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FORSCHUNG/283: Gefährdete Räuber - Kegelrobben in Nord- und Ostsee (Naturschutz heute)


NATURSCHUTZ heute - Sommer 2018
Mitgliedermagazin des Naturschutzbundes (NABU) e.V.

Gefährdete Räuber
Kegelrobben in Nord- und Ostsee.

von Bernd Pieper


Bei einer spontanen Straßenumfrage nach dem größten frei lebenden Raubtier in Deutschland wäre man vermutlich über eine Quote von 20 Prozent richtiger Antworten glücklich. Kein Wunder, denn lange Jahre war die bis zu zweieinhalb Meter lange und 330 Kilogramm schwere Kegelrobbe aus deutschen Gewässern verschwunden. Bejagung, Habitatverlust und Umweltgifte führten fast zur Ausrottung. Doch seit den späten 1990er-Jahren entwickeln sich die Bestände der heute streng geschützten Robbe in der Deutschen Bucht prächtig. Besonders gern rasten Kegelrobben auf der Helgoländer Düne, wo sie auch zwischen Ende November und Ende Januar ihre Jungen zur Welt bringen. Mit knapp 430 Jungtieren gilt die Wurfsaison 2017/18 als die erfolgreichste seit Beginn der Bestandsaufzeichnungen.

An Nord- und Ostsee erholen sich die Bestände der heute streng geschützten Robbe.

Auch vor Amrum und den Ostfriesischen Inseln gibt es kleinere Kolonien. Insgesamt sollen sich in der deutschen Nordsee und im Wattenmeer derzeit mehr als 4.000 Tiere tummeln - Tendenz steigend. Ihren Namen hat die Robbe von der kegelartigen Kopfform mit der länglichen Schnauze. Dadurch unterscheidet sie sich auch vom Seehund mit seinem rundlichen Kopf, der zudem nur halb so groß wird.

Täglich mindestens 5 Kilogramm
Kegelrobben machen es sich wie alle Raubtiere gern leicht. Als schwimmende Protagonisten eines nachhaltigen Konsums richten sie sich nach dem regionalen und saisonalen Nahrungsangebot. Täglich mindestens fünf Kilogramm Scholle, Kabeljau oder Krebs- und Weichtiere sollten es schon sein. Seit rund fünf Jahren wird vor Helgoland regelmäßig beobachtet, dass Kegelrobben ihnen weit unterlegene Seehunde angreifen und fressen. Eine Ausnahme, aber auch ein Hinweis für uns Menschen, dass wir gegenüber den friedlich in der Sonne dösenden Tieren einen Mindestabstand von 50 Metern einhalten und uns auf gar keinen Fall zwischen eine Mutter und ihr Jungtier stellen sollten.

Kurioserweise kommt der Kegelrobbennachwuchs mitten im ungemütlichen Winter zur Welt. Da sein flauschiges weißes Fell ihn zwar vor dem Wind, aber nicht vor dem eisigen Wasser schützt, müssen sich die 10 bis 15 Kilogramm schweren Tiere rasch eine solide Speckschicht anfressen. Die mit einem Fettgehalt von über 50 Prozent extrem nahrhafte Muttermilch sorgt dafür, dass die Jungtiere täglich bis zu zwei Kilogramm zunehmen. Dass sie bereits kurz nach der Geburt für längere Zeit scheinbar einsam und verlassen auf einer Sandbank liegen, macht ihnen nichts aus - schließlich müssen stillende Mütter auch fressen, und Hauptsache, der Platz ist vor plötzlicher Überflutung sicher. Bereits nach sechs Wochen sind die jungen Kegelrobben selbstständig und wagen sich alleine ins Meer hinaus.

Heimkehr in den Greifswalder Bodden
Auch vor der Ostseeküste des heutigen Mecklenburg-Vorpommerns waren Kegelrobben bis vor rund 100 Jahren vielerorts heimisch. Dann machten vor allem die Fischer massiv Jagd auf den angeblichen Nahrungskonkurrenten, mit freundlicher Unterstützung der Behörden, die für jede getötete Kegelrobbe fünf Reichsmark zahlten. Lediglich in der nördlichen und östlichen Ostsee überlebten wenige Tausend Tiere. Durch konsequenten Schutz konnten sich die Bestände dort erholen und breiten sich seit einigen Jahren nach Südwesten aus. Im Frühjahr 2018 wurden im Greifswalder Bodden knapp 300 Tiere gezählt. Allerdings schwankt die Zahl der Kegelrobben an der deutschen Ostseeküste jahreszeitlich sehr stark. Besonders zahlreich treten sie immer im März und April während der Heringslaichzeit auf.

Erstmals seit 100 Jahren sind 2017 Kegelrobben an der deutschen Ostseeküste geboren worden.

Erstmals seit mehr als 100 Jahren wurden im März 2017 Kegelrobbengeburten an der deutschen Ostseeküste nachgewiesen. "Es gab Nachweise von drei jungen Kegelrobben im weißen Lanugofell", erzählt Linda Westphal, die am Deutschen Meeresmuseum in Stralsund zu Kegelrobben forscht. Das erste Tier wurde tot bei Kap Arkona gefunden. Untersuchungen ergaben, dass das Jungtier kurz nach seiner Geburt verstorben und daher am Fundort geboren sein musste. Darüber hinaus wurden im April zwei weitere weiße Jungtiere lebend beobachtet, eines bei Heringsdorf auf Usedom und eines auf der Greifswalder Oie. "Beide Jungtiere waren wenige Wochen alt. In diesem Alter können die Robben jedoch noch keine weiten Distanzen schwimmen, sodass sie auch an unserer Küste geboren sein müssen", sagt Westphal. Seit Anfang Mai wurde in der Greifswalder Oie immer wieder ein Jungtier in seinem ersten Fellwechsel beobachtet. "Deshalb gehen wir davon aus, dass eines der hier geborenen Jungtiere die sensible Zeit des Säugens, der Entwöhnung und des ersten Fellwechsels überlebt hat", so die Wissenschaftlerin.

Tote Robben im letzten Herbst
Schlechte Nachrichten gab es hingegen im Herbst 2017, als 23 erwachsene Tiere tot in einem kleinen Küstenbereich im Südosten der Insel Rügen angespült wurden, nicht weit entfernt von den beliebtesten Ruheplätzen der Kegelrobben. Laut Linda Westphal sind in den 20 Jahren zuvor in derselben Jahreszeit insgesamt lediglich 30 tote Kegelrobben an der Küste gefunden worden. Was 2017 besonders auffiel: "Die Tiere waren alle männlich, über zwei Meter lang, äußerlich unversehrt, gut genährt und in einem guten Erhaltungszustand." Um eine Epidemie auszuschließen, seien sofort bakteriologische und virologische Untersuchungen durch das Deutsche Meeresmuseum veranlasst worden. Dabei wurde jedoch keine Infektion nachgewiesen.

Verschiedene Symptome deuteten darauf hin, dass die Tiere an einem akuten Herz-Kreislauf-Versagen gestorben sind. Dieses trete auch während des Ertrinkungs- und Erstickungstodes auf, so Westphal: "Nach Ausschluss aller anderen Todesursachen ist der Tod durch Ertrinken die einzig verbliebene mögliche Todesursache." Ertrinken in Fischereigeräten, also dem Beifang von Meeressäugetieren, sei eine der größten Gefahren für Robben und auch Wale. "Für Kegelrobben sind besonders nach oben hin geschlossene Reusen gefährlich, die keine Sperrgitter am Eingang haben. Die Robben schwimmen hinein, können dann aber nicht mehr umdrehen. Solche Reusen wurden auch im Herbst 2017 in Mecklenburg-Vorpommern verwendet", erläutert Linda Westphal.

Da die Konflikte zwischen Naturschutz und Fischerei mit steigenden Beständen der Kegelrobben zunehmen werden, fordern das Deutsche Meeresmuseum und das Ostseebüro des WWF einen Robbenmanagementplan. Nur so können das Miteinander von Robben und Fischern gewährleistet und eine langfristige Sicherung der Robbenbestände erreicht werden. Leider wird ein solcher Plan bislang vom Land Mecklenburg-Vorpommern nicht unterstützt.

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Quelle:
Naturschutz heute - Sommer 2018, Seite 12 - 14
Verlag: Naturschutz heute, 10108 Berlin
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veröffentlicht im Schattenblick zum 5. September 2018

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