völlig frei bewegen und Futter suchen. Zugefüttert wird Naturnahrung, aber kein Medizinalfutter (Fertignahrung mit beigemischten Medikamenten). Die Tiere werden auch nicht geimpft und trotzdem ist die Jungtiersterblichkeitsrate extrem gering. Dies gilt auch für die Verletzungsgefahr durch innerartliche Aggressionen. Mit anderen Worten: Die sonst üblichen Freiland- und Stallhaltungen werden übertroffen, und das bei überschaubarem Arbeitsaufwand.

Jeweils drei Häsinnen pro Jahr werden im Februar und im Juni gedeckt und bekommen insgesamt bis zu 50 Jungtiere pro Jahr. Jede Häsin hat im Gelände ihre persönliche Schutzhütte mit einem Wurfabteil. Die Hütte wird zum Nestbau, zur Jungtierablage und insgesamt als wetterfester Unterschlupf genutzt. Sie steht ganzjährig offen mit Ausnahme von zweimal sieben Wochen im Jahr rund um die Geburt des Nachwuchses. Frühestens vier oder fünf Tage vor dem Wurftermin beginnt die trächtige Häsin mit dem Graben einer Satzröhre für den Nachwuchs und dem Herbeischaffen von Nestmaterial. Das ist das Zeichen, die Häsin vor ihrer Niederkunft in ihre gut eingestreute Hütte mit Wurfabteil zu lotsen und einzusperren, denn das Ablegen der Jungtiere im Freiland soll verhindert werden. Zwei Tage nach der Geburt kommt die Häsin wieder ins Freigelände und "besucht" ihre Jungen nur noch zum Säugen. Das entspricht dem ursprünglichen Verhaltensrepertoire von Wildkaninchen. Auch bei ihnen nehmen die Mütter nach der Jungtierablage Abstand vom Nest, damit es unentdeckt bleibt.

Treffen sich die Häsinnen nach der Geburt ihrer Jungen im Freiland wieder, kann es zu Streitereien unter ihnen kommen, die wenige Stunden bis mehrere Tagen dauern können. Manche Fellbüschel können dann fliegen, aber ernsthafte Verletzungen gab es bisher noch nie. Mit der wieder hergestellten Rangordnung zwischen den Damen kehrt erneut Ruhe ein.

In den ersten zwei Lebenswochen der Jungen darf jede Häsin über Nacht zu ihnen. Etwa ab der dritten Lebenswoche kommt die Häsin nur noch jeden Morgen für 30 Minuten zum Säugen in die Ställe. Die Jungtiere bleiben im geschlossenen Stall, bis sie etwa sechs Wochen alt sind. In dieser Zeit kann den Jungkaninchen spezielles Starterfutter verabreicht werden, und die Gesundheitskontrolle ist erleichtert. Speziell ist die im Freiland für Jungtiere allgegenwärtige Gefahr der Kokzidiose so besser im Griff zu halten.

Ab der siebten Lebenswoche bis zur Schlachtung leben die heranwachsenden Jungtiere gemischtgeschlechtlich in friedlicher Eintracht mit ihren Müttern zusammen. Selbst bei Nieselregen halten sich die Kaninchen lieber im Freien und unter (statt in) den Schutzhütten auf, wo sie sich im Laufe der Jahre eine gemütliche "Höhle" eingerichtet haben. Selbst hoher Schnee ist für die Tiere kein Problem. Die Sterblichkeitsrate bei den Jungtieren (inklusive Kokzidiose, hervorgerufen durch parasitäre Einzeller) liegt deutlich unter zehn Prozent. Letztes Jahr (2010) hat Frau Hüttig-Reusch nur ein Jungtier verloren. Die Überlebensrate ist also weit höher als in der freien Wildbahn, wo über 40 Prozent der Nestlinge in der Satzröhre sterben und weitere 50 Prozent in den Wochen danach. Todesursachen sind Kokzidiose, Erkältungen, Ertrinken in der Satzröhre oder Erbeutung durch Raubtiere.

"Trotz der einfachen Umzäunung um den 24-Stunden-Auslauf hatten wir noch nie Probleme mit Raubtierübergriffen. Spaziergänger, Kinder, Katzen, Fahrradfahrer und viele Hunde (insbesondere unsere Hündin Mira) rings um das Kaninchenrevier stellen für meine Kaninchen anscheinend einen gewissen Schutz dar. Sonne, Wind und Regen sorgen bei uns für ausreichende Desinfektion des Erdreichs. Einmal im Monat rechen wir die Wiese ab und befreien sie vom Kot. Auch die Ställe werden dann neu eingestreut", so die erfahrene Bio-Kaninchenhalterin.

Die Kaninchen graben nur sehr wenig bis gar nicht, obwohl dies eine natürliche Verhaltensweise ist. "Nur eine einzige Röhre im gesamten Gelände ist während all der Jahre entstanden", betont Frau Hüttig-Reusch. Auch die beste Weidefläche ist nach 15 Jahren nur noch ein gelbgrüner Grasteppich. Dann musste frisches Grünfutter beschafft werden, was ziemlich viel Arbeit darstellt. Zugefüttert werden viel Klee und andere Kaninchenkräuter, Mais, Zweige, Äste sowie Brötchen.

Motiviert von ihren positiven Erfahrungen mit der Freilandhaltung, errichtete Frau Hüttig-Reusch im Sommer 2010 ein weiteres, über 1.400 m² großes und mit einem Elektrozaun gesichertes Gelände für anfangs 21 junge Kaninchen aus dem Juni-Wurf gemeinsam mit ihren Müttern. Auf dieser deutlich größeren, frischen Weidefläche ist keine Zufütterung mit Grünzeug mehr nötig. Auch im neuen Gelände klappt bisher alles wunderbar, auch dort gibt es bislang keine räuberischen Übergriffe. Frau Hüttig-Reusch hält die Kaninchen in erster Linie für den Eigenbedarf, doch die Nachfrage im Bekanntenkreis ist sehr groß. Das Fleisch ist einfach vorzüglich. Wenn es soweit ist, werden die Tiere von ihrem Mann vor Ort geschlachtet - die meisten Jungtiere im Alter von sechs Monaten, und alle zwei bis vier Jahre auch die Muttertiere.


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Quelle:
PROVIEH MAGAZIN, Ausgabe 01/2011, S. 11-13
Herausgeber: PROVIEH - Verein gegen tierquälerische Massentierhaltung e.V.
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PROVIEH erscheint viermal jährlich.


veröffentlicht im Schattenblick zum 10. August 2011