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MASSNAHMEN/121: Unsere Verantwortung - Welche Arten sollen wir schützen? (Naturschutz heute)


NATURSCHUTZ heute - Heft 3/13
Mitgliedermagazin des Naturschutzbundes (NABU) e.V.

Unsere Verantwortung
Welche Arten sollen wir schützen?

von Helge May



Zur Auswilderung von Tieren gibt es zwei Methoden. Bei der sanften wird für die Kandidaten ein kleines Gehege gebaut, in dem sie sich langsam mit der künftigen Heimat vertraut machen können. Nach einiger Zeit wird das Gehege geöffnet, die Tiere werden zur Sicherheit aber noch eine Weile mit Nahrung versorgt, bevor sie schließlich auf sich alleine gestellt sind. Bei der sogenannten harten Freilassung geht an der Transportkiste einfach der Schieber auf - fertig.


Am Steinhuder Meer nahe Hannover wurden beide Methoden getestet. Seit letztem Jahr entließen NABU-Projektleiter Florian Melles und seine Mitstreiter von der Ökologischen Station Steinhuder Meer sowie der Wildtier- und Artenschutzstation Sachsenhagen dort rund hundert Moorenten in die Freiheit. Dabei stellte sich heraus, dass sich bei der Volierenmethode nicht nur die Enten eingewöhnten, sondern auch Fressfeinde wie Marder und Fuchs angelockt wurden. Manchmal ist die harte Tour doch der bessere Weg.


Ente oder Stechmücke?
Warum so viel Mühe um ein paar Enten? Vor allem, weil die Moorente eine seltene Art ist. Deutschlandweit wird sie in der Rote-Liste-Kategorie 1 "vom Aussterben bedroht" geführt. In Niedersachsen hat sie sogar seit 25 Jahren nicht mehr gebrütet und auch der Weltbestand mit Schwerpunkt Osteuropa bis Mittelasien ist in den letzten Jahrzehnten deutlich zurückgegangen. Damit sind schon eine ganze Reihe Punkte erfüllt, die eine Art in den Fokus rücken können.

Die Moorente ist schutzbedürftig und sie ist ein Vogel. Menschen mögen Vögel. Würden wir den gleichen Aufwand für eine bedrohte Stechmücke treiben, sie in das Landesprogramm "Arche Niedersachsen" aufnehmen? Wohl nicht. Zu wessen Gunsten und wie wir Artenschutz betreiben, ist eben nicht nur streng ethisch oder wissenschaftlich bestimmt.


Der Lebensraum muss stimmen
Mit umfangreichen Renaturierungen am Steinhuder Meer wurden die Voraussetzungen für die Rückkehr der Moorenten geschaffen. Sie finden hier nun wieder ungestörte Schilfgürtel als Brutplatz und zur Ernährung eine reiche Unterwasservegetation. Eine Entnahme aus Wildbeständen war nicht möglich, doch in Zoos lassen sich Moorenten unkompliziert halten. Spezielle regionale Unterarten, auf die Rücksicht zu nehmen wäre, gibt es keine, und Genuntersuchungen zeigten, dass es während der Generationen in Gefangenschaftshaltung zu keiner Einkreuzung durch andere Entenarten gekommen war. So stellten schließlich Zoos von Köln bis Cottbus Enten zur Verfügung, die dann in Sachsenhagen weitervermehrt wurden.

Auf die Moorente als Schutzobjekt konnte man sich also einigen. Doch die Entscheidung ist nicht immer so einfach. Weltweit gibt es Millionen Tier- und Pflanzenarten. Für viele können wir keine Maßnahmen ergreifen, weil wir noch nicht einmal von ihrer Existenz wissen. Bei anderen kennen wir ihre Umwelt-Ansprüche nicht und doch bleiben am Ende mehr bedürftige Arten übrig, als wir gezielt fördern könnten.


Feuerwehr in Entscheidungsnot
Laut einer Eurobarometer-Umfrage empfinden mehr als 90 Prozent der Europäer eine moralische Verpflichtung, die biologische Vielfalt zu erhalten. Aber wo soll die Feuerwehr löschen, wenn tausend Feuer gleichzeitig brennen? Erst die größten Feuer oder die, wo das Gebäude bald einzustürzen droht, besser ein Übergreifen der Flammen verhindern oder alle Kraft in die Brandvorsorge lenken?

Soll man also nach Gefährdung gehen, nach Seltenheit oder gewährleistet der Schutz der Lebensräume am Ende doch am besten die Artenvielfalt? Dabei geht es vermehrt um sogenannten Prozessschut. Ungestörte natürliche Vorgänge sollen ermöglicht werden, einschließlich der zugehörigen kleinen und großen Katastrophen, dem natürlichen Auf und Ab der Artenzusammensetzung. Es darf ruhig auch mal brennen, im übertragenen wie im wörtlichen Sinn.


Impulse aus Brüssel
Das bedeutet nicht nur ein Umdenken für manche Naturschützer, die gewohnt sind, für "ihre Art" das Beste anzustreben, und bestimmte Lebensraumzustände bewahren wollen. Das Konzept bleibt auch weitgehend beschränkt auf natürliche Lebensräume, auf Wildnis. Wichtig ist zudem eine Mindestgröße der Flächen und eine möglichst gute Vernetzung.

Dass Artenschutz nicht nur Naturschützer angeht, sondern auch Behörden, Unternehmen und Häuslebauer, ist ganz wesentlich der EU zu verdanken. In den Anfangsjahren noch unterschätzt, haben die Vogelschutzrichtlinie 1979 und 1992 dann die sogenannte FFH-Richtlinie zum Schutz von Arten und Lebensräumen den Natur- und Artenschutz in Deutschland erheblich vorangebracht. Von den einen geliebt und von anderen verflucht, regeln darin lange Listen, welchem Vogel, welcher Orchidee und welchem Lurch zum Beispiel bei Bauvorhaben kein Haar gekrümmt werden darf.

90 Prozent der Europäer fühlen sich verpflichtet, die biologische Vielfalt zu erhalten.

Nun kommt noch eine neue Liste dazu, nämlich die der "Verantwortungsarten". Dass der Schutz solcher Verantwortungsarten wichtig ist, finden jedenfalls die NABU-Gruppen. In einer bundesweiten Abstimmung haben sie diese Aufgabe neben der naturverträglichen Energiewende und dem Grünlandschutz zu einem Schwerpunktthema der nächsten Jahre gewählt.


Was ist typisch deutsch?
Die Idee ist naheliegend: Wir kümmern uns um Arten, für die wir besondere Verantwortung tragen. Verantwortungsarten sind jene, die nur oder zu einem hohen Anteil der Weltpopulation in Deutschland vorkommen. Auch "hochgradig isolierte Vorposten" können eine besondere Verantwortung begründen.

Nach jahrelanger Vorarbeit hat das Bundesamt für Naturschutz inzwischen eine erste Liste mit 25 Tier- und 15 Pflanzenarten vorgelegt, wobei viele weitere Artengruppen bisher noch nicht untersucht wurden. Hier finden sich absolute Raritäten wie die weltweit ausschließlich in wenigen brandenburgischen Seen lebenden Tiefenmaränen oder das Gelbe Galmei-Stiefmütterchen von den Schwermetallrasen um Aachen und Eupen. Aber auch Feuersalamander und Gelbbauchunke, Breitblättriges Knabenkraut, Rotmilan und Mittelspecht gehören zu den Verantwortungsarten, eben weil sie "typisch deutsch" sind.

Zusätzlich interessant macht die Verantwortungsarten das 2010 in Kraft getretene neue Bundesnaturschutzgesetz. Dort wurde nämlich eine Klausel eingefügt, nach der die Verantwortungsarten künftig den FFH-Arten und EU-Vogelarten gleichgestellt werden können. Ihr Schutz hätte also in wie außerhalb von Schutzgebieten oberste Priorität.


Regionale Selbstverpflichtung
Großer Wermutstropfen: Damit das passiert, ist eine Verordnung zu erlassen, der per Bundesrat auch die Länder zustimmen müssen. Bisher ist das nicht passiert und die Aussichten stehen auch nicht gut. Viele Länder klagen, dass ihre Behörden ohnehin überarbeitet sind, dass das wieder nur Geld kostet und Ärger macht.

Erfreulicherweise hat dies Bundesländer wie Sachsen-Anhalt und Rheinland-Pfalz nicht abgehalten, bereits zusätzlich regionale Listen von Verantwortungsarten aufzustellen. Das ist nicht so verbindlich wie eine Bundesverordnung, aber immerhin eine klare Selbstverpflichtung, künftig mehr für bestimmte Arten zu tun - in Sachsen-Anhalt zum Beispiel für Feldhamster und Kammmolch und in Rheinland-Pfalz für Smaragdeidechse und Gottesanbeterin. Ein Anfang ist gemacht.

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Nationale Verantwortungsarten

Das Bundesamt für Naturschutz hat diese 25 Tier- und Pflanzenarten identifiziert, für die Deutschland im Weltmaßstab Verantwortung trägt. Sie sollen im "Bundesprogramm Biologische Vielfalt" besonders gefördert werden.

Säugetiere
Bechsteinfledermaus
Gartenschläfer
Mopsfledermaus
Sumpfspitzmaus
Wildkatze

Vögel
Bergente
Goldregenpfeifer
Kiebitz
Mittelspecht
Rotmilan
Trauerente
Zwergschwan

Amphibien
Feuersalamander
Gelbbauchunke

Fische
Barbe
Tiefenmaränen

Insekten
Apollofalter
Forels Kerbameise
Goldener Scheckenfalter
Gruben-Großlaufkäfer
Heldbock
Schwarzer Apollo

Weichtiere
Abgeplattete Teichmuschel
Flussperlmuschel
Gemeine Malermuschel

Pflanzen
Arnika
Bayerisches Löffelkraut
Breitblättriges Knabenkraut
Gelbes Galmei-Stiefmütterchen
Graue Skabiose
Pfingstnelke
Reichenbachs Zittergras-Segge
Scheiden-Gelbstern
Serpentin-Streifenfarn
Stengelloser Tragant
Sumpf-Bärlapp
Sumpf-Enzian
Tide-Wasserfenchel
Weichhaariger Pippau
Weißes Schnabelried


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

- Die Rückkehr der Moorente wird mit einem Wiederansiedlungsprogramm unterstützt.
- Die Graue Skabiose, hier fotografiert in einem vom NABU mitbetreuten Gebiet in Südhessen, gehört zu den nationalen Verantwortungsarten.

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Quelle:
Naturschutz heute - Heft 3/13, S. 8 - 10
Verlag: Naturschutz heute, 10108 Berlin
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und erscheint vierteljährlich. Für Mitglieder
ist der Bezug im Jahresbeitrag enthalten.


veröffentlicht im Schattenblick zum 15. August 2013