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ATOM/1291: Endlagersuche - Viele Daten wenig Erkenntnis (Gorleben Rundschau)


Gorleben Rundschau - VII-VIII/2018, 40. Jahrgang, Ausgabe 1067
Wir sind die Wenden: Energie · Klima · Mobilität · Gesellschaft

Viele Daten, wenig Erkenntnis
Daten aus ganz Deutschland sollen die Endlagersuche voranbringen. Doch es gibt Probleme.

Von Wolfgang Ehmke und Andreas Conradt


Suchverfahren
Das Motto "Viel hilft viel" ist allzu häufig falsch, und es erweist sich offenbar auch bei der Suche für ein "Endlager" hochradioaktiver Abfälle als untauglich. Zwar liegen Hunderttausende Datensätze über die Geologie Deutschlands vor, doch sind sie im Hinblick auf ein Atommülllager aus unterschiedlichen Gründen häufig nicht brauchbar. Wissenschaftler und Umweltschützer mahnen zudem weitere Forschung an. Wolfgang Ehmke und Andreas Conradt berichten.


Aus Sicht der Bundesgesellschaft für Endlagerung [1] (BGE) geht die erste Phase der Endlagersuche für Deutschlands hochradioaktive Abfälle gut voran. Thomas Lautsch, der technische Geschäftsführer der BGE, präsentierte auf einer Tagung des Nationalen Begleitgremiums (NBG) Mitte Juni in Hannover eine imponierende Datenfülle: 500.000 Hinweise auf Vulkanismus, Seismik, ehemaligen Bergbau, Bohrungen und vieles mehr würden derzeit gesichtet.

Daten: lückenhaft und unpräzise

Die Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg (BI) indes teilt diesen Optimismus nicht: Zum einen gebe es immer noch kein Geowissenschaftsdatengesetz, so dass Daten von Privatfirmen, die sie bei der Suche nach Bodenschätzen gesammelt haben, derzeit aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht ausgewertet werden können. Gravierend sei aber auch der Umstand, dass viele Datenblätter nicht digitalisiert sind und die Landesämter bisweilen nur angeboten hätten, dass BGE-Mitarbeiter/-innen sie in ihren Dienststellen auswerten könnten.

Dr. Roland Eichhorn, der Vorsitzende des Direktorenkreises Staatliche Geologische Dienste Deutschlands, der Sprecher aller Landesämter, relativiert zudem die Aussagekraft der vielen Daten. Es gebe ein klares "Tiefendefizit" und ein "Clusterphänomen" - Daten aus eine Tiefe von über 300 Metern seien rar und hinsichtlich ihrer Qualität nur teilweise bei der Endlagersuche hilfreich, weil der Fokus auf die Gewinnung von Bodenschätzen gerichtet war. Zudem gebe es Regionen, die tatsächlich als weiße Landkarte beschrieben werden könnten, weil sie nicht erkundet seien.

Und dort, wo Erkenntnisse vorliegen, könnten die jetzt mit großem Aufwand zusammengetragenen geologischen Daten sogar gute Argumente für ein Endlager in Gorleben liefern. Denn die in den letzten Jahrzehnten in der Bundesrepublik erhobenen Daten wurden nicht im Hinblick auf ein mögliches Atommülllager erhoben, sondern aus anderen wirtschaftlichen Interessen.

Nur in Gorleben wurde mit Fokus auf Atommüll geforscht. Dieser Datenvorsprung könnte dem Wendland letztlich zum Verhängnis werden. Ob die BGE unter diesen Umständen bei der Betrachtung von Mindestanforderungen und der Abwägung der Kriterien in der aktuellen ersten Phase der Endlagersuche bis zum Jahr 2020 "liefern" könne, sei mehr als zweifelhaft, so die Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg.

Weitere Forschung nötig

Forschungsbedarf hinsichtlich der eiszeitlichen Auswirkungen auf den Untergrund sieht der Geophysiker Prof. Christian Hübscher. Die Frage sei, ob eiszeitliche Auswirkungen nicht mindestens ein Abwägungskriterium bei der Wahl von Endlagerregionen sein müssen. Zudem herrschen Zweifel, ob es rechtens war, den Salzstock Gorleben für die "neue Endlagersuche" weiter im Verfahren zu belassen: Nach exemplarischer Anwendung der in der Endlagerkommission formulierten Ausschlusskriterien müsste der Standort im Wendland schon in der ersten Runde ausscheiden.

Die BI fordert außerdem die Neubewertung der so genannten Salzstudie, mittels derer in den 90erJahren alternative Salzstöcke miteinander verglichen wurden. Gorleben war seinerzeit von der Studie ausgenommen. Trotzdem erklärte die damalige Umweltministerin Angela Merkel, Gorleben sei unverändert "erste Wahl".[2]

Eine Aussage, die durch das Ergebnis nicht belegt werden kann.

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"ASKETA auf dem Holzweg"

BI: Bürgermeister sollten an NBG-Tagungen teilnehmen.

Standorte
Die Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg ermutigt Bürgermeister der Kommunen mit kerntechnischen Anlagen, es der Anti-Atom-Bewegung gleichzutun und Sicherheit der bestehenden Zwischenlager zu fordern.

Bürgermeister der Orte, an denen Atomkraftwerke betrieben wurden und noch werden, möchten bei der Endlagersuche mitreden. An vielen dieser Standorte wurden Zwischenlager errichtet, die vermutlich weitaus länger als gedacht betrieben werden müssen, weil niemand damit rechnet, dass 2050 ein Endlager für hochradioaktive Abfälle betriebsbereit ist. Sie fühlen sich zudem schlecht informiert und streben deshalb einen Platz im Nationalen Begleitgremium (NBG)[3] an.

"Dann sollten sie auch die Chance nutzen, wie es die Anti-Atomkraft-Initiativen und die Umweltverbände tun, die Tagungen des NBG zu besuchen", kontert die Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg (BI). Das Gremium ist das Bindeglied zwischen der interessierten Öffentlichkeit, Behörden und dem Bundestag und bietet regelmäßig Workshops an.

Mit der Forderung, einen Platz im NBG zu ergattern, sind die ASKETA-Gemeinden allerdings auf dem "Holzweg" und müssten das auch wissen, meint BI-Sprecher Wolfgang Ehmke: "Das NBG ist keine Versammlung von Stakeholdern, also Interessenvertreter/-innen. Wir vermissen klare Forderungen der Standortgemeinden zur Sicherheit und Sicherung der bestehenden Zwischenlager."

ASKETA - wer ist das?

Die Arbeitsgemeinschaft der Standortgemeinden kerntechnischer Anlagen (ASKETA) in Deutschland wurde 1994 in Grafenrheinfeld gegründet und vertritt derzeit 25 Kommunen mit kerntechnischen Anlagen, darunter 15 Kernkraftwerksstandorte mit 9 "aktiven", 8 nach Fukushima abgeschalteten und 3 stillgelegten Kernkraftwerksblöcken, Standorte mit Zwischenlagern für radioaktive Reststoffe und auch Standorte mit Forschungseinrichtungen.

Die ASKETA [4] ist Mitglied der GMF (Group of European Municipalities with Nuclear Facilities), in der sich zahlreiche europäische Standorte mit kerntechnischen Anlagen zu einer Interessensvertretung auf EU-Ebene zusammengeschlossen haben. Vorsitzender der ASKETA ist Bürgermeister Stefan Mohrdieck (Brunsbüttel), die Stellvertreter sind Josef Klaus, Bürgermeister der Gemeinde Niederaichbach in Bayern und Felix Kusicka, Bürgermeister der Gemeinde Biblis.

"Im Detail sind die Anforderungen an die Kommunen unterschiedlich. Aber die großen Fragen betreffen alle Standortgemeinden gleichermaßen", sagt Mohrdieck. Die großen Fragen, das sind nach dem beschleunigten Ausstieg aus der Kernenergie vor allem die Endlagersuche für Abfälle aus kerntechnischen Anlagen und dessen Akzeptanz in der Bevölkerung, aber auch die Frage, wie die Kernkraftwerksgemeinden den Wegfall der Arbeitsplätze und der Steueraufkommen kompensieren können.

"Wir haben die Sorge, bei der Endlagerfrage von der Politik vergessen zu werden", sagt Mohrdieck. Seiner Meinung zufolge würden die Gemeinden bei der Endlagersuche übergangen und spielten bei der Entscheidung keine Rolle. Die ASKETA-Bürgermeister befürchten, dass sich die Standort-Zwischenlager in ihrer Heimat als Ersatz-Endlager entpuppen. Aus diesem Grund fordern die ASKETA-Gemeinden Sitz und Stimme in den Gremien, die sich mit der Endlagerentscheidung befassen.


Links
Alle Links zu dieser Ausgabe der GR:
www.gorleben-rundschau.de/links

[1] https://www.bge.de/
[2] www.bi-luechow-dannenberg.de/wp-content/uploads/2018/04/Merkel-InterwievAusschnitt.mp3 [3] www.nationales-begleitgremium.de/DE/Home/home_node.html
[4] https://www.asketa.de/

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Quelle:
Gorleben Rundschau - Juli/August 2018, Seite 18 - 19
Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg e.V.
Rosenstr. 20, 29439 Lüchow
Tel. 05841/46 84
E-Mail: redaktion@gorleben-rundschau.de
Internet: www.gorleben-rundschau.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 4. August 2018

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