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TIERHALTUNG/562: Exotenhaltung in Deutschland - hui oder pfui? (PROVIEH)


PROVIEH Ausgabe 02/2012
Magazin des Vereins gegen tierquälerische Massentierhaltung e.V.

Exotenhaltung in Deutschland - hui oder pfui?

Stefan Johnigk, Volkwer Kwade und Marianne Weirich



Ein Mädchen malt einen Bauernhof: Schweine stöbern mit dem Rüssel nach Nahrung, Kühe grasen auf satten Wiesen, eine Hühnerschar nimmt ein Staubbad in der Mittagssonne, Putenhennen lehren ihre Küken das Picken nach Insekten, zwei Wasserbüffel stehen bis zum Bauch im Weiher und eine Straußenherde läuft zu ihren Weideflächen. Ein exotisches Bild?

Noch gilt die Straußenhaltung in Deutschland als ungewöhnlich. Sie wird von Tierschützern kritisch beäugt. Im PROVIEH-Magazin 4/2011 berichtete Susanne Aigner von den Bemühungen einiger Straußenhalter, ihre Tiere möglichst artgemäß und verhaltensgerecht aufzuziehen. Der Beitrag löste eine lebhafte Debatte unter den Mitgliedern von PROVIEH aus. Kann man Exoten überhaupt artgemäß in Deutschland halten? Oder sollte man nicht eher grundsätzlich davon Abstand nehmen? Die Tierschutzexpertin Marianne Weirich (PROVIEH-Regionalvertretung Ostwestfalen-Lippe), der Biobauer Volker Kwade (2. Vorsitzender von PROVIEH) und der Biologe Stefan Johnigk (Geschäftsführer von PROVIEH) stellen sich der Diskussion.


Wer braucht eigentlich "Exotenfleisch"?

Weirich: Wer Fleisch essen mag, findet in Deutschland bereits eine große Auswahl verschiedener Fleischarten. Straußensteak, Wasserbüffelgulasch oder Kängurubraten braucht bei uns kein Mensch. Wir bestellen uns in Südafrika oder Australien ja auch keine Bayerischen Bio-Haxn.

Johnigk: Offenbar fragen aber genügend neugierige Kunden diese exotischen Produkte nach. Das erklärt, warum immer mehr Bauern sich für die Haltung von Straußen interessieren. Denn wer vom Handel für seine Hühner oder Schweine mit Dumpingpreisen abgespeist wird, den kann die Aussicht locken, mit Exotenfleisch bessere Verdienste zu erzielen. Und Exoten bei uns zu halten ist machbar, wie die Praxis und der Beitrag von Susanne Aigner zeigen.

Weirich: Selbst wenn es technisch machbar ist, Exoten in Deutschland zu halten, heißt das aber noch lange nicht, dass es auch ökologisch verträglich und ethisch vertretbar ist.

Kwade: Ökologisch verträglich ist eine Tierhaltung unter anderem dann, wenn das Futter in einer geeigneten Fruchtfolge unter hiesigen Klimabedingungen angebaut werden kann. Ein Strauß frisst und verträgt von Natur aus andere Pflanzen als ein Pferd, eine Kuh oder ein Schwein. Kann man hier kein geeignetes Futter anbauen, muss man es importieren. Das ist ökologisch problematisch.

Johnigk: Auch für die Hühner- und Schweinemast wird Soja in gewaltigen Mengen aus Übersee importiert, mit fatalen Konsequenzen für die Umwelt. Alleine das ist ethisch kaum zu vertreten. Hinzu kommen die leidvollen Haltungsbedingungen. Tiere dürfen nicht als Produktionsmittel missbraucht werden. Doch Egal ob heimisch oder exotisch: auch Wasserbüffel sind keine Produktionsmittel sondern Lebewesen das gilt generell für alle Tierarten, nicht nur für Exoten.

Weirich: Exotenfleisch wird auch im wachsenden Maße importiert. Damit verschieben wir Verbraucher aber nur unsere Verantwortung ins Ausland, wo für uns kaum nachzuprüfen ist, ob die Tiere artgemäß, ohne unnötige Leiden und ohne Umweltschäden aufgezogen und getötet werden.

Johnigk: Als Argument für die Straußenhaltung wird von den Züchtern oft der unterschiedliche Nährwert angeführt. Wer keine Hühnereier vertrage, könne gut auf Straußeneiprodukte ausweichen.

Weirich: Das überzeugt mich nicht. Das Lebensmittelangebot in Deutschland ist so vielfältig, dass eine ausgewogene Ernährung auch ohne Exoten oder Produkte aus nicht artgemäßer Haltung problemlos möglich ist. Neben den landwirtschaftlich genutzten Tieren gibt es zudem etliche einheimische Wildarten mit ähnlichen Nährwerten wie Strauße, zum Beispiel Wildgeflügel oder Damhirsche.


Was sind eigentlich "Exoten"?

Kwade: Damhirsche sind doch gar keine heimischen Wildtiere, auch wenn sie uns vertrauter erscheinen als Strauße. Sie kommen ursprünglich aus Vorderasien. In Deutschland wurden sie erst vor rund 400 Jahren von Landesfürsten in Gehegen vermehrt und als Jagdbeute verbreitet. Auch die Puten kamen zunächst als Delikatesse für den Adel nach Europa. Ihre Wildform lebt heute noch in lichten Wäldern Nordamerikas. Erst die intensive Zucht auf extremen Fleischzuwachs hat sie in den letzten 50 Jahren zu den degenerierten Hochleistungskrüppeln in der Massentierhaltung gemacht.

Weirich: Umso wichtiger ist mir, dass dieses Schicksal den Straußen erspart bleibt. Sollte sich PROVIEH nicht darauf konzentrieren, die bei uns seit langem landwirtschaftlich genutzten Tierarten und Rassen vor dem gierigen Zugriff der industriellen Fleischproduktion zu schützen?

Johnigk: Das tun wir ja auch. Aber die Diskussion um Exotenhaltung ist da wenig hilfreich. Wenn man es genau nimmt, haben die meisten Tierarten, die bei uns wirtschaftlich genutzt werden, einmal als "Exoten" auf den Höfen Einzug gehalten. Selbst die Stammform des Huhns, das Bankiva-Huhn, stammt ursprünglich aus den Tropenwäldern Südostasiens. Heute gehört es zum klassischen Bauernhofbild dazu. Ein Wasserbüffel erscheint uns vielleicht exotischer als ein Huhn, seine Haltung ist aber in Südeuropa seit dem zweiten Jahrhundert üblich. Der echte Mozzarella wird bis heute aus Büffelmilch hergestellt.

Kwade: Ob uns eine Tierart als "exotisch" oder gewöhnlich erscheint, darf nicht zum Hauptargument werden, ihre Haltung in Deutschland abzulehnen oder gutzuheißen. Es geht PROVIEH vielmehr darum, den Missbrauch von Tieren als Produktionsmittel zu unterbinden und dafür zu kämpfen, dass ihre angeborenen Verhaltensweisen angemessen berücksichtigt werden. Mit unseren Kampagnen beispielsweise gegen das Schwanzkürzen bei Schweinen oder die Schnabelverstümmelungen bei Geflügel können wir viel Leid verhindern helfen.

Weirich: Ich sehe unsere Aufgabe auch darin, Biobauern und landwirtschaftliche Betriebe mit artgemäßer Tierhaltung bei ihren Bemühungen zu unterstützen, sich gegen die industrielle Konkurrenz zu behaupten. Dazu zählt neben der Kampagnenarbeit die seriöse Aufklärung der Verbraucher. Die Einkaufshilfe von PROVIEH zu den Biolabeln ist ein gutes Beispiel dafür.


PROVIEH will den Massenmarkt verändern

Johnigk: Wir müssen uns bei der Diskussion um die "Exotenhaltung" auch vor Augen führen, dass wir es hier mit einem echten Nischenproblem zu tun haben. Dem fragwürdigen Schicksal von wenigen tausend Straußen in Deutschland steht das Leid von über 50 Millionen verhaltensgestörten Schweinen aus Intensivtierhaltung gegenüber. Unser Einsatz beim Handel und bei den Erzeugern muss vor allem darauf abzielen, den Massenmarkt für Fleisch zu verändern.

Kwade: Jede Tierart hat ganz eigene Ansprüche an ein "gutes Leben". Ein Schwein beispielsweise ist beim Futter weniger wählerisch als ein Strauß. Eine Ziege kann Frost schlechter vertragen als ein Rind. Wer Tiere hält, muss genau wissen, welche Bedürfnisse sie haben und wie man diese angemessen befriedigen kann. Doch in der industriellen Intensivtierhaltung wird das Leiden der Nutztiere billigend in Kauf genommen, um Eier, Milch und Fleisch möglichst billig zu erzeugen.

Weirich: Wir sehen ja Tag für Tag, wie schwer es ist gegen den wahnsinnigen Leistungsdruck der Fleischindustrie eine artgemäße Haltung für Schweine oder Hühner zu erkämpfen. Wie viel schwerer ist es aber, die noch weniger bekannten Lebensbedürfnisse von Straußen oder anderen exotisch anmutenden "neuen Speisetieren" zu berücksichtigen und in der Haltung vernünftig umzusetzen.

Kwade: Das sehe ich auch so. Wir schaffen es ja schon nicht, die klassischen Bauernhoftiere artgemäß zu halten. Darauf sollten wir uns konzentrieren und uns als Landwirte nicht noch eine weitere Sorge ans Bein binden. Denn nicht alles, was wächst und gedeiht, ist auch gut.

Johnigk: Richtig. In der intensiven Aquakultur zum Beispiel wird oft der Afrikanische Wels gehalten, weil er auch bei schlechter Wasserqualität noch wächst und nicht sofort abstirbt. Das ist jedoch eine Anpassung an natürliche Phasen extremer Umweltbedingungen, wenn zum Beispiel bei Trockenheit viele Welse in einer kleinen Wasserstelle gedrängt überleben müssen. Diese Fische können das zwar kurzzeitig ertragen, es geht ihnen dabei aber miserabel. Das auszunutzen nenne ich "Missbrauch als Produktionsmittel". Exoten hin oder her - ich finde es einfach besser, wenn Menschen Büffelfleisch von einem Tier aus Freilandhaltung essen, das schonend ohne leidvollen Transport geschlachtet wurde, als wenn sie stattdessen zum billigen Rinderhackfleisch aus Intensivbullenmast greifen.

Weirich: Letztlich kann die Devise für unsere Gesellschaft nur lauten: Weniger Fleisch und mehr Gemüse! Dass sich damit eine ausgewogene Ernährung erreichen lässt, bestätigt heute fast jeder Ernährungsphysiologe.

Kwade und Johnigk: Darin sind wir uns bei PROVIEH wohl alle einig!


Exotenfleisch im Handel?

Immer wieder finden sich im Lebensmitteleinzelhandel Angebote und Verkostungen mit Fleisch von Tieren, die in Deutschland als "Exoten" gelten. PROVIEH möchte wissen, welche Tiere angeboten werden, woher sie stammen und unter welchen Bedingungen sie gelebt haben. Bitte informieren Sie uns, wenn Ihnen ein solches Angebot auffällt!

info@provieh.de oder Fax 0431.248 28 29

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Quelle:
PROVIEH Ausgabe 02/2012, Seite 18-21
Herausgeber: PROVIEH - Verein gegen tierquälerische Massentierhaltung e.V.
Küterstraße 7-9, 24103 Kiel
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veröffentlicht im Schattenblick zum 20. September 2012