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VIELFALT/074: 'Volkszählung' für Meeresfauna - Krustentiere überrunden Fische (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 18. August 2010

Umwelt: 'Volkszählung' für Meeresfauna - Krustentiere überrunden Fische

Von Stephen Leahy


Wien, 18. August (IPS) - Krustentiere und nicht etwa Fische sind die am häufigsten vorkommenden Lebewesen in den Weltmeeren. Zu diesem Schluss kommt der 'Census of Marine Life', für den Wissenschaftler zehn Jahre lang die Fauna der Ozeane erforscht haben. Krabben, Garnelen, Hummer und Co machen der Anfang August vorgestellten Studie zufolge etwa 19 Prozent aller bekannten Arten in den 25 wichtigsten Meeresregionen aus.

Lediglich zwölf Prozent der maritimen Spezies sind Fische, wie die Wissenschaftler folgerten. Grundlage waren neben ihren eigenen Erhebungen auch Informationen, die im Laufe der Jahrhunderte gesammelt worden waren. Allgemein bekannte Tiere wie Wale, Seelöwen, Robben, Seevögel, Schildkröten und Walrosse, repräsentieren ebenfalls nur zwei Prozent aller Arten.

"Der 'Census of Marine Life' hat neue Ökosysteme erforscht, neue Arten entdeckt und Spezies an ungewohnten Orten aufgespürt", sagte Patricia Miloslavich von der Universität Simón Bolívar in venezolanischen Hauptstadt Caracas. Bisher seien solche Angaben entweder nur verstreut oder lokal eng begrenzt zugänglich, erklärte die Forscherin, die maßgeblich an den Zensus beteiligt war. Nun lägen zum ersten Mal gebündelte Basisinformationen über das Leben in den Meeren vor. An der Studie arbeiteten insgesamt rund 360 Wissenschaftler mit.

Großer Artenreichtum in Australiens und Japans Gewässern

Australien und Japan sind demnach die Staaten mit der weltweit höchsten Artenvielfalt. Dem Zensus zufolge kommen dort durchschnittlich jeweils 33.000 Spezies vor. Zu den fünf Regionen mit der größten Biodiversität zählen zudem der Pazifische Ozean, das Mittelmeer und der Golf von Mexiko.

Laut dem Co-Autor Mark Costello von dem 'Leigh Marine Laboratory' der Universität im neuseeländischen Auckland war es eine überraschende Erkenntnis, dass zahlreiche Arten nur in bestimmten Gegenden anzutreffen sind. Die meisten endemischen Spezies gibt es in relativ isolierten Regionen wie Australien, Neuseeland, der Antarktis und Südafrika. Wissenschaftler vermuten, dass dort während der letzten Eiszeit weniger Arten als anderswo ausgestorben waren.

Die jeweils größten und kleinsten Spezies sind dagegen echte Kosmopoliten. Algen, Seevögel und Meeressäuger sind ihr ganzes Leben lang kreuz und quer durch die Ozeane unterwegs. Der umtriebigste Vertreter ist wahrscheinlich der Viperfisch (Chauliodus sloani) - er ist in mehr als einem Viertel der Meere anzutreffen.

Die Forscher entdeckten außerdem, dass das Vorkommen bestimmter Meerestiere von Region zu Region stark variieren kann. 28 Prozent aller Arten im tropischen Westatlantik und den Gewässern südöstlich der USA sind Fische. In der Arktis, der Antarktis, der Ostsee und im Mittelmeer machen sie hingegen nur drei bis sechs Prozent aus.

Auch der durch die bislang folgenreichste Erdölkatastrophe stark verschmutzte Golf von Mexiko beherbergt eine Vielzahl von Arten. Wie Miloslavich erklärte, seien allein in der Region, in der die von BP betriebene Bohrinsel 'Deepwater Horizon' explodierte, mehr als 8.300 Spezies heimisch.

Die Biologin appellierte an die Verantwortlichen in der Politik, die am stärksten gefährdeten Regionen besonders zu schützen. Die Behörden hätten eine bereits 2009 erstellte Bestandsaufnahme aller Spezies im Golf von Mexiko völlig ignoriert. Das Ölleck sei eine sehr frustrierende Erfahrung, bekannte die Wissenschaftlerin. Es sei auch nur ein schwacher Trost, dass die Konsequenzen für die Meerestiere anhand der vorliegenden Forschungen genau einschätzbar seien.

Erkenntnisse erst die Spitze des Eisbergs

Im Oktober soll der 'Census of Marine Life' endgültig abgeschlossen sein. Bis dahin will das Forscherteam rund 230.000 Arten identifiziert haben. Laut Costello ist dies allerdings nur die Spitze des Eisbergs. "Insgesamt gibt es mehr als eine Million Arten von Meerestieren", erklärte er. Das, was in den vergangenen Jahren untersucht wurde, ist nur ein kleiner Bruchteil. Selbst in Australien, einer der am besten erforschten Meeresregionen der Welt, gehen Experten davon aus, dass sie derzeit lediglich etwa zehn Prozent aller Lebewesen in den Ozeanen kennen.

Menschliches Einwirken habe zudem dazu geführt, dass manche Arten zu fast 90 Prozent ausgerottet seien, warnte Costello. Als größte Gefahren für den Fortbestand der Tiere nannte der Zensus die Überfischung der Ozeane, den Verlust der Habitate sowie Wasserverschmutzung.

Infolge des Klimawandels gibt es auch immer mehr biologisch 'tote Zonen', in denen der Sauerstoffgehalt des Wassers für Lebewesen zu niedrig ist. Neben steigenden Temperaturen ist auch die fortschreitende Übersäuerung des Wassers ein gravierendes Problem. (Ende/IPS/ck/2010)


Links:
http://www.coml.org/
http://cbm.usb.ve/CoMLCaribbean/biography_pmiloslavich.html
http://www.ipsnews.net/news.asp?idnews=52491

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veröffentlicht im Schattenblick zum 20. August 2010