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TIERHALTUNG/640: Pferdehaltung im Wandel (PROVIEH)


PROVIEH MAGAZIN - Ausgabe 3/2014
Magazin des Vereins gegen tierquälerische Massentierhaltung e.V.

Pferdehaltung im Wandel

Von Tanja Romanazzi



Wenn man in einem Zoo ein großes Tier in einem engen Gehege sieht, empfindet man das als Tierquälerei. Diese Empfindung würde auch nicht abgeschwächt werden durch die Erklärung eines der Tierpfleger, dass dieses Tier zwei Stunden am Tag aus dem Käfig herauskommt.

Bei Pferden ist das leider anders. Wir sind es gewöhnt, sie in engen Boxen zu sehen. Das war schon immer so beziehungsweise früher standen sie angebunden in Ständern, dagegen sei eine Box doch wunderbar.

Pferde sind Fluchttiere. Mit dem engen Einsperren nimmt man ihnen ihre Verteidigungsmöglichkeit. Sie sind zudem ausgeprägte Lauftiere, die sich in der Natur 12-16 Stunden am Tag bewegen. Darauf sind sowohl ihr Bewegungsapparat als auch das Verdauungssystem und die Atmungsorgane eingestellt. Das Einsperren in Boxen führt zu dem hohen Krankenstand, den man in einem "normalen" Reitstall vorfindet mit vielen Koliken, Husten, Sehnen- und Gelenkserkrankungen und - nicht zu vergessen - den vielen psychischen Störungen.

Immer mehr Pferdebesitzer erkennen diese Probleme, möchten ihrem Pferd ein besseres Zuhause bieten und halten es daher in einem Offenstall. Das kann ein kleiner Stall am Haus sein, ein größerer Aktivstall auf einer Reitanlage oder ein Offenstall nach dem Prinzip des "Paddock Trail". Auch wenn es in manchen Gegenden nur wenig voranzugehen scheint, werden die Angebote für eine artgerechte Pferdehaltung doch immer reichlicher. Aber nicht jeder Offenstall ermöglicht eine stressfreie Pferdehaltung, daher nun ein Blick auf häufige Fragestellungen.


"Sind alle Pferde für einen Offenstall geeignet?"

Alle psychisch und körperlich gesunden Pferde profitieren unabhängig von der Rasse von einer Haltung im Offenstall. Bei kranken Pferden muss man etwas genauer hinsehen. Fast alle Krankheitsbilder verbessern sich in einer Offenstallhaltung, aber es gibt natürlich auch Ausnahmen:

1) Wenn Pferde wegen jahrelanger Einzelhaft die Pferdesprache quasi nicht ausreichend gelernt haben oder wenn Pferde sehr schlechte Erfahrungen mit anderen Pferden hinter sich haben, dann fühlen sie sich wohler, wenn sie einen eigenen Bereich haben und sich nicht mit Artgenossen auseinander setzen müssen.

2) Vor allem ältere Pferde, die sich nicht mehr so gut bewegen können, sind für einen Offenstall nur geeignet, wenn die Herde sie akzeptiert. Wenn Pferde dagegen in einer Herde alt werden, funktioniert die Akzeptanz in der Regel sehr gut. Die Oldies profitieren von der vielen Bewegung und haben zudem eine Aufgabe in der Herde: Sie geben den jungen Pferden mehr Sicherheit. Wenn jedoch ein körperlich angeschlagenes Pferd neu in eine Herde integriert werden soll, dann gibt es unter Umständen Probleme.


"Kann man einfach alle Pferde zusammenstellen?"

Bei der Zusammensetzung von Herden ist es immer gut, sich am Vorbild der Natur zu orientieren. Bei den Wildpferden gibt es in der Regel gemischte Herden mit einem Leithengst, vielen Stuten und einigen Junghengsten. Des Weiteren gibt es die reinen Junggesellengruppen. Überträgt man es auf unsere Haltung, so bieten sich gemischte Gruppen mit wenigen Wallachen oder reine Wallachgruppen an.

Gemischte Gruppen sind sehr verträglich, wenn die Wallache nicht zu "hengstig" sind. Sie sollen nicht auf die Stuten aufspringen (Stutenbesitzer mögen das meist nicht), und sie sollen die Stuten auch nicht übertrieben verteidigen, da es dann sehr schwierig ist, ein neues Pferd zu integrieren. Wallache, die in den gemischten Gruppen zu viel Stress machen, hält man besser in reinen Wallachgruppen.

Diese rein männlichen Herden sind fast immer sehr friedlich. Es müssen keine Stuten bewacht werden und somit können sie sich alle entspannen und spielen viel.


"Bekommt mein Pferd genug zu fressen?"

Eine der Hauptanforderungen an einen guten Offenstall lautet: Alle Pferde müssen stressfrei fressen können. Es müssen also immer ausreichend Fressplätze vorhanden sein, die so angeordnet sind, dass sich die Pferde friedlich verteilen können.

Nicht gut ist, eine Raufe an den Zaun zu stellen. Sie lässt sich zwar leichter befüllen als eine andere auf der Fläche, aber sie kann von einem ranghohen Pferd schnell blockiert werden. Steht die Raufe hingegen mitten auf dem Paddock, so können rangniedere Pferde immer rund herum ausweichen und viel leichter einen Fressplatz finden.


"Kann sich mein Pferd stressfrei hinlegen?"

Liegebereiche sollten so groß sein, dass sich alle Pferde hinlegen können. Es sollten ausreichend große Ein- und Ausgänge da sein und keine toten Ecken, so dass sich die Pferde als Fluchttiere wohl fühlen.

Bei problematischen Herden sind Raumteiler hilfreich, die den rangniederen Pferden Schutz bieten. Der Boden muss nach den aktuellen Tierschutzrichtlinien "verformbar" sein. Dazu können weiche (mit Schaumstoff gefüllte) Gummimatten oder verschiedene Einstreuvarianten verwendet werden.


"Steht mein Pferd da nicht genau so viel herum?"

Pferde sind sogenannte "Energiesparer". Sie bewegen sich also kaum mehr als nötig, um alle Bedürfnisse zu befriedigen. Gut für einen Offenstall ist also, Futter und Wasser so anzuordnen, dass die Pferde sich möglichst viel bewegen müssen.

Das linke Bild[*] zeigt eine Auswertung einer GPS-Aufzeichnung. In diesem Offenstall wurde um zwei Weideflächen herum ein Laufweg eingerichtet, ein sogenannter Paddock Trail, auf dem die Pferde sowohl Heuraufen als auch Tränke, Lecksteine und Unterstand finden. In 24 Stunden lief das Pferd "Nugget" 10,56 km.


"Ich habe Angst vor Verletzungen"

Das wichtigste in einem Offenstall ist nicht der verfügbare Platz (natürlich gilt "je größer, desto besser"), sondern die Gestaltung ohne enge Durchgänge, tote Ecken oder Sackgassen. Das Fluchttier muss jederzeit ausweichen können.

Wenn dann noch die bereits angesprochenen Punkte berücksichtigt werden (genügend Fressplätze, ausreichende Größe der Liegeflächen, Bewegungsanreize und eine passende Zusammenstellung der Herde), dann ist die Verletzungsgefahr sehr gering. Und was ist schon eine Schramme vom Spielen gegen die vielen frühen Verschleißerkrankungen von Boxenpferden?

Wenn man Pferde in einem guten Offenstall beobachtet, dann sieht man erst einmal, wieviel eigene Persönlichkeit sie haben, wie sie Freundschaften aufbauen und wie sie ein aktives Herdenleben führen. Pferde sind keine Sportgeräte, sondern eigenständige Lebewesen mit eigenen Bedürfnissen. Geben wir ihnen den Raum für ein artgerechtes Leben!

www.offenstallkonzepte.de


[*] Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Originalartikel mit Abbildungen siehe unter:
http://www.provieh.de/downloads_provieh/images/provieh_magazin_2014_03.pdf

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Quelle:
PROVIEH MAGAZIN - Ausgabe 3/2014, Seite 30-33
Herausgeber: PROVIEH - Verein gegen
tierquälerische Massentierhaltung e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. Dezember 2014