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VÖGEL/527: Vom Charaktervogel zum Sorgenkind - der Goldregenpfeifer (Der Falke)


Der Falke - Journal für Vogelbeobachter 8/2009

Vom Charaktervogel zum Sorgenkind: Der Goldregenpfeifer

Von Bernd Oltmanns und Axel Degen


Die Zerstörung der Moore hat den Goldregenpfeifer in Niedersachsen an den Rand des Aussterbens gebracht. Ein umfangreiches Schutzprogramm soll helfen, die letzten Bestände Mitteleuropas zu erhalten.


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Wer in Niedersachen den Watvogel mit dem schönen Namen Goldregenpfeifer sehen möchte, der besucht am besten im Herbst die offenen Grünlandgebiete der küstennahen Marschen. Etwa 50000 Individuen wurden dort bei der letzten Synchronzählung im Oktober 2008 landesweit von den Zählern der Niedersächsischen Ornithologischen Vereinigung (NOV) registriert. Die NOV trägt den Goldregenpfeifer in ihrem Logo und hat ihm, indem sie ihn quasi zum Wappenvogel der Niedersächsischen Ornithologen wählte, einen besonderen Stellenwert zuerkannt. Diesen Platz nimmt der Goldregenpfeifer aber nicht wegen der beeindruckenden Zahl der im Lande rastenden Durchzügler ein, vielmehr wird damit auf die wenigen noch in Niedersachsen brütenden Goldregenpfeifer verwiesen. Um den Wappenvogel der NOV ist es nicht gut bestellt: In der aktuellen Roten Liste Niedersachsen wird der Goldregenpfeifer in der Kategorie 1 "Vom Erlöschen bedroht" geführt. Die Einstufung in diese Kategorie wurde bereits in der ersten Roten ­Liste der Niedersächsischen Brutvögel aus dem Jahr 1974 vorgenommen und konnte in allen sechs folgenden Listen nicht zum Positiven verändert werden. Aktuell liegt der Bestand bei weniger als zehn Paaren, die in großen Moorkomplexen im Westen Niedersachsens vorkommen.


Der letzte Brutbestand im westlichen Mitteleuropa

Diese Brutvögel sind nicht nur die letzten ihrer Art in Deutschland, sondern stellen sogar das letzte Brutvorkommen im westlichen Mitteleuropa dar. Die nächsten Brutbestände finden sich erst wieder in über 500 Kilometer Entfernung in Südschweden, Großbritannien und im Baltikum. Die heutige extreme Seltenheit und akute Bedrohung der Art lässt sich eindeutig auf den enormen Lebensraumverlust in ganz Norddeutschland zurückführen. Der Goldregenpfeifer teilt dabei das Schicksal der Landschaft, deren Charakterart er früher gewesen war, das Schicksal der Hochmoore. Lebende Hochmoore und hier vor allem die Moorheiden aus Glockenheide waren bis zur Mitte des vorigen Jahrhunderts die wichtigsten Bruthabitate des Goldregenpfeifers. Hier fand er die Bedingungen, die er zur Brut und zur Jungenaufzucht benötigt: kurzer Bewuchs auf feuchten Flächen, mit Lücken in der Vegetation, die ein ungehindertes Umherlaufen ermöglichen. Dazu ein freier Blick bis zum Horizont, ein echter Norddeutscher eben. Niedersachsen war ehedem ein Land der Moore, dessen Fläche zu gut einem Zehntel von diesem Lebensraumtyp bedeckt war. Hinzu kamen ausgedehnte Heideflächen, die auf teilweise entwässerten Mooren, vor allem aber auf den trockenen und armen Sandböden der Geest durch den Menschen entstanden waren. Die enorme Ausdehnung dieser Lebensräume war verantwortlich dafür, dass der Goldregenpfeifer Anfang des 19. Jahrhunderts wohl noch keineswegs selten gewesen und weitverbreitet war.


Lebensraumverluste brachten die Art an den Rand der Ausrottung

Heute nehmen die Moorflächen auch in Niedersachsen nur noch eine sehr geringe Fläche ein, wobei kaum ein Bereich von Entwässerung und Abtorfung verschont geblieben ist. Vielfach zeugen nur noch die Ortsnamen vom einstigen Charakter der Landschaft. Dort wo früher ein "Großes Moor" gewesen ist, findet heute intensive Landbewirtschaftung statt, sind die charakteristischen Tier- und Pflanzenarten der Moore ganz verschwunden. Es wundert also nicht, wenn auch der Goldregenpfeifer extrem unter der Zerstörung der Moore gelitten hat. Auch die Tatsache, dass dieser attraktiven Art schon seit Anfang des 20. Jahrhunderts eine größere Aufmerksamkeit geschenkt wird, konnte den Niedergang der Brutbestände nicht aufhalten. Dem Goldregenpfeifer wurde schließlich sogar die Anpassung an die veränderten Lebensräume zum Verhängnis. Die Vögel wichen auf die weitgehend vegetationslosen und offenen Abtorfungsflächen aus und gerieten in eine Falle. Anders als noch in der Mitte des 20. Jahrhunderts wird der Torf seit den 1970er Jahren fast ausschließlich für die Gewinnung von Substraten für den Gartenbau genutzt. Was in Blumenkästen und Gewächshäusern landet, wird in den Mooren im sogenannten Frästorfverfahren gewonnen. Hierbei werden die Moorflächen regelmäßig großräumig gefräst, gerubbert und zur Trocknung zu Mieten aufgetürmt. Der getrocknete Torf wird schließlich mit Schmalspurbahnen aus dem Moor transportiert. Die Abnehmer verlangen heute ein Substrat, dass frei von Wildkräutersamen ist. Das hat zur Folge, dass auch Ruhefelder, die zumeist bereits vollständig abgetorft sind und zwischen den Abbaufeldern liegen, vegetationsfrei gehalten werden. Gelege und Küken haben auf diesen Flächen keine Überlebenschance. Zu häufig fand eine Bearbeitung der Felder statt und so war der erzwungene Wechsel in diesen unwirtlichen Lebensraum verantwortlich für ausbleibende Bruterfolge und ein Grund dafür, dass der Goldregenpfeifer die am stärksten gefährdete Brutvogelart im Bundesland Niedersachen wurde.


Das niedersächsische Goldregenpfeifer-Schutzprogramm

Aufgrund der äußerst kritischen Bestandssituation und der Bedeutung Niedersachsens für den Arealerhalt des Goldregenpfeifers wurden seit Anfang der 1990er Jahre die Schutzanstrengungen verstärkt und hauptsächlich darauf ausrichtet, den Bruterfolg der letzten verbliebenen Brutpaare zu sichern. Parallel wurde die Ausweisung großräumiger Gebiete als EU-Vogelschutzgebiet vorangebracht, um die verbliebenen Lebensräume zu erhalten und nach Beendigung des Torfabbaus, der aufgrund bestehender Genehmigungen nicht gestoppt werden konnte, zu entwickeln. Zudem wurde über das Niedersächsische Moorschutzprogramm seit 1981 auf 81000 Hektar Moorfläche das Ziel verfolgt, großflächig noch nicht abgetorfte, geeignete Moore für den Naturschutz zu sichern und abgetorfte Flächen zu renaturieren. Doch auch wenn bis heute etwa die Hälfte der Flächen geschützt werden konnte, ist man von dem Ziel wieder eine lebendige Moorlandschaft zu entwickeln vielfach noch weit entfernt, da die Renaturierung der Moore enorme Geduld erfordert. Doch die Zeit lief für den Goldregenpfeifer ab, weswegen schnelles Handeln erforderlich war und auch zu Methoden im Artenschutzes gegriffen werden musste, die manchem vielleicht etwas befremdlich anmuten, ohne die der Goldregenpfeifer in Niedersachsen aber keine Chance gehabt hätte.


Eigenständige Einheit der Biodiversität

Eine molekulargenetische Pilotstudie, die im Rahmen des Goldregenpfeifer-Schutzprogramms vom Institut für Vogelforschung in Wilhelmshaven durchgeführt wurde, belegte eine vergleichsweise hohe genetische Variabilität deutscher Brutvögel und das Auftreten unterschiedlicher offensichtlich orts- oder populationsspezifischer Genotypen. Die deutsche Brutpopulation ist vermutlich eine der ältesten Brutpopulationen. Hier könnten Allele erhalten geblieben sein, die als Folge des "Gründereffekts" nach der Ausweitung des Brutgebietes während der Warmzeiten in anderen Populationen verloren gegangen sein könnten. Die niedersächsische Brutpopulation ist daher als eine eigenständige Einheit der Biodiversität besonders schützenswert.

Auch eine Identifizierung von Vogelarten für die Schwerpunktsetzung im Brutvogelschutz, die die Staatliche Vogelschutzwarte Niedersachsens jüngst durchführte, stellte den Goldregenpfeifer an den ersten Platz der regelmäßig vorkommenden Brutvögel. Hier zeigte sich bei Betrachtung der Kriterien Verantwortung, Gefährdung und Bestandstrend, dass der Einsatz von Artenschutzmitteln für den Goldregenpfeifer notwendig und gerechtfertigt ist.


Erhöhung des Bruterfolgs

Zunächst war das kurzfristige Ziel der Schutzbemühungen, die Nester zu finden, die Neststandorte vor der Bewirtschaftung zu schützen und dadurch den Bruterfolg zu erhöhen. Nach anfänglichen Erfolgen nahm der Bruterfolg jedoch dramatisch ab, da besonders Füchse als Prädatoren von Gelegen und Jungvögeln auftraten. Das hatte 2004 eine Intensivierung der Schutzmaßnahmen zur Folge, die vom Land Niedersachsen finanziert werden. Durch Absprachen mit den Torfwerken werden heute alle Ruhefelder und Grabenränder, die den Küken als Nahrungshabitat dienen, erst nach der Brutsaison bearbeitet. Durch den Gelegeschutz mit Elektrozaun, Gelegeschutzkorb, olfaktorischer Abschreckung und Bewachung konnten Gelegeverluste verhindert und durch eine 24-stündige Bewachung der jungeführenden Familien auch die Kükenverluste deutlich reduziert werden. Schließlich wurde in den letzten Jahren ein Bruterfolg erreicht, der oberhalb eines vom Institut für Vogelforschung errechneten Wertes liegt, mit dem eine Bestandsverdoppelung innerhalb von zehn Jahren erreicht werden könnte.


Grünland - Nahrungshabitat nicht nur außerhalb der Brutzeit

Für die Altvögel haben besonders die Grünländer in der Umgebung der Brutplätze eine entscheidende Bedeutung für die Nahrungsaufnahme während der Eiproduktion und der Bebrütung. Bevorzugt werden kurzrasige sowie offene Wiesen und Weiden, die über sechs Kilometer von den Neststandorten entfernt sein können. Hier halten sich die Brutvögel vor dem Brutbeginn überwiegend auf. Und auch während der 29-tägigen Bebrütung - die Weibchen brüten nachts und die Männchen tagsüber - ist der nicht brütende Partner im Grünland zu finden. Erst nach dem Schlupf bleiben beide Altvögel bei den Küken und führen diese in die feuchteren und vegetationsreichen Bereiche innerhalb der Abtorfungsflächen. Diese Strukturen finden sie entlang der Entwässerungsgräben. Im Mittel haben die Familienreviere, in denen sich die Vögel etwa 40 Tage aufhalten, eine Größe von 127 ha.


Beringung lieferte wichtige populationsbiologische Daten

Alle Jungvögel, die seit 2004 flügge wurden, wurden mit Vogelwartenringen und individuellen Farbringkombinationen markiert. So konnte gezeigt werden, dass 52 % der Jungvögel an den Geburtsort zurückkehren und von diesen 90 % bereits im 2. Kalenderjahr brüten. Die jährliche Rückkehrrate der Brutvögel liegt bei 71 %. Sie sind überwiegend partner- und ortstreu und brüten über Jahre in den selben Abbauflächen. Andererseits wird alljährlich eine Zuwanderung einzelner unberingter Individuen registriert, die einen Austausch mit anderen Populationen belegt.


Langfristige Ziele und Ausblick

Mittel- und langfristig ist die Schaffung geeigneter Bruthabitate in den Renaturierungsflächen, die nach der Abtorfung sukzessive entstehen, die größte Herausforderung. Um die erforderlichen kurzrasigen Habitatstrukturen zu schaffen, werden derzeit verschiedene Pflegemaßnahmen wie Schafbeweidung, Mulchen und Brennen im Winterhalbjahr getestet und ein gezieltes Wassermanagement eingesetzt. Denn ohne derartige Maßnahmen ist eine Verbuschung potenzieller Neststandorte zu erwarten. Die Renaturierung der Hochmoore ist Voraussetzung dafür, dass der Goldregenpfeifer dauerhaft einen Lebensraum in Niedersachsen behält. Ebenso müssen die beschriebenen Artenschutzmaßnahmen derzeit konsequent durchgeführt werden. Nur wenn beides erfolgreich ist, kann der "Goldi" dauerhaft unsere Avifauna mit seinem wundervoll klagenden Gesang bereichern.


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Literatur zum Thema:

Exo, K.-M. (2005): Die Brutpopulation des Goldregenpfeifers Pluvialis apricaria im westlichen Kontinentaleuropa: zum Aussterben verurteilt? Vogelwelt 126: 161-172.

Degen, A. (2008): Untersuchungen und Maßnahmen zum Schutz des Goldregenpfeifers Pluvialis apricaria im EU-Vogelschutzgebiet "Esterweger Dose" in den Jahren 2004 bis 2007 als Teilaspekt des niedersächsischen Goldregenpfeifer-Schutzprogramms. Vogelkundl. Ber. Niedersachs. 40: 293-304.

Heckenroth, H. & H. Zang (1995): Goldregenpfeifer Pluvialis apricaria. In: Zang, H., G. Großkopf & H. Heckenroth: Die Vögel Niedersachsens, Austernfischer bis Schnepfen. Naturschutz Landschaftspfl. Niedersachs. B, H. 2.5.


Diplom-Biologe Bernd Oltmanns ist seit 2005 Aufgabenbereichsleiter der Staatlichen Vogelschutzwarte des Niedersächsischen Landesbetriebs für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz (NLWKN).

Diplom-Biologe Axel Degen koordiniert die Erfassungen und Schutzmaßnahmen an den niedersächsischen Brutplätzen des Goldregenpfeifers seit 2004 im Auftrag des Landes Niedersachsen.


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Quelle:
Der Falke - Journal für Vogelbeobachter 8/2009
56. Jahrgang, August 2009, S. 305-309
mit freundlicher Genehmigung des AULA-Verlags
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Erscheinungsweise: monatlich
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veröffentlicht im Schattenblick zum 2. September 2009