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ENERGIE/147: Energieautonomie durch landes- und kommunalpolitische Maßnahmen (Solarzeitalter)


Solarzeitalter 4/2008
Politik, Kultur und Ökonomie Erneuerbarer Energien

Energieautonomie durch landes- und kommunalpolitische Maßnahmen

Von Stephan Grüger und Fabio Longo


Die Kommunen sind die wesentlichen Partner und Motoren der Energiewende in der Region. Daher sollen sie von der Ebene der Landesregierungen so weit als irgend möglich unterstützt und gefördert werden: Das Land hilft durch die Verbesserung von Rahmenbedingungen auf bundes- und landesgesetzlicher Ebene, durch Förderprogramme und -maßnahmen, durch Bildungs- und Beratungsaktivitäten sowie durch die Unterstützung der Eigeninitiative und des Wettbewerbs der Kommunen um nachhaltige, ressourcenschonende und umweltfreundliche Wege der Energieerzeugung und -verbreitung voran zu bringen. Die folgende Darstellung ist auf jedes Bundesland weitgehend übertragbar.

Im Vordergrund stehen die Prinzipien der kommunalen Selbstverwaltung (die Kommune entscheidet), der Subsidiarität (was die untere Ebene tun kann, daran soll sich keine übergeordnete überheben) und der Best-Practice-Orientierung (von den Besten lernen) und des Bildungsgedankens (jede Maßnahme zur nachhaltigen Bewusstseinsveränderung zählt).

Mit diesen Grundsätzen soll erreicht werden, dass die Kommunen über das "Wie" hin zur Energieautonomie weitgehend selbst entscheiden. Dabei soll das Land die rechtlichen und wirtschaftlichen Grundlagen zum kommunalen Handeln schaffen und den größtmöglichen Wettbewerb um neue Ideen und kreative Maßnahmen auf dem Weg zur kommunalen Energieautonomie fördern, auch durch ordnungsrechtliche Mindeststandards. So kann der Sprung in ein neues Energiezeitalter gelingen:

Eine Energieberatungsstruktur durch Stärkung bestehender Energieagenturen der Landkreise und Unterstützung ihrer Neugründung

Der Aufbau bzw. die Stärkung einer Energieberatungsstruktur in den Landkreisen ist von zentraler Bedeutung. Die Förderung soll dazu führen, dass die in dieser Hinsicht geförderten Landkreise ein Energiekonzept erarbeiten, in das die Kommunen einbezogen werden und dessen Umsetzung jährlich evaluiert wird.

Die Aufgabe von Energiebeauftragtem bzw. Energieagentur besteht darin,

kommunale Energieberatung zu organisieren;
Potentialberechnungen über die Potentiale von Erneuerbaren Energien und von Energieeinsparung zu veranlassen;
eine temperaturbereinigte kommunale Energiestatistik und eine kommunale Energiebilanz zu erstellen;
Mitarbeiterschulungen in der Verwaltung und allgemeine Informationsveranstaltungen durchzuführen;
Informationsschriften zu erstellen und zu verbreiten;
positive Beispiele im Gemeindeblatt zu veröffentlichen;
die Öffentlichkeit über die zahlreichen Möglichkeiten praktischer Anwendungen und über Fördermöglichkeiten zu informieren;
Verwaltung und Kommunalparlament zu beraten;
kommunale Projekte zu realisieren.

Die Vorbildrolle des Landkreises und der Kommunen zur Energiewende

Die Vorbildrolle kann wahrgenommen werden durch:

Einführung von Solarsatzungen nach dem Vorbild der Universitätsstadt Marburg;
Ausweisung von Flächen für den Bau von Windkraftanlagen durch eine aktive Flächennutzungsplanung;
Reaktivierung stillgelegter Klein-Wasserkraftwerke und deren Neubau;
Erarbeitung städtebaulicher Konzepte für die Integration der Klein-Windkraft in bebauten Gemeindegebieten;
die Erstellung eines Energiehaushalts, in dem alle Ausgaben für Energie gesondert festgehalten sind. Dieser wird Grundlage für alle neuen Entscheidungen auf dem Energiesektor;
die Einbeziehung von Umweltschäden in die Energiekalkulation;
ein Energie-Audit für alle kommunalen Gebäude und die Einführung einer Energiebuchhaltung für jedes ihrer Gebäude, in der der energetische Zustand des Gebäudes (Wärmeisolierung, Heizanlagen, Alter und Zustand der Energieverbrauchsgeräte, Stellung des Gebäudes zur Sonne und zu den Windverhältnissen u.a.m.), eine laufende Verbrauchskontrolle und eine jährliche Verbrauchsbilanz enthalten sind.

Damit erhält die Kommune einen Überblick über die Energiesparmöglichkeiten und die Nutzungsmöglichkeiten der Solarenergie. Auf der Basis des Energie-Audits veranlasst die Kommune eine energietechnische Optimierung der Gebäude (Einführung von Mess- und Regeltechnik, neue Wärme- und Kühlsysteme, Blockheizkraftwerke) sowie die Installation von aktiven und passiven Solartechniken. Kombiniert werden sollte dies mit der Offerierung der Dach- und Fassadenflächen kommunaler Gebäude und anderer Bauten (Parkplatzüberdachungen, Lärmschutzwände) für private Betreiberprojekte. Dazu zählt auch die kommunale Organisation einer Bürgerbeteiligung für Solarstromanlagen z. B. nach dem "Butzbacher Modell". Dieses Modell hat die Stadt Marburg unter rot-grüner Verantwortung auf Initiative des örtlichen BUND und des AK Energie der Lokalen Agenda 21 umgesetzt. Im Rahmen des Modells können sich einzelne Bürger mit Anteilen in Höhe von 500 am Bau von Solarstromanlagen der stadteigenen Wohnungsbaugesellschaft GeWoBau beteiligen. Die Anteile werden als Darlehen an die GeWoBau gezahlt, die jährlich Zinsen in Höhe von 4% bei einer 5%-igen Tilgung an die Bürger zurückzahlt (dafür garantiert die Stadt mit einer Bürgschaft). Dadurch wird die sichere Teilhabe auch weniger betuchter Bürger an der kommunalen Energieerzeugung ermöglicht. Zudem leistet das Konzept einen Beitrag zur Auflösung des Quasi-Monopols der großen Energieversorgungsunternehmen an der Energieerzeugung.

Modell der Stadt Kassel

Die Stadt Kassel hat im Rahmen des Projekts Solarstadt Kassel 2008 gerade ein ähnliches Modell entwickelt. Hier wird der Einsatz von Solartechnik bzw. die kostenlose Bereitstellung der Dachflächen bei jeder anstehenden Dach- und Fassadenerneuerung ihrer Gebäude für diejenigen Dach- und Gebäudeteile ermöglicht, die "solarfähig" sind. So setzt es z.B. auch die Stadt Marburg mit ihrem Bürgerbeteiligungsmodell "Solarstrom Marburg" und mit der privaten "Sonneninitiative e.V auf den Dächern der Schulen und des sozialen Wohnungsbaus um.

Zudem entscheidet die Kommune, in allen öffentlichen Gebäuden mit großem Warmwasserbedarf (Schwimmbäder, Sporthallen) Solarkollektoren zu installieren, und beschließt, alle ihre Neubauten als "Null-Emissionsgebäude" zu errichten. Ein Energiespar- und Solareinführungskonzept zur raschen und unverzüglichen Finanzierung solcher Initiativen wird nach dem Vorbild des Hamburger "Fiftyfifty"-Modells oder des Marburger Prämiensystems für Schulen eingeführt: Eingesparte Finanzmittel für den Energieaufwand werden zur Finanzierung neuer Investitionen für Erneuerbare Energien und zur Erhöhung der Energieeffizienz von den betreffenden Verwaltungseinheiten eigenverantwortlich verwendet.

Für den kommunalen Fahrzeug- und Verkehrsmittelpark werden Fahrzeuge angeschafft, die mit Erneuerbaren Energien angetrieben werden: Elektrofahrzeuge in Verbindung mit Tankstellen, deren Stromerzeugung durch Erneuerbare Energien erfolgt (Photovoltaik-Anlage, Windkraftanlage, Blockheizkraftwerk mit Biomasse), oder Fahrzeuge mit Biomasse- oder Wasserstoff-Antrieb, kommunale Boote oder Schiffe an Seestädten mit Pflanzenöl- oder Biogas-Antrieb.

Ein öffentliches Demonstrationsgebäudes mit freiem Publikumsverkehr (Stadthalle, Jugendzentrum, Freizeitzentrum) wird errichtet, in das alle auf dem Markt erhältlichen aktiven und passiven Solartechnologien sowie dezentralen Energiesystemtechniken integriert sind. An allen neuen, einzelstehenden öffentlichen elektrifizierten Anlagen (beleuchtete Verkehrsschilder, Beleuchtungsanlagen in Parks oder Sportanlagen, Parkuhren, Telefonkabinen) werden Solarstromanalgen installiert, womit die Kommunalverwaltung bzw. die Träger dieser Einrichtungen bereits heute erhebliche Kosten einsparen können. Auf dem Verkehrssektor kann die Kommune in mehrfacher Hinsicht dazu beitragen, dass verstärkt Verkehrsmittel auf der Basis Erneuerbarer Energien eingesetzt werden. Dies gilt nicht nur für die Möglichkeit der Kommune, in städtischen Verkehrsbetrieben umweltfreundliche Antriebssysteme einzusetzen.

Bildungsmaßnahmen

Die Energieagentur koordiniert auch die kreisweiten und kommunalen Bildungsmaßnahmen im Bereich der Erneuerbaren Energien. Die allgemeine Bildung und Ausbildung im Bereich Erneuerbare Energien kann vom Landkreis und den Kommunen gezielt gefördert werden. Die Förderung kann beispielsweise durch Handwerkskammern, unterstützt von der Kommune und in Kooperation mit der Energieagentur eine Solarbauschule erfolgen. Das Ergebnis dieser Zusammenarbeit sollte ein breites Weiterbildungsangebot für Berufstätige im handwerklichen Bereich wie Installateure, Elektriker, Glaser, Dachdecker und Maurer sowie Bauund Agraringenieuren sein. Solche Bildungseinrichtung können entweder in einzelnen Kommunen oder als Gemeinschaftseinrichtung für mehrere Gemeinden oder Landkreise aufgebaut werden. Weitere Bildungsmaßnahmen werden unter dem Abschnitt "Bildung" vorgestellt.

Finanzierungsmodelle

Die Einführung Erneuerbarer Energien kann und muss in den Landkreisen und Kommunen durch neue, intelligente Finanzierungsmodelle entscheidend beschleunigt werden. Um die Finanzierungsbereitschaft vieler Bürger und die "solarspezifischen" Kalkulationsmethoden zu nutzen, können folgende Maßnahmen praktiziert werden:

Die Kommune finanziert Maßnahmen nach dem "Contracting"-Modell auf der Basis eines Vertrages mit einem die Maßnahme verantwortlich durchführenden privaten Unternehmen. Dieses Konzept wird auch privaten Investoren (Baugesellschaften, gewerbliche Unternehmen, Kaufhäuser, Supermärkte, Dienstleistungsunternehmen) empfohlen.
Die Kommune prüft alle Möglichkeiten der Kostensenkung, insbesondere im Bereich der Abfallbeseitigung, die sich durch die Nutzung von Deponiegasen oder von Klärschlämmen als Energiequelle ergeben.
Die Kommune veranlasst, falls sie Trägerin oder Mitträgerin einer kommunalen Bank oder Sparkasse ist, dass im Rahmen eines Sonderkreditprogrammes "Solarkredite" angeboten werden. Beim Solarkredit werden lange Kreditlaufzeiten für Solaranlagen gegeben und in die Amortisation des Kredits werden die eingesparten Energiekosten einberechnet.
Die Kommune initiiert nach dem Vorbild der Ulmer Solarstiftung eine Stiftung für Erneuerbare Energien, indem sie selbst einen größeren Grundbetrag bereitstellt. Diese Stiftung wirbt um zusätzliche Geldmittel durch Spenden, Erbschaften oder Vermögensübertragungen. Mit den Geldern dieser Stiftung werden Solarprojekte finanziert, die besonders förderwürdig sind und deren Finanzierung von den Trägern nicht allein getragen werden kann.
Die Kommune entscheidet, die Veräußerung städtischer Grundstücke als Bauplatz an die Bedingung zu knüpfen, dass in den privaten Neubauten Erneuerbare Energien genutzt und optimale Gebäudestandards zur Energieeinsparung eingehalten werden. Anstatt diese Nutzungspflicht Erneuerbarer Energien jeweils erst in den privat-rechtlichen Kaufverträgen zu berücksichtigen, ist es effektiver, eine Satzung nach § 81 Absatz 2 HBO für die ganze Stadt zu erlassen, in der der Einsatz Erneuerbarer Energien für jedes Baugrundstück vorgeschrieben wird (Vorbild: Marburger Solarsatzung).
Für den Fall, dass keine Solarpflicht in der Stadt besteht, entscheidet die Kommune, den Kaufpreis eines städtischen Grundstücks (bzw. eines Grundstücks, das von der Gemeinde als Bauplatz erschlossen und an die Infrastruktur angeschlossen worden ist) um den Betrag zu erhöhen, der zur Finanzierung einer Solaranlage nötig ist. Dieser Betrag wird dann an die Bauherren zur Finanzierung einer Solaranlage zurückgegeben.
Die Kommune entscheidet, dass in allen großen Gebäuden, in denen aus funktionellen Gründen ein Notstrom-Aggregat vorgeschrieben ist (z.B. Krankenhäuser), dieses Aggregat zum Hauptstrom-Aggregat wird und als Kraft-Wärmegekoppelte Anlage ausgerüstet wird. Die Kommune organisiert einen Großeinkauf von Solarkollektoren, Photovoltaik-Modulen und Haus-Blockheizkraftanlagen zur Biomasse-Nutzung und gibt diese Anlagen ohne Preisaufschlag an private Interessenten in der Gemeinde weiter. Damit werden zusätzliche finanzielle Anreize zur privaten Installation Erneuerbarer-Energie-Techniken geschaffen. Ergänzend könnte die Kommune ein Raten-Einkaufs-System für private Bürger organisieren. Diese Aktion erfolgt in Kooperation mit den Installationsbetrieben in der Kommune, um deren Interesse an der Installation solcher Anlagen zu stimulieren.
Die Kommune initiiert oder unterstützt die Gründung von Beteiligungsgesellschaften von GemeindebürgerInnen für Projekte zur Nutzung Erneuerbarer Energien. Ein Beispiel dafür sind die Marburger Gemeinschaftssolaranlagen mit Bürgeranteilen. Bürgerwindparks sind ein weiteres Beispiel. Mit dieser Beteiligungsmöglichkeit wird auch die Investitionsbereitschaft der BürgerInnen angesprochen, die als MieterInnen keine Installationsmöglichkeit für eine Solaranlage am eigenen Haus haben oder die sich nicht mit größeren Beträgen an einer Windkraftanlage beteiligen können. Die Kommune unterstützt diese Projekte auch dadurch, dass sie für solche Beteiligungsgemeinschaften Flächen für die Windanlagen auf kommunalen Grundstücken oder für Solaranlagen auf kommunalen Gebäuden (z.B. Stadiondächer, Hallenbäder) zur Verfügung stellt. Mit solchen Beteiligungsgemeinschaften wird die Identifikation der Bürger mit den Erneuerbaren Energien gestärkt.
Die Kommune richtet einen Klimaschutz-Fonds ein, in den gesondert erhobene Energieabgaben einfließen - z.B. ein freiwilliger "Solargroschen" auf Eintrittspreise für Sport- und Musikveranstaltungen, Theatervorführungen, Schwimmbäder oder ein obligatorischer Preisaufschlag für Parkgebühren. Die Einnahmen daraus werden zur Förderung von privaten Solarprojekten verwendet.

Austausch von Straßenlaternen durch LED-Laternen mit Bewegungsmeldern

In den nordrhein-westfälischen Großstädten Düsseldorf und Essen gibt es bereits Pilotprojekte mit LED-Straßenlaternen. Mit solchen Straßenlaternen kann eine Energieeinsparung von über 60% erreicht werden. Ein baldiger Austausch ist daher für die Kommunen wegen der damit verbundenen Entlastung des kommunalen Haushalts von großem Interesse. Allerdings sind die meisten Kommunen nicht ohne Weiteres in der Lage, die notwendigen Investitionsmittel zur Verfügung zu stellen. Um diesen Investitionsstau aufzulösen legt die Landesregierung einen Investitionsfond Straßenbeleuchtung auf, dessen Mittel im Rahmen eines Contracting-Vertrages vergeben werden. Besonders gefördert werden dabei Konzepte zum energieautonomen Betrieb einer besonders energieeffizienten Straßenbeleuchtung durch Solarstromanlagen.

Solare Bauplanung

Durch gesetzliche Planungsvorgaben müssen die Kommunen bei ihrer Bauplanung in Zukunft die möglichst optimale Nutzung Erneuerbarer Energien berücksichtigen. Dies gilt insbesondere für folgende Punkte:

Orientierung zur Sonne

Die Stadtplanung berücksichtigt eine zur Sonne orientierte Ausrichtung der zu errichtenden Gebäude. Dies beinhaltet, dass die Gebäude möglichst nicht verschattet sind, dass die Längsachsen der Gebäudestrukturen in Ost-West-Richtung liegen und die größtmögliche Tageslichtnutzung berücksichtigt wird. Zudem sollten in der Temperaturregelung die Sonneneinstrahlung und natürliche Kühlungsmöglichkeiten die maßgebliche Rolle spielen. Dies kann unter anderem durch eine bioklimatische Regulierung in den Stadtgebieten erfolgen.

Berücksichtigung der Windströme

Die Gebäudestruktur berücksichtigt die Richtung und die Intensität der Windströme. Dies wird durch eine Staffelung der Häuser zur Reduzierung des Windanfalls erzielt sowie durch Windschutzpflanzungen in der Hauptwindrichtung der Gebäude. Auch windgeschützte öffentliche Räume und eine gezielte Durchlüftung über Kaltluftschneisen sind von Bedeutung.

Funktionsmischung

Die Lebensfunktionen einer Stadt (Wohnen, Produktion, Verkehr, Dienstleistungen, Kultur und Freizeit) werden wieder durchmischt - hin zu neuen "dörflichen" Teilstrukturen mit hoher Kommunikationsdichte innerhalb der Stadt.

Grünflächen im Stadtgebiet

Durch eine Durchmischung der Gebäudestrukturen mit Grünflächen, Baum- und Heckenpflanzungen wird eine gleichmäßige Versorgung mit Sauerstoff, eine Staubbindung und ein natürlicher Temperaturhaushalt gefördert.

Kompakte Bauweise

Durch eine kompakte Bauweise und die Ausnutzung von Baulücken werden Energiesparmöglichkeiten gefördert, eine sparsame Bodennutzung erreicht und Landschaftsversiegelungen vermieden. Wo Landschaftsversiegelungen unbedingt nötig sind, werden ökologische Ausgleichsmaßnahmen ergriffen. Alle diese städteplanerischen Kriterien werden - auch unter Zuhilfenahme von computergestützten Simulationsprogrammen - aufeinander abgestimmt. Die Kriterien müssen in den Bausatzungen festgeschrieben werden.

Dach- und Fassadengestaltung mit Erneuerbaren Energien

Alle lokalen Bausatzungen müssen die generelle Genehmigung von Dach- und Fassadengestaltung mit Erneuerbaren Energien vorsehen. Vorschriften, die visuell wahrnehmbare Installationen verbieten, sind für Solartechnologie außer Kraft zu setzen. In denkmalgeschützten Stadtquartieren sind die örtlichen Bauvorschriften so anzupassen, dass eine baugestalterisch anspruchsvolle Integration von Solaranlagen ermöglicht wird. Bei knapper werdenden fossilen Ressourcen muss auch für Hauseigentümer in solchen Ortsteilen die Umstellung auf eine energetische Selbstversorgung so leicht wie möglich gemacht werden.

Vorzugsgebiete für Windkraftanlagen

In der Flächennutzungsplanung sind auf der Basis von Windmessungen die Gebiete als Vorzugsgebiete für Windkraftanlagen auszuweisen, in denen die relativ besten Windbedingungen vorhanden sind. Windkraftanlagen gelten in diesen Vorzugsgebieten als privilegierte Baumaßnahmen. Wenn keine Lärmbelästigung vorliegt, sollten die Abstandvorschriften gelockert werden, insbesondere an kommunalen Ein- und Ausfallstraßen für den überörtlichen Verkehr.

Berücksichtigung von Sonne, Wind und Erdwärme in Bebauungsplänen

Bei den individuellen Bebauungsplänen muss die konkrete Lage des Bauplatzes mit den bioklimatischen Bedingungen in jedem Einzelfall berücksichtigt werden. Sonne, Wind und Erdwärme sind bei der Gebäudegestaltung zu berücksichtigen. Die Hauptfläche des Gebäudes, vor allem seine Neigungsfläche, ist nach Süden auszurichten, um alle passiven und aktiven Maßnahmen der Nutzung der Sonnenstrahlung und der Tageslichtnutzung zu optimieren.

Vorgabe von Energiekennzahlen / Energiepass

Die Kommune legt Energiekennzahlen für die neu zu errichtenden Gebäude fest, bezogen auf den Warmwasser- und Heizungs-, Kühl- und Strombedarf. Der beste Weg ist ein Punktesystem, in das unterschiedlichste Maßnahmen einbezogen sind: passive und aktive Solarenergienutzung, Berücksichtigung von Wärmedämmtechniken auch in der Verglasung durch die Wahl der Baumaterialien, Einsatz der Heizgeräte inklusive der Frage des Einsatzes von Mini-Blockheizkraftwerken, Berücksichtigung von Anpflanzungen, Dach- und Fassadenbegründung und kompakte Bauweisen zur Reduzierung der Außenfläche der Gebäude. Dafür wird ein Energiepass entwickelt, der auf Simulationsrechnungen beruht. Wer eine festzulegende Mindestpunktzahl erreicht, erhält die Baugenehmigung. Auf diese Weise ist es möglich, Energieeinsparung, Nutzung Erneuerbarer Energien und bioklimatisches Bauen mit individueller Gestaltungs- und Nutzungsvielfalt zu verbinden. Die Instrumente des städtebaulichen Vertrags (§ 11 Absatz 1 Nr. 4 BauGB) bzw. der örtlichen Bauvorschriften in der Bauleitplanung (§ 81 Absatz 2 HBO) bieten hervorragende Möglichkeiten, um diese Maßnahmen verbindlich und flexibel mit den am Bau Beteiligten umzusetzen.

Solarsatzungen

Die Kommune beschließt Solarsatzungen für die ganze Stadt oder für neue Baugebiete nach § 81 Absatz 2 HBO, in denen Solarwärmeanlagen zum Baustandard werden (Vorbild: Marburger Solarsatzung, Deutscher Solarpreis 2008). Alternativ können die Kommunen städtebauliche Verträge (§ 11 Absatz 1 Nr. 4 BauGB) zur Vorgabe von Sonnenkollektoren mit den Bauherren in Neubaugebieten nach dem Vellmarer Modell vereinbaren (Deutscher Solarpreis 2004). Die Stadt Vellmar hat sich unter sozialdemokratischer Verantwortung selbst dazu verpflichtet, Grundstücke im 12-Hektar-Baugebiet "Auf dem Osterberg" nur an solche Bauherren zu verkaufen, die zuvor den städtebaulichen Vertrag abgeschlossen haben. Ein weiteres Instrument ist der Anschluss- und Benutzungszwang an ein Nahwärmesysteme mit Erneuerbaren Energien (§ 19 Absatz 2 HGO) - in Form von solarthermischen Systemen oder von Blockheizkraftwerk-Systemen auf Biomasse-Basis.

Integration der Solarenergienutzung im Bestand

Die Kommune untersucht die Möglichkeiten der Integration der Solarenergienutzung in die vorhandene Baustruktur, insbesondere bezogen auf die Fensterkonstruktion, die solarenergetische Optimierung von Fassaden und Balkons und den Einbau intelligenter Systeme in konventionelle Dachflächen.

Nutzung Erneuerbarer Energien bei umfassenden Haussanierungen

Unter Nutzung der Möglichkeit des Anschluss- und Benutzungszwanges wird eine Nutzung Erneuerbarer Energien bei umfassenden Haussanierungen vorgeschrieben; hierzu enthält auch die Marburger Solarsatzung ein innovatives Energiekonzept (siehe dort § 9 der Satzung). Eventuelle landesgesetzliche Lücken, welche die Umsetzung der oben genannten Vorschläge erschweren oder gar behindern, müssen durch Gesetzgebung umgehend geschlossen werden. Hierzu leistet der Gesetzentwurf der SPD Hessen für den Vorrang Erneuerbarer Energien einen entscheidenden Beitrag.

Rückkauf der Netze nach Ablauf der Konzessionsverträge

Da der Rückkauf der Energieversorgungsnetze eine historische Chance darstellt, einen Systemwechsel der regionalen Energieversorgung zu ermöglichen, ist die landespolitische Unterstützung solcher Rückkäufe nach Ablauf der Konzessionsverträge von großer Bedeutung. Die Gemeinden können unterstützt werden durch:

das Auflegen eines Rekommunalisierungsfonds zur finanziellen Unterstützung von Kommunen beim Netzrückkauf durch zinsvergünstigte Kredite;
die Einrichtung eines Rekommunalisierungsbüros des Landes Hessen als zentralen Ansprechpartner bei allen Fragen der Rekommunalisierung;
eine Novellierung des Gemeindewirtschaftsrechts (§§ 121 ff. HGO) sowie ggf. Anpassungen in der Bundesgesetzgebung (Bundesratsinitiative);
die Ermöglichung von Netzinvestitionen zur Dezentralisierung der örtlichen Stromverteilnetze unter Einbindung dezentraler erneuerbarer Energiequellen durch eine stadtwerkefreundliche Anwendung der Anreizregulierungsverordnung des Bundes;
ein Förderprogramm für den Ausbau kommunaler Nah- und Fernwärmenetze zur Beschleunigung der Energiewende durch Schaffung von Heizkraftwerkskapazitäten zum klima- und ressourcenschonenden Ersatz des geplanten Mega-Kohlekraftwerks Staudinger Block 6.

Förderung von Erneuerbaren Energien in Wasser- und Abfallwirtschaft

Die Integration von Wasserwirtschaft, Abfallbeseitigung und der Nutzung Erneuerbarer Energien wird vorangetrieben. Viele Chancen einer intelligenten Koppelung von Wasserwirtschaft, Abfallbeseitigung und Nutzung Erneuerbarer Energien sind unausgeschöpft, etwa die Nutzung der Wasserläufe in den Kanalisationssystemen zur Stromerzeugung, die energetische Nutzung der Klärgase und Klärschlämme und anderer organischer Abfälle zur Strom- und Wärmeerzeugung.

Folgende kommunalen Initiativen sollen durch Gesetze, Verordnungen und direkte Förderung durch die Landesregierung unterstützt werden:

In Kläranlagen werden die Klärgase zur Energiegewinnung eingesetzt, um daraus entweder nur Strom oder Strom und Wärme zu erzeugen.
Prinzipiell werden alle Resthölzer aus Nutzwäldern (nicht aus Urwäldern wie z.B. dem Nationalpark Kellerwald-Edersee) und biologischen Reststoffe aus Durchforstung, Wald- und Parkpflege und aus Grünanlagenarbeiten sowie Papier-, Stroh- und Holzabfälle in Blockheizkraftwerken energetisch verwertet. In die Finanzierung müssen die eingesparten Abfallbeseitigungskosten einkalkuliert werden. Die Kommune berät und motiviert Unternehmen, ihre organischen Abfälle in eigenen Biogasanlagen und Blockheizkraftwerken zu verwerten. Besonders angesprochen sind hierbei Kaufhäuser, große Lebensmittelläden, Metzgereien und Schlachthöfe, Fischgeschäfte, Unternehmen mit Großküchen, Restaurants und Hotelbetriebe, Molkereien, Blumen- und Gärtnereibetriebe.
Die Asche, die bei der Verbrennung von organischen Reststoffen und entgaster Feuchtmasse in Biogasanlagen entsteht, ist ein umweltfreundliches Düngemittel. Um dieses wiederum ökonomisch zu verwerten, sind lokale Unternehmenskooperativen zum Düngemittelverkauf sinnvoll.
Um alle in der Kommune vorhandenen Biogas-Potentiale ausschöpfen zu können, schafft die Kommune dafür gegebenenfalls auch eine entsprechende Infrastruktur. Nicht für jeden kleinen Betrieb mit geringen Abfallmengen für Biogasanlagen lohnt sich ein Blockheizkraftwerk oder ein Stromgenerator. Dieses Problem kann durch kleine Distrikt-Gasleitungen zu einem Distrikt-Blockheizkraftwerk überwunden werden.
Die Kommune und die Stadtwerke berücksichtigen prinzipiell bei ausgelegten Erdgasnetzen und bei Neuverlegung von Erdgasnetzen die Integration der Biogaspotentiale in das Gastransportsystem und planen dies mit ein, um insgesamt unabhängiger von Erdgasimporten v.a. aus Russland zu werden.

Förderung der Biomasse-Erzeugung im Umland und in ländlichen Gemeinden

Neben Biomasse aus organischen Abfällen spielen Energiepflanzen eine wesentliche Rolle für eine Zukunft mit Erneuerbaren Energien. Es handelt sich dabei um nachwachsende Energie aus Land- und Forstwirtschaft. Dadurch erhält die Landwirtschaft eine neue Perspektive. Der aus Biomasse gewonnenen Energie stehen meistens verschlossene Energiemärkte gegenüber. Durch die Einbeziehung der Biomasse in die kommunale Energieversorgung kann diese Barriere am schnellsten überwunden werden. Die kommunalen Energieversorger sind daher die natürlichen Partner für die Biomasse-Produzenten. Kommunen in ländlichen Gebieten mit geringer Bevölkerungsdichte wären in der Lage, mehr Biomasse zur energetischen Nutzung auf ihrem Gebiet zu erzeugen als dort Energie nachgefragt wird.

Folgende kommunale Initiativen sollen durch Gesetze, Verordnungen und direkte Förderung durch die Landesregierung unterstützt werden:

Bildung von Erzeuger- und Vermarktungsgenossenschaften

In Zusammenarbeit mit den Landwirtschaftskammern, den Forstbetrieben und den landwirtschaftlichen Interessenverbänden wird die Bildung von Erzeuger- und Vermarktungsgenossenschaften angeregt. Diese Genossenschaften entwickeln Produktions- und Marketingkonzepte für Biomasse, und zwar für deren Einsatz sowohl als Energieträger wie auch als Rohstoff, etwa für Baumaterialien. Ein Vorbild ist der landwirtschaftliche Maschinenring Kassel-Göttingen, der Land- und Energiewirten mit Know-How zur Seite steht und z.B. Sammelbestellungen von Biogasanlagen für Mitglieder organisiert.

Gründung von Arbeitsgemeinschaften

Die Kommune gründet eine Arbeitsgemeinschaft, in der neben der Kommunalverwaltung und den Biomasse-Erzeugern aus dem Umland die potentiellen Abnehmer der Biomassen vertreten sind (Stadtwerke, lokaler Brennstoffhandel, Installations- und Heizungsbaubetriebe, Baustoffhandel).

Einrichtung von Nahwärmenetzen

Die Kommune prüft alle Möglichkeiten für die Einrichtung von Nahwärmenetzen in Verbindung mit Wärmekraftwerken auf Biomasse-Basis. Dabei ist stets die Wärme-Kraft-Koppelung vorzusehen, um eine optimale Energieeffizienz zu erreichen. Vorbild ist die Gemeinde Körle im Schwalm-Eder-Kreis mit dem aus Biomasse nahwärmeversorgten Baugebiet "Auf dem Hollunder" (Deutscher Solarpreis 2003).


Bildung

Erneuerbare Energien sollen querschnittlich Bestandteil der Lehrpläne aller hessischen Schulen werden. Physischer Ansatzpunkt soll dabei die Nutzung Erneuerbarer Energien im und am Schulgebäude sein. Für deren Vorhandensein sollen die Landkreise und Kommunen als Schulträger sorgen. Darüber hinaus sind hierbei folgende Maßnahmen zielführend:

Die Bildung einer Energie-Arbeitsgemeinschaft in jeder allgemeinbildenden Schule, in der sich Lehrer und Schüler die Grundkenntnisse über Erneuerbare Energien und Energieeffizienz erarbeiten.
Die Erstellung von Unterrichts-Bausätze über Erneuerbare Energien, welche den Schulen zur Verfügung gestellt werden.
Bildungsangebote der Berufschulen, die gezielt Ausbildungsberufe im wachsenden Solarhandwerk, in Solarbetrieben bzw. bei Land- und Energiewirten unterstützen. Vorbildlich ist die Arbeit der Berufsschule Hofgeismar/Wolfhagen des Landkreises Kassel, die ihre Schüler sogar in das Entwicklungshilfe-Projekt des Kreises und der SMA Technologie AG mit Sri Lanka eingebunden hat.

TaskForce Erneuerbare Energien

Als direkter Ansprechpartner für die Landkreise und Kommunen, sowie der kommunalen Wirtschaft zu Fragen der Erneuerbaren Energien soll eine "TaskForce Erneuerbare Energien in Kommunen" bei der Landesregierung eingerichtet werden. Dies folgt dem Key-Account-Management moderner Wirtschaftsunternehmen entliehenen Prinzip des "One-Face-to-the-customer", also dem Prinzip, dass ein Kunde für alle Fragen einen Ansprechpartner hat.

Fabio Longo, Rechtsanwalt, und Stephan Grüger, Kreistagsabgeordneter Lahn-Dill, sind Mitglieder des Vorstands der EUROSOLAR-Sektion Deutschland.


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Quelle:
Solarzeitalter 1/2009, 21. Jahrgang, S. 14-22
Politik, Kultur und Ökonomie Erneuerbarer Energien
Redaktion: EUROSOLAR e.V.
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Erscheinungsweise: vierteljährlich
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veröffentlicht im Schattenblick zum 20. Juni 2009