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POLITIK/778: EU-Biosiegel in der Glaubwürdigkeitskrise (PROVIEH)


PROVIEH MAGAZIN - Ausgabe 1/2016
Magazin des Vereins gegen tierquälerische Massentierhaltung e.V.

EU-Biosiegel in der Glaubwürdigkeitskrise

Von Sabine Ohm


Die derzeit geltende europäische Ökoverordnung Nr. 834/2007/EG enthält eigentlich gute Grundsätze für die Bio-Tierhaltung. Dazu gehört die Erhaltung der Tiergesundheit durch die Auswahl der geeigneten Rassen, die "Berücksichtigung tierartspezifischer Bedürfnisse" sowie die "Anwendung von Tierhaltungspraktiken, durch die das Immunsystem der Tiere und ihre natürlichen Abwehrkräfte gegen Krankheiten gestärkt werden, insbesondere regelmäßige Bewegung und Zugang zu Freigelände und gegebenenfalls zu Weideland." Auch die "Gewinnung ökologischer/biologischer tierischer Erzeugnisse von Tieren, die seit Geburt bzw. Schlupf ununterbrochen in ökologischen/biologischen Betrieben gehalten wurden" entspricht sicher dem, was Verbraucher beim Kauf von Biowaren erwarten, für die sie zum Teil Preisaufschläge von mehreren hundert Prozent im Vergleich zu konventionellen Produkten bezahlen.


Zu viele Ausnahmen

Die Verbraucher wissen allerdings kaum etwas über die zahlreichen Ausnahmeregelungen, die diese hehren Bio-Grundsätze unterlaufen. Erlaubt ist der Einsatz konventioneller Hochleistungsrassen (siehe Infobox), die Anbindehaltung von Milchkühen oder auch die Mast konventionell gezüchteter Jungtiere. Letzteres bedeutet zum Beispiel, dass Ferkel von Sauen in Abferkelkäfigen stammen können, wenn kein ausreichender "Bionachwuchs" vorhanden ist. Die Ferkel können bis zu einem Gewicht von 35 Kilogramm auf Vollspalten in drangvoller Enge konventionell aufgezogen worden sein, und dürfen dann ganz regulär als Bioschweine weiter gemästet werden.

Das Verbot der Verstümmelungen besteht derzeit auch nur im Konjunktiv: "Verstümmelungen, die den Tieren Stress, Schaden, Krankheiten oder Leiden zufügen, sollten verboten werden. Besondere Eingriffe, die für bestimmte Produktionsarten und im Interesse der Sicherheit von Mensch und Tier wesentlich sind, können unter beschränkten Bedingungen zugelassen werden." Dazu gehören unter anderem "das Anbringen von Gummiringen an den Schwänzen von Schafen, das Kupieren von Schwänzen, das Abkneifen von Zähnen, das Stutzen der Schnäbel und Enthornung. [...] aus Sicherheitsgründen oder wenn sie der Verbesserung der Gesundheit, des Befindens oder der Hygienebedingungen der Tiere dienen." Diese Formulierungen öffnen Ausnahmegenehmigungen Tür und Tor.

Bis Ende 2010 beziehungsweise 2013 bestanden außerdem zahlreiche Übergangsregelungen bezüglich der Besatzdichte und nicht zwingend notwendigem Auslauf. Auch das erst Ende 2011 in Kraft getretene Verbot der betäubungslosen Ferkelkastration wird bis heute von vielen Bioerzeugern nicht eingehalten. Langstreckentransporte sind ebenfalls erlaubt, sogar von kleinen Ferkeln gleich nach dem Absetzen.


Verschlimmbesserung?

Die EU-Kommission legte Anfang 2014 einen Entwurf für eine überarbeitete europäische Bioverordnung vor. Darin war die Verschärfung vieler Bestimmungen vorgesehen, darunter Tierschutzregelungen, um die Bioverordnung mehr in Einklang mit den Verbrauchererwartungen zu bringen. Leider wurden die Tierschutzbestimmungen des Kommissionsentwurfs durch den Agrarausschuss des Europäischen Parlaments (EP) verwässert. Das EP nahm sogar teilweise schlechtere Formulierungen als die geltenden in seinen Gegenentwurf auf, zum Beispiel bezüglich der zulässigen Verstümmelungen.

Nun versuchen Kommission, Ministerrat und EP im Rahmen eines "Trilogs" seit Oktober 2015 einen Konsens über den endgültigen Text zu erzielen. Es gibt noch jede Menge andere Streitpunkte beizulegen, darunter den Umgang mit Pestizidrückständen (zum Beispiel bei Verwehungen von konventionellen Nachbarbetrieben) und die Kontrollen von Biobetrieben und -importen.

Die Bemühungen von PROVIEH und anderen europäischen Tierschutzverbänden für bessere Bio-Tierschutzvorschriften mit weniger Ausnahmen wurden bedauerlicherweise bisher nicht vom europäischen Dachverband der Bioerzeuger (IFOAM) unterstützt. Dabei steht nichts weniger als die Glaubwürdigkeit des EU-Biosiegels auf dem Spiel.

Deshalb setzen wir uns weiterhin vehement für tierfreundliche Bestimmungen ohne Ausnahmen in der neuen EU-Bioverordnung ein. Die Biokunden wollen schließlich sicher sein, dass das Ökosiegel hält, was es verspricht.


INFOBOX

Biobauern begründen den Einsatz konventioneller Hochleistungs-Zuchtlinien in der Biohaltung oft mit ökonomischen Zwängen, zum Beispiel bei der Eiererzeugung mit "Lohman Brown"-Legehennen, weil sie viel mehr Eier legen als robuste Rassen. Angeblich gibt es keine Putenrassen mehr, die gegen Mastende noch normal gehen können. Auch Bioputen fallen meist genau wie konventionelle Puten nach wenigen Schritten um, wegen der überzüchteten Brustpartien. Und bei den Schweinen wird die Schuld den Verbrauchern gegeben, die nur mageres Fleisch wollen. Aber Hochleistungstiere unter Biobedingungen zu halten und zu füttern ist so, als ob man ein Formel 1 Rennauto mit Diesel betankt und auf einem Feldweg fahren lässt. PROVIEH fordert deshalb robuste Biozüchtungen für die Erzeugung gesunder Biotiere unter artgerechten Haltungsbedingungen.

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Quelle:
PROVIEH MAGAZIN - Ausgabe 1/2016, Seite 32-33
Herausgeber: PROVIEH - Verein gegen
tierquälerische Massentierhaltung e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 21. Juni 2016

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