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TIERVERSUCH/782: Falscher Ansatz - Die Maus in der Parkinson-Forschung (tierrechte)


Magazin tierrechte - Ausgabe 1+2/2019
Menschen für Tierrechte - Bundesverband der Tierversuchsgegner e.V

Falscher Ansatz:
Die Maus in der Parkinson-Forschung

von Dr. Christiane Hohensee


Aufgrund der demografischen Entwicklung wird immer mehr an altersbedingten Erkrankungen geforscht - ein guter Grund das unsichtbare Tierleid in der Parkinsonforschung mit dem diesjährigen Versuchstier des Jahres zu thematisieren. Die hohe Ausfallrate bei der Arzneimittelentwicklung in diesem Bereich zeigt zudem deutlich, dass der Einsatz von gentechnisch veränderten Mäusen auch wissenschaftlich der falsche Ansatz ist.


Die Maus hat es verdient, als Versuchstiers des Jahres gewürdigt zu werden. Sie ist das am häufigsten eingesetzte Tier. Rund zwei Drittel aller Tierversuche werden mit Mäusen durchgeführt. Im Jahr 2017 waren es über 1,3 Millionen. Über die Hälfte waren gentechnisch verändert, bei fast 12 Prozent war die genetische Manipulation mit Leiden für die Tiere verbunden. Allein für die Parkinsonforschung wurden 2017 fast 66.000 Tiere für Versuche genehmigt. Parkinson, früher auch Schüttellähmung genannt, gilt als zweithäufigste neurodegenerative Erkrankung nach Alzheimer. Sie beginnt typischerweise im Alter zwischen 40 und 70 Jahren und betrifft in Deutschland 250.000 bis 280.000 Menschen. Die Erkrankung trifft Männer häufiger als Frauen. In rund 90 Prozent der Fälle ist die Ursache unbekannt, nur zehn Prozent sind auf genetische Gründe zurückzuführen. Es können auch Umweltgifte, Pestizide, Medikamente oder eine frühere Gehirnentzündung eine Rolle spielen.


Parkinson: derzeit noch unheilbar

Bei Parkinson sterben Nervenzellen ab, die den Nervenbotenstoff Dopamin produzieren. Dadurch kommt es zu den typischen motorischen Problemen wie Muskelzittern, Verlangsamung der Bewegungen, Muskelsteifheit oder starrer Mimik. Parkinson wird meist erst dann diagnostiziert, wenn bereits 60 Prozent der entsprechenden Nervenzellen verloren gegangen sind. Die derzeitige Behandlung kann die Erkrankung nicht aufhalten. Mit den verfügbaren Medikamenten wird versucht, den Dopamin-Mangel im Gehirn auszugleichen oder das Gleichgewicht der Botenstoffe wiederherzustellen. Das gelingt jedoch nicht immer oder die Wirkung lässt mit der Zeit nach, hinzu kommen Nebenwirkungen.


Tiere leiden für neue Behandlungsmethoden

Die Suche nach neuen Behandlungsmethoden geht über die Qual und den Tod unzähliger Mäuse. Sie werden genetisch manipuliert oder mit einem Nervengift behandelt, oft zusätzlich zu einer genetischen Manipulation. Die Dopamin-produzierenden Nervenzellen werden dabei bewusst zerstört. Dies führt bei den Tieren nicht nur zu den typischen Bewegungsstörungen, sondern auch zu einer Schädigung von Verdauung und Riechfähigkeit. Bei den gentechnischen Methoden spielt die "Genschere", die sogenannte CRIPR-Cas9-Methode, eine wichtige Rolle. An gewünschter Stelle kann ein Gen herausgeschnitten, eingefügt oder sogar nur Bausteine von Nukleinsäuren verändert und mutiert werden. Nach dem Genschaden folgt oft die Behandlung mit Nervengiften - eine doppelte Qual. Ein erfolgreiches "Tiermodell" wird mit motorischen und Verhaltenstests überprüft. Dabei müssen sich die kranken Mäuse auf einem rotierenden Rad halten, eine unter der Wasseroberfläche befindliche Plattform in einem Rundbecken wiederfinden oder sich kopfunter an einem Gitter festhalten.


Tiermodelle: Wissenschaftlich fragwürdig

Kein einziges Modell ist in der Lage, die menschliche Parkinson-Krankheit zu simulieren, darin sind sich alle Wissenschaftler einig. Ein vollständiges Verständnis von Parkinson ist trotz der Vielzahl an Tiermodellen nicht erlangt worden. Auf einer Tagung der Volkswagenstiftung im Februar zum Thema "Tierversuch: Geht's auch ohne?" kritisierte der Versuchstierkundler Prof. Bernhard Hiebl von der Tierärztlichen Hochschule Hannover die Aussagekraft und Übertragbarkeit von Tierversuchen auf den Menschen. Danach gäbe es über 50 erfolglose klinische Studien am Menschen mit Wirkstoffen, die allesamt zuvor im Tiermodell erfolgreich waren. Auch die mangelnde Reproduzierbarkeit von Versuchsergebnissen ist ein Problem, insbesondere, wenn Phänotypen (Erscheinungsbild) subtil in Erscheinung treten oder die individuelle Variabilität hoch ist. Oft werden die Symptome auch nur auf einer Körperseite erzeugt, um motorische Beeinträchtigungen überhaupt zu erkennen. Wissenschaftler konzentrieren sich bei ihren Tiermodellkreationen zudem meist auf die Degeneration der sogenannten schwarzen Substanz im Mittelhirn. Kritiker schätzen jedoch, dass diese nicht die Ursache, sondern eher die Folge des Parkinsonprozesses ist.


Ursachen oft nicht genetisch bedingt

Hinzu kommt, dass rund 90 Prozent der Patienten gar keine Parkinson-Erkrankung mit ursächlicher genetischer Mutation aufweisen. Trotzdem entwickeln Forscher weltweit unzählige gentechnisch veränderte Tiermodelle. Die meisten medikamentösen Behandlungen gegen die menschliche Parkinsonerkrankung werden an jungen männlichen Mäusen und Ratten durchgeführt. Dies ist problematisch, da die Parkinsonerkrankung meist eine altersbedingte Erkrankung ist. Die Neurodegenerationen werden sehr schnell innerhalb von wenigen Tagen erzeugt, die Tiere entwickeln nicht die typischen Ablagerungen, die für Parkinson charakteristisch sind. Die durch Nervengifte, wie MPTP oder 6-OHDA, erzeugten Tiermodelle, werden jedoch wegen ihrer relativ geringen Kosten und der Geschwindigkeit der Degenerationsprozesse im Tier von den Forschern bevorzugt.


Systemkombination statt Tiermodell

Die Parkinson-Erkrankung ist humanspezifisch, komplex und multifaktoriell. Daher sind neue zellbasierte Humanmodelle aus Patientenmaterial unschätzbare Ressourcen. Wie ein Tiermodell haben auch die Modelle aus patienteneigenen Stammzellen natürlich ihre Beschränkungen. Es steht nur ein kleiner Ausschnitt des menschlichen Organismus zur Verfügung. Kultivierte Zellen sind reduzierte Systeme, die es uns ermöglichen, spezifische Fragen schnell zu beantworten und Signalwege sowie mechanistische Details zu klären. Um eine größere Aussagekraft zu erreichen, ist der zukunftsorientierte Ansatz daher, mit einer Vielzahl einzelner Systeme den Krankheitsmechanismus puzzleartig zusammenzusetzen. Um das Auffinden geeigneter Therapien zu beschleunigen, werden dazu humanspezifische Ansätze kombiniert, die aus induzierten pluripotenten Stammzellen, 3D-Zellkulturen, computergestützten in silico-Analysen, bildgebenden Verfahren am menschlichen Gehirn und modernen Signalwegen bestehen.


3D-Kulturen und Multiorgan-Chips

3D-Kulturen und Organ-on-a-Chip-Ansätze bieten die Möglichkeit, viele Manipulationen gleichzeitig zu testen, genetische und pharmakologische Eingriffe sind dabei vergleichsweise einfach, Bildgebung und biochemische Analysen leicht zugänglich. Die in vitro-Modelle (lateinisch "im Glas") ermöglichen innovative Screening-Untersuchungen im Hochdurchsatz zur Identifizierung neuer potenzieller Therapeutika. Hier gibt es bereits Erfolge: In vitro konnten bereits bestimmte kleine mikro-RNA-Moleküle als mögliche therapeutische Option entdeckt werden. In Kulturen mutierter Nervenzellen haben Forscher herausgefunden, dass ein bestimmter Signalweg zwischen den Zellen gehemmt war. Sie fanden ein Molekül, das die gehemmte Übertragung trotzdem ermöglichte und somit den Defekt beheben konnte. Derartige Beispiele gibt es viele. Die hohe Ausfallrate bei der Arzneimittelentwicklung legt nahe, dass der derzeitige Ansatz mit gentechnisch veränderten und Substanz-geschädigten Mäusen nicht nur ethisch, sondern auch wissenschaftlich der falsche Ansatz ist.

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Quelle:
Magazin tierrechte - Ausgabe 1+2/2019, S. 16-17
Menschen für Tierrechte
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Internet: www.tierrechte.de
 
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veröffentlicht im Schattenblick zum 15. Mai 2019

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