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TIERVERSUCH/453: "Versuchstier" Schwein (tierrechte)


tierrechte Nr. 51, Februar 2010
Menschen für Tierrechte - Bundesverband der Tierversuchsgegner e.V.

"Versuchstier" Schwein

Von Cristeta Brause und Christiane Hohensee


Entgegen der abwertenden Umgangsweise des Menschen dem Schwein gegenüber sind sich beide physiologisch gesehen relativ ähnlich. Schweine werden deshalb auch als "Versuchstiere" verwendet.


Etwa 12000 bis 16000 Schweine pro Jahr wurden in den vergangen Jahren in Deutschland in Experimenten eingesetzt. 2008 betrug ihre Zahl 13102. Davon landeten 2633 in der Grundlagenforschung, 5918 in der Erforschung und Entwicklung von Medizinprodukten (z.B. Gefäßprothesen und Herzschrittmacher) und 2079 Schweine wurden in der Aus- und Weiterbildung verwendet, vermutlich jedoch nicht in der Ausbildung von Studierenden, sondern z.B. in der Weiterbildung von Ärzten zum Erlernen operativer Techniken. Die übrigen Tiere wurden u. a. für toxikologische Untersuchungen eingesetzt - also um die Giftigkeit von Substanzen zu testen - oder getötet, um ihre Organe und Gewebe z.B. für Zellkulturen zu entnehmen. Auch für die Gentechnik mussten einige Schweine herhalten: 69 gentechnisch veränderte Schweine weist die offizielle Statistik des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (BMELV) zu den Tierversuchszahlen aus.


Tierversuche in der Grundlagenforschung

• Herz-Kreislauf-Forschung
Ein großer Teil der Schweine wird in der Herz-Kreislauf-Forschung eingesetzt, nicht zuletzt wegen seiner dem Menschen vergleichbaren Größe, der Größe seiner Organe und Gefäße und seiner Verfügbarkeit. In der Literatur wird das Schwein besonders oft als das am besten geeignete Tier für Forschungsvorhaben in der Kreislauf-Forschung beschrieben, jedoch ist diese Behauptung nicht belegt. Zu diesem Schluss kommt auch eine Studie, bei der Literaturdaten und erneut ermittelte Blutgerinnungswerte der Tierarten Schwein, Hund, Schaf und Kaninchen mit den relevanten Blutwerten des Menschen verglichen wurden. Die Untersuchung ergab u.a., dass das Schwein in der Kreislauf-Forschung zwar am häufigsten eingesetzt wird, aber wegen seines vom Menschen zu unterschiedlichen Blutgerinnungssystems am wenigsten geeignet ist. (*)

• Transplantationsforschung
Ein weiterer Bereich ist die Transplantationsforschung. Hier besteht das Ziel darin, die Organe und Gewebe von Schweinen auf den Menschen zu übertragen, um den vermeintlichen oder tatsächlichen Organmangel zu beheben. Die Übertragung artfremder Organe wird auch als Xenotransplantation bezeichnet. Da der menschliche Organismus Tierorgane noch deutlich stärker abstößt als Organe eines anderen Menschen, sollen Schweine gentechnisch so verändert werden, dass ihre Organe weniger stark abgestoßen werden. Trotzdem müssten Empfänger von Tierorganen zeitlebens Medikamente einnehmen, die das Immunsystem unterdrücken. Abgesehen davon besteht die Gefahr, dass durch Tierorgane auch bislang unerkannte Krankheitserreger übertragen werden oder neue Krankheitserreger entstehen. Ob die vom BMELV angegebenen 69 gentechnisch veränderten Schweine für diese Zwecke genmanipuliert wurden, geht aus der Statistik nicht hervor. Tatsache ist jedoch, dass diese Zahl lediglich die Schweine auflistet, bei denen die Genmanipulation geklappt hat. Es sind jedoch zahlreiche Versuche erforderlich, um ein "erfolgreich" genmanipuliertes Tier zu erhalten. Viele befruchtete Eizellen, Embryonen, abortierte Tiere und solche, die nicht wie gewünscht transgen sind, bleiben auf der Strecke und werden in der Statistik nicht erwähnt.

• Magen-Darm-Forschung
Auch in der Magen-Darm-Forschung werden Schweine verwendet. Es geht darum, Fragestellungen zu den normalen und gestörten Verdauungsvorgängen sowie Wirkungen von oral verabreichten Stoffen wie Nahrungsmittelzusatzstoffen, Toxinen (Giften), Medikamenten etc. zu beantworten. Dabei werden die Auswirkungen auf z.B. die Darmflora, die Magen-Darm-Schleimhaut und auch das Verhalten von Stoffen im Körper - wie z.B. die Aufnahme und der Transport in der Blutbahn - studiert. Für solche Untersuchungen werden die Schweine oft chirurgisch "vorbereitet", indem ihnen die Ausführungsgänge von Bauchspeicheldrüse oder Gallenblase abgebunden werden, oder es werden ihnen künstliche Öffnungen in den Darm (Fisteln) gelegt, die über einen längeren Zeitraum einen Zugang von außen durch die Körperwand ermöglichen, um während der laufenden Versuche Proben aus dem Darm entnehmen zu können. Auch die "Kurzschaltung" von normalerweise voneinander entfernt liegenden Darmabschnitten ist üblich. Hierzu wird der Darm im Querschnitt durchtrennt oder seitlich eröffnet und die eröffneten Stellen beider zu vereinenden Darmabschnitte werden miteinander vernäht (sogenannte Anastomosen). Um aus dem Darm in die Blutbahn aufgenommene Substanzen und deren Abbauprodukte untersuchen zu können, werden Blutgefäße z.T. mit Dauerkathetern versehen.

"Ich mag Schweine. Hunde schauen zu uns auf, Katzen auf uns herab. Schweine behandeln uns gleichwertig." Winston Churchill (1874 - 1965), ehemaliger britischer Premierminister


Für eine tierversuchsfreie Forschung

Der Bundesverband Menschen für Tierrechte lehnt Tierversuche aus ethischen, medizinischen und methodischen Gründen ab und setzt sich für eine ethisch vertretbare Forschung ohne Tierversuche ein. Gerade mit Zell- und Gewebekulturen lassen sich bereits schon heute zahlreiche Fragestellungen bearbeiten und Tests durchführen. Im Bereich der Magen-Darm-Forschung existiert inzwischen ein Software-Programm, mit welchem die orale Verfügbarkeit und die im Organismus stattfindende Verstoffwechselung von Medikamenten simuliert werden können. Das Programm ahmt die Ganzkörperphysiologie von Menschen und verschiedenen Tierarten auf Wunsch auch in bestimmten Altersklassen nach. Die Module erlauben die Testung verschiedenster Arzneimittelformulierungen wie Tabletten, Kapseln und Lösungen. Auch der "Leber-Darm-Kreislauf", also die Verbindung zwischen Leber und Darm, sowie extreme Ernährungszustände oder krankhafte Veränderungen im Verdauungskanal des virtuellen Probanden und vieles mehr können individuell berücksichtigt werden.

Weitere Methoden sind zwar nicht vollständig tierfrei, kommen aber zumindest ohne zusätzliche Tiertötungen aus, da Organe von auf dem Schlachthof getöteten Schweinen verwendet werden. So können an Lungen z.B. Durchblutungsstörungen, Lungenödeme oder andere Phänomene mit erniedrigtem Sauerstoffgehalt, die beim Menschen vorkommen, untersucht werden.

Vor diesem Hintergrund stehen die Entwicklung und Anwendung tierverbrauchsfreier und ethisch vertretbarer Verfahren weiterhin im Mittelpunkt der Anstrengungen des Bundesverbandes.


Ausführliche Informationen zu Tierversuchen an Schweinen und zu tierversuchsfreien Methoden finden Sie auch online unter:
www.mag.tierrechte.de/61

(*) Philipp Höhle: Zur Übertragbarkeit tierexperimenteller endovaskulärer Studien: Unterschiede der Gerinnungs- und Fibrinolyse-Systeme bei häufig verwendeten Tierspezies im Vergleich zum Menschen, Dissertation, Medizinische Fakultät der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen, 2000


Schweine und Trüffel

Trüffel sind Pilze mit unterirdisch wachsenden, knolligen Fruchtkörpern, die kulinarisch sehr geschätzt werden und daher besonders teuer sind. So kostet ein Kilo weiße Trüffel mehrere Tausend Euro. Der Pilz produziert einen Duft, der dem Sexualduftstoff eines Ebers ähnelt, weshalb weibliche Schweine Trüffel leicht finden - auch wenn diese bis zu einem halben Meter tief im Waldboden wachsen. Da Schweine generell über ein sehr gut ausgeprägtes Riechvermögen verfügen und Wühlen im Boden zu ihren bevorzugten Tätigkeiten gehört, werden die weiblichen Tiere zum Auffinden der Pilze eingesetzt. Auch Hunde werden darauf trainiert, die Trüffel zu finden - was für die menschlichen Trüffelsucher den Vorteil hat, dass Hunde die Pilze nicht auffressen. Schweine dagegen verspeisen sie selbst gern, wenn der menschliche Trüffelsucher nicht aufpasst. In Italien werden Schweine deshalb nicht zur Trüffelsuche eingesetzt. Dort befinden sich bekannte Trüffelzentren im Piemont, in der Toskana und in Umbrien. Frankreich und Neuseeland sind die größten Trüffellieferanten.


Schweinegrippe

Ende April letzten Jahres meldeten die USA und Mexiko auffällige Grippeerkrankungen bei Menschen und auch Todesfälle. Nachdem klar war, dass es sich bei dem Erreger um ein Virus handelt, das Ähnlichkeiten mit Grippeviren hat, die bei Schweinen vorkommen, war die Bezeichnung "Schweinegrippe" schnell kreiert und noch schneller medial verbreitet. Tatsache ist jedoch, dass es sich beim Erreger dieser aktuellen Form der Grippe um ein neues Virus handelt, das bei Schweinen bis dahin noch nie aufgetreten war und auch nicht vom Schwein auf den Menschen, sondern von Mensch zu Mensch übertragen wird. Schweine haben mit dieser Grippeform nichts zu tun und der Begriff "Schweinegrippe" ist absolut irreführend. Inzwischen sind in einigen Ländern Infektionen von Schweinen und Truthähnen durch kranke Menschen nachgewiesen worden; die Menschen haben also die Tiere angesteckt.


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Quelle:
tierrechte - Nr. 51/Februar 2010, S. 8-9
Infodienst der Menschen für Tierrechte -
Bundesverband der Tierversuchsgegner e.V.
Roermonder Straße 4a, 52072 Aachen
Telefon: 0241/15 72 14, Fax: 0241/15 56 42
E-Mail: info@tierrechte.de
Internet: www.tierrechte.de

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veröffentlicht im Schattenblick zum 20. März 2010