Schattenblick → INFOPOOL → UMWELT → ABFALL


ATOM/1221: Neuer Rahmen für die Atommüll-Versorgung (Strahlentelex)


Strahlentelex mit ElektrosmogReport
Unabhängiger Informationsdienst zu Radioaktivität, Strahlung und Gesundheit
Nr. 708-709 / 30. Jahrgang, 7. Juli 2016 - ISSN 0931-4288

Atommüll
Neuer Rahmen für die Atommüll-Versorgung

von Thomas Dersee


Während die sogenannte Endlager-Kommission noch über ihren Bericht stritt, hat der Deutsche Bundestag am Abend des 23. Juni 2016 einem Gesetzentwurf zugestimmt, der neue Regeln für die Atommüll-Endlagerung festschreibt. Künftig sollen die Regulierung, die Endlagersuche und die Kontrolle gemeinsam und der Endlagerbetrieb davon getrennt organisiert werden.

Die Regulierung ist nun Sache des Bundesamtes für kerntechnische Entsorgung (BfE), einer Superbehörde, die personell aufgestockt wird. Dieses Amt wacht jetzt sowohl über die Auswahl des Standortes für das geplante Endlager für wärmeentwickelnde "hochradioaktive" Abfälle als auch über die bereits existierenden Anlagen Asse II, Schacht Konrad und Morsleben für nicht wärmeentwickelnden "schwächer radioaktiven" Atommüll. Zwischenlager und Atommüll-Transporte werden künftig ebenfalls vom BfE genehmigt.

Für den Betrieb der Asse II, der Schachtanlage Konrad und des geplanten Endlagers für Atommüll soll dagegen eine neue, privatwirtschaftlich organisierte Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) gegründet werden, die dem Bund gehören und vom Bundesumweltministerium überwacht werden soll. Die bisherigen Betreiberunternehmen gehen in dieser neuen Gesellschaft auf, wofür der Bund den Energieversorgungsunternehmen ihre bisherigen Anteile an den alten Gesellschaften abkauft. Die bisherige Deutsche Gesellschaft zum Bau und Betrieb von Endlagern für Abfallstoffe (DBE) gehört zu 75 Prozent den AKW-Betreibern. Deren operatives Geschäft war bisher der Ausbau des Salzbergwerks Gorleben und des Schachts Konrads bei Salzgitter sowie die Schließung des havarierten Atommüllendlagers Morsleben.

Der Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg (BI) war die monopolartige Stellung der DBE stets ein Dorn im Auge. 1984 wurde die Firma zum Generalunternehmer in Sachen Gorleben mit einem angeblich unkündbaren Vertrag zwischen Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) und DBE sowie mit Gewinngarantie. Das BfS zahlte beispielsweise zwischen 100 Millionen (2006) und 230 Millionen Euro (2014) jährlich an die DBE. "Das Geld, das laut Endlagervorausleistungsverordnung und nach dem Verursacherprinzip von den Atomstromproduzenten staatlicherseits für Gorleben eingezogen wurde, bekamen sie also postwendend zurück", erläutert BI-Sprecher Wolfgang Ehmke.

Das Bundesamt für Strahlenschutz ist bei dieser Neuordnung der große Verlierer. Es verliert mehr als ein Drittel seines Personals an das BfE und die künftige Betreibergesellschaft und entsprechend auch an Kompetenzen.

Künftige Öffentlichkeitsbeteiligung mit Honoratioren und Bürgern nach dem Lotterieprinzip

Kritisiert worden war im Vorfeld, daß der neuen Superbehörde BfE keine ausreichend starken Beteiligungs- und Klagerechte der Öffentlichkeit gegenüberstehen. Stattdessen beschloß der Bundestag jetzt außerdem, ein sogenanntes Nationales Begleitgremium zu installieren, das die Endlagersuche des BfE begleiten soll. In der Zeit zwischen der Abgabe der Kommissions-Empfehlungen und der Auswahl obertägig zu erkundender Regionen solle kein "schwarzes Loch" entstehen, hieß es zur Begründung aus den Parteien CDU, SPD, Grüne und Linke, die dieses Gremium initiierten.

Das Gremium soll aus neun Mitgliedern bestehen, die vom Bundestagspräsidenten mit Hilfe des Lotterieprinzips berufen werden. Drei sollen vom Bundestag und drei vom Bundesrat vorgeschlagen werden. Es sollen Personen sein, die "gesellschaftlich hohes Ansehen genießen". Daneben sollen zwei Bürger oder Bürgerinnen nach dem Zufallsprinzip ausgewählt werden. Und ein Vertreter oder eine Vertreterin der jungen Generation soll durch "ein Bewerbungs- und anschließendes Losverfahren" bestimmt werden.

Kritisiert wird, daß eine offene gesellschaftliche Debatte, wie mit den atomaren Hinterlassenschaften umzugehen ist, durch ein solches, auf derart absurde Art und Weise gebildetes Gremium nicht ersetzt werden könne.

Die Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg kommentierte das im Vorfeld so: "Man stelle sich vor: das Telefon klingelt. Am Apparat ist der Sprecher des Umweltbundesamtes und beglückwünscht Sie, denn Sie sind eine/r der Zufallsbürger oder der Zufallsbürgerinnen, die zu einem "Planzellenseminar" eingeladen wurden. "Eine nach Zufallsprinzip eingeladene, nach Geschlecht und Alter vielfältige Gruppe erörtert in einer Workshopreihe die gesellschaftlichen Fragen der Endlagerung. Anschließend veröffentlichen die Teilnehmer ihre Empfehlungen und wählen ihre Vertreter für das nationale Begleitgremium. Das Vorgehen sichert ab, dass die Personen aus der Bürgerschaft und der Jugend sowohl qualifiziert als auch unabhängig sind." - So stellt sich das die Allparteienkoalition aus Union, SPD, der Linken und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ein einem Gesetzentwurf vor. Die "Sieger" der Workshopreihe gehören dann für die nächsten drei Jahre dem "nationalen Begleitgremium" an, das die Brücke schließen soll zwischen der Arbeit der 'Kommission Lagerung hoch radioaktiver Abfallstoffe' und dem beginnendem Standortauswahlverfahren."

Ein solches Szenario soll nun Wirklichkeit werden, nachdem der Bundestag diese Gesetzesinitiative beschlossen hat. Im Antragstext heißt es: "Das nationale gesellschaftliche Begleitgremium muss bereits unmittelbar nach Abgabe des Kommissionsberichtes eingesetzt werden, um einen Fadenriss in der gesellschaftlichen Begleitung zu verhindern und den gesellschaftlichen Dialog nicht abreißen zu lassen."

"Unvorstellbar", meint die BI, denn wie sollen die drei Personen aus der Bevölkerung ohne Fach- und Hintergrundwissen den anderen Paroli bieten können?

Unbeantwortet bleibe zudem, welche Rechte dieses Gremium hat, über welche finanziellen Mittel es verfügt, wie weit die Akteneinsicht geht, wie auf Augenhöhe mit behördlichen Institutionen zu dieser komplexen Materie gearbeitet werden kann ohne umfassende finanzielle Ausstattung für einen Vollzeitjob und wissenschaftliche Beratung, fragt die BI. Die Erfahrung habe gezeigt, dass eine wirksame Verfahrenskontrolle nur durch substantielle Klagerechte und ergebniswirksame Beteiligung der Bevölkerung sichergestellt werden kann. "Diese fundamentalen Elemente sollen aber gerade zugunsten des neuen Gremiums beschnitten werden", stellt der BI-Vorsitzende Martin Donat fest.

BI-Sprecher Wolfgang Ehmke ergänzt: "Die entscheidenden Fragen bleiben wieder einmal ungeklärt. Dringender als ein Honoratiorengremium mit einem Touch Bürgerbeteiligung braucht es eine umfassende gesellschaftlichen Debatte der Atommüllproblematik mit viel Zeit, statt einem kleinen Zirkel Aufgaben aufzubürden, die er so nicht schultern kann."


vergl. auch: "Wächterrolle oder Beschwerdestelle - Parteienvorstoß in Sachen Endlagersuche", Strahlentelex 704-705 v. 5.5.2016, S. 9-10.
www.strahlentelex.de/Stx_16_704-705_S09-10.pdf


Der Artikel ist auf der Website des Strahlentelex zu finden unter
www.strahlentelex.de/Stx_16_708-709_S07-08.pdf

*

Quelle:
Strahlentelex mit ElektrosmogReport, Juli 2016, Seite 7 - 8
Herausgeber und Verlag:
Thomas Dersee, Strahlentelex
Waldstr. 49, 15566 Schöneiche bei Berlin
Tel.: 030/435 28 40, Fax: 030/64 32 91 67
E-Mail: Strahlentelex@t-online.de
Internet: www.strahlentelex.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 8. September 2016

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang