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INITIATIVE/300: Gänsemassaker in den Niederlanden - Protestaktion (Der Falke)


Der Falke - Journal für Vogelbeobachter 9/2008

Gänsemassaker in den Niederlanden

Von Helmut Kruckenberg


Die Niederlande gelten vielen deutschen Vogelfreunden als das Eldorado des Gänseschutzes. Viele Jahre wurde durch die niederländische Regierung ein recht innovatives System der Gänseschadensregelung für betroffene Landwirte verfolgt. Ende der 1990er Jahre wurde sogar die Jagd auf Gänse in den ganzen Niederlanden untersagt. Seit dem Regierungswechsel 2005 hat sich die Gänsepolitik in den Niederlanden allerdings negativ entwickelt. Zunächst wurden neben Duldungsgebieten auch Vertreibungsgebiete eingerichtet. Dort dürfen Gänse wieder bejagt werden. Und obwohl diese Jagdausübung auf der Grundlage von prinzipiell individuellen Ausnahmegenehmigungen verschiedene Einschränkungen kennt, zeigt die jetzt verbesserte Streckenstatistik, dass auf diesem Wege ab 2005/06 mehr arktische Gänse geschossen wurden als jemals zuvor! Allein in dem Winterhalbjahr 2005/06 wurden im Rahmen der Vergrämungsmaßnahmen insgesamt 33000 Bläss- und 19000 Graugänse erlegt.

Während aber der Schutz der winterlichen Gänse in den Niederlanden durchaus von einer breiten Öffentlichkeit getragen wird und viele Menschen zum winterlichen Naturschauspiel äußerst positiv eingestellt sind, verhält es sich mit den heimischen Brutvögeln etwas anders. Seit den 1960er Jahren wurde auch in den Niederlanden immer wieder versucht, die damals ausgestorbene Graugans erneut heimisch zu machen. So wurden an vielen Orten Graugänse ausgesetzt. In den 1980er Jahren wurde zudem die Jagd mit lebenden Lockvögeln verboten und so fanden auch zahlreiche Vögel arktischer Arten gezwungenermaßen den Weg in die Freiheit. Nicht zuletzt auch durch die Begeisterung vieler Niederländer für Wasservögel aller Arten an Teichen und Gewässern haben Grau-, frei lebende Haus-, Nonnen-, Kanada- und in kleinem Rahmen Bläss- und Streifengans seit Mitte der 1980er Jahre Brutbestände in den Niederlanden aufgebaut. Landesweit wurde der Bestand 2006 auf ca. 9000 Graugansbrutpaare, 3700 Paare wilder Hausgänse (ca. 13000 Individuen!), 3000 Kanadagans- (max. 9600 Individuen) und fast 6000 Nonnenganspaare geschätzt. In einem so gewässerreichen Land wie Holland, das noch dazu in vorbildlichem Maß nasse und feuchte Naturgebiete unterhält, können die Gänse wunderbar leben. Die niederländische Organisation SOVON, die das landesweite Monitoring der Wasservögel betreibt, hat in den vergangenen Jahren mehrmals Untersuchungen auch zu den Sommergänsen durchgeführt. So werden die Graugänse bereits seit vielen Jahren u. a. mit Farbmarkierungen untersucht, die Nonnengänse in der Provinz Zuid-Holland wurden in aufwendigen Aktionen seit 2005 farbmarkiert.

Doch regional reißt die Kritik an den Gänsen nicht ab. So wurden auf der niederländischen Nordseeinsel Texel mit behördlicher Genehmigung im Juni mehr als 3000 Wildgänse (vor allen Dingen Graugänse mit ihren Küken) von der Firma "Duke Faunabeheer" in mehreren Aktionen mit Netzen einfangen und anschließend mit Kohlendioxid vergast. Zunächst war die Aktion gerichtlich untersagt worden, wurde aber später doch zugelassen. Naturschützer haben die Aktion dokumentiert und sprechen von einem beispiellosen Tierschutz-Skandal, gegen den sich mittlerweile europaweit Protest regt. Die Tageszeitung "Leeuwarder Courant" berichtete wenige Tage später, die getöteten Gänse sollten nach Deutschland transportiert und hier zu Gänseleberpastete u. ä. verarbeitet werden.

Begründet wurde die Maßnahme durch die Provinzregierung Noord-Holland mit zunehmenden Schäden in der Landwirtschaft, die insbesondere die übersommernden Gänse (Brutvögel, Familien und Nichtbrüter) anrichten würden. Auf Texel sei den Landwirten bisher ein Schaden von 90000 Euro pro Jahr entstanden. Daher wurde beschlossen, insgesamt 6000 Grau-, Bläss- und Nonnengänse einzufangen und zu töten. Die Stiftung Natuurmonumenten, der der Großteil der Gänsebrutgebiete auf Texel gehört und pflegt, rechtfertigte in einer E-Mail an protestierende Natur- und Tierschützer die Tötungsaktion mit dem Schutz der Wiesenvögel, die durch die vielen Gänse gefährdet würden. Dies halten Fachleute allerdings für wenig plausibel. Bisher gibt es keine überprüfbaren Nachweise oder Untersuchungen, die einen Zusammenhang zwischen dem (populationsübergreifenden) Rückgang der Wiesenvögel (v. a. Kiebitz, Uferschnepfe und Rotschenkel) und der Zunahme brütender Gänse bewiesen hätte. Im Gegenteil: ein Gutachten des Forschungsinstituts Alterra und der niederländischen Monitoringorganisation SOVON hatte in diesem Jahr gezeigt, dass selbst in den intensiv im Winter genutzten Gänserastgebieten Hollands kein negativer Einfluss auf die Wiesenvögel nachweisbar war. Daher vermuten niederländische Tierschützer, dass sowohl die Provinzregierung als auch Natuurmonumenten selbst hier vor der Landwirtschaftslobby eingeknickt sind und nach Naturschutzgründen für die Massentötung gesucht hätten. Auch nach dem niederländischen Jagdrecht ist die Tötung von Tieren mit Gas nämlich untersagt.

Bis Ende Juli beteiligten sich bereits mehr als 8000 Gänsefreunde an der Protestaktion und schickten E-Mails an die Provinzregierung, die Gemeinde Texel und Natuurmonumenten.

Ungeachtet dieser Proteste geht die Tötungskation in den Niederlanden allerdings weiter. Mitte Juli 2008 wurden in der Provinz Utrecht über 1000 Nonnengänse durch Mitarbeiter der Firma "Duke Faunabeheer" eingefangen, mit Viehtransportern in einen Betrieb nach Flevoland gefahren und dort vergast. Die Fangaktion konnte dieses Mal von Mitarbeitern der Tierschutzorganisation Faunabescherming auf Video festgehalten werden. Ein vierminütiges Video steht im Internet zum Download bereit (http://www.faunabescherming.nl). Weitere Fangaktionen sind bis zum 1. Oktober geplant. In der Provinz Noord-Holland dagegen hat die Provinzverwaltung weitere Aktionen bis 2009 vertagt.

Die niederländischen Natur- und Tierschützer fordern nun alle Gänsefreunde auf, sich an den Protesten gegen die Massentötungen zu beteiligen. Dieses ist im Internet unter http://www.faunabescherming.nl/ möglich. Das Komitee gegen den Vogelmord hat zusätzlich eine deutschsprachige Protestseite eingerichtet (http://www.komitee.de).


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Quelle:
Der Falke - Journal für Vogelbeobachter 9/2008
55. Jahrgang, September 2008, S. 363-364
mit freundlicher Genehmigung des AULA-Verlags
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veröffentlicht im Schattenblick zum 4. September 2008