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VÖGEL/928: Schnepfenvögel - Von der Verwandtschaft des Jahresvogels 2013 (Vogelschutz)


Vogelschutz - 2/2013
Magazin für Arten- und Biotopschutz

Schnepfenvögel - Von der Verwandtschaft des Jahresvogels 2013

von Einhard Bezzel



Sich in der Verwandtschaft einer Vogelart - in diesem Fall der Bekassine - umzusehen, bedeutet einen Blick in die biologische Vielfalt, einem Grundprinzip des Überlebens auf unserem Planeten. Mit einer Verwandtschaftssuche begeben wir uns auf die verschlungenen Pfade der Evolution, auch wenn es gewissermaßen nur die äußersten feinen Zweige des Lebensbaumes sind, die wir miteinander vergleichen.

Das, was wir Arten und Unterarten nennen, sind einander oft sehr ähnliche Gestalten und biologische Programme, die wir gegenwärtig erleben. Sie haben einen langen gemeinsamen Weg hinter sich und oft nur eine kurze Strecke getrennt voneinander zurückgelegt. In diesem letzten Stück ihrer Geschichte lassen sich durch Vergleiche oft Pfade und steuernde Kräfte der Evolution besonders gut nachvollziehen. Das ist heute die spannende Aufgabe der modernen Systematik mit molekulargenetischen Ansätzen. Aber auch die aufmerksame und vergleichende Beobachtung kann viele Einsichten gewinnen, etwa zum Verständnis der Verbreitung und der Lebensweise miteinander nahe verwandter Arten und der Vorgänge ihrer Entstehung, ihrer oft merkwürdigen Unterschiede und Gemeinsamkeiten.

Die lange als trocken verkannte Systematik ist zu einer hochaktuellen Wissenschaft geworden, die für unsere Bemühungen um die Erhaltung der biologischen Vielfalt die Grundlagen bietet. Auch der Vogel des Jahres ist daher nicht als isoliertes Objekt des Schutzes von Leben zu sehen, sondern zumindest durch eine globale Betrachtung in einen Zusammenhang zu stellen, der uns möglicherweise für manches die Augen öffnet.

Schnepfenverwandte - ein globales Erfolgsmodell

Den weiteren Verwandtschaftskreis der Schnepfenverwandten, dessen gemeinsame Vorfahren schon vor Zig-Millionen Jahren lebten, bildet die Familie Scolopacidae, die mit ihren 96 Arten so gut wie überall auf der Welt mit einzelnen Arten vertreten ist. Nur die Sahara, aber auch große Teile der Tropen Afrikas und Asiens sowie Australien kennen keine oder nur einzelne Arten als Brutvögel. Dafür sind aber diese Zonen Lebensraum für Gastvögel aus der Schnepfenverwandtschaft, die sich lokal oft zu Tausenden konzentrieren, selbst in Oasen und Salzseen der Wüste. Besonders bemerkenswert ist, dass viele der zu dieser Familie zählenden Vögel, wie etwa die Strandläufer, in großer Zahl in der lebensharten Tundra bis an den Rand des ewigen Eises brüten. Der Preis dafür sind weite Wanderwege zu entfernt liegenden Winterquartieren, bei einigen Arten rund um den Globus, und besondere Anpassungen an eine Fortpflanzung im kurzen arktischen Sommer, wie z. B. mehrere Bruten mit verschiedenen Partnern pro Jahr. Brachvögel, Sumpfschnepfen, Waldschnepfen, Uferschnepfen, Wassertreter, Wasserläufer, Uferläufer, Strandläufer, Grasläufer oder Schlammläufer sind einige der deutschen Bezeichnungen, die dieser bunten Artenpalette Namen geben. Gemeinsame Merkmale sind, wie schon einige der Namen andeuten, relativ lange Beine. Die Schnäbel sind mindestens so lang wie der Kopf, meist deutlich länger, gerade oder gebogen, und bei fast allen Arten zum Stochern in weichen, feuchten Böden geeignet. Die Schnabelspitze ist mit kleinen Tastorganen ausgestattet, die in kleine Gruben des knöchernen Innenschnabels eingelagert sind. In der Regel sind Schnepfenverwandte Bodenbrüter. Das hat ihnen baumlose weite Landschaften erschlossen und ist ihnen in den dicht besiedelten Gebieten der Welt, wie der 'Normallandschaft' in Europa, jetzt zum Verhängnis geworden. Denn die intensive landwirtschaftliche Bodennutzung, mit z.B. Trockenlegung, Düngung und häufiger Mahd gefährdet zunehmend ihre Bruten. Das Gelege besteht meist aus vier Eiern, die Jungen sind Nestflüchter.

Bekassine - die Außenseiter

Alle Bekassinen zählt man heute zur Gattung Gallinago. Eine nahe verwandte Art, die Zwergschnepfe, steht als einzige Art in einer eigenen Gattung Lymnocryptes, die aber noch mit modernen Methoden bestätigt werden muss. Vielleicht ist auch diese mit Abstand kleinste, in Nordeuropa brütende Bekassine, die bei uns auf dem Durchzug und als Wintergast erscheint, als nahe Verwandte zu den anderen Arten in eine Gattung zu stellen. Die Feinsystematik vieler Vögel erfährt durch molekulargenetische Methoden gegenwärtig viele Änderungen, da man mit herkömmlichen Vergleichen viele Verzweigungen der Evolution bisher nicht erkannt hat.

In Europa ist neben der Bekassine nur die ihr im Aussehen sehr ähnliche Doppelschnepfe (Gallinago media) Brutvogel, nämlich in Mooren Skandinaviens, des Baltikums, in Polen und in Westrussland. Sie ist trotz äußerlicher Ähnlichkeit mit anderen Bekassinen eine große Ausnahme. Im Unterschied zu allen anderen Gattungsverwandten markieren Doppelschnepfen nämlich ihr Brutrevier nicht mit einem Ausdrucksflug, sondern balzen im Chor kollektiv auf Arenen.

Wie bei anderen Vögeln mit Arenabalz - bekanntestes Beispiel sind die Birkhähne - gehen die Geschlechter nach der Kopulation ihrer Wege. Es gibt keine partnerschaftliche Bindung. Das scheint bei Bekassinen sonst nicht üblich zu sein, soweit man das untersucht hat.

Bekassine - ein Thema mit Variationen

Weltweit gibt es 17 Bekassinenarten, je sieben in Eurasien nördlich der Tropen und in Südamerika, je eine in Nordamerika, Afrika und auf Madagaskar. Die meisten sehen sich sehr ähnlich, so dass man sie auf den ersten Blick als Typ richtig zuordnen kann. Einige der in Asien brütenden Arten sind optisch sogar außerordentlich schwierig voneinander zu unterscheiden; man muss sich an kleine Gefiedermerkmale halten, um die Art im Fernglas sicher identifizieren zu können, manchmal sind sichere Bestimmungen gar nicht möglich. Dafür gibt es akustische Unterschiede, die vor allem am Brutplatz beim Ausdrucksflug für Balz und Revierbehauptung auffallen.

Man nimmt an, dass die bei den Ausdrucksflügen zu hörenden Laute wie bei unserer Bekassine meistens Instrumentallaute sind, hervorgerufen durch die vibrierenden äußersten Steuerfedern im Flug abwärts. Das kann man sogar sehen, nämlich an der Konstruktion dieser lautgebenden Federn. Die einzelnen Bekassinenarten unterscheiden sich in der Zahl ihrer Steuerfedern und vor allem in der Form der äußeren Schallfedern. Die Spießbekassine (G. stenura) hat z.B. sehr schmale, fast stiftartige äußere Steuerfedern, die akustische Begleitung des Ausdrucksflugs klingt daher fein und hoch. Die europäische Bekassine und die nahe verwandte amerikanische Wilsonbekassine (G. delicata) sind sich so ähnlich, dass man sie ursprünglich nur als zwei Unterarten betrachtete. Heute trennt man sie in zwei Arten. Die amerikanische Art hat zwei Steuerfedern mehr als die europäische, das 'Meckern' der Wilsonbekassine ist schneller und höher als das ihrer europäischen Verwandten.

Instrumentalgeräusche durch vibrierende äußere Steuerfedern spielen eine wichtige Rolle bei Balz und Reviermarkierung. Die Variationsmöglichkeiten können aber durch begleitende stimmliche Laute noch erhöht werden. So ganz sicher ist man sich aber noch nicht, mit welcher Technik sich manche Arten 'zu Wort' melden, beide Lautquellen können sich wohl auch mischen. Jedenfalls gilt für Bekassinen wieder einmal die Regel, dass sich äußerlich sehr ähnliche Vögel meist akustisch gut unterscheiden.

Der Autor:
Dr. Einhard Bezzel
Der ehem. LBV-Vorsitzende und frühere Leiter
der Vogelschutzwarte Garmisch ist als Autor
zahlreicher ornithologischer Fachbücher bekannt.


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:
- Uferschnepfen
- Weitere bei uns anzutreffende Verwandte der Bekassine: Zwergschnepfe, Großer Brachvogel, Waldschnepfe
- Die größe äußerliche Ähnlichkeit ist unverkennbar: Die Bekassine und die Doppelschnepfe sind verwandt, dennoch unterscheidet sich ihr Balzverhalten deutlich voneinander

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Quelle:
Vogelschutz - 2/2013, Seite 10-13
Magazin für Arten- und Biotopschutz
Herausgeber:
Landesbund für Vogelschutz in Bayern e.V. -
Verband für Arten- und Biotopschutz
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veröffentlicht im Schattenblick zum 2. Oktober 2013