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ZUCHT/081: Öko-Puten - Qualzucht beenden! (PROVIEH)


PROVIEH Ausgabe 04/2013
Magazin des Vereins gegen tierquälerische Massentierhaltung e.V.

Öko-Puten: Qualzucht beenden!

von Stefan Johnigk



Eines der gewichtigsten Tierschutzprobleme in der landwirtschaftlichen Tierhaltung betrifft noch immer die Pute. Kein Nutzgeflügel wächst wie sie auf ähnlich gewaltige Körperfülle heran. Ein schlachtreifer Puter bringt im Alter von 22 Wochen oft mehr als 21 Kilogramm auf die Waage. Putenhennen werden meist schon nach 16 Wochen geschlachtet und wiegen dann deutlich über 10 Kilogramm. Die Hochleistungszucht der letzten vierzig Jahre hat das Durchschnittsgewicht dieser Vögel nahezu verdoppelt. Der Brustmuskel - das für den Handel so wertvolle Filetstück - macht mittlerweile fast 40 Prozent des "Schlachtkörpers" aus. Zu schnelles und zu unproportioniertes Körperwachstum bringt aber zahlreiche Leiden und Beschwerden für die Tiere mit sich. Oft mit grotesken Folgen. So ist es den Elterntieren der Hochleistungs-Hybridputen nicht einmal mehr möglich, auf natürlichem Wege für Nachwuchs zu sorgen. Die Hähne sind zu übergewichtig für einen "Natursprung", wie er selbst bei extrem schweren Masthuhn-Zuchtlinien im Elterntierstall durchaus noch üblich ist. Die Eier, aus denen in Deutschland über 30 Millionen Putenküken pro Jahr schlüpfen, müssen künstlich befruchtet werden.

PROVIEH kämpft seit seiner Gründung für ein Ende der Qualzucht bei Puten. Doch von politischer Seite gibt es wenig Unterstützung dafür. Man hätte gar keine Handhabe, heißt es lapidar aus Berlin. Denn die eigentliche Putenzucht - und damit der mögliche Tatbestand der Qualzucht im Sinne des deutschen Tierschutzgesetzes - findet längst nicht mehr in Deutschland statt. Die schwergewichtigen Elterntiere stammen zumeist aus Zuchtunternehmen in Großbritannien oder den USA. In deutschen Unternehmen werden die Elterntiere lediglich zum Eierlegen gehalten, und in den Brütereien werden aus den Eiern die Küken "produziert". Das macht es für PROVIEH nicht leicht, geeignete Gesprächspartner für Verhandlungen zu finden. Niemand fühlt sich so richtig zuständig, eine Veränderung anzustoßen.

Zaghafte Hoffnung auf mögliche Besserung weckt nun ein Vorstoß des Bundesverbands Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW), den PROVIEH nach Kräften unterstützen wird. Gesucht wird eine neue Putenzuchtlinie speziell für die Bio-Putenhalter, um die qualvollen Nachteile der Turbo-Hybridlinien wirksam zu vermeiden. Denn obwohl die Putenhaltung nach den Vorgaben der Öko-Verordnung grundlegend tiergerechter ist als sonst in der Branche üblich - mehr als doppelt so viel Bewegungsraum im Stall, täglich Auslauf ins Grüne, Verzicht auf die Verstümmelung des Schnabels - sind doch die zuchtbedingten Leiden der Ökoputen oft dieselben wie in der konventionellen Putenmast. Dafür sorgt auch der Handel mit seinen realitätsfernen Ansprüchen. Was für ihn allein zählt, ist das Filet, seine ganzjährige Verfügbarkeit und sein Preis. Deshalb sind selbst in der Bio-Branche die kleinen, leichten und langsam wachsenden Rasseputen wie die "Cröllwitzer Pute" selten geworden und vom Aussterben bedroht, weil in vielen Bio-Betrieben dieselben schwerbrüstigen Turbo-Hybriden zum Einsatz kommen wie in jedem Industriestall. Qualzucht bei Biogeflügel? Das ist ein Widerspruch, der dringend aufgelöst werden muss! Deshalb ist PROVIEH hocherfreut über die Initiative des BÖLW.

Gemeinsames Ziel der Öko-Unternehmen und der Nutztierschützer ist, eine Wende in der Zucht und Vermarktung von Puten herbeizuführen. Dazu ist an erster Stelle die öffentliche Hand aufgefordert, entsprechende Züchtungsbemühungen zu finanzieren. Denn von Seiten der weltweit aufgestellten Putenzucht-Konzerne ist wenig eigene Bemühung zu erwarten. Der Marktanteil von Öko-Puten liegt deutschlandweit gerade einmal bei knapp zwei Prozent. Das ist zu wenig, um bei Konzernen Renditeerwartungen durch die Entwicklung von alternativen Zuchtlinien zu wecken.

An zweiter Stelle steht der Lebensmitteleinzelhandel in der Pflicht, seine Strategie beim Einkauf und Angebot von Putenfleisch zu korrigieren. Denn der Handel hat seine Kunden über Jahrzehnte hinweg regelrecht dazu erzogen, Putenfilet ganzjährig zu verzehren und Billigangebote wie selbstverständlich zu erwarten. Leichte und langsam wachsende Rasseputen aus einer verhaltensgerechten, schonenden Öko-Aufzucht werden zwangsläufig weniger, dafür aber festeres Filet liefern als die schweren Puten der Turbo-Linien. Das könnte die Verbraucher irritieren, weil sie sich längst an das krankhaft weiche Fleisch der schnell wachsenden Qualzucht-Puten gewöhnt haben. "Vitaler gleich fester, besser und teurer": Diese Botschaft müssen die Werbestrategen und Produkt-Manager der Handelsketten zukünftig wirksam verkaufen. Sonst bleibt jeder Versucht, die Qualzucht bei Puten zu beenden, als Opfer der Schnäppchenjagd auf der Strecke.

PROVIEH sieht auch die konventionellen Putenhalter in der Pflicht, auf langsamer wachsende und weniger anfällige, robuste Zuchtlinien umzuschwenken. Die Vögel, die sich die Öko-Putenhalter laut vernehmlich wünschen, sollten selbstverständlich auch in konventionellen Betrieben eingesetzt werden. Dafür hat unser Verein ein Pilotprojekt mit Beteiligung einer großen deutschen Putenbrüterei und eines mittelständischen, konventionellen Putenmastbetriebs angeregt, das im Frühjahr 2014 starten soll. Über die Ergebnisse wird auch an dieser Stelle berichtet werden. Die Qualzucht bei Puten zu beenden, ist noch ein weiter Weg. Nur die ersten Schritte bis dahin sind abgesteckt, weitere müssen folgen.

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Quelle:
PROVIEH Ausgabe 04/2013, Seite 14-15
Herausgeber: PROVIEH - Verein gegen tierquälerische Massentierhaltung e.V.
Küterstraße 7-9, 24103 Kiel
Tel.: 0431/248 28-0, Fax: 0431/248 28-29
E-Mail: info@provieh.de
Internet: www.provieh.de
 
PROVIEH erscheint viermal jährlich.


veröffentlicht im Schattenblick zum 26. Februar 2014