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TIERVERSUCH/469: Laborkatzen in tödlicher Mission für Samtpfoten (tierrechte)


tierrechte Nr. 53, August 2010
Menschen für Tierrechte - Bundesverband der Tierversuchsgegner e.V.

Laborkatzen in tödlicher Mission für Samtpfoten

Von Christiane Baumgartl-Simons


Katzen landen heute in Laboren, um an ihnen in erster Linie veterinärmedizinische Fragestellungen zu klären. Human- oder zahnmedizinische Untersuchungen spielen dagegen eher eine untergeordnete Rolle, ebenso solche in der Grundlagenforschung. So drängt sich die Frage in den Vordergrund, ob es denn überhaupt ethisch zulässig ist, wenn Katzen in Versuchen leiden und sterben, damit Deutschlands acht Millionen geliebte Samtpfoten gesund bleiben?


Ja, sagt die Ethik, es ist grundsätzlich vertretbar, dass Wenige leiden und sterben, damit Vielen geholfen werden kann. So viel zur Theorie, für die Praxis greift dieser Standpunkt jedoch zu kurz.


Allgemeines zur Versuchstierstatistik

Katzen spielen im Vergleich zu anderen Tierarten in Experimenten eher eine untergeordnete Rolle. Etwa fünf Mal so viele Hunde und gut 2.200 Mal so viele Mäuse, die in ihrer Schmerz- und Leidensfähigkeit Hund und Katze nicht nachstehen, werden pro Jahr zu Messinstrumenten degradiert. In der ersten Datenerhebung des Bundes 1989 lag die Zahl der "Versuchskatzen" bei 2.734. In den letzten zehn Jahren pendelte sie sich zwischen 800 und 1.000 Katzen ein. Laut der jüngsten Bundesstatistik von 2008 kamen 803 Katzen zum Einsatz. Sie stammen je zu einem Drittel aus institutseigenen Zuchten, aus anderen EU-Mitgliedstaaten oder aus Ländern außerhalb der EU. Die Verwendung gestohlener Katzen aus Privathand, so wie dies nachweislich bis Anfang der achtziger Jahre der Fall war, kann heute ausgeschlossen werden.


Versuchstierstatistik 2008

2008 wurden circa 80 Prozent der Katzen (655 Tiere) zu Untersuchungen im Zusammenhang mit Tierkrankheiten herangezogen. Die meisten davon, nämlich 547, dienten der Erforschung und Entwicklung veterinärmedizinischer Produkte. Leider wird die Bundes-Versuchstierstatistik nicht konkreter. Doch die Schlussfolgerung liegt nahe, dass es sich hier um Experimente für Tierarzneimittel handelt, möglicherweise um die Entwicklung eines spezifischen Impfstoffes für Katzen.

10 Tiere dienten gesetzlich vorgeschriebenen Prüfungen im Rahmen der Herstellung und Qualitätskontrolle von Tierarzneimitteln, wie Seren und Impfstoffe.

An 98 Katzen erfolgten Giftigkeitsprüfungen, einschließlich der vorgeschriebenen Tests zur Zulassung von Produkten. Hierbei dürfte es sich um Versuche handeln, die für die Zulassung von Tierarzneimitteln vorgeschrieben sind. Danach wurden an 24 Katzen über 14 und 28 Tage toxikologische Tests durchgeführt, laut Statistik kamen hierbei Dosierungen zum Einsatz, die Vergiftungssymptome ohne tödliche Folgen hervorrufen. 62 Katzen wurden in chronischen Giftigkeitsstudien über 90 Tage bis zu einem Jahr eingesetzt.

79 Katzen verbrauchte die biologische Grundlagenforschung, davon dienten 40 der Erforschung des menschlichen Nervensystems, sehr wahrscheinlich, um spezielle Vorgänge beim Hören und Sehen zu entschlüsseln.

13 Katzen starben zu Ausbildungszwecken. Vermutlich übten Wissenschaftler Fertigkeiten für die Katzenexperimente in der biologischen Grundlagenforschung.

5 Katzen wurden zu o.g. wissenschaftlichen Zwecken zunächst getötet und dann weiterverwendet, z. B. zur Organ-/Zellkulturengewinnung, für 12 Katzen war kein konkreter Zweck angegeben.


Politik und Wissenschaft übernehmen keine Verantwortung

Die Gewissheit, dass Katzen vorsätzlich krank gemacht und in toxikologischen Tests vergiftet werden, damit Artgenossen mit Familienanschluss eine sichere medizinische Versorgung genießen können, erhält nur auf den ersten Blick die ethische Absolution. Tatsächlich stehen hier Verantwortung und Pflichtbewusstsein von Wissenschaftlern und Politikern auf dem Prüfstand. Denn seit 1986 fordern die Europäische Versuchstierrichtlinie und andere Rechtsvorschriften (siehe Kasten) diese beiden Berufsgruppen auf, Ersatzverfahren zum Tierversuch zu erforschen und anzuwenden. Doch wie ernst nehmen diese den Auftrag?

Die Praxis zeigt: Auf 100 tierexperimentell arbeitende Wissenschaftler kommt höchstens ein Forscher, der zielstrebig Ersatzverfahren entwickelt. 99 Kollegen trumpfen stets mit der gleichen Logik auf: "Für diese wissenschaftliche Fragestellung oder für diesen Test stehen leider keine Ersatzverfahren zur Verfügung. Deshalb bin ich als Forscher gezwungen, Tierversuche durchzuführen". Kaum einer stellt sich die Frage: "Was trage ich - genau in dieser Situation - zur Entwicklung der fehlenden Ersatzverfahren bei?" Die Folge ist: Es gibt zu wenig tierversuchsfreie Verfahren, die zudem noch behördlich anerkannt sind. Und die Politik unterstützt auch noch diese Unbetroffenheit der Forscher, indem sie lediglich spärliche Forschungsgelder für Ersatzverfahren ausschreibt. Dabei hätte sie es in der Hand, tierversuchsfreien Methoden und ihren Erfindern gesellschaftspolitische Aufmerksamkeit zu verschaffen. Diese Anerkennung täte nicht nur den Tieren gut, sondern auch dem Forschungsstandort Deutschland. Doch noch hängt die Politik allzu fest am Tropf verknöcherter Forschungskartelle. Denn sie meidet den Schulterschluss mit fortschrittlichen Vertretern der Wissenschaft und Industrie, um zielführende Förderkonzepte für Ersatzverfahren durchzusetzen.

Auch Bundesforschungsministerin Annette Schavan (CDU) klammert an alten Forschungsprinzipien. Während Bundeslandwirtschaftsministerin Ilse Aigner (CSU) dem in Sachen Tierschutz eher bescheidenen Entwurf einer neuen Tierversuchsrichtlinie zustimmen wollte, sah Frau Schavan darin bereits eine Bedrohung der Forschung. Deshalb enthielt sich Deutschland als einziges EU-Land bei der Abstimmung im Agrarministerrat in Brüssel. Frau Schavans antiquierter Forschungsanspruch brüskierte sogar ihre Parteischwester Elisabeth Jeggle. Sie ist Berichterstatterin des EU-Parlaments zur Tierversuchsrichtlinie und wertete Deutschlands Verweigerung als Abwertung ihrer Arbeit.


Aufbruchstimmung im Anmarsch

Doch der Bundesverband entdeckt auch erfreuliche Entwicklungen, die er unterstützt. Deshalb hat er im April 2009 die Internetseite www.invitrojobs.com eröffnet, um Forschungen und Stellenangebote zu Tierversuchsersatzverfahren zu bewerben. Die täglichen Recherchen zeigen, dass immer mehr Forscherteams nach neuen Methoden suchen, die das Tierleid hinter sich lassen. So wächst die Zuversicht, dass sich Wissenschaftler vom Schlage des Hirnforschers Kreiter, die kein anderes Handwerk als den Tierversuch beherrschen, sich selbst ins wissenschaftliche Abseits katapultieren werden. An dieser Entwicklung beteiligt sich der Bundesverband mit ganzem Herzen als Prozessbeschleuniger. Er engagiert sich deshalb besonders für die Entwicklung und Anwendung von Ersatzverfahren und zwar durch

a) Vernetzung von Wissenschaftlern,
b) durch Informationen, wie Studiengänge ohne Tierleid in zukunftsweisender Manier zu etablieren sind,
c) durch Vorschläge zu Förderkonzepten an die Politik und
d) nicht zuletzt durch öffentliche Aufklärung.

Schauen Sie doch einmal vorbei auf die speziell gegründeten Portale http://www.invitrojobs.com und http://satis-tierrechte.de


Folgende Rechtsvorschriften fordern die Entwicklung tierversuchsfreier Verfahren vor:

• Richtlinie des Rates (86/609/EWG) vom 24.11.1986, Artikel 7, Artikel 23

• Gesetz zum Europäischen Übereinkommen vom 18. März 1986 zum Schutz der für Versuche und andere wissenschaftliche Zwecke verwendeten Wirbeltiere vom 11. Dezember 1990 (Präambel und Artikel 6, Absatz 2)

• Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland Artikel 20a

• Deutsches Tierschutzgesetz
(§ 7)


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Quelle:
tierrechte - Nr. 53/August 2010, S. 6-7
Infodienst der Menschen für Tierrechte -
Bundesverband der Tierversuchsgegner e.V.
Roermonder Straße 4a, 52072 Aachen
Telefon: 0241/15 72 14, Fax: 0241/15 56 42
E-Mail: info@tierrechte.de
Internet: www.tierrechte.de

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Der Verkaufspreis ist im Mitgliedsbeitrag enthalten.


veröffentlicht im Schattenblick zum 11. September 2010