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ZUCHT/070: Zweinutzungshuhn - Traum oder bald Wirklichkeit? (PROVIEH)


PROVIEH Heft 1 - März 2010
Magazin des Vereins gegen tierquälerische Massentierhaltung e.V.

Zweinutzungshuhn - Traum oder bald Wirklichkeit?

Von Susanne Aigner


Ob zum Backen, als Frühstücksei oder als Rührei in der Pfanne: Eier sind aus unserer Küche nicht mehr wegzudenken. Im Jahr 2007 legten 41,4 Millionen deutsche Legehennen insgesamt 11,8 Milliarden Eier. Nicht ohne Folgen, denn aus dem hohen Eier-Konsum ergibt sich ein Problem, das kaum bekannt ist: die Tötung der männlichen Küken. Wegen des geringen Gewichts der Hybrid-Legelinien kommen die Hähnchen für eine Mast nicht in Frage. Sie haben für die Legehennenbetriebe keinerlei ökonomischen Nutzwert. Darum werden die Tiere kurz nach dem Schlüpfen mit CO2 vergast oder im sogenannten "Homogenisator" geschreddert. So sterben in Europa jedes Jahr 280 Millionen Küken, davon ca. 45 Millionen in Deutschland. Die Verwertungsmentalität des Menschen ist grausam: "Nützliche" Tiere dürfen am Leben bleiben - "nutzlose" werden vernichtet.

Einige Zuchtfirmen bringen Hennen auf den Markt, die in der extensiven ökologischen Hühnerhaltung eingesetzt werden. Diese Tiere sind etwas schwerer als die normalen Hybridhennen. Die Frage ist, wie gut sich die männlichen Geschwisterküken dieser Hennen mästen und vermarkten lassen. Futterverbrauch, Mastdauer und Schlachtgewicht müssen in einem optimalen Verhältnis zueinander stehen. Und um rentabel zu sein, muss ein Huhn 260 bis 280 Eier im Jahr legen. Legeleistung und Körpergewicht jedoch sind genetisch negativ korreliert. Darum lassen sich beide Merkmale bei Hühnern züchterisch nur schwer vereinigen. Und die Legeleistung entscheidet letztlich darüber, ob sich das neue Huhn durchsetzen wird oder nicht.


Forschungsprojekte in Deutschland

In der ökologischen Geflügelzucht sucht man seit Jahren nach einem Zweinutzungshuhn, also ein Huhn mit hoher Legeleistung, das geeignet ist für die extensive Haltung im Freien. In dem von Bioland durchgeführten Geschwisterküken-Projekt im Jahre 2004 wurden die männlichen Küken von Legehybriden auf ihre Masteigenschaften hin untersucht. PROVIEH unterstützte dieses Vorhaben finanziell. Leider war das Ergebnis mager: Der Brustmuskel (Hähnchenfilet) der meisten untersuchten Hähne war mit weniger als 190 g zu schwach ausgeprägt. Nur 15 % der Tiere hatten ein optimales Filet- (225 g) bzw. Schlachtgewicht (1.800 g). Bei keiner der untersuchten Hybridlinien waren die Männchen als Masthähnchen geeignet.

Auch Demeter-Züchter suchen schon seit Jahren nach dem optimalen Zwiehuhn. So kreuzte der Geflügel-Züchter Hans-Joachim Schleicher Sulmtaler Hühner mit Bresshennen. Beide Rassen können bis zu 250 Eier im Jahr legen. Mit einem Schlachtgewicht zwischen 1,7 und 2,3 kg je Tier eignen sie sich zudem hervorragend für die Direktvermarktung.

2009 startete Demeter auch sein "Stubenküken-Projekt": Die ersten 1.000 Test-Küken LB-pluS schlüpften Ende Mai. 500 Hennenküken wurden mit 17 Wochen im Dottenfelderhof eingestallt, 500 Hahnenküken wurden auf dem Bauckhof und dem Dottenfelderhof aufgezogen. Der Futterverbrauch der Tiere wird wöchentlich gemessen. Durch verschiedene Schlachttermine wird das optimale Verhältnis zwischen Futterverwertung, Schlachtgewicht und Verkaufspreis ermittelt. Eine Henne der neuen Demeter-Linie LB-pluS von Lohmann soll genauso viele Eier legen wie ein Bio-Huhn - bei 10 % höherem Futterbedarf.


Forschung im Ausland

Züchtungsversuche laufen auch in der Schweiz: KAGfreiland und das Forschungsinstitut für biologischen Landbau (FiBL) suchen eine Henne, die 260 Eier im Jahr legt. Der Hahn dazu sollte in 84 Masttagen ein Gewicht von 2,3 kg erreichen. So kreuzte man das ungarische Tetra H-Hybrid-Huhn, das fast 3 kg auf die Waage bringt, mit dem holländischen Bovans-Nera-Huhn. Im Ergebnis war der Futterverbrauch beider Rassen zu hoch und die Legeleistung der Tetra H-Henne mit 240 Eiern im Jahr zu gering. Das Bovans-Nera-Huhn eignet sich wegen des zu geringen Fleischansatzes nicht als Masthuhn. In einem Versuch von Aviforum in Zollikofen (Schweiz) 2007/08 wurden 650 weibliche und 500 männliche Küken einer halb extensiven Legehybride auf Mastleistung und Futterverwertung der Hähne zu verschiedenen Schlachtzeitpunkten untersucht. Ergebnis: Die Futterverwertung im Verhältnis zum Schlachgewicht der Hähne war deutlich schlechter als die intensiver Mastrassen.

Zur Zeit ist das FiBL an einem EU-Projekt zu extensiven Legelinien beteiligt. Esther Zeltner (Projektleiterin FG Tierhaltung) hält die Legeleistung des Huhnes für wichtiger als die Mastleistung. Denn, so ihr Argument, die Schweizer Bauern verdienten an den Eiern mehr als am Hühnerfleisch. Die tschechische Kreuzung namens "Sussex" kommt diesen Anforderungen sehr nahe: Ihre Legeleistung liegt nur etwa 5 % unter der moderner Hybriden. Da es sich auch als Masthuhn eignet, wird mit diesem Huhn nun weiter gezüchtet. Darüber hinaus evaluiert das FiBL diverse Hühnerlinien für Demeterbetriebe: Die Untersuchung von Legehennen ist bereits abgeschlossen. In diesem Herbst wird mit der Mast der Hähne begonnen.


Rassegeflügel

Den aktuellen Zuchtbemühungen stehen die alten Rassen gegenüber, die vor vielen Generationen gehalten und genutzt wurden. Später wurde einseitig auf Legeleistung selektiert. Parallel dazu züchtete man Rassehühner, deren Legeleistung inzwischen deutlich nachgelassen hatte und die darum immer weniger genutzt wurden. Darum stehen heute viele alte Hühnerrassen auf der Roten Liste der Gesellschaft zur Erhaltung alter und gefährdeter Haustierrassen e.V. (GEH).

Die Legeleistung von Rassehühnern ist mit ca. 180 Eiern im Jahr zwar geringer als die moderner Legehybriden. Dafür glänzen die bodenständigen Hennen mit hoher Fruchtbarkeit und guter Gesundheit. Die Küken sind wetterhart, robust und frohwüchsig. Und es sind sehr gute Zwiehühner darunter: Niederrheiner, Barnevelder, und Sulmtaler Hühner liefern hervorragendes Fleisch. Bielefelder Kennhühner, Ostfriesische Möwen und Sundheimer - um nur einige zu nennen - überzeugen außerdem mit hoher Legeleistung. Und ein Ei des Großen Welsumer Huhnes kann bis zu 80 Gramm auf die Waage bringen. Für gewinnmaximierte Legehennenbetriebe sind diese Tiere nicht geeignet. Aber sie garantieren den Erhalt eines Gen-Pools, der für die Geflügelzüchtung unabdingbar ist. Sie scharren im Sand und picken draußen nach Körnern und Würmern. Sie sind gute Futtersucher und optimale Futterverwerter. Und sie erfreuen das Auge mit ihrem bunten Federkleid.

Der Markt ist mit billigen Eiern überschwemmt. Das optimale Zweinutzungshuhn ist noch nicht gefunden. In dieser Situation sind alte Hühnerrassen eine wirkliche Alternative. Denn sie sind ein erhaltenswertes Kulturgut - und davon profitieren alle.


Weltweit konkurrieren nur noch drei Zuchtfirmen miteinander - mit insgesamt 20 Hybridlinien. Auf modernen Legehennenbetrieben werden die Küken künstlich ausgebrütet und noch am selben Tag durch die Welt transportiert. Masthühner werden schon nach 35-37 Tagen mit einem Lebendgewicht von 2 kg geschlachtet. Ein Hybridhuhn legt etwa 300 Eier im Jahr. Gefüttert werden sie u.a. mit Medikamentenzusätzen. Mit dem Verbot von Legebatterien könnte die Zucht von Zweinutzungshühnern wieder interessant werden.


Quellen:
Baumann, Willy: Artgerechte Wege zum Demeter-Huhn.
In: Lebendige Erde 4/2009. S. 12-15
GEH - Gesellschaft zur Erhaltung alter und gefährdeter Haustierrassen e.V. (2000):
Gefährdete Geflügelrassen - Alternative Geflügelzüchtung
Ingensand, Thomas: Abschlussbericht Projekt Geschwisterküken Bio-Geflügel e.V.
Meier, Susanne 18.07.09: Männliche Küken mästen statt vergasen.
In: www.landfreund.ch (18.07.09)
www.tagesschau.sf.tv/nachrichten/archiv/2007/04/07/wirtschaft/auf der suche nach dem optimalen bio huhn
Zeltner, Esther, FiBL; 5070 Frick, Schweiz (mail vom 24.9 2009)
Züchtung und Leistungsmerkmale der Hybridtiere.
In: Merkblätter Geflügelhaltung. Aviforum, Dez. 1999.

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Quelle:
PROVIEH Heft 1, März, 2010, Seite 6-9
Herausgeber: PROVIEH - Verein gegen tierquälerische Massentierhaltung e.V.
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PROVIEH erscheint viermal jährlich.


veröffentlicht im Schattenblick zum 30. März 2010