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WALDSCHADEN/007: Grüne Lunge - Niederschlagskreisläufe in Gefahr ... (SB)



Satellitenbild zeigt regelmäßig angeordnete Straßen, die von einer Hauptstraße ausgehen und den Amazonas-Regenwald durchschneiden. An allen Straßen sind unterschiedlich tief ins Land reichende Felder angelegt - Foto: © Google Earth

Straßen bilden oft den Ausgangspunkt für Entwaldung und anschließend den landwirtschaftlichen Anbau
Foto: © Google Earth

Der tropische Regenwald im Amazonasbecken produziert seinen eigenen Regen. Das fand der brasilianische Wissenschaftler Eneas Salati schon in den 1970er Jahren heraus. Die Wälder nutzen den Niederschlag aus den wolkenschweren Luftmassen, die vom Atlantik heranwehen, im Durchschnitt fünf- bis sechsmal.

Mit dieser Erkenntnis sei von Anfang an die Frage verbunden gewesen, ab wann die Entwaldung so weit voranschreitet, daß der Zyklus aus Verdunstung und Niederschlag abbricht und die Ökosysteme des Regenwalds nicht mehr ausreichend mit Wasser versorgt werden, schreiben Prof. Thomas E. Lovejoy vom Department of Environmental Science and Policy der George Mason University im US-Bundesstaat Virginia und Prof. Carlos Nobre, Mitglied der Akademie der Wissenschaften und des World Resources Institute in Brasilien im Editorial des Journals Science Advances. [1]

Die beiden Klimaexperten befürchten, daß die Schwelle eines solchen "tipping points" bzw. Kippunkts kurz bevorsteht. So könnte eine Entwaldung im östlichen, südlichen und zentralen Amazonasbecken nicht erst von 40 Prozent, wie zur Zeit Salatis angenommen, sondern bereits von 20 - 25 Prozent der Fläche ausreichen, um den "hydrologischen Zyklus" zu unterbrechen. Denn seit den 1970er Jahren seien zwei weitere Gefährdungen hinzugekommen: Der Klimawandel und die Brandrodungen.

Der westliche Teil des Amazonas-Regenwalds gilt deshalb als weniger gefährdet, weil sich dort das Andengebirge erhebt und eine natürliche Barriere bildet, an der die Wolken auf jeden Fall abregnen, ob mit oder ohne Bewaldung der Hänge.

Der Regenwald weist nicht nur saisonal, sondern das ganze Jahr über eine so hohe Verdunstungsrate auf, daß auch weiter entfernte Regionen davon profitieren, sofern der Wind die feuchtigkeitsschwangeren Luftmassen dorthin verfrachtet. Das gilt insbesondere für das südlich des Amazonas-Beckens gelegene La-Plata-Becken, an dem Länder wie Paraguay, Brasilien, Uruguay und Argentinien partizipieren.

Vor einigen Jahren trat in Südbrasilien eine schwere Dürre auf, von der auch die Metropole Sao Paulo betroffen war. Schon damals hatten Nobre und andere Forscher vermutet, daß der Effekt mit der Entwaldung im Amazonas-Becken zu tun haben könnte. Denn auffälligerweise waren während der Trockenheit die gewaltigen Wolkenmassen, die regelmäßig im Winter von Norden her herangeweht wurden und ergiebige Niederschläge mit sich gebracht hatten, ausgeblieben.

Die schweren Dürren in den Jahren 2005, 2010 und 2015/16 im Amazonas-Regenwald könnten das erste Aufflackern des "tipping points" sein, schreiben Lovejoy und Nobre. Die großräumigen Überschwemmungen in den Jahren 2009, 2012 und - im Südwesten Amazoniens - auch 2014 seien möglicherweise Indikatoren dafür, daß das ganze System oszilliert. Die Forscher wissen nicht sicher zu bestimmen, wo genau der "tipping point" liegt. Um aber dessen Überschreiten zu vermeiden, empfehlen sie, die Entwaldungsrate um nicht mehr als 20 Prozent der Fläche ansteigen zu lassen.

Die mit Hilfe eines kalten Putsches an die Macht gelangte Regierung des brasilianischen Präsidenten Michel Temer kümmert die Sorge um den Amazonas-Regenwald weniger als die um die Sicherung des Fortbestands seiner rechtsgerichteten Herrschaft. Er selbst darf nicht wieder für das höchste Amt im Staat antreten. Die Parlamentswahl, Präsidentschaftswahl und Gouverneurswahl Brasiliens sind für den 7. Oktober angesetzt. Dann werden die Weichen dafür gestellt, in welche Richtung sich das größte Land Südamerikas in Sachen Wald- und Klimaschutz voranbewegt. Am weitestgehenden berücksichtigt wird dies voraussichtlich von der ehemaligen Umweltministerin Marina Silva von der Partei "Rede".

Im vergangenen und in diesem Jahrzehnt habe Brasilien erhebliche Fortschritte im Eindämmen der Entwaldung gemacht, berichten die Medien. Wobei hierzu angemerkt werden sollte, daß lediglich die Geschwindigkeit des Waldverlustes verringert werden konnte. Der Waldverlust Brasiliens schreitet voran, mal schneller, mal langsamer.

Der von Nobre und Lovejoy gefürchtete Kippunkt ist so definiert, daß eine regionale Veränderung globale Folgen zeitigt. Sollte der tropische Regenwald des Amazonasbeckens verschwinden, hätte das nicht nur für den südamerikanischen Kontinent gravierende Konsequenzen, es würde auch das Klima in Mexiko, der Karibik und Texas verändern, wie die US-Weltraumbehörde NASA bereits im Jahr 2005 berichtete. [2]

Noch konkreter wurde eine Studie der Universität von Princeton im Jahr 2013. Ohne den Amazonas-Regenwald würden die Niederschlagsmenge im Nordwesten der USA um rund 20 Prozent abnehmen, und die Schneemassen in der Sierra Nevada, die eine wichtige Trinkwasserquelle für eine Reihe von Städten und landwirtschaftlichen Flächen in Kalifornien bilden, sogar um 50 Prozent. [3]

Die Entwaldung des Amazonasbeckens hat eine Reihe von Gründen. Deren Gemeinsamkeit besteht darin, daß Brasilien (die Zentralregierung und auch die Bundesregierungen) wie die der meisten anderen Staaten rund um den Globus ein fortwährendes Wirtschaftswachstum anstreben. Dem wird ständig neue Nahrung unter anderem in Form von Naturressourcen zwecks ihrer Verwertung zugeführt. Wenn man bedenkt, daß die tropischen Regenwälder auch als grüne Lunge des Planeten bezeichnet werden, hat die Unverdrossenheit, mit der Baum um Baum um Baum gefällt wird, etwas abgrundtief Suizidales.


Fußnoten:


[1] http://advances.sciencemag.org/content/4/2/eaat2340

[2] https://www.nasa.gov/centers/goddard/news/topstory/2005/deforest_rainfall.html

[3] https://www.eurekalert.org/pub_releases/2013-11/pu-iat110713.php


29. März 2018


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