Gorleben Rundschau - IX-X/2018, 40. Jahrgang, Ausgabe 1068
Wir sind die Wenden: Energie · Klima · Mobilität · Gesellschaft
Die Atommüllwelle
Die Konzeptlosigkeit bei der längeren Zwischenlagerung trifft Ahaus
besonders hart
Von Felix Ruwe
Ahaus
Wenn es um die Atompolitik der Bundesregierung ging, standen jahrelang
die beinahe regelmäßigen Castortransporte nach Gorleben im Fokus der
Aufmerksamkeit sowohl des wendländischen Widerstands wie auch der
Öffentlichkeit. Das und die auf den letzten Gorleben-Castor folgende
so genannte "neue Endlagersuche" überdeckten bisweilen die
kontinuierliche Arbeit anderer Anti-Atom-Initiativen. Zu Unrecht! Denn
im Zuge der Diskussion um die verlängerte Zwischenlagerung gerät vor
allem ein Standort in den Fokus der Atomgegner: das zentrale
Zwischenlager in Ahaus. Felix Ruwe von der dortigen Bürgerinitiative
erklärt, warum.
Die Castortransporte nach Gorleben sind bis auf Weiteres
ausgesetzt, Ahaus dagegen steht in den nächsten Jahren eine heiße
Phase bevor. In dem zentralen Zwischenlager im Münsterland lagern
schon jetzt 305 Behälter CASTOR THTR/AVR mit rund 600
Brennelement-Kugeln aus Hamm-Uentrop, sowie insgesamt 24 Castoren mit
Brennelementen aus Gundremmingen, Neckarwestheim und
Dresden/Rossendorf.(1)
Die Menge zusätzlichen Atommülls, die in den kommenden Jahren auf Ahaus zurollen könnte, ist gewaltig - und sie kommt aus allen Himmelsrichtungen: So sind in den letzten Jahren in diversen Zwischenlagern in Deutschland Rostfässer entdeckt worden, die in Duisburg neu konditioniert werden und dann nach Ahaus verschoben werden sollen, obwohl derzeit nur eine Lagergenehmigung bis 2020 besteht. Dabei soll dasselbe Verfahren angewandt werden, das überhaupt erst zur Korrosion in den schadhaften Gebinden geführt hat: Verfüllung der Atommüllfässer mit - feuchtem! - Beton oder Zement. So könnte sich in den Fässern erneut eine höchst aggressive Lösung bilden, die Eisen- oder Edelstahl-Fässer korrodieren lässt. Mit der Einlagerung der neu konditionierten Fässer wird die "Verlängerungsgenehmigung" für Ahaus vorausgesetzt, die eigentlich in einem ordentlichen Verfahren erst erarbeitet werden müsste. Damit ist nach Ansicht der BI-Ahaus das gesamte Genehmigungsverfahren inklusive der Umweltverträglichkeitsprüfung eine Farce.(2)
Doch damit nicht genug, auch die Forschungseinrichtungen in Deutschland möchten ihren Müll möglichst rasch nach Ahaus bringen: 152 Castoren aus Jülich,(3) 30 Behälter aus Garching,(4) und auch das Helmholtz-Zentrum in Berlin(5) hat Bedarf ab 2023 angekündigt. Niemand ist so vermessen, ein Berliner Atommüll-Zwischenlager zu fordern, aber bei der unsicheren Langzeitprognose für Ahaus müssen sich die Verantwortlichen fragen lassen, ob Ahaus die klügste Lösung ist.
Aus La Hague sollen zudem rund 150 Behälter mit Brennelementhülsen und Strukturteilen in das Brennelemente-Zwischenlager Ahaus (BZA) kommen. Dieser Atommüll ist nicht "konradgängig" und muss eines Tages in ein Endlager für hochradioaktive Abfälle verbracht werden - wenn das denn dereinst gefunden ist.
Interessant ist der Blick auf die 152 Castoren aus Jülich: Das Forschungszentrum möchte sie trotz schlecht dokumentierten Inhalts (Kritiker sagen: mit gefälschten Papieren) nach Ahaus verschieben, weil Jülich "ein Forschungsstandort von Weltruf" ist. Nur ohne den störenden Atommüll könnten Wissenschaftler aus aller Welt nach Jülich verpflichtet werden. Der Atommüll bedrohe die Forschung in Jülich, nicht die Menschen in Ahaus. Nach Jülicher Lesart muss der Müll dort also weg. Von Seiten der Politik wird dabei seit Jahren behauptet, dass drei Optionen gleichwertig behandelt würden:
Zum einen die Verschiebung der 152 Castoren von Jülich nach Ahaus. Diese Option wird von den Betreibern des Forschungszentrums und der Politik bevorzugt. Doch die Stadt Ahaus klagt mit immensem Aufwand gegen diese Transporte, und die Klage hat aufschiebende Wirkung. Das bleibt gerne unerwähnt, weil damit die zweite Variante, ein Neubau in Jülich, zur besten Lösung avanciert. Diese Option wird von den Betreibern konsequent hintertrieben. Zunächst durch angeblich enorme Kostensteigerungen, dann durch vorgebliche Schwierigkeiten, einen Platz für das neue Lager auf dem Gelände zu finden und schließlich mit der Angabe einer überzogen langen Planungsund Bauzeit von zehn Jahren.
Bliebe als dritte Option der Export in die USA: Eigentlich ist der rechtlich ausgeschlossen, aber die Jülicher Wissenschaftler sind der Ansicht, dass sie einen "Forschungsreaktor" ohne wirtschaftliches Ansinnen betrieben hätten - was den Export ausnahmsweise möglich machen würde. Allerdings ist der Inhalt der Castoren derart schlampig dokumentiert, dass ein Transport unrealistisch erscheint. In den Behältern wurden Brennelemente mit hoch angereichertem (HEU) und gering angereichertem Uran (LEU) gemischt. Weil aber nur HEU-Elemente ausnahmsweise exportiert werden dürften, LEU-Elemente aber in Jülich verbleiben müssten, wäre vor dem Transport eine saubere Trennung erforderlich - was nur schwer zu bewerkstelligen ist.
Erstaunlicherweise zeigen auch die Wissenschaftler des Forschungsreaktors München II in Garching (FRM II) die gleiche Denkweise wie die Jülicher Forscher. Mit einer Uran-Anreicherung nach dem Einsatz im Reaktor von 87,5 Prozent genügt ein einziges der Münchner Brennelemente zum Bau einer Atombombe des Hiroshima-Typs. Dagegen steht der Wunsch der bayerischen Landesregierung, keinen hoch radioaktiven, atombombenfähigen Müll in Bayern lagern zu wollen.
Bis zum Jahr 2010 sollte der FRM II eigentlich auf niedrig angereichertes Uran (LEU) umgerüstet werden. Das ist bis heute nicht geschehen und auch nicht absehbar! Die Betreiber haben die Umrüstung von HEU auf LEU bewusst sabotiert, mehr noch: Sie sollten von Anfang an einen Prozess zur Abreicherung des HEUAtommülls entwickeln. Auch damit ist nie begonnen worden. Begründung: "Wir kennen die Annahmebedingungen des Endlagers noch nicht."
Um die 35 Castortransporte rollen in den nächsten Jahren nach Ahaus
In Grenoble steht übrigens die Neutronenquelle des Instituts Laue Langevin, die noch mehr Möglichkeiten als der FRM II bietet. Dort ist Deutschland mit 20 Prozent beteiligt ... So droht Ahaus also eine große Menge Atommülls, doch die Laufzeit des Lagers endet schon 2036. Eine Verlängerung der Einlagerungsgenehmigung ist mehr als unwahrscheinlich und würde auch von der Stadt Ahaus sofort beklagt werden: Das Zwischenlager ist nur rund 100 Meter von den nächsten Anwohnern entfernt. Bei nur 20 Zentimetern Wandstärke im oberen Bereich und ebenso geringer Deckenstärke ist die Halle nicht gegen gezielte Flugzeugabstürze gesichert.
Fazit: Der Rost hat die Denk- und Arbeitsprozesse verantwortlicher Ämter und Politiker überholt. Die ersten 35 Jahre der Atomkraftnutzung in Deutschland hat die Politik das Problem der Endlagerung und damit die Notwendigkeit einer langen Zwischenlagerung verschlafen. Danach hat sie zehn Jahre wenig geleistet und nun hektisch ein gigantisches, unübersichtliches Netzwerk von Zuständigkeiten geschaffen! Zurzeit ist die Politik in Zugzwang, da handelnde Ämter und berufene Kommissionen zwar zuständig, aber nicht verantwortlich sind. Genaugenommen - das ist das Schlimme - ist niemand wirklich verantwortlich.
*
Das Brennelemente Zwischenlager Ahaus (BZA) oder Transportbehälterlager Ahaus (TBL-A) ist eine WTI-Halle der ersten Generation (Wissenschaftlich-Technische Ingenieurberatung GmbH).
Mit einer Wandstärke von 50 cm im unteren und nur 20 cm im oberen Bereich und einer Deckenstärke von auch nur 20 cm wäre diese Halle, die baugleich mit der Gorleben-Halle ist, nicht mehr genehmigungsfähig, wenn man die Bedingungen des Brunsbüttel-Urteils zu Grunde legt. Das BZA liegt nur rund 100 m von den nächsten Anwohnern entfernt. Es gibt keine "Heiße Zelle" in Ahaus, sie ist vertraglich ausgeschlossen!
Die Laufzeit des Lagers endet im Jahr 2036. Eine Verlängerung der Einlagerungsgenehmigung ist mehr als unwahrscheinlich und würde von der Stadt Ahaus sofort beklagt werden.
In Ahaus lagern schon jetzt:
Geplante Transporte nach Ahaus:
Felix Ruwe ist Sprecher der "BI Kein Atommüll in Ahaus"
und zudem Fraktionsvorsitzender der UWG im Kommunalparlament in Ahaus.
Ruwe ist verheiratet und hat zwei erwachsene Kinder. Bis zum Eintritt
in den Ruhestand hat er als Lehrer am Berufskolleg für Technik in
Ahaus gearbeitet.
Linkliste
Alle Links zu dieser Ausgabe der GR:
w.gorleben-rundschau.de/links
(1)
https://www.bfe.bund.de/DE/ne/zwischenlager/zentral/ahaus/ahaus_node.html
(2) www.bi-ahaus.de
(3) www.fz-juelich.de
(4) https://www.frm2.tum.de
(5) ttps://www.helmholtz-berlin.de/quellen/ber/index_de.html
*
Quelle:
Gorleben Rundschau - September/Oktober 2018, Seite 15 - 19
Lizenz: CC BY NC SA
Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg e.V.
Rosenstr. 20, 29439 Lüchow
Tel. 05841/46 84
E-Mail: redaktion@gorleben-rundschau.de
Internet: www.gorleben-rundschau.de
veröffentlicht im Schattenblick zum 12. September 2018
Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang