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TIERHALTUNG/719: Geliebt, verehrt und doch ausgebeutet - Das Pferd (tierrechte)


Magazin tierrechte - Ausgabe 4/2017
Menschen für Tierrechte - Bundesverband der Tierversuchsgegner e.V

Geliebt, verehrt und doch ausgebeutet: Das Pferd

von Alexandra Weyrather und Christina Ledermann


Beim Pferd wird die Ambivalenz des Mensch-Tier-Verhältnisses besonders deutlich. Die sensiblen Tiere werden einerseits verehrt und aufwendig umsorgt. Ein Pferd zu halten, ist noch immer ein Statussymbol. Für erfolgreiche Pferde werden zweistellige Millionenbeträge gezahlt. Andererseits leiden die Tiere als unverstandenes "Sport- oder Freizeitpferd", auf Transporten, in Mastanlagen, Schlachthäusern, Blutfarmen und Tierversuchslaboren.

In Deutschland leben rund 1,1 Millionen Pferde und Ponys. Die Pferdepopulation hat sich in den vergangenen 40 Jahren fast vervierfacht. Für die Pferdebegeisterung werden Milliarden ausgegeben. Die Branche für Sport- und Freizeitreiterei ist mit einem geschätzten Gesamtumsatz von 5 bis 6,5 Milliarden Euro ein starker Wirtschaftszweig. Doch - und dies ist Vielen nicht bewusst - die beliebten Tiere werden täglich auf viele verschiedene Weisen ausgebeutet. Sie leiden als unverstandenes "Sport- oder Freizeitpferd" und werden geschlachtet, wenn ihre Leistung nachlässt. In Südamerika vegetieren trächtige Stuten auf Blutfarmen für die Produktion von Hormonpräparaten für die hiesige Fleischproduktion, in Indien wird ihnen Blut zur Herstellung von sogenannten Antitoxinen abgezapft. Sie sterben in fragwürdigen Tierversuchen oder vegetieren in Anbindehaltung für die Produktion von Östrogenen.

Großer Appetit auf Pferdefleisch

Als 2013 bekannt wurde, dass in verschiedenen EU-Ländern Fertiggerichte falsch deklariert waren und statt Rindfleisch Pferdefleisch enthielten, war die Empörung groß. Pferdefleisch zu essen, ist für viele Deutsche ein Tabu. Dabei wurden im ersten Halbjahr 2017 hierzulande knapp 940 Tonnen Pferdefleisch "produziert". In der EU gibt es dafür besonders in Italien einen großen Markt. Hier landen beispielsweise die meisten österreichischen Noriker-Fohlen. Geboren auf Bergwiesen, werden die kräftigen Gebirgskaltblutpferde im Herbst versteigert. Da die Nachfrage nach Norikern bei Freizeitreitern und Züchtern gering ist, werden die "überproduzierten" Nachzuchten an Schlachtbetriebe verkauft. Nach den Auktionen werden die verängstigten Jungpferde verladen und zu Mastanlagen, meist in Italien, transportiert. Dort werden sie, teils in besonders tierquälerischer Anbindehaltung, gemästet, um schließlich geschlachtet zu werden. Da die Zucht von Norikern teilweise aus EU-Mitteln gefördert wird, unterstützt die EU so indirekt die "Produktion" von "Schlachtpferden".

Immer noch alltäglich: Qualvolle Transporte

Um den Appetit nach Pferdefleisch zu befriedigen, werden auf europäischen Straßen täglich immer noch hunderte von Pferden transportiert. Auf Langstreckentransporten aus Osteuropa leiden die Tiere bis zu 60 Stunden, um dann in einem Schlachthaus in Italien oder Frankreich zu sterben. Die Tiere stehen zusammengepfercht auf engstem Raum und versuchen verzweifelt, die Bewegungen des LKWs auszubalancieren. Auch wenn einige Pferde die Strapazen nicht überleben, machen die Händler enorme Gewinne. Leider ist es immer noch die billigste Variante, die Tiere lebend zu transportieren. Dies zeigt sich auch in dem Irrsinn, polnische oder auch amerikanische Pferde auf wochenlangen Transporten nach Japan zu verschiffen.

Kaum gesetzliche Vorgaben

Doch zunächst zur gängigen Pferdehaltung in Deutschland. Obwohl es sehr kostspielig ist, ein Pferd zu halten, kommen Pferdebesitzer heute aus allen sozialen Schichten. Jeder kann sich ein Pferd kaufen, ohne hierfür einen speziellen Qualifikationsnachweis erbringen zu müssen. Die Besitzer müssen weder Kenntnisse zur richtigen Haltung noch zum Umgang mit den Tieren nachweisen. Zudem gibt es kaum konkrete gesetzliche Vorgaben für die Unterbringung von Pferden in den gängigen Haltungssystemen. Es gibt beispielsweise keine Verpflichtung zu Auslauf und Weidegang. So liegt es allein im Ermessen des Halters, wie das Pferd untergebracht wird. Daraus ergeben sich häufig Probleme zu Lasten der Pferde. Denn trotz des Aufwandes, der rund um die Haltung von Pferden gemacht wird, wissen viele Halter nicht viel über die tatsächlichen Ansprüche der Tiere an Kommunikation, Bewegung und Sozialkontakt.

Nicht berücksichtigt: Natürliche Bedürfnisse

Die Bedürfnisse von domestizierten Pferden entsprechen nahezu denen ihrer wilden Vorfahren. Doch die moderne Pferdehaltung ist von der natürlichen Lebensweise meist weit entfernt. Wildlebende Pferdeherden bestehen in der Regel aus einem stabilen Familienverband: ein Hengst und ein bis drei Stuten und deren Fohlen. Die Tiere haben eine enge Bindung zueinander, die Erwachsenen bleiben oft jahrelang zusammen und verfügen über ein komplexes Sozial- und Kommunikationssystem. Alle Herdenmitglieder sind wichtig für die soziale Entwicklung der Fohlen, bis sie in der Pubertät oder später die Herde verlassen. Doch die Realität der gängigen Pferdehaltung sieht anders aus. In Gefangenschaft gehaltene Pferde leben praktisch nie in einem natürlichen Familienverband. Oft werden sie einzeln in Boxen gehalten und ihnen somit jeder Sozialkontakt verwehrt. Im besseren Fall müssen sie sich in ein- oder mehrgeschlechtlichen Gruppen mit unterschiedlichen, teilweise häufig wechselnden Artgenossen arrangieren.

Gesundheitliche und psychische Schäden

Wildlebende Pferde grasen bis zu sechzehn Stunden täglich. Dabei bewegen sie sich kontinuierlich mit kurzen Unterbrechungen fort, meist im Schritt. Ihre gesamte Physiologie ist auf diese Lebensweise ausgerichtet. Als Fluchttier muss das Pferd jederzeit in der Lage sein, in kürzester Zeit Höchstgeschwindigkeit zu erreichen. In der heute gängigen Boxenhaltung können sich die lauffreudigen Tiere jedoch die meiste Zeit des Tages kaum bewegen. Meist werden sie nur einmal täglich zum Trainieren oder Reiten aus der Box geholt, teilweise auch nur wenige Male die Woche. Circa 60 Prozent aller Pferdekrankheiten sind durch eine nicht tiergerechte Haltung bedingt. Die mangelnde Bewegung, die schlechte Stallluft, der Mangel an externen Reizen und das Fehlen sozialer Interaktion führen zu körperlichen und psychischen Schäden. Orthopädische Beschwerden und eine Reihe von Stoffwechselerkrankungen sind bei den meisten "Sport- und Freizeitpferden" die Regel und nehmen weiter zu. Aufgrund von Stress und falscher Fütterung leidet der Großteil zudem unter Magengeschwüren. Dazu kommen häufig Erkrankungen der oberen und unteren Atemwege.

Zwangsläufig auftretende Verhaltensstörungen

Eine 2014 durchgeführte Studie des Veterinärs Dr. Andreas Thelen von der Universität Gießen, in der der Zusammenhang zwischen der Haltungsform und auftretenden Verhaltensstörungen untersucht wurde, ergab, dass 90 Prozent der verhaltensauffälligen Tiere aus Boxenhaltung stammten. Häufig entwickeln die Tiere eine stereotype Bewegungsstörung wie beispielsweise das "Weben", "Krippenwetzen", "Koppen" "Boxenschlagen" und "Boxenlaufen". Diese Verhaltensweisen werden aufgrund ihres zwanghaften Charakters von den betroffenen Pferden oft stundenlang wiederholt. Den Anteil schwer verhaltensgestörter Tiere schätzt Thelen sogar noch viel höher ein, da nur ein Drittel der angefragten Ställe an der Studie teilnehmen wollte.

Zwangsmittel zur Symptombekämpfung

Um diese "Untugenden" ihrer Pferde zu unterdrücken, greifen Pferdebesitzer zu verschiedenen Zwangsmitteln. Von eng geschnallten Halsriemen, die dem Pferd bei Ausübung der unerwünschten Verhaltensweise Schmerzen bereiten, über Elektroschocks bis hin zu Operationen. Diese Symptombekämpfungen führen jedoch lediglich dazu, dass den betroffenen Tieren, die sich in Stresssituationen befinden, die Möglichkeit genommen wird, ihrem Leid Ausdruck zu verleihen. Auch dient das Ausleben dieser Verhaltensstörungen dem Stressabbau und beruhigt die Tiere. Durch die Unterdrückung des auffälligen Verhaltens verhindert man diese von den Pferden genutzte Selbsthilfe. Statt die Symptome zu bekämpfen, sollten vorbeugende Maßnahmen ergriffen werden, damit Verhaltensstörungen gar nicht erst entstehen. Doch dazu brauchen wir einen Wandel im Umgang mit dem Pferd.

Wir hoffen, mit dieser Ausgabe dazu beitragen zu können.

Alexandra Weyrather
Christina Ledermann


Infokasten

Das größte Glück der Pferde ist der Reiter auf der Erde!

Der Pferderücken ist von Natur aus nicht darauf ausgelegt, ein schweres Gewicht zu tragen. Durch das Gewicht des Reiters kann sich die Wirbelsäule der Pferde um mehrere Zentimeter senken und die Dornfortsätze nähern sich unter diesem Druck stark an. Beim Springen ist die Belastung besonders groß. Deshalb leiden fast alle gerittenen Pferde unter Rückenproblemen. Eine Studie an 295 klinisch rückengesunden Warmblutpferden im Alter zwischen 3 und 13 Jahren zeigte, dass 91,5 Prozent der Pferde Veränderungen an den Dornfortsätzen aufwiesen, fast immer im Bereich der kaudalen Sattellage.(*)

Das sogenannte Kissing Spines Syndrom, bei dem sich die Dornfortsätze der Wirbel berühren und aneinander reiben, führt zu sehr schmerzhaften Entzündungen der Dornfortsätze sowie der umgebenden Muskel- und Bänderstrukturen.

(*) Holmer, M., et al. (2007): Röntgenveränderungen an den Dornfortsätzen von 295 klinisch rückengesunden Warmblutpferden. In: Pferdeheilkunde, 23:507-511

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Quelle:
Magazin tierrechte - Ausgabe 4/2017, S. 4-6
Menschen für Tierrechte
Bundesverband der Tierversuchsgegner e.V.
Mühlenstr. 7a, 40699 Erkrath
Telefon: 0211 / 22 08 56 48, Fax. 0211 / 22 08 56 49
E-Mail: info@tierrechte.de
Internet: www.tierrechte.de
 
tierrechte erscheint viermal jährlich.
Der Verkaufspreis ist im Mitgliedsbeitrag enthalten.


veröffentlicht im Schattenblick zum 5. Januar 2018

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